Passavant, Theophil - Jakob's Kampf - 26. Ich rede zu Ihm.
Der Herr redet; seine Stimme gehet auf den Wassern; der Gott der Ehren donnert, der Herr auf großen Wassern; die Stimme des Herrn gehet mit Macht; die Stimme des Herrn gehet mit Pracht. Ps. 29. - Der Herr redet in der Einsamkeit Stille; Er spricht im Dunkel der Nacht, im Geräusch des Waldes, im Rauschen der Wogen. Man vernimmt's im Staunen der Seelen, in der Angst des Gewissens, in dem Klopfen des Herzens. Er redet im stillen Leide; in der Glut des Leidens: am einsamen Lager; und auch in dem Toben der Völker, wenn Er die Könige heimsuchet, und strafen will die Menschenkinder, die Millionen, so auf Erden sind. Er redet in der Theurung, in den Seuchen und den Plagen der Länder. - Er spricht, dieser Gott alles Fleisches, wenn Er stille schweiget, und läßt den Sachen, den Kräften der Erden, den Sünden der Großen, der Kleinen, ihren Lauf; und läßt den Gerechten leiden, den Frommen hinschmachten, den Spötter lästern, den Thoren lachen, den Gottlosen fröhlich sein und seinen Willen durchführen. Vernimmst du Ihn nicht?
Mein Gott, wie ist deine Stimme so laut, wenn Du schweigest, und deine Rede so mächtig! So wir stille sind und horchen, so haben wir sie bald vernommen, und deine Gedanken, nahe und ferne, werden uns offenbar in den Bewegungen und Erschütterungen um uns her; sie tauchen sich ein in das Feuer, in die Thränen und das Blut, und bleiben doch unbefleckt, göttlich rein und groß; - am Tage des Wetters und Ungestüms, der Finsterniß und des Dunkels, der Wolken und Nebel (Zeph. 1,15.), werden sie auch vernommen, und Du bleibest doch in deiner ewigen Klarheit ungetrübet, in lauter Licht gehüllt (Ps. 104); - aber um uns her, arme, eitle Menschenkinder, und auch über uns, ist Wechsel von Licht und Finsterniß, und die Nacht ist nicht wie der Tag (Ps. 139.). - Stimme meines Gottes, sprich deine deutlichen Worte, doch schone deiner Armen. Haben wir gesündiget, o mein Gott, und Deiner vergessen? Hast Du uns in unserm Stolz und unserm Undank wieder erfunden, da wir demüthig sein sollten vor dir. Dank und Lobgesang, Alles was an uns ist? Haben wir mit den Früchten unserer Thorheit, mit den Nachwehen längst vergessener Schulden zu kämpfen? Was hast Du aus den Kammern der Vorzeit wieder hervorgezogen? Was stellest Du wieder, Unbekanntes, Verborgenes, an das Licht deines Angesichts (Ps. 90,8.)? Wir glaubten uns fertig, und Du fängst wieder an; wir hatten unsere Bücher geschlossen, und Du hast deine Bücher wieder aufgethan, sie sind auswendig und inwendig beschrieben (Offenb. 5.). Strafest Du? Schlägest Du? Warnest Du nur? Schon dein Warnen hat mich gestrafet, und die Winke deines Erbarmens haben meine Nieren gezüchtiget: und wenn ich mir keines Unrechts bewußt bin, bin ich darum nicht gerechtfertiget, ich muß doch antworten: Herr, gehe nicht in's Gericht mit deinem Knecht, denn vor Dir ist kein Lebendiger gerecht. Ps. 143, 2.
Mein Herr und mein Gott, wie hehr ist die Stunde des Ringens mit Dir im Dunkel der Nacht: wie heilig das Kreuz, das man von Dir trägt, und wie heilsam die Wunde, die man von Dir empfängt! Wie gut läßt's sich leiden und weinen unter deinem Schilde! Wie reichest Du dem müden Kämpfer von Gilead's Salbe, und den Trost, den seine Seele begehret, bald menschliche bald göttliche Kraft für alle seine Schwachheit, alle seine Traurigkeit, und hältst ihn auch im Erliegen aufrecht, daß er nimmer versinket, vielmehr von deinem überirdischen Frieden überströmet wird in deiner Umarmung. Und wird kein Seufzer umsonst geseufzet, keine Thräne verloren; keine Bitte, kein Gebet kehret leer und eitel zu seinem Schmerzenslager zurück; der Thau deines Himmels hat oft die lechzenden Lippen gekühlet, und der Strahl aus deiner Erbarmung seine einsame Nacht in ein Heiligthum verwandelt. Meine Seele ist stille zu dem Gott, der mir hilft. Er ist mein Hort; meine Hülfe, daß ich nicht heftig wanken werde Ps. 62.
Ich bin ein armes Kind der Erden, ein zitternder Wurm, von der Krankheit zerknickt, von der Anfechtung zertreten und zerquetscht; die Hülfe der Erde ist zu gering, der Trost der Menschen bringet mir keine Kraft; er läßt mich in meiner Armuth, in meinem Blute liegen. Aber dein Blick, o mein Hort, durchglühet mein Innerstes, und mein Herz schlägt mit Kräften der zukünftigen Welt, wenn es das Wort deines Mundes und dein Herz berühret; dann kränket mich die Erde nicht mehr; ihr Staub erschreckt mich nicht; die Welt hat doch nichts an mir; sie liegt ohnmächtig und besiegt zu meinen Füßen da; ihr Leben, und wäre es noch so mächtig, so glänzend und schön, ist nur Trug und Schatten vor dem Funken des unaussprechlichen Lebens, der von Dir, o mein Leben, da mein Ringen mit Dir war, durch meine Adern drang; Du hast mich, - ich habe Dich umfangen; Du bist mein Leben und mein Sieg; die Kraft in deinen Armen ist stärker denn meine Schwäche; dein Odem ist stärker als der Tod; von Dir überwunden, bin ich Sieger in Dir; es ist kein Starker wie Du, und kein Schrecklicher wie Du, und auch kein Liebender wie Du; ich habe mit Menschen und mit Gott gekämpfet, und werde obliegen.
Und noch Eines, o mein Herr und mein Gott: ist einst die Stunde der Anfechtung vorüber, und die dunkeln Nächte sind vor dem Glanze deiner Morgenröthe gewichen, o dann begegne mir auch in den guten Tagen; ergreift mich auch und umfange dein Kind in den besseren Stunden, wenn der Jordan und der Jabok keine Schrecken mehr haben; daß ich des Ringens mit meinem Gott nicht vergesse, des Ernstes deiner Heimsuchung, und nicht verliere den Segen, den mir die heißen Stunden mit Dir im heiligen Kampfe gebracht. So gerne schauen wir ja dann die Welt wieder an, die uns wieder so freundlich anlacht; so leicht haben wir jener heiligen Stunden vergessen; - das Auge schwärmet wieder nach der Blumen Duft und ihrer Farben Schein; das Herz wird wieder leicht, und munter, und weit, und möchte Alles wieder lieben, und Alles umarmen; Fleisch und Blut athmen wieder auf, und suchen das Ihre; - darum bewahre uns, o mein Herr und mein Gott, wenn es uns gut gehet; halte uns umfangen, verborgen und geborgen in Dir! Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.