Passavant, Theophil - Naeman, oder Altes und Neues - 3. Mein Vaterland ist auch schön.
Mein Vaterland ist auch schön, wenn auch die Wasser Amana und Pharphar mit ihrer Ströme Pracht sich in seinen Thälern nicht sehen lassen; hat es ja auch seine schönen Fluren und grünen Wiesen mit der Blumen Schmuck in reicher Fülle; auch herrliche Berge, von den grünen Hügeln bis über die blauen Berge hinaus zu den glänzenden Hörnern und Kuppeln des ewigen Schnee's; und es stürzen auch schöne Wasser in's tiefe Thal hinab, und strömen bald wilder, bald stiller durch's grüne Land, die muntern Dörfer und Städte vorbei, und ergießen in die stillen blauen Seen die wilde Strömung, und kommen dann wieder aus den reinen Wassern crystallhell und mächtig hervor, des Landes Stolz und Freude, das sie dann weiter anderen Ländern zur Freud' und Fülle des Lebens zusendet. - Jedoch hier auch Licht und Schatten.
„Wandere ich,“ schreibt mir ein theurer Freund, weiter in unserer großen, hehren Gebirgswelt, so fühle ich freilich die unendliche Hand und Kraft, welche der Psalmist so oft in Bildern von den Bergen Canaans hernahm. Es dringt sich auf ein Gefühl von der eigenen, unbeschränkten Ohnmacht, aber auch ein seliges Freudengefühl, daß wir durch die unendliche Gnade des Allmächtigen mehr sind denn das Alles, und daß wir Ihn, diesen Unendlichen, unseren Gott und Vater nennen dürfen. - Aber stets ergreifet mich auch auf solchen Reisen eine gewisse Beengtheit; … die übermächtigen Elemente, die rohe, ungebundene Kraft und Wuth der Gewässer haben sich noch nicht gelegt, und in lauter Segen die herrlichen Thäler, die Saaten und Felder gewandelt. Oft wandelte mich eine Wehmuth fast bis zu Thränen an, daß gerade da oft lauter Graus und Gestein sind, wo bei uns die schönsten Thäler mit ihren schönen Bäumen und Früchten und Reben, und daß da alle menschliche Anstrengung so schwach ist, und nur Werke machen kann, die ein nächstes Jahr bald wieder dahinreißt.„
„Mit dem Eintritt in das Bündtnerland begleitete mich, bei aller Majestät der so massenhaften Gebirge, diese Beengtheit und Wehmuth dennoch immerdar, und dieselbe Stimmung hat mich durch das große Tessiner-Thal, den Gotthardt hinauf und hinunter bis an's Ende des armen Urner- Lands, nach Fluelen begleitet. Es ist doch so recht diese Erde, im Einzelnen und im Ganzen, ein bedeutsames Bild von unserem eigenen Leben. Nirgends Vollkommenheit, nirgends nur Leben und Lebensgrund und Fülle, nirgends völliges Genüge; - sondern lauter Wechsel von Leid und Freud, von Klarheit und Dunkel, von Sicherheit und Unruh; und neben blühenden Gefilden, da Milch und Honig fließt, eine Wüste, da es toset und heulet. Da freuet man sich, auch an eine Verherrlichung der Erde zu glauben, und zu ahnen, daß auch sie, diese Trägerin der seufzenden Creatur, selbst auch mitseufze, und auf eine Verklärung warte, harrend auf die Offenbarung der Herrlichkeit und Freiheit der Kinder Gottes. Röm. 8.“
Mein Vaterland ist auch schön; auch das deinige vielleicht, wenn auch ohne so viele Rosen und Aprikosen, und ohne Orangenbäume, ohne Damaskus Zierden und seine Paläste, aber auch ohne seine Türken, seine Ketten, und so Manches, das sehr drückend ist in dem schönen Morgenland. Und - denn so hat es ein Weiser eingerichtet von Anfang - einem jeden Volk, jedem noch so armen Völklein ist die bescheidene Heimath noch so lieb, der magere Sand- oder Steinboden, der rinnen macht den Schweiß, die Tannen, die Felsen, und der ernste Himmel droben, der sich nicht selten mit dunkeln Wolken überzieht; und je häufiger der Schweiß des Landeskindes kümmerlich die Erde befeuchtet, je weniger ihm das arme Land von selbst gab, je mehr die eigene Hand und der eigene Fleiß ihm gegeben, um so theurer ist ihm seines Fleißes Stätte, um so heimlicher und süßer die alte Heimath.
Jenseits des rauhen Schwedens, dort weit im kahlen Norden, weiß der gute Lappländer, - auf den weiten Eissteppen von Labrador in Amerika, weiß der Eskimo nur seine kahlen Felsen, das ganze Jahr von kaltem Eis und von hohem Schnee umgeben; sie sind doch gerne da; sie können im März, im April, wenn's gut gehet, den Boden unter'm Schnee bereiten; bald aber schneit's wieder und friert's. Im September, im Oktober hat es hie und da Salat, dort etwas Kraut und Kohl gegeben, wenn ihnen die Friedensboten aus dem fernen Christenland die fremden Samen gebracht; dann ist den armen Eskimo's ihre Freude groß; auch groß, wo sie sich an ihrer mühselig-kargen Jagd erlaben, und dazu etwas Heidelbeeren einsammeln; ja größer ist ihre Freude, als in manchem üppigen Garten um Damaskus herum; kommt es doch überall auf die Eine Frage an: Wie ist dein Herz bestellt?
Wo mir die Heimath weniger gibt, da kleben Herz und Sinn weniger dieser Erde an, und ihre Freuden und Ueppigkeiten trennen mich weniger von den Himmeln und ihren Schätzen droben; das Wort meines Gottes wird mir theurer; Sein süßes Evangelium noch süßer; heller und freier leuchtet mir die Freude jenseits; der Abschied hienieden, der Trost wird mir leichter, wenn mir Manches sagt: Du mußt doch einmal davon!
Ach, welch eine andere Heimath noch als diese schöne, diese stolze Erde, wird uns bereitet droben, in unseres Gottes Vaterhaus; und habe doch lange nach dieser ewigen Heimath so wenig verlangt! Es heißt: Dort werde kein Leid mehr sein, kein Geschrei, noch Schmerz; der Tod werde nicht mehr sein; Gott werde alle Thränen von unseren Augen abwischen (Offenb. 21, 4.); - es rührete mich nicht. Es heißt: Was das Auge nicht gesehen, was das Ohr nicht gehöret, was in keines Menschen Herz gekommen wäre (1. Cor. 2,9.), das werde uns dort ohne Ende, in seliger, unverkümmerter Fülle und Ruhe gegeben; -ich ließ es gut sein. Es heißt: Alle Leiden und alle Freuden dieser Zeit, alle Güter und Genüsse, alle Herrlichkeit und Größe dieser stolzen Welt seien nichts dagegen, und der Herrlichkeit nicht werth, die dort an Gottes Freunden soll geoffenbaret werden(Röm. 8, 18.); - ich wollte nichts davon. Ich kannte Jesus nicht. Was rühren mich die Himmel und alle ihre Herrlichkeit, so lange die Liebe Deß, Dessen alle Himmel sind, mein Herz nicht berühret?
Mein Freund! was sagt dir das Herz? Kennest du die Heimath droben?
Da wird sein das Freuden-Leben,
Da viel tausend Seelen schon
Sind mit Himmel-Glanz umgeben.
Dienen da vor Gottes Thron,
Da die Seraphinen prangen
Und das hohe Lied anfangen:
„Heilig, heilig, heilig heißt
Gott, der Vater, Sohn und Geist,“
Da die Patriarchen wohnen,
Die Propheten allzumal,
Wo auf ihren Ehren-Thronen
Sitzet die gezwölfte Zahl;
Wo in so viel tausend Jahren
Alle Frommen hingefahren,
Da wir unserm Gott zu Ehren
Ewig Hallelujah hören.
O, Jerusalem, du Schöne,
Ach, wie herrlich glänzest du!
Welch ein lieblich Lobgetöne
Hört man da in stolzer Ruh!
O der großen Freud' und Wonne!
Endlich gehet auf die Sonne,
Endlich gehet an der Tag,
Der kein Ende nehmen mag.