Riggenbach, Christoph Johannes - Was ist Glauben?
mit Beziehung auf das Schriftwort: Wer nicht glaubt, der wird verdammt werden (Marc. 16, 16).
Vortrag von Prof. Dr. Riggenbach
Indem mir der Auftrag zu Theil wurde, die Reihe der angekündigten theologischen Vorträge zu eröffnen, ist mir damit selbstverständlich zugleich die Aufgabe gestellt, Sie herzlich zu begrüßen und in einigen einleitenden Worten über die Absicht dieses ganzen Versuches Rechenschaft zu geben. Wir sind einstweilen über zehn Vorträge übereingekommen, wovon durchschnittlich alle 14 Tage einer soll gehalten werden. Sie sollen natürlich unter sich im Zusammenhang stehen und einen Fortschritt von Gegenstand zu Gegenstand inne halten, so zwar, daß sich die Themata in freier Weise an das älteste Bekenntniß unseres Glaubens, das sogenannte apostolische, anschließen. Doch wird, wie jedesmal wieder ein anderer Sprecher auftreten soll, naturgemäß auch jeder Vortrag so gehalten werden, daß er möglichst ein Ganzes für sich selber bilde.
Zu dem ganzen Unternehmen haben, wie Sie sich selber sagen werden, vorzüglich die Erfahrungen des letzten Winters geführt.
Diese schienen die Ueberzeugung nahe zulegen, daß in öffentlicher Mittheilung der christlichen Glaubenswahrheit durch die Predigt von der Kanzel herab, welche die Gläubigen beider Geschlechter erbauen soll, und durch den Unterricht der Jugend noch nicht für alle Bedürfnisse das Wünschenswerthe und Mögliche dargeboten werde. Es giebt ja zweifelsohne manche Jünglinge und Männer, in denen die Erfahrungen des Lebens das Verlangen wecken, ihres Glaubens, den sie haben, mehr und mehr auch in klarer Erkenntniß froh zu werden, und dadurch Tüchtigkeit zu erlangen, um von demselben auch gegen die Widersprechenden Rechenschaft zu geben.
Andere stehen gar nicht mehr unangefochten im Glauben ihrer Kindheit, sondern Zweifel, die von außen kamen, haben daran gerüttelt; Bedenken sind in ihrem eigenen Inwendigen aufgestiegen; es beschäftigen sie Fragen, auf die sie keine Antwort finden, auch in keinem noch so guten Confirmandenunterricht zum Voraus schon bekommen konnten; die Einflüsse des Zeitalters machen sich ihnen mächtig fühlbar; wenn es Vielen für eine längst veraltete Beschränktheit gilt, an die Bibel zu glauben, so begehren sie nicht, sich dem Spott derselben auszusetzen; das immer kühnere Kritisieren erfüllt ihren Geist mit einem Gefühl seiner Freiheit; auch hat ja die neuere Wissenschaft eine Reihe von Entdeckungen gemacht und in weiten Kreisen verbreitet, deren Vereinbarkeit mit dem Bibelglauben unmöglich scheint, also daß Mancher, der eine Ehrfurcht vor dem Geist der Bibel durchaus nicht wegwerfen möchte, für solche Widersprüche doch noch keine Lösung gefunden hat.
Nun giebt es freilich mehr als Einen, das werden Sie nicht in Abrede stellen, bei dem sich mit diesen Zweifelsgedanken noch ein anderer schlimmer Beweggrund verbindet: ihm ist das Zweifeln, ja das Wegwerfen des Christenglaubens willkommen, weil er damit auch eine lästige Zucht, eine Beunruhigung seines Gewissens, eine beschwerliche Zumuthung gottseligen Wandels, eine Schranke, die seiner sündlichen Lust im Wege stund, als thörichtes Vorurtheil meint von sich werfen zu können. Ein solcher hätte natürlich vor Allem nöthig, dem Bösen abzusagen, sich dem Guten zuzuwenden; wenn er einmal zu dem Willen gekommen wäre, mit der Sünde zu brechen, so würde sichs dann erst zeigen, was seinem Verständniß für ein neues Licht aufgienge.
Aber durchaus nicht alle Zweifler sind von dieser Art. Ich kann mir vielmehr Manche denken, die sich keineswegs muthwillig hineingestürzt haben, die auch mit Wahrhaftigkeit von sich selber sagen dürfen, daß sie es erst, seitdem sie zweifeln, recht ernst mit der Sittlichkeit und selbst mit der Frömmigkeit nehmen, weit ernster als früher, wo sie den überlieferten Glauben nur unselbständig und fast in todter Weise angenommen hatten. Es ist nicht eines Menschen Sache, solche, die sich in diesem kritischen Stadium befinden, zu richten; der Geist Gottes kann es ihnen später aufdecken, was für minder gute Beweggründe sich doch vielleicht auch eingemischt haben; und jetzt schon empfindet wohl Mancher unter ihnen, daß er im stillen Grund seines Herzens unsicher, unruhig, unglücklich ist. Er wünscht vielleicht, daß Gott Recht gegen ihn behalte, aber auf eine solche Weise, daß er sich selber mit lauterer Wahrhaftigkeit der erkannten Wahrheit unterwerfen könne.
Solchen, meine Freunde, möchten wir dienen. Es wird aber gut sein, wenn wir uns von vorneherein daran erinnern, daß wir beiderseits keine falschen Hoffnungen hegen dürfen. Sie dürfen nicht mit der Erwartung oder Anforderung hieher kommen, etwas Ausgezeichnetes, Unerhörtes, Neues zu vernehmen, daran sich keine menschlichen Mängel und Gebrechen entdecken ließen; was Sie also von solchen finden sollten, das dürfen Sie nur uns zur Last legen und keineswegs der Wahrheit Gottes selber. Und wir hinwiederum, auch wenn wir die triftigste Wahrheit nach besten Kräften entwickelt haben, dürfen uns nicht einbilden, Ihre Zustimmung damit so zu sagen im Sturm zu erobern. Das ist nicht die Art der geistigen Dinge überhaupt und insonderheit der göttlichen, daß sie mit einer zwingenden Evidenz wie ein Rechnungsexempel aufträten, dem Jeder zustimmen muß, welcher es nachzurechnen fähig ist. So geht es nicht mit dem Reifen eigener Glaubensüberzeugung; das will seine Zeit haben.
Was wir also thun können, das ist einzig: nach Gottes Wort innerlich Erlebtes bezeugen, es zur Prüfung vorlegen, davon nach bester Einsicht vernünftige Rechenschaft geben, und nun einladen: wer es damit im Erleben und Denken, im Denken und Erleben versuchen will, der versuche es. Es ist ja doch sicher der Prüfung werth, wie gut wir versorgt seien, wie gut für Leben und Sterben, für Zeit und Ewigkeit versorgt mit gar keiner oder mit einer selbstgemachten Religion, besonders wenn diese mehr darin bestünde, zu wissen, was man nicht glaubt, als was man glaubt, und auch jenes weniger aus eigener Prüfung, als weil es uns Andere so gesagt und uns mehr überredet als überzeugt haben. Stichhaltig aber ist am Ende doch nur die Religion, da wir nicht nur wissen, was wir nicht glauben, sondern da wir es einfach und getrost sagen können, wenn man uns fragt: Was glaubst du denn? Was hast du denn Festes? Was hast du für einen Gott?
Das möge zur Einleitung genug sein; und nun lassen Sie uns die Aufgabe selber, die uns für heute gesteckt ist, in Angriff nehmen.
Eine Auswahl der Hauptwahrheiten unseres christlichen Glaubens soll diesen Winter über zur Sprache kommen. Es leuchtet ein, daß wir uns deßwegen zuerst darüber verständigen müssen: was denn überhaupt unter Glauben zu verstehen sei? Mein Thema lautet deßwegen: Was ist Glauben? mit Beziehung auf das Schriftwort: Wer nicht glaubt, der wird verdammt werden. An diesem Schriftwort haben sich Manche auch unter uns schon ganz besonders gestoßen: Wer nicht glaubt, der wird verdammt werden! was ist das für ein hartes, grausames Wort, das uns bei jeder Taufe in die Ohren tönt! und das soll ein Wort von Gott sein, von dem Gott der Liebe? Das ist ja nichts als finsterer, tyrannischer Fanatismus! das wäre ja eine Lehre, wenn dieselbe heutiges Tags noch Beifall fände, die uns zum unversöhnlichen Haß gegen die Ungläubigen verpflichten würde! Das ist unerträglich; denn unter den echten Kindern des Jahrhunderts wird es ohne Weiteres als Barbarei betrachtet, Jemanden um seine Glaubensmeinungen anzusehen, geschweige denn anzufechten.
Aber es ist ja doch ein Bibelwort, ein Ausspruch unsers Herrn Jesu Christi. Oder sollte das etwa gar nicht einmal der Fall sein? will man uns etwa sagen: dieses unerträglich harte Wort dürfe uns um so weniger als ein Joch auferlegt werden, da es nur aus dem unechten Anhang des Evangeliums Marci stamme, und deßwegen gar nicht als ein Wort Christi selber könne erwiesen werden?
Es ist nämlich richtig, daß im 16. Kapitel des Evangeliums Marci vom 9. Vers an alles Folgende in einer besonders alten und wichtigen Handschrift, die man schon lange kennt, sowie in der von Tischendorf neuentdeckten aus dem Sinaikloster stammenden fehlt, und daß es laut unzweideutigen Zeugnissen seiner Zeit in noch viel mehreren Handschriften auch nicht vorhanden war. Das ist ein Räthsel, welches mit Sicherheit nicht zu lösen ist; wir müßten etwa denken, es hätten die ältesten Handschriften irgendwelche Beschädigung erlitten; denn das ist ebenso augenscheinlich, daß das Evangelium ganz unmöglich mit dem achten Verse schließen konnte, wo es von den Frauen berichtet, wie sie vom Grab des Herrn geflohen seien: „und sagten Niemand nichts, denn sie fürchteten sich.“ Das wäre in Wahrheit kein Schluß des Evangeliums, sondern der rechte Schluß wäre verloren gegangen.
Ich will nun nicht einmal darauf ein großes Gewicht legen, daß selbst ein Kritiker wie Lachmann den gewöhnlichen Schluß, wie wir ihn lesen, Vers 9—20, in seine Ausgabe des Neuen Testaments aufgenommen hat; wichtiger muß uns die Erwägung sein, daß der Ausspruch, von dem wir reden, seinem Inhalt nach durchaus mit solchen übereinstimmt, die ganz unangefochten echte Schriftworte sind. „Wer an den Sohn glaubt,“ so spricht der Täufer (Joh. 3,36), „der hat das ewige Leben. Wer dem Sohne nicht glaubet, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibet über ihm.“ Und ebenso spricht der Apostel Paulus vom Zorn Gottes, der da komme über die Kinder des Unglaubens (Ephes. 5, 6); und wenn er 1 Cor. 1,18. sagt: „Das Wort vom Kreuz ist eine Thorheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist es eine Gotteskraft,“ so fügt er gleich nachher V. 21. die Bedingung hinzu, unter welcher wir selig werden, indem er uns lehrt, daß es Gott gefiel, „durch thörichte Predigt selig zu machen die, so daran glauben;“ diejenigen also, die nicht daran glauben, sind es, die verloren gehen. Wir sehen, dem ist nicht auszuweichen: es ist unzweifelhaft eine überall wiederkehrende Bibelaussage, aufs kürzeste in den Worten ausgedrückt: Wer nicht glaubt, der wird verdammt werden.
Aber eben diese Bibelaussage scheint wohl auch unter Euch Etlichen gar zu hart und unerträglich. Liebe Freunde, setzet einmal, daß es ein Leben nach dem Tode gebe, und in demselben nicht einerlei Schicksal, sondern entweder Seligkeit oder Verdammniß; gebet weiter zu - dieses nur vorläufig und ohne Euch schon gebunden zu überliefern - aber einstweilen gebet zu, daß, was den Menschen zur Seligkeit oder Verdammniß qualifiziere, das sei wirklich der Glauben oder Unglauben; also dieses vorläufig als wirklich gesetzt, so frage ich Euch: was wäre nun das Aergere und Härtere, was wäre die grausamere Lieblosigkeit: daß es uns zu rechter Zeit gesagt wird: wer nicht glaubt, der wird verdammt werden, oder aber wenn es uns nicht gesagt würde? Wenn ein Mensch in finstrer Nacht auf einem Wege schritte, wo ihn der nächste Tritt in einen Abgrund hinunterrisse, und neben ihm stünde ein andrer, der das wüßte; was wäre grausamer von diesem: daß er jenen ersten durch sein Anschreien erschreckte und ihn zurückrisse, sei es auch an den Haaren, oder daß er ihn ruhig und gelassen hinunterstürzen ließe? Ihr werdet zugeben: gesetzt einmal, daß es für Seligkeit oder Verdammniß wirklich auf den Glauben ankomme, so ist es nicht die Lieblosigkeit, sondern es ist die Liebe, die uns warnt; und wider die Liebe wäre das Unterlassen der Warnung.
Aber Ihr werdet nur um so stärker darauf dringen, daß wir eben nicht setzen dürfen, was wir vorläufig gesetzt haben; daß es also für Seligkeit oder Verdammniß eher auf alles Andere, nur nicht auf den Glauben ankomme. Die Schrift zwar sagt: es komme dafür auf den Glauben an; Ihr aber verwerfet das und erklärt es für eine unerträgliche Behauptung. Sollte Euer Widerspruch vielleicht daher kommen, daß Ihr Euch unter Glauben etwas ganz anderes vorstellet, als die Schrift darunter versteht? Lasset uns zusehen. Aber ich muß Sie bitten, mir geduldig in eine etwas trockene Untersuchung zu folgen.
Was denkt man sich im gemeinen Leben unter Glauben? Ich glaube, der und der ist da gewesen, damit will man sagen: ich weiß es zwar nicht gewiß, aber ich habe doch einigermaßen Grund es anzunehmen. Besser wäre freilich, wenn ich sagen könnte: ich weiß es, ich weiß es sicher, ich habe ihn gesehen oder ich habe sonst einen genügenden Grund unzweifelhafter Gewißheit. Glauben und Wissen, das ist hier der Gegensatz; glauben nämlich im Sinn von nicht ganz sicher wissen, nur halb wissen, also nicht viel besser als das grundlose Meinen; wie wir denn auch gehört haben, daß man Niemanden um seine Glaubensmeinungen übel ansehen dürfe. Von Glaubensmeinungen aber reden nur die heutigen Schriftsteller, nie und nirgends aber die heilige Schrift. Ein solches Glauben gleich Meinen ist nun und nimmermehr, was die Bibel Glauben nennt. Eigentlich würde sich ein ordentlicher Konfirmande schämen, das nicht zu wissen.
Wir müssen, um tiefer in die Sache zu dringen, uns die Frage stellen: wie kommen wir überhaupt zu irgend einer Erkenntnis einem Wissen von den Dingen, einer Gewißheit über die Wahrheit? Wenn wir dem nachdenken, so merken wir bald, daß wir unter den Gegenständen des Erkennens verschiedene Klassen unterscheiden müssen. Da giebt es Erkenntnisse, die der Menschengeist aus sich selber schöpft; ich nenne als ein Hauptbeispiel alles Mathematische. Hier werden aus den allereinfachsten Grundbegriffen von Zahl und Raum ganz Schritt für Schritt die Grundsätze alles Rechnens und Messens entwickelt, und wer nur einen guten Verstand hat, der kann es nachrechnen. Diese mathematische Wissenschaft ist die allerexacteste, die allein völlig exacte; sie giebt uns aber auch keinen lebendigen Inhalt, keine Wirklichkeit, sondern nichts als die scharfen, genauen, aber leeren und abstrakten Formen, und es wäre eine Verkehrtheit, zu meinen, die andern Wissenschaften könnten und sollten auch auf mathematische Weise verfahren, und nichts sei als Wahrheit anzunehmen, was man nicht mathematisch nachrechnen könne. Das haben die größten Mathematiker, die zugleich entschiedene Christen waren, ein Pascal, ein Euler, ein Newton anders gewußt.
Handelt sichs nämlich um die Erkenntniß der lebendigen Wirklichkeit, so muß diese sich kund geben, und wir müssen die Kundgebung wahrnehmen; wir müssen für das Zeugniß, das die Wirklichkeit von sich selber giebt, ein Organ haben, welches tüchtig ist, dieses Zeugniß aufzufassen; und der so gemachten Wahrnehmung müssen wir Zutrauen schenken, um darauf unsere Schlüsse zu bauen und durch unser Denken das Wahrgenommene zu begreifen. In diesem Sinne kann man in Wahrheit sagen, daß alle unsre Erkenntnisse einen Glauben voraussetzen und ohne irgendwelchen Glauben gar nicht zu Stande kämen. Einen Gläubigen der fünf Sinne hat sich einmal Göthe genannt, und damit eine Wahrheit ausgesprochen, die höher geht, als er vielleicht selber damals meinte.
Oder ist es nicht so? ist es nicht wirklich ein Glauben, das Zutrauen, das Ihr Euern Sinnen schenkt? Ein leuchtender Körper giebt durch sein Leuchten Zeugniß von seinem Dasein. Euer Auge ist das Organ, das zum Aufnehmen dieses Zeugnisses geeignet ist. Ihr nehmet damit das Leuchten wahr und glaubet der Wahrnehmung Eures Auges. Ihr glaubt derselben, obwohl Ihr die Erfahrung machen könnet, daß es auch optische Täuschungen giebt. Wenn ein Stab, ins Wasser getaucht, wie gebrochen aussieht, so überzeugen Euch doch andere Beobachtungen, vielleicht der Tastsinn, daß er nicht wirklich gebrochen ist, sondern was den Schein davon bewirkt, das ist nur die Brechung der Strahlen durch das Wasser. Eine tägliche optische Täuschung ist auch das Aufgehen und Untergehen der Sonne. Wie viele eigene und fremde Beobachtungen waren nöthig, die mußten verglichen und durch Denken verarbeitet sein, bis Copernikus darauf kam, den wirklichen Vorgang zu entdecken, welcher dieser optischen Täuschung zum Grunde liegt. Gleichwohl hatten die Augen etwas Wirkliches wahrgenommen, und Ihr traut nach wie vor der Wahrnehmung Eurer Sinne. Nicht einmal das macht Euch irre, daß es Nervenreizungen giebt, die Euch ein Leuchten vorspiegeln, das doch nicht von außen stammt. Ihr findet Mittel, diese krankhaften Reizungen von den Kundgebungen der äußern Wirklichkeit zu unterscheiden. Ihr höret also nicht auf, Euern Sinnen zu glauben, und was Ihr sehet, höret, tastet, davon seid Ihr überzeugt, daß es wirklich sei, ohne einen weitern Beweis dafür zu fordern. Ihr seid, wir Alle sind in diesen Gebieten Gläubige der fünf Sinne.
Aber ist das die einzige Art der Wahrnehmung und ist sie auf alle Wirklichkeit anwendbar, also daß man sagen könnte, es gebe keine Wirklichkeit als diejenige, welche durch die fünf Sinne wahrgenommen wird? Nimmermehr! In meinem Worte, das Ihr höret, das wohl ein Schall ist, der Euer Ohr trifft, ist doch zugleich noch etwas mehr als ein Schall: es ist ein Gedanke darin; und der ihn ausspricht und die ihn hören und vernehmen, haben etwas in sich, ja sind etwas, das nicht von den fünf Sinnen wahrgenommen wird. Ihr sagt: Ich, ich denke - habt Ihr Euer Denken je gesehen? das nehmt Ihr nicht mit dem Auge wahr noch mit einem andern der fünf Sinne, und dennoch nehmt ihrs wahr, so gewiß, ja gewisser als was Ihr sehet; Ihr nehmt es wahr durch Euer unmittelbares Selbstbewußtsein. So wißt Ihr von dem Unsichtbaren in Euch, von Eurem Geist, von Eurer Seele. Es ist Euch wohl nicht unbekannt, daß eine neuere Weisheit uns lehren will, der Geist oder die Seele sei nichts als eine zeitweilige Eigenschaft oder Thätigkeit des Gehirns, durchaus abhängig von der jeweiligen Zusammenwürfelung der Hirnsubstanz, woraus dann gefolgert wird, daß der Mensch thue, wozu sein Gehirn ihn zwinge, und daß es keine Freiheit und Verantwortlichkeit gebe. Ich werde nicht nöthig haben, hier ausführlich gegen diese Lehre zu reden, die nicht nur schlecht, sondern auch gar armselig thöricht ist; wir werden nachher noch auf etwas, das damit zusammenhängt, zurückkommen; für jetzt kann uns genügen: wir wissen von der unsichtbaren Kraft des Denkens in uns nicht durch die Wahrnehmung der fünf Sinne, sondern durch das unmittelbare Selbstbewußtsein. Das ist eine Wahrnehmung, an der Niemand zweifelt, auch nicht zweifeln kann, ohne verrückt zu werden. Hier ist der Punkt, wo der Zweifelsüchtigste glaubt, und zwar einer Wahrnehmung, die er nicht durch die fünf Sinne gemacht hat. An diesem Punkte scheitert jedes System, welches darauf gegründet ist, an Allem zweifeln zu wollen, was nicht bewiesen sei. Denn hier glaubt Jeder ohne weitern Beweis und ohne sinnliche Wahrnehmung.
Das zieht sich nun aber durch alles Leben und Thun des Menschen hindurch. Wir freuen uns über das, was schön ist; das sehen oder hören wir freilich; aber mit dem bloßen Auge oder Ohr beurtheilen wir nicht, daß es schön sei; mancher kann es sehen oder hören, und merkt doch die Schönheit nicht; er hat den besondern Sinn nicht dafür. Noch mehr: was andre Menschen thun, das sehen wir, soweit es in die Sinne fällt; das Innere davon aber, die Bedeutung ihres Thuns, ob es wohlgethan sei oder nicht, gerecht oder nicht, edel oder nicht, das sehen wir nicht mit dem Leibesauge, dafür müssen wir einen entwickelten Sinn der richtigen Beurtheilung haben, dazu braucht es ein geistiges Wahrnehmen und Verstehen. Wer nur ein Gläubiger der fünf Sinne und nichts weiteres wäre, dem würde hiefür der Sinn abgehen. Wenn wir ihn aber haben, so schenken wir ihm Zutrauen, obwohl offenbar hier die Täuschungen noch häufiger als in der Optik sind, und glauben es unserer Wahrnehmung, daß der und der Mensch sei rechtschaffen, edel, verständig, liebevoll oder das Gegentheil, wie wir ihn eben erfahren haben.
Nun laßt uns aber noch einen Schritt weiter gehen. Die Welt um uns her, der Leib, der uns zum Werkzeug dient, beides zeigt uns eine so herrliche Weisheit und Ordnung vom Größten bis ins Kleinste herab, eine so sinnvolle Ausrüstung jedes Organismus für die Zwecke seines Lebens, ein so überraschendes Ineinandergreifen der verschiedenen Existenzen, wie ein jedes Geschöpf vor allem für sich selber, zugleich aber zur Förderung für die andern da ist, wie das Auge im dunkeln Mutterschooß auf das kunstreichste für das Aufnehmen des Lichts bereitet wird, das draußen seiner wartet - und wer will es alles aussagen? ein Menschenleben reicht nicht aus dazu! Diese so wundervolle Zweckmäßigkeit nehmen wir wahr, also daß wir müßten fragen, wenn wirs auch nicht gelehrt wären: von wem rührt das her? und müßten merken, auch wenn es uns nicht verkündigt wäre, daß es die höchste Weisheit und Einsicht ist, von der das Weltall seinen Ursprung genommen hat. Wir sehen von dieser Zweckmäßigkeit ein Bruchstück; wir erschöpfen sie bei weitem nicht; was wir davon erkennen, reicht gerade hin, um uns zu überzeugen, daß Alles vernünftig ist, und um uns diese Zuversicht festhalten zu lassen auch dem gegenüber, was uns etwa zweckwidrig scheint; wenn aber dieß, dann ist auch klar, daß diese weise Ordnung nur von einer Macht stammen kann, die da weiß, was sie thut. Denn das Vernunftvolle aus der Vernunftlosigkeit herleiten, das wäre vielmehr unvernünftig.
Wir glauben also auf diese unsre Wahrnehmung der weisheitvollen Zweckmäßigkeit hin an einen weisen, seines Werks bewußten Urheber der Welt; wie schon Sokrates sagte: daß dieselbe Sache der Einsicht und nicht des Zufalls sei. Wir schenken unsrer Wahrnehmung der Zweckmäßigkeit durchaus mit gleich gutem Grunde Glauben, wie wir auf das Zeugniß unsrer Sinne hin vertrauen, daß, was wir sehen, wirklich sei.
Aber nicht nur was wir sehen, ist wirklich, sondern auch der Urheber der weislich geordneten Welt, den wir nicht sehen, so wenig wir unsern eigenen Geist sehen; im Sichtbaren aber ersehen wir durch vernünftiges Aufmerken seine ewige Kraft und Gottheit. So man deß wahrnimmt, sagt der Apostel (Röm. l, 20); man muß es wahrnehmen; man muß danach suchen; dann wird dem Suchen gegeben zu finden. Dann Aerkennen wir auch, daß für das Sinnenfällige wohl die fünf Sinne genügen, für das Ubersinnliche aber nimmermehr, und doch ist dieses so wirklich, ja viel wahrhaftiger wirklich als jenes; und unser Wahrnehmen desselben mit dem inneren Sinn unserer Vernunft giebt uns so feste, zuverläßige, ja weit festere Gewißheit, als die Wahrnehmung unserer Sinne; denn unsere Augen können uns täuschen, das Selbstbewußtsein aber, das uns sagt: Ich bin und denke, das täuscht uns nicht. Höher aber noch und gewisser muß unsre Zuversicht sein, daß der unsichtbare Urheber der Welt und auch unser Urheber ist; denn die bewußtlose Welt ist nicht von sich selber weislich geordnet, und auch von uns nicht, und wir nicht von uns selber, sondern die Welt und wir von dem allein, an den wir genöthigt sind zu glauben als an den Herrn der Welt und unsern Herrn.
Aber man kann ja, wie wir sehen, diesen Glauben auch ablehnen, kann sagen: die Welt sei durch Zufall zusammengewürfelt? Ja, das kann man. Nur soll man uns nicht behaupten, das sei das Wissen, das dem Glauben entgegenstehe. Die zweckvolle Weisheit nehmen wir wahr, glauben, daß sie nicht von selbst entstanden, erkennen daraus den unsichtbaren aber wirklichen und wissenden Gott; das ist unser auf vernünftigen Glauben gegründetes Wissen von Gott. Wer dagegen von der zweckvollen Weisheit, die auch seinem Glauben vorliegt, sagen kann: das alles ist durch den Zufall zusammengewürfelt; der glaubt nicht und darum erkennt er auch nicht, und es kann bei ihm von keinem Wissen die Rede sein, sondern nur von arger Unwissenheit. Ganz ohne Glauben aber ist dieser Unwissende nicht; er hat es ja auch nicht gesehen, daß der Zufall Urheber der Welt sei; dennoch sagt er von ihm, daß er es sei; das ist eben sein Glaube, und der Zufall ist der Gott, an den er glaubt. Da haben wir Christen einen vernünftigeren Glauben.
Ist es aber viel besser als das Glauben an den Zufall, wenn man die Lehre aufstellt von einer bewußtlos und doch so weisheitvoll bildenden Naturkraft? Ist es in der That vernünftig, die Schöpfung dem Geiste beizulegen, bevor er bewußter Menschengeist geworden, und von dem zu reden, „was er als bewußtloser Naturgeist geschaffen, wie er die Verhältnisse der Gestirne geordnet, wie er die Erden und Metalle geformt, den organischen Bau der Pflanzen und Thiere eingerichtet“ habe? Dergleichen soll die Vernunft uns lehren? wir zweifeln, ob eine vernünftige Vernunft. Im praktischen Leben wenigstens würde man Jeden für verrückt halten, der einen zweckmäßigen Mechanismus oder ein geistvolles Kunstwerk von einer bewußtlos wirkenden Weisheit herleiten würde. Für die Erklärung der höchsten Weisheit aber, die im Weltall ausgeprägt ist, soll das die vernünftige Herleitung sein? Da ziehen wir den Christenglauben als den vernünftigeren vor-). Jedenfalls ist es auch ein Glaube, wenn Einer an den bewußtlosen Naturgeist glaubt, und schwerlich ein besserer als der christliche.
Wir haben nun gesehen, was Glauben ist im allgemeinsten Sinne: Glauben ist das Zutrauen, das wir dem Zeugniß unserer Sinne schenken in Bezug auf die Dinge, die in die Sinne fallen; in Bezug auf das Uebersinnliche aber, in Bezug besonders auf Gott und Göttliches ist Glauben das Zutrauen, das wir schenken der Wahrnehmung der übersinnlichen Wirklichkeit; einer Wahrnehmung natürlich nicht vermittelst der fünf Sinne, sondern vermittelst des höhern Sinnes unserer Vernunft. Nicht als ob diese die Wahrheit in sich selbst enthielte; aber sie vernimmt die übersinnliche Wirklichkeit, die ihrer Wahrnehmung vorliegt; und dieser Wahrnehmung schenken wir Vertrauen. So redet die Schrift vom Glauben im Brief an die Hebräer (11,1.3. nach De Wettes Uebersetzung): Glaube aber ist Zuversicht deß, was man hoffet, Ueberzeugung von Dingen, die man nicht siehet. Durch Glauben erkennen wir, daß die Welt durch Gottes Wort bereitet worden, so daß nicht aus dem Erscheinenden das Sichtbare geworden ist.
In welchem Verhältniß stehen wir nun aber zu diesem Gotte, den wir glauben und erkennen? was sind wir ihm schuldig? das muß doch die Kernfrage sein von allen Fragen nach dem Ziel und Gesetz unseres Lebens; wie wiederum schon Sokrates erkannte: je herrlicher der Gott ist, der will, daß wir ihm dienen, um so höher ist er zu verehren. Da fangen wir an zu merken, daß es nicht nur eine Kopfsache ist, sondern eine Gewissenssache um die Erkenntniß und Verehrung Gottes; daß dieselbe der Herzpunkt ist von allem, was das Gewissen von uns verlangt.
Was ist es doch wunderbares um das Gewissen! Zwar man kann unrichtig davon reden. Manche stellen das Gewissen dar als den untrüglichen innern Gesetzgeber, ja gar als die Quelle aller Erkenntniß Gottes und göttlicher Wahrheit. Da liegt dann der Einwurf auf der Hand: woher denn der Unbestand und die Wandelbarkeit aller sittlichen Ordnungen? woher die Erscheinung, daß in einer Zeit und bei einem Volk für sittlich gilt, was zu einer andern Zeit oder in einem andern Land als unsittlich verpönt ist? Ich will als Beispiel nur an das Heirathen von Geschwistern erinnern, das bei manchen alten Völkern vorkam, oder auch an die Vielweiberei, die selbst im Alten Testament noch nicht verboten ist. Scheint es da nicht, als bekämen wir anstatt des sichern Gewissens nichts als veränderliche Meinungen, das Produkt von Zeit und Klima?
Was sagen wir hierauf? Vor allem ist anzuerkennen, daß auch die sittliche Wahrheit ebenso gut kann angezweifelt werden, als die Erkenntniß Gottes. Es ist durchaus nicht vernünftiger, an Gott zu zweifeln, als an der Heiligkeit und Unverbrüchlichkeit des Sittengebotes. Es geht zuletzt durchaus nicht an, des letztern unerschütterlich sicher zu sein ohne seine Wurzel, seinen Herzpunkt, die Gewißheit nämlich darüber, was wir Gott schuldig sind, welchen Halt und welches Leben wir in Ihm allein haben. Und wenn doch das Beste in uns sich gegen die Zerstörung des Sittengesetzes sträubt, so hängt das zusammen mit dem Bande, das uns bindet an Gott. Du willst das Sittengesetz nicht fahren lassen? Du thust wohl daran, halt fest, und du wirst innewerden, daß du sein nur sicher wirst in Gott.
Aber allerdings beweisen uns jene Beobachtungen der verschiedenen Sitten und Gesetze augenscheinlich, daß man vom Gewissen oft unhaltbares aussagt. Es giebt uns gar nicht aus sich selber die Gebote, daran wir uns zuhalten haben, bis ins Einzelne hinein. Aber das sagt es doch allgemein auch bei den am tiefsten versunkenen, am meisten verwilderten Völkern: daß ein Unterschied sei zwischen gut und böse; ein Unterschied, nach dem wir urtheilen, wo der eigene Nutzen gar nicht betheiligt ist; ein Unterschied also nicht wie zwischen nützlich und schädlich; ein Unterschied, den Jeder anerkennt, er müßte denn ein gänzlich zerrütteter und verworfener Mensch sein, sonst nennt Jeder noch diese Handlung schlecht, die andre gut, diesen Menschen ehrlos, jenen einen Ehrenmann; und Jeder hat dieses oder jenes, worüber er sich selber schämt; ja dieses Urtheil des Gewissens über uns selber, ob wir dem erkannten Gesetze treu oder untreu gewesen seien, das ist so unbestechlich, so unabhängig von Menschenrücksichten, so unausrottbar, daß es ja, wenn noch so lange betäubt, der Mensch mag wollen oder nicht, mit einer ganz unwiderstehlichen Gewalt, wer weiß wie spät noch, hervorbrechen kann. Woher doch dieses? woher anders, als daß es uns eingepflanzt ist? mit andern Worten: daß der Urheber unsers Lebens auch Urheber unseres Gewissenslebens ist, der Schöpfer auch unser einiger Gesetzgeber und Richter. Daher die Thätigkeit des Gewissens bei allen nicht gänzlich des Menschennamens unwürdig gewordenen Menschen. Recht lebendig und zart, recht frei und fröhlich, recht tief und dauerhaft kann es sich freilich zuletzt nur im Element der Wahrheit entfalten. Aber auch wo die Erkenntniß noch von manchem Irrthum gefesselt ist, zeugt doch das Dasein des Gewissens an sich selber von dem Band, das den Menschen mit Gott verbindet.
Wenn wir das erwägen, so werden wir auch erkennen, daß jene Leugnung des Schöpfers, von der wir sprachen, noch schlimmer als nur unvernünftig ist. In der That: sagen, der Zufall habe die Welt zusammengewürfelt, oder auch: sie sei durch eine Triebkraft entstanden, die nichts von sich selber weiß, das kann man doch nur mit einem Widersprechen nicht bloß gegen die Vernunft, sondern auch gegen die innere Stimme des Gewissens.
Nehmen wir ein anderes Beispiel, woran wir uns das Gesagte verdeutlichen können. Einen Menschen, der mit Absicht, aber ohne amtlichen Beruf einen andern tödtet, nennen wir Mörder; ein Anderer, der sich das Eigenthum seines Nächsten widerrechtlich aneignet, wird sichs müssen gefallen lassen, ein Dieb zu heißen. Nun kann es aber Leute geben, deren Leidenschaft beides nicht gelten läßt. Es fehlt ihnen auch nicht an scheinbaren Gründen, um jenes Thun in ein solches Licht zu stellen, daß der Thäter nicht mehr ein Mörder oder ein Dieb soll heißen dürfen. Ihre Gründe mögen glänzend entwickelt sein, einleuchtend sind sie darum keineswegs für den einfachen Wahrheitssinn. Sie widersprechen am Ende doch der Vernunft; und noch mehr: sie widersprechen dem Gewissen; ja diejenigen selber, welche solche Gründe aufstellen, können es nicht thun ohne ein Widerstreben gegen die eigene innere Stimme. Verhält es sich aber anders bei jener Leugnung Gottes, des von sich und uns wissenden Schöpfers? Kann wohl ein Mensch in guten Treuen dieselbe aussprechen? Er kann wohl Schwierigkeiten aufzeigen in dem, was wir Menschen von dem göttlichen Selbstbewußtsein auszusagen versuchen. Aber kann er in guten Treuen behaupten, daß mit dem Leugnen desselben nicht noch weit größere Schwierigkeiten verbunden seien? Nein, sicher, er kann es nur, indem er der Wahrheit, die sich dem eigenen Innern bezeugt, mit Auflehnung gegen sein Gewissen widerstrebt.
Wir fangen hier an zu erkennen, warum der Apostel wiederholt vom Gehorsam des Glaubens redet, den er aufzurichten berufen sei (Röm. 1,5. u.a.). Es handelt sich in der That um einen Akt des Willens, um eine Unterwerfung unter die erkannte Wahrheit. Wir werden das nachher noch deutlicher verstehen.
Deßwegen darf sich auch Keiner mit der Ausflucht entschuldigen: er sei nun einmal nicht zum Glauben organisiert; für Andere möge der Glaube das Rechte, an ihnen vielleicht sogar ehrwürdig sein; ihm aber sei es unmöglich zu glauben; sage doch der Apostel selber: der Glaube sei nicht Jedermanns Ding. Das sagt er freilich (2. Thess. 3, 2.). Aber er sagt es von den unartigen und argen Menschen, daß derselben Ding der Glaube nicht sei; so daß Ihr Euch wenigstens auf den Apostel nicht berufen solltet. Und überhaupt nicht auf jenen Ausspruch, bevor Ihr es gründlich geprüft habt, ob Ihr auch wirklich Allem gerecht geworden seiet, was das Gewissen von Euch fordert.
Wenn ich vorhin sagte: der Mensch könne sein Gewissen oft lange betäuben, so ist damit ausgesprochen, daß in diesem Gebiete der sittlichen Selbsterkenntniß die Trübung des Auges besonders zu Hause ist. An Andern wissen wir, was Schlechtigkeit ist, da fehlen Keinem die Beispiele von allerlei schlechten Leuten; wogegen in Bezug auf den eigenen Zustand oft lange die Selbstzufriedenheit regiert, jene Verblendung über die eigene Beschaffenheit, die den Pharisäer gegen den Zöllner aufblähte. Auch die mannigfachen Uebel, die der Mensch zu leiden bekommt, helfen ihm keineswegs sicher zur Selbsterkenntniß; vielmehr kann er darin hart und trotzig werden, oder eine gewisse stumpfe Standhaftigkeit behaupten. Recht einsehen, daß er ein Sünder vor Gott ist, das lernt er erst auf dem Wege, den die Schrift zeigt: der heilige Geist wird die Welt strafen, d.h. überführen von ihrer Sünde (Joh. 18, 8). So muß das innere Auge gereinigt und geschärft werden. Das geschieht in durchdringender Weise erst da, wo dem Menschen die tiefere Erkenntniß des göttlichen Wesens und Willens aufgedeckt wird. Daß aber dann die Sündenerkenntniß einschlage, das kann durch die verschiedensten Gelegenheiten gewirkt werden.
Ist es aber geschehen, dann erfährt der Mensch, was die Angst ist: wer hilft mir? wer verzeiht mir? ich muß Vergebung haben; ich muß Frieden haben und Freiheit vom Bösen; wo finde ich solches? wie gelange ich dazu? Das zeigt ihm sein Gewissen nicht aus sich selber. Seinen Schaden deckt es ihm auf, von seiner Sünde überführt es ihn; aber die Heilung des Schadens, die Hebung der Sünde zeigt es ihm nicht. Sich trösten, „daß Keiner die Schranken seiner Mängel und Gebrechen überschreiten könne, daß aber Jeder auch in seiner Schwäche und Endlichkeit seinen Theil erfülle an der ewigen Aufgabe der Menschheit“ das ist keine wahre Stillung, sondern eine elende Unterdrückung des Gewissens. Wo dasselbe lebendig ist, da fordert es einen bessern Trost. Es bringt das tiefste Bedürfniß nach Vergebung zum Bewußtsein, aber die Stillung dieses Bedürfnisses kann es aus sich selber nicht finden. In der That, eine Vergebung, auf die wir nur aus unsern eigenen Gedanken kämen, eine bloß von uns gedachte Vergebung wäre ja vielmehr keine Vergebung. Nur von dem Gott kann sie kommen, gegen den wir gesündigt haben.
Die Kundgebung seines Wesens aber, wie wir sie aus der Schöpfung wahrnehmen, bringt uns diese Botschaft der Vergebung nicht. Im Gegentheil läßt uns jene Naturoffenbarung gar manche Frage unbeantwortet, manches dunkle Geheimniß ungelöst. Wie viel Zerstörung begegnet uns doch in allen Gebieten der Schöpfung; in wie grausiger Weise herrscht darin der Tod mit seinen Schmerzen und Schrecken. Darum sprachen wir hon Erscheinungen, die uns zweckwidrig dünken. Wohl vermögen wir wiederum zu erkennen, wie jede Zerstörung der Ordnung einer höhern Ordnung dienstbar wird, jeder Tod ein neues Leben fördert. Aber in dieser Betrachtung findet doch der Schrei des verwundeten Herzens, welches das Wehe des mannigfaltigen Todes empfindet, seine Stillung noch nicht. Wohl sind auch die Heiden mehr oder weniger inne geworden, daß zwischen dem Uebel, das wir zu leiden bekommen, und dem Bösen, das wir thun, ein tiefer und enger Zusammenhang sei. Aber wer sich nun darauf ernstlicher einläßt, der findet sich bald in neue Räthsel verwickelt, die er nicht zu lösen weiß; und eine Erlösung von der Sünde vollends gewinnt er auf diesem Wege nicht.
So steht auch in der That die Sache: entweder giebt es keine Erlösung und Vergebung und somit auch keinen Aufschluß über jene dunkeln Räthsel des Menschenlebens, oder aber was wir bedürfen, das kann uns nur von Gott selber kommen, der sich uns als der Erlöser haben. Und Er ist da und ladet ein: Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken (Matth. 11,28). Ich bin gekommen, zu suchen und selig zu machen, das verloren ist (Luc. 19, 10). Hier thut sich eine neue Erkenntniß Gottes auf, davon auch die Sterne uns nicht verkündigen. Niemand kennet den Sohn, denn nur der Vater; und Niemand kennet den Vater, denn nur der Sohn, und wem es der Sohn will offenbaren (Matth. 11, 27). Gott als Vater, als unsern barmherzigen verzeihenden Vater lernen wir nur durch den Sohn erkennen. Niemand aber kann Jesum einen Herrn heißen ohne durch den heiligen Geist (1 Cor. 12,3).
So lautet das Zeugniß der heiligen Schrift: daß Gott nicht nur sei der Schöpfer aller Dinge, daß er der Gerechte und Heilige sei und zugleich der liebevolle Erbarmer, und daß er das nicht nur an ihm selber sei, sondern daß er es für uns sei. Das letztere besonders fehlt fast unausbleiblich aller bloß aus der Natur geschöpften Erkenntniß Gottes. Der Beweis für die Nothwendigkeit eines Glaubens an den Schöpfer mag noch so gut geführt sein, er läßt die Wahrheit noch gewissermaßen außerhalb unser; wir werden durch alles Zustimmen noch nicht recht Eins mit ihr; wir sehen ein, daß wir sollten an die Wirklichkeit Gottes glauben; aber alle Beweisgründe erfüllen uns nicht mit der vollen ruhigen Sicherheit des Wirklichen, darauf wir bauen. Es mag wahr sein, aber es ist noch nicht recht für uns wahr. Der Gott, den zu glauben wir genöthigt sind, ist doch stumm für uns, von Gnade und Versöhnung vollends redet er nicht zu uns, so lange wir noch nichts wissen oder wissen wollen von jenem Zeugniß der Zeugen Gottes. Es fragt sich also: Haben wir für dieses Zeugniß den gereinigten und geöffneten inneren Sinn? brauchen wir ihn, um dieses Zeugniß anzunehmen? trauen wir ihm oder trauen wir ihm nicht? glauben wir oder glauben wir nicht? das kann ja wahrhaftig nicht gleichgültig sein. Man kann Nein zu diesem Zeugniß sagen. Daß aber auch hohe Geister Ja sagen können, dafür lassen Sie mich als Beispiel die Grabschrift anführen, welche Copernikus für sich selber aufgesetzt hat. Es sind lateinische Verse, die in sinngetreuer Uebersetzung also lauten:
Nicht die Gnade Pauli begehren darf ich,
Nicht Verzeihung, wie du sie Petro schenktest,
Nur wie du dem Schächer am Kreuz vergäbest,
Wollst du auch mir thun.
Der große Astronom hat also seiner Seelen Heil und Seligkeit nicht in den Sternen gesucht, sondern in der Gnade Jesu Christi; er ist nicht nur ein Gläubiger der fünf Sinne, sondern zugleich auch ein Gläubiger des innern von Gott geöffneten Sinnes gewesen.
Solcher Glaube aber, das merken wir wohl, ist nicht mehr nur eine Sache des Erkennens, hier tritt es vollends an den Tag, wie der Wille, ja der ganze Mensch dabei sein muß. Es ist eine Erlahmung des Glaubens, wenn er nur todte Kopfsache bleibt, ein gleichgültiges Verharren in der bloßen Lehre, daß ein Gott ist. Solches glauben auch die Dämonen und schaudern, sagt die Schrift (Jac. 3,19). Unter dem seligmachenden Glauben versteht die Bibel durchaus etwas Lebendiges, Praktisches, das sich auf die Erkenntniß Gottes auferbaut. Das zeigen schon die Ausdrücke aufs deutlichste. Das hebräische Wort für Glauben im Alten Testament bedeutet eigentlich: sich fest auf etwas stützen; das griechische im Neuen heißt so viel als vertrauen. Von bloßem Meinen ist das so weit als möglich verschieden. Vielmehr wie wir zusammenstellen: auf Treu und Glauben, das nähert sich dem biblischen Begriff des Glaubens.
Soll ich noch ein Wort damit vergleichen, das aus lateinischer Wurzel stammt? es ist das Wort Credit. Ja, Credit ist Glauben, Credit ist Vertrauen, das ein Kaufmann genießt, und Ihr wisset wohl, wie er ohne Credit so wenig, ja noch weniger als ohne Geld sein Geschäft betreiben könnte. Keine Kaufmannschaft also kann ohne Glauben gedeihen; aber ebenso keine Freundschaft, keine Ehe, kein gesegnetes Verhältniß zwischen Eltern und Kindern, kein redlicher, ehrlicher, friedlicher Verkehr überhaupt kann gedeihen ohne gegenseitiges Vertrauen. Alle Verbindungen der Menschen unter einander erfordern Treu und Glauben. Sollte unser Gott, unser Schöpfer und Erlöser weniger Anspruch an uns haben? Keine große Unternehmung, keine wichtige Entdeckung kommt zu Stande ohne einen mächtigen Glauben, der die Seele erfüllt, und der sie hoffen lehrt, da nichts mehr zu hoffen scheint. Columbus wäre niemals nach Amerika gelangt ohne solche Zuversicht eines mächtigen Glaubens. Soll es aber ein Geringeres brauchen, um das ewige Ziel des Menschenlebens zu erreichen? Wir werden jetzt doch besser verstehen, warum es im Alten und Neuen Testamente heißt: Der Gerechte wird seines Glaubens leben.
Da klagt der Prophet Habakuk über die vielfachen Frevel und die argen schreienden Bedrückungen im Volk Israel; Gott antwortet ihm mit der Eröffnung, daß Er werde das grimmige Volk der Chaldäer als ein Strafgericht über Israel bringen. Das erschüttert den Propheten noch heftiger: sollen denn diese, die noch ärger sind, über uns Gewalt bekommen? o laß uns nicht sterben! Und er erhält die Antwort: die Weissagung wird nicht ausbleiben (die Weissagung nämlich, daß allerdings das Schreckliche kommen wird, aber nur als ein vorübergehendes Strafgericht, wobei für die wirklich und herzlich Gedemüthigten Begnadigung das Ende sein wird); ob sie aber verziehet, so harre ihrer, sie wird gewißlich kommen und nicht ausbleiben. Siehe, seine (des gewaltthätigen Feindes) Seele ist übermüthig, nicht gerade in ihm (darum kann wohl das Gericht durch ihn als Gottes Werkzeug vollzogen werden, aber seiner selbst wartet zuletzt ein Ende mit Schrecken); der Gerechte aber wird seines Glaubens leben. (Habak. 2, 4).
Ebenso ist es auch im Neuen Bund der Glaube, das Vertrauen, worauf Alles abgestellt wird. Glauben, Vertrauen zu seiner Person sucht Christus; wenn er Kranke heilen soll, so fragt er sie: glaubet ihr, daß ich euch solches thun kann? (Matth. 9, 25). Aber nicht nur zu den Geheilten, sondern ebenso zu der begnadigten Sünderin spricht er: Gehe hin, dein Glaube hat dir geholfen (Luc. 7,50). Und vorzüglich der Apostel Paulus verkündigt dann den Glauben: weil kein Fleisch durch des Gesetzes Werke vor Gott gerecht sein mag, denn durch das Gesetz kommt Erkenntniß der Sünde, so hat Gott die Gerechtigkeit, die vor Ihm gilt, ja von Ihm stammt, geoffenbaret, die da kommt durch den Glauben an Jesum Christum zu Allen und auf Alle, die da glauben (Röm. 3,20-22); der Gerechte wird seines Glaubens leben (Röm. 1,17).
Dieser Glaube ist Vertrauen auf den in Christo gnädigen Gott. Solches Vertrauen aber ist für das Menschenherz nichts leichtes, natürliches, selbstverständliches. Es braucht auch in dieser höhern Beziehung wieder einen Gehorsam des Glaubens mit Ueberwindung des Mißtrauens, mit Unterwerfung unter die erkannte Wahrheit, mit völligem Ernstmachen: dieses Glaubens leben zu wollen.
Gott will uns seine Gnade schenken: dem müssen wir uns öffnen. Nicht glauben heißt: seine errettende, vergebende, helfende, heilende Gnade nicht annehmen. Wenn wir aber dem Zeugniß von Gottes Gnade nicht glauben, wenn wir hartnäckig in diesem Nichtglauben und Nichtannehmen bleiben, dann machen wir ja selber das Heilswerk Gottes an uns unmöglich. Kann das zu etwas Anderm als zum Verderben für uns ausschlagen?
So redet die Schrift vom Glauben. So haben unsre Väter die Schrift verstanden und den Glauben in unserer reformierten Kirche gepredigt. Lassen Sie mich statt vieler Zeugnisse ein einziges, aber vollkommen gewichtiges beibringen: die 21. Frage des trefflichen Heidelberger Katechismus. Sie lautet: Was ist wahrer Glaube? Antwort: Es ist nicht allein eine gewisse Erkenntniß, dadurch ich Alles für wahr halte, was uns Gott in seinem Wort hat geoffenbaret, sondern auch ein herzliches Vertrauen, welches der heilige Geist durch das Evangelium in mir wirket, daß nicht allein Andern, sondern auch mir Vergebung der Sünden, ewige Gerechtigkeit und Seligkeit von Gott geschenket sei, aus lauter Gnaden, allein um des Verdienstes Christi willen.
Sie sehen wohl, das ist kein Glauben im Sinn eines bloßen Meinens und Halbwissens, das ist ein hohes und festes Vertrauen auf die Gnade Christi als die Wirklichkeit der Wirklichkeiten. Aber es ist etwas anderes in jener Antwort des Katechismus, das vielleicht etlichen unter Ihnen anstößig ist. Da ist die Rede von einer gewissen Erkenntniß, dadurch wir Alles für wahr halten, was uns Gott in seinem Wort hat geoffenbaret. Ist denn das nicht doch wieder jener Bibelglaube, jener Buchstabenglaube, durch den wir sollen alles, was in der Bibel steht, für wahr annehmen, bis zur redenden Eselin Bileams und bis zum Sonnenstillstand unter Josua, alle diese undenkbaren, unerträglichen Dinge, und daran soll Seligkeit oder Verdammniß hangen?
Ich sollte hier einläßlicher von der Bibel reden, um zu erörtern, daß sie es ist, die uns vom Heilswerk Gottes Zeugniß giebt. Sie begreifen aber, daß das ein so weit reichendes und so viel umfassendes Thema wäre, daß ich nur noch die Grundlinien davon andeuten kann. Vor allem ist zu sagen, daß die Wurzel unseres Glaubens nicht der Buchstabenglaube ist, also daß uns zuerst von außen und ohne alle Rücksicht auf den Inhalt bewiesen würde: diese Schriften seien von Gott gekommen, darum müssen wir alles für wahr annehmen, was darin geschrieben steht. Nicht also; sondern die Wurzel unseres Glaubens ist das persönliche Vertrauen zu Christo. Dann aber lernen wir freilich verstehen, daß wir nicht an Ihn glauben können, ohne auch Ihm zu glauben. Wir können nicht recht auf Gott vertrauen, ohne auf die Wahrheit Gottes zu vertrauen.
Wenn aber der Gott ist, an den zu glauben uns schon die Beobachtung der Welt und das eigene Gewissen nöthigt, wie könnte er sein, ohne sich kund zu geben? Wie könnte er die Liebe sein, woher wüßten wir zuversichtlich, daß er die Liebe ist, wenn er sich uns nicht anders geoffenbaret hätte als nur in der Außenwelt und in der Stimme des eigenen Innern? Daß wir Liebe brauchen, das mag diese uns sagen, daß aber Gott die Liebe, wie wir sie nöthig haben, die verzeihende, errettende, seligmachende Liebe wirklich ist, woher wüßten wir es anders als durch das Zeugniß der Propheten und Apostel, denen er es durch seinen Geist zu verkündigen gab, durch das Zeugniß Christi vor allem, der diese Liebe Gottes zu uns leibhaftig ist? Welches Volk denn, das die Bibel nicht hat, weiß, daß Gott die Liebe ist? Wo finden wir denn die ewigen Grundwahrheiten, auf denen unser Heil ruht, die Wahrheit von Gottes Gerechtigkeit und Gericht, die Wahrheit von Gottes Gnade und Erbarmen, wo finden wir sie wie in diesem Buche?
Nun merken Sie aber wohl, daß diese Wahrheiten Gottes keine bloßen Ideen sind, sondern Gottes Gedanken sind zugleich Thaten des Gerichts und des Erbarmens, der Züchtigung und der Errettung von Anbeginn der Menschheit in steigender Entwicklung bis auf Christum. Darum ist auch die Geschichte der Thaten Gottes nicht etwa eine Nebensache, die man beseitigen könnte. Nicht alles in der Bibel hängt nun gleich nahe und innig mit der Hauptsache, nämlich dem Heilswerk zusammen; von manchem mögen auch wir noch nicht einsehen, wie es doch damit zusammenhängt; manches kann uns zuerst anstößig scheinen, aber eine genaue Untersuchung zeigt uns, wie innig es verknüpft und verflochten ist mit Anderem, das sich nicht nur als geschichtlich vollkommen zuverlässig, sondern auch als höchst bedeutsam bewährt. Das verlangt ein sorgfältiges, geduldiges, mühsames aber lohnendes, ein gewissenhaftes Forschen in der Schrift. Wie manche aber verwerfen die Bibel, ohne je darin geforscht zu haben, nur wegen etlicher Anstöße, die ihnen immer zuvorderst sind. Ist das recht gethan, wenn es doch nicht gleichgültig ist, ob wir glauben oder nicht glauben an die Wahrheit Gottes zu unserm Heil? Ist es recht gethan, die Bibel zu verschmähen, wenn man sie haben kann? Denn natürlich von denen rede ich nicht, welche die biblische Offenbarung noch gar nicht empfangen haben; die dürfen wir getrost der Gnade Gottes anheimstellen, der kein ungerechter Richter ist, zu fordern, wo er nicht gegeben hätte. Wir aber sind nicht in diesem Fall, und darum ist auch unsre Verantwortlichkeit eine ganz andere.
Lassen Sie mich das Gesagte zum Abschluß bringen. Wir haben schon gesehen: wenn es wirklich wahr ist, daß Alles auf den Glauben ankommt, so ist es nichts als die Liebe Gottes, die uns rechtzeitig warnend zuruft: wer nicht glaubt, der wird verdammt werden. Nun aber wird es Ihnen auch weniger als vielleicht am Anfang befremdlich sein, wenn ich sage: Es ist auch nichts als die Liebe Gottes, die es also geordnet hat, daß Alles auf den Glauben ankomme. Es ist ja doch wahrlich seine Liebe, durch die er uns so hoch ehrt, daß er nur freie Diener und Kinder haben will. Ja, der Gott der Liebe will freie Liebe. Du hast die Freiheit, sagt er ursprünglich zum Menschen, du hast die Freiheit, zu gehorchen oder nicht. Und nach Stiftung seines Erlösungswerkes sagt er zu uns: Ihr habt die hergestellte Freiheit, mein Gnadenheil anzunehmen oder nicht. Wer aber allen Zeugnissen seines Gerichts und Erbarmens, allen Mahnungen und Zügen seines Geistes, allem Anklopfen in Gnade und Ernst beharrlich widerstrebt, und zwar zuletzt immer deutlicher mit Widerstreben gegen das eigene Gewissen, dem muß er ja am Ende sagen: du hast nicht geglaubt; du hast nicht gewollt. Da bleibt nichts übrig als: wer nicht glaubt, der wird verdammt werden. Denn zwingen will er uns nicht, gerade weil er der Gott der freien Liebe ist. Es ist die Größe, die dieser Gott dem Menschen gewährt, daß dieser konnte aufrecht stehen oder fallen, und daß er jetzt kann die Rettung ergreifen oder sich völlig zu Grunde richten.
Ist aber somit das furchtbar strenge Wort, das über die Widerstrebenden ergehen muß, nicht wider die Liebe Gottes, so ist es auch nimmermehr dem also, daß es uns zum Haß gegen die Ungläubigen verpflichte. Vielmehr erzieht der Gott der Liebe auch uns zur Liebe. Ich muß hier freilich um der Wahrheit willen das Bekenntniß ablegen, daß von Alters her bis auf uns herab schon viel Versündigung gegen den Liebessinn Gottes im Namen der Rechtgläubigkeit begangen wurde. Man kann die Wahrheit Christi bekennen und die Anwendung von diesem Bekenntniß ohne die Liebe Christi machen. Und doch hat er uns zur unvergänglichen Beschämung der harten Rechtgläubigkeit den barmherzigen Samariter vorgehalten. Aber nicht alle Ungläubige sind barmherzige Samariter. Und noch weniger sollen wir uns durch die Reden verführen lassen, und wenn sie auch noch so häufig gehört würden: es könne die gleiche fromme Gemüthsbeschaffenheit und Gesinnung bei den verschiedensten Formen der theoretischen Weltansicht vorhanden sein, oder gar: es sei sogar neben der Leugnung Gottes und des jenseitigen Lebens eine hohe reine Sittlichkeit möglich. Sollte das wahr sein?
Ja, so viel ist einzuräumen, daß es Menschen giebt, die in allen Verhältnissen zu ihren Nebenmenschen rechtschaffen und zuverlässig sind, ja durch ihren noblen Sinn manche sogenannte Fromme beschämen, und denen doch der evangelische Glaube fremd und verschlossen ist. Das ist gewiß nicht gering zu achten. Aber wer weiß, welcher Segen noch vom Evangelium her, vom christlichen Elternhause her auf ihnen ruht, ohne daß sie es wissen? Dann aber müssen wir doch ernstlich fragen: wenn Gott Gott ist, sind wir ihm nichts schuldig? dürfen wir einen so hohen Ruhm von der glaubenslosen Rechtschaffenheit machen? von einer Sittlichkeit, die sogar mit der Leugnung Gottes sich verbinden könne? Werden es Viele sein, die neben solchem Leugnen eine hohe Sittlichkeit aufzuweisen haben? Und wird eine solche in den innersten, schwersten, letzten Proben Stich halten? Wird sie ein anderes Heil, eine andere Vergebung der Sünden, eine andere ewige Errettung aufbringen können, als die uns Gott in Christo bereitet hat?
Oder will man uns sagen, will man uns in guten Treuen sagen: wir brauchen das nicht? Kann es denn eine wahre Tugend geben, wenn wir Gott nicht haben? und wo will der bleiben, der sich nicht als tugendhaft, sondern als Sünder erkannt hat? Oder wenn ihr zugebet, daß der Mensch einen Glauben haben müsse, aber nicht gerade den christlichen, so sagt uns: welchen andern denn? aber sagt es uns deutlich, so daß man zu erkennen vermag: darauf läßt sich bauen im Leben und im Sterben. Zeigt uns den wohlbegründeten Glaubensinhalt, der besser sein soll als die Grundwahrheiten der heiligen Schrift. Einstweilen halten wir dafür, daß jener Sittlichkeit, die allenfalls auch mit Leugnung Gottes sich verbinden könne, der Herzpunkt mangle. Das will nicht sagen, daß gar nichts an ihr sei. Es ist auch nach dem Untergang der Sonne noch Licht vorhanden; die Alpengipfel glühen noch; aber im weitern Fortgang wird es finster und kalt. So ist der rechtschaffene Mensch ohne den festen Grund der Wahrheit Gottes, ohne Beugung vor Gott, ohne Gebet zu Gott, ohne Dankbarkeit gegen Gott, ohne Furcht und Liebe des lebendigen Gottes.
Wir sind nicht Herzenskündiger und nicht berufen unsre Mitknechte zu richten. Wir sollen mehr und mehr von Christi unendlichem Erbarmen lernen. Wie weiß er doch mit Langmuth und Geduld auf den Glauben zu warten! Wie unaussprechlich barmherzig ist doch die Antwort, die er den Widersachern ertheilt, nachdem sie ihn mit der schändlichen Lästerung geschmäht hatten: er treibe die Teufel aus durch den Obersten der Teufel. Alle Sünde und Lästerung, sagt er, wird den Menschen vergeben werden; auch wer etwas redet wider des Menschen Sohn, dem wird es vergeben werden; nur die Lästerung wider den Geist wird den Menschen nicht vergeben werden (Matth. 12,31.32). So weit geht er in der Anerkennung, daß man ihn, des Menschen Sohn, aus einer zuletzt noch verzeihbaren Unwissenheit verkennen könne. Aber freilich am Ende, wenn alle göttlichen Mittel des Erbarmens erschöpft sind; wenn alles Licht, das dem Sünder seine Sünde und Gottes Erlösungswerk zeigt, ihm vergebens geleuchtet hat; wenn alle Züchtigung und aller Zug des Geistes vom Menschen verschmäht ist und der Unglaube rein dazu gelangt ist, sich wider den Geist zu setzen und zu sagen: ich will aber nicht; wie kann es denn da zu etwas anderem als zum Bruche kommen? was kann denn da dem Gott der Wahrheit und Heiligkeit übrig bleiben, als über den trotzig Verschlossenen das Wort ergehen zu lassen: Wer nicht glaubt, der wird verdammt werden!
Für uns aber erwächst daraus von ferne nicht die Pflicht des Hasses gegen die Ungläubigen, sondern die Pflicht der Liebe, die bei Christo Geduld lernen soll, die aber auch, und gerade aus Liebe, verbunden ist bei der Wahrheit zu bleiben. Ja, um der Liebe willen bezeugen wir die Wahrheit, die dem Einsichtigen so selbstverständlich sein sollte, wie das Wort: wer nicht ißt, der muß verhungern, also auch: wer nicht glaubt, der wird verdammt werden.
Denn Glauben ist wahrlich nichts geringfügiges; Glauben ist kein bloßes Meinen oder Halbwissen; Glauben ist kein Fürwahrhalten von unwichtigen Dingen auf ungenügende Gründe hin; Glauben ist das Fürwahrannehmen der unsichtbaren Wirklichkeiten, die nicht mathematisch zu berechnen und auch nicht sinnlich wahrzunehmen sind, die aber dennoch wirklich sind, eine höhere Wirklichkeit als die sinnenfällige; Glauben im höchsten Sinn ist das Fürwahrannehmen der Gnade Gottes in Christo Jesu, daß sie für uns da sei; das Annehmen dessen, was Gott uns in ihm bereitet hat; das Vertrauen darauf als auf Gottes Wahrheit; der Gehorsam dagegen von ganzem freiem Herzen. Wie könnte das etwas Gleichgültiges sein? Wie könnte es einerlei sein, ob wir ein Herz zu Gott haben oder nicht haben, ob wir ihn suchen oder nicht suchen, nach ihm fragen oder nicht fragen, ihm anhangen oder nicht anhangen, zu ihm beten oder nicht beten, ihn lieben oder nicht lieben, mit Einem Wort: glauben oder nicht glauben? Wahrlich, die Liebe muß warnend bezeugen: wer nicht glaubt, der wird verdammt werden. Warum aber nur auf dieses Wort hören? warum nicht auf die Verheißung, die vorangeht? wer glaubt, der wird selig werden.