Passavant, Theophil - Jakobs Kampf - 6. Und du, wen fürchtest du?

Passavant, Theophil - Jakobs Kampf - 6. Und du, wen fürchtest du?

Jakob hat Muth gefaßt; wir lesen von ihm:

V. 4. Jakob aber schickte Boten vor ihm her an seinem Bruder Esau, ins Land Seir, Edoms Gefilde.

Esau, der durch seine Heirathen mit abgöttischen Weibern seiner Mutter Rebecca so viel Herzeleid gemacht, hatte sich mit einer Tochter Ismael, seines Oheims, vermählet, und sich durch Gottes Fügung, wie durch seine eigene Wahl, immer entschiedener vom Lande Canaan südwärts, nach den wilden Gegenden im Gebirge Seir zurückgezogen, die Jehova später ihm und seinen Nachkommen zum Besitze gab, daher sie auch Edom, nach Esau's Namen, oder Idumaea heißen, (1. Mos. 25, 30. 32, 8. Jos. 15, 1. 24, 4.). Nach dieser Richtung hin sandte Jakob seine Boten,

V. 5. Und befahl ihnen, und sprach: Also saget meinem Herrn Esau: Also spricht dein Knecht Jakob: Ich bin bei Laban ein Fremdling gewesen, und habe bis jetzt geweilet;
V. 6. Und habe Rinder und Esel, Schafe, und Knechte und Mägde; und habe ausgesandt, dir, meinem Herrn, anzusagen, daß ich Gnade fände vor deinen Augen.

Es ist traurig, wenn Brüder einander schelten, oder mit roher, unfreundlicher Sprache einander begegnen. Eine Stimme von oben hat gesprochen: Wer den Bruder nicht liebet, der bleibet im Tode. Wer seinen Bruder hasset, der ist ein Todtschläger (l. Joh. 3, 14. f.); - habe das Wort lange nicht verstehen können, und wenn ich es verstehe, so schaudert mir davor. Es ist aber auch traurig schon, wenn ein Bruder den anderen mit einem: Mein Herr, anredet, oder wenn glatte, vornehme Worte statt der freundlichen Sprache in den Riß treten; dem guten Jakob war dabei nicht wohl zu Muthe. Im wahren Canaan spricht ein Bruder zum Bruder auf andere Weise, und Alle sind Brüder, haben auch Alle einander brüderlich lieb. -

Da gibt's keinen Zorn, noch Haß, noch Wuth; auch keinen Neid, kein scheeles Auge, kein Klagen noch Verklagen, keinen Vorwurf, kein Wort, das nicht ein Engel Gottes sprechen dürfte. - Man wird nicht mehr letzen noch verderben auf meinem ganzen heiligen Berge, denn das Land ist voll Erkenntniß des Herrn, wie Wasser das Meer bedeckt. Jes. 11, 9. Freund, das wird wohl ein liebes Land sein.

V. 7. Die Boten kamen wieder zu Jakob, und sprachen: Wir kamen zu deinem Bruder Esau; und er ziehet auch dir entgegen mit vier hundert Mann.

Zorn und Lust zur Rache können lange Jahre hausen in einem Menschen Herzen, und Esau hatte vielleicht nichts Gutes im Sinne; doch durfte er auch allerdings schon nur aus billiger Vorsicht mit seinen Leuten den Leuten seines Bruders entgegenrücken.

V. 8. Da fürchtete sich Jakob sehr, und ward ihm bange; und er theilete das Volk, das bei ihm war, und die Schafe, und die Rinder, und die Kameele, in zwei Heere.
V. 9. Und sprach: So Esau kommt auf das eine Heer, und schlägt es, so wird das andere Heer entrinnen.

Ist es von dem klugen Jakob so klug angelegt worden? Was meinest du? Scheinet mir, wenn Esau das eine Heer geschlagen und die Heerden gefangen genommen, so werde er wohl und seine vier hundert Mann mit leichter Mühe auch das andere Heer schlagen. Ueberhaupt, Furcht ist kein guter Rathgeber; man wirft seine besseren Waffen weg, ziehet die schlechteren, schwächeren dafür an; man kommt aus der rechten Fassung, die allein Furcht oder Achtung dem Feinde einflößt; man gibt sich auf, los und bloß, und wird bald aus dem Felde geschlagen. Ist überhaupt was Schlimmes um Menschenfurcht: sie läßt uns sogleich von aller göttlichen Kraft und Hülfe entblößt; sie macht aus uns Menschenknechte, und ich kann das Wort des erleuchteten und treuen Apostels nie vergessen: Ihr seid theuer erkaufet, werdet nicht der Menschen Knechte, 1. Cor. 7, 23.

Und warum so oft, so leicht diese Menschenfurcht? Jakob hatte vor seinem Bruder kein gutes Gewissen. Hier liegt's. Haben wir was Ungeschicktes gethan, und uns an Menschen versündigt, da verklaget uns unser Gewissen; wir dürfen ihnen kaum in's Angesicht schauen; wir sind verlegen, wir weichen zurück, wir haben keinen Muth, irgend einen guten Kampf zu kämpfen; keine Kraft zu widerstehen, wo wir ein Recht hätten, unser Recht zu behaupten; kein Herz, irgend einen Freund um seine Hülfe zu bitten; so haben wir bald eine gute Stellung nach der anderen verloren; vor dem allmächtigen Freunde mögen wir am Allerwenigsten unsere Roth klagen; wir haben Gott nicht mehr für uns; wir geben nach, wir geben uns selbst auf, wir fürchten uns, wir zittern, wir zagen; hin ist alles fröhliche Vertrauen, alle männliche Haltung, alle Würde, alle Kraft; wir sind Menschenknechte geworden.

Möchte dir einen guten Rath geben; du hältst es einem alten Manne zu gut. Habe alle Menschen in Ehren, und, so fern es möglich ist, lieb; gib Jedermann, was du schuldig bist (Röm. 13, 7.); und wie ein theurer Mund sprach: Achte einen Jeden höher denn dich selbst; komm einem Jeglichen mit Ehrerbietung zuvor (Röm. 12, 10.); beuge dich besonders vor einem grauen Haupte (3. Mos. 19, 32.); erkenne jede gute Eigenschaft, preise jede schöne Gabe, lobe jedes gute Werk; räume einem Jeden seine besonderen Vorzüge ein: dem Weisen seine Weisheit, dem Starken seine Stärke, dem Mächtigen seine Macht, seinen Reichthum dem Reichen, dem Hochgestellten seine Titel und Kronen; nur gedenke daran, was sie Alle vor dem allein Großen sind: ein Stäublein in der Wage, ein Dampf, der eine kleine Zeit scheinet, darnach aber verschwindet (Jak. 4, 14.). Gott zuerst deine Gedanken, deine Blicke, dein Herz, dein Leben; Gott allein Furcht und Anbetung, Kraft und Reichthum, und Weisheit, und Stärke, und Ehre, und Preis, und Lob (Offenb. 3, 12. 7, 12.); vor Ihm sollen sich deine Knie beugen; zu Ihm soll dein Gebet und deine Fürbitte gläubig empor steigen; vor seiner Majestät soll Alles in dir in Furcht und Freude beben; in seinem Namen sollen deine Hülfe, deine Hoffnung, dein Trost allein stehen; in seinem Namen allein; sonst gibst du dem Menschen, was Gott allein gebühret; du hast den lebendigen Gott für die Götzen verlassen; bist der Menschen Knecht geworden.

Und dies hat der Unglaube gethan; was man im Unglauben, in des Unglaubens Undank, Vergessenheit, Thorheit, Gott geraubet, um es den Menschen zu geben, Ehre und Furcht, Liebe, Leben, Gewissen, - das ist rein verloren, man hat seinen Lohn dahin; das Auge wird immer trüber, das Herz immer geiler, das Gewissen immer feiler; o weh! wie ist dies Leben so öde, der Abgrund so tief, der Tod so verlassen! - sie haben über dem Nichtigen und Falschen ihre Gnade verlassen. Jon. 2, 9.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/p/passavant/jakobs_kampf/passavant_jakobs_kampf_6.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain