Schlatter, Adolf - Einleitung in die Bibel - Die Briefe des Johannes.

Schlatter, Adolf - Einleitung in die Bibel - Die Briefe des Johannes.

Der erste Johannisbrief

hat keine Überschrift. Gleichwohl setzt er uns sofort über seinen Verfasser ins klare. Das ist dieselbe Hand, die das vierte Evangelium schrieb. Das geistige Leben des Johannes ist so eigenartig ausgeprägt und so hoch gehoben, daß er allem, was er geschrieben hat, einen sehr bestimmten Stempel gibt, der im Evangelium, wie im Briefe in derselben Weise wahrzunehmen ist. Auch tritt der Verfasser mit dem ersten Satze sofort als einer derjenigen vor uns, die Jesus selbst gekannt haben. Wir haben ihn, sagt er, mit unseren Augen gesehen und unsere Hände haben ihn betastet, V. 1. Wir werden den Brief in die Zeit zu verlegen haben, da Johannes in Ephesus mit der kleinasiatischen Christenheit in vielfältiger Verbindung stand.

Es ist schwierig, den Brief in eine kurze Übersicht zu fassen. Er beschäftigt sich nicht mit speziellen Anliegen seiner Leser, sondern spricht mit ihnen vom Wesen des Christenstands nach seiner Größe und seinem Ernst. Der einige Gegenstand des ganzen Briefes ist, daß uns Gemeinschaft mit Gott in Christo gegeben ist. Was das bedeutet und in sich schließt, legt er uns mit allen Worten seines Briefes aus. Er wiederholt sich nicht, sondern zeigt uns immer vollständiger, was uns aus Gott durch Christus dargereicht ist, aber er geht auch nicht in der Weise auf einen neuen Gegenstand über, daß sein Brief deutlich in verschiedene Teile zerlegt wäre, sondern das neue Wort greift auf's Gesagte zurück und dient mit diesem demselben Ziel: uns zum Bewußtsein zu bringen, was es heißt, Gott zu kennen und ihm in Christo verbunden zu sein.

An der Stelle des Grußes steht ein großes Wort, das ausspricht,

was uns die apostolische Predigt bringt. 1,1-4.

Weil der Apostel Jesus kennt, den Ewigen, der unter uns erschienen ist, darum bringt uns sein Wort ewiges Leben und Gemeinschaft mit Gott, uns zur vollkommenen Freude.

Die demütigende Wirkung der Gemeinschaft mit Gott. 1,5-10.

Was heißt das: „Gemeinschaft haben mit Gott,“ in dem keine Finsternis ist? Das versetzt unsern Wandel in's Licht und führt uns deshalb zum demütigen Geständnis unserer Sünden, die uns dann vergeben werden, wenn wir sie gestehen.

Die Gemeinschaft mit Gott besteht in der Bewahrung des Wortes Christi. 2, 1-11.

Im Licht Gottes erkennen wir, wozu wir Christum brauchen, daß wir in ihn den Fürsprecher und Versöhner haben. 2,1-3.

Aber mit Christo bleiben wir nur dadurch verbunden, daß wir sein Wort und Gebot bewahren. 2,4-6.

Christi Gebot zielt auf die Bruderliebe. Dadurch versetzt er uns in die Gemeinschaft mit dem göttlichen Licht; denn der Haß ist Finsternis. 2,7-11.

Die Scheidung von der Welt und von den Widerchristen. 2,12-27.

Die Verbindung mit Gott ist untrennbar verbunden mit der Scheidung von allem, was nicht aus Gott stammt. Den Kindern, Jünglingen und Vätern in der Gemeinde ist in Christus alles gegeben, was sie bedürfen, um die Scheidung von der Welt zu bewahren. 2,12-17.

Aber es droht ihnen noch eine andere Gefahr als die Verlockung durch die Welt. Das sind die aus der Gemeinde selbst hervorgegangenen Männer, die Christum leugnen und das mit auch den Vater verlieren. Allein sie sind hiegegen nicht wehrlos. Denn sie sind mit dem Geist als einer heiligen Salbung begabt. 2,18-27.

Was die Kinder Gottes hoffen und sind. 2,28-3,24.

Die vielen Widerchristen sollen ihren Blick auf Christi richtendes Erscheinen lenken als auf das Ziel ihrer lebendigen Hoffnung. Dann wird Gottes unermeßliche Liebe an uns offenbar, die uns jetzt schon zu seinen Kindern gemacht hat. Aber der Weg dorthin heißt: nicht sündigen. 2,28-3,6.

Wie die Bosheit der Menschen des Teufels Erzeugnis in ihnen ist, so hat die Geburt aus Gott zur Wirkung und zum Merkmal die Gerechtigkeit, die nicht sündigen kann. 3,7-10.

Diese hat ihre Erfüllung in der Liebe und der Apostel legt uns aus, was uns zur Liebe treibt, daß wir nämlich in ihr das Leben haben und dem Tod entronnen sind, 3,11-15, und worin ihre Wahrheit steht nach Christi Vorbild, der sein Leben für uns gelassen hat, 3,16-18, und was wir durch sie gewinnen, nämlich Freudigkeit vor Gott und Erhörbarkeit unseres Betens. In der Bewahrung der göttlichen Gebote durch Glauben und Liebe bleibt das Zeugnis unserer Gemeinschaft mit Gott in uns im heiligen Geist. 3,19-24.

Die Unterscheidung der Geister und die rechte Erkenntnis Gottes. 4.

Allein nicht alles, was als Geist sich kund thut, ist das Zeichen der Gemeinschaft mit Gott. Es gilt Geist von Geist zu unterscheiden. Das Merkzeichen ist, ob Christus in seiner Fleischesgestalt und Menschlichkeit als Gottes Sohn bekannt wird. Wer in Jesu irdischem Lebensgang Gott erkennt, der hat den Geist der Wahrheit in sich, 4,1-6, und weiß, was Gott erkennen heißt. Gott kennen, das ist Lieben. So hat uns Christus Gott geoffenbart. Er hat uns Gottes Liebe erwiesen und dadurch uns zur vollkommenen Liebe zu Gott berufen, die auch im Blick auf das Gericht von der Furcht los und ledig ist. Die Liebe aber wendet sich, falls sie aufrichtig ist, den Brüdern zu. 4,7-21.

So wissen wir nun,

was der Glaube an Christus kann und worauf er ruht. 5,1-12.

Um des Glaubens willen sind wir den Brüdern verbunden und über die Welt emporgehoben. 5,1-5.

Der Glaube ruht im Zeugnis Jesu, der sein Wort mit Wasser, Blut und Geist besiegelt hat, und im Zeugnis Gottes, der das ewige Leben gibt. Dasselbe kann nicht verworfen werden, ohne daß wir Gottes Wahrhaftigkeit aufheben. 5,6-12.

Das Schlußwort faßt noch einmal zusammen

was im Christenleben vor allem fest zu halten ist. 5, 13-21.

Fest zu halten ist das Gebet, das um alles bitten darf und nur da verstummen muß, wo zum Tode gesündigt wird, die Scheidung von der Sünde und der Welt, vermittelst der Erkenntnis Gottes, die in Christo entspringt, durch welche die Gemeinde die Bösartigkeit des Götzendienstes eingesehen hat.

Der Brief ist an Leser gerichtet, für die das christliche Bekenntnis und christliche Lebensformen bereits die gewohnte Bahn sind, in der sie sich bewegen. Darum geht die Hauptabsicht des Briefes dahin, allen unwahren Schein zu zerstören, die Selbsttäuschung zu durchbrechen und die Kennzeichen hervorzuheben, an denen wir merken, ob wir in Gott leben. Es ist ein heiliger Durst nach Wahrhaftigkeit in unserem Brief, der uns nicht spielen läßt mit den hohen Worten des Evangeliums, auch nicht zugibt, daß wir bloß unsere Gedanken mit ihnen füllen, sondern etwas Ganzes und Reelles verlangt, und uns zuruft, daß Gemeinschaft mit Gott Kraft und Leben ist. Darin ist er mit dem Briefe des Jakobus sehr verwandt. Aber er unterscheidet sich von ihm darin, daß er uns die Liebe Gottes und das ewige Leben in Christo ohne Hülle vor's Auge hält, damit wir in ihm ruhen mit heller Erkenntnis, freudiger Gewißheit und vollem Trost. Nicht dazu legt er uns die Größe des Gebotes Christi und die durchwirkenden Folgen wahrhafter Gemeinschaft mit Gott vor, daß wir davor erschrecken und in verzagter Niedergeschlagenheit uns quälen, sondern damit wir erkennen, wie hoch wir von Gott erhoben und wie reich begabt wir sind, was uns freilich nur dann zufällt, wenn wir nicht mit halbem, sondern ganzem Willen ohne krumme Unredlichkeit uns auf Gottes Bahn begeben.

Von den besondern Verhältnissen der ersten Christenheit tritt nur das eine hervor, daß sich viele Widerchristen von ihr abgesondert haben und Irrgeister sich in ihr hörbar machen. Da der Apostel nachdrücklich darauf dringt, daß wir bekennen, Christus sei im Fleisch gekommen, ist die Vermutung nicht ohne Wahrscheinlichkeit, daß dieser Irrgeist der Geist der gnostischen Spekulation und Heiligkeit war, der an Jesu wahrer Menschlichkeit sich stieß, weil er sie mit seinen eigenen Gedanken über Gott nicht reimen konnte, und deshalb den Sohn Gottes nur mit einem Scheinleib umgab, oder ihn bloß als ein geistiges Wesen beschrieb, das sich von oben bei der Taufe in den Menschen Jesus eingesenkt habe. Der Apostel sah bei seinem hohen Alter die gnostische Gährung in den kleinasiatischen Gemeinden jedenfalls schon stark im Gang. Dieses hochfahrende Christentum voller Träume und eingebildeter Heiligkeit trieb den Apostel um so mehr, den rechten und echten Zweck der Erscheinung Christi uns vorzuhalten, daß wir durch ihn von allem finstern Wandel erlöst, die Wahrheit thun in ungeheuchelter Liebe. Er ließ sich durch den falschen Ruhm Gott erkannt zu haben, nicht dazu treiben, die Erkenntnis Gottes herabzusetzen. Denn auch er schaut hinauf in ein helles Licht, darin sich Gott uns bezeugt und unser Leben aus ihm entspringen läßt; aber er zeigt uns, daß solche Erkenntnis nicht von der Gestalt unsers Willens und Werts abgerissen werden darf, sondern nur dann keine Lüge ist, die sich selbst zerstört, wenn sie unser Leben nach Gott gestaltet und aus Gottes Liebe auch in uns die Liebe entspringt.

Der zweite Brief

ist durch den „Alten“ an die „auserwählte Herrin“ und ihre Kinder geschrieben. Man könnte in der „Herrin“ die sinnbildliche Zusammenfassung einer Gemeinde suchen, etwa wie die Propheten Jerusalem als eine Tochter und Jungfrau darstellen. Doch enthält der Brief keine direkte Nötigung, von der einfachen Auffassung der Überschrift abzugehen, daß er an eine christliche Hausmutter geschrieben sei. Er ist bis auf den Wortlaut mit dem größern Briefe übereinstimmend. Der Apostel freut sich über den Christenstand ihrer Kinder, mahnt an Christi Liebesgebot und warnt dringend vor den Verführern. Letzteres ist deutlich der Hauptzweck des Briefs. Er ist aus der lebendigen Sorge entsprungen, die ein christliches Haus vor der giftigen Berührung mit falscher Frömmigkeit zu schützen begehrt.

Der dritte Brief

führt uns in die Konflikte und Schwierigkeiten jener Zeit. Er ist ausschließlich persönlichen Inhalts. Sein Empfänger ist ein Gajus, den der Apostel zu seinen Kindern zählt, und an dessen Wandel er sich herzlich freut. Der Brief empfiehlt ihm fremde Brüder, die als Evangelisten Jesus unter den beiden verkündigen, damit er sie unterstütze. Die Verhältnisse der Gemeinde, zu der er gehörte, waren zerrüttet. Ein Diotrephes hat sich zum Machthaber in ihr gemacht und setzt sich mit dem Apostel in offenen Widerstreit. Sein Brief an die Gemeinde war vergeblich. Doch erwartet der Apostel, daß er durch sein persönliches Erscheinen ihn beugen wird.

Es ließe sich schwer denken, wie namentlich dieses dritte Brieflein als apostolisch in der Kirche Verbreitung gefunden haben sollte, wenn nicht eine sichere Nachricht dabei zu Grunde lag. Das Bild, welches es uns vorführt, entspricht den Vorstellungen von apostolischer Würde und Macht nicht, welche die spätern sich ausmalten. Man hat oft von einem „Johanneischen Zeitalter“ gesprochen, das dadurch herbeigeführt worden sei, daß Johannes noch allein als hochverehrter Apostel in Ephesus an der Spitze der Kirche stand. Unser Brief zeigt uns vielmehr, wie das Leben der Apostel Niedrigkeit, Arbeit und Kampf bis zum Schluß geblieben ist. Sie sind nie Kirchenfürsten geworden. Ihre Macht stand auf dem Wort des Evangeliums, für das auch die Gemeinden oft kein offenes Ohr hatten. Fremde, unreine Strömungen machten sich geltend, und übermütige Geister vertraten ihnen den Weg. Sie mußten sich schelten und verachten lassen, und sich in Gottes Weg finden, daß auch in der Kirche nur wenige in der Wahrheit wandelten.

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