Oekolampad, Johannes - Ueber das Lesen des Wortes Gottes in der Landessprache

Oekolampad, Johannes - Ueber das Lesen des Wortes Gottes in der Landessprache

(aus der Ebernburg 1522)

Johannes 16,25

„Es kommt die Stunde, da ich nicht mehr in Gleichnissen zu Euch reden werde.“

Wie sehr wünsche ich, meine christlichen Freunde, daß Jesus, unser Herr und Meister auch zu uns redete, und zwar nicht in fremder Sprache oder in Gleichnissen, sondern frei heraus und Jedem verständlich. Denn was läßt sich wohl Lieblicheres, ja Seligeres denken, als Ihn zu hören, auf den die Engel lauschen, der die Quelle aller Weisheit ist und in dem die Schätze aller Erkenntnisse Gottes verborgen sind? Wohl redet er zu uns auf mannigfaltige Weise: durch Wohlthaten, durch Strafen, durch die Schönheit, den Schmuck und den Nutzen seiner Werke, besonders aber durch die heilige Schrift. Aber wir sind zu stumpfsinnig, um seine Sprache zu verstehen! Wir wollten sein wie Gott, wissend Gutes und Böses; und nun sind unsere Augen wohl aufgethan für das Böse, aber geschlossen für das Gute. Es redet der Herr selbst zu uns, so oft die Stelle aus den Propheten, oder das Evangelium oder die Epistel vorgelesen wird. Doch wie schmerzt mich das Elend, in das wir durch die Sünde gestürzt werden! Es war nicht genug, daß wir durch sie an Verständnis und Einsicht geschwächt wurden. Durch die Sünde des Hochmuthes, die einen Thurm bis zum Himmel hinauf bauen und sich einen Namen machen wollte, wurden die Sprachen verwirrt, so daß eines den Anderen nicht mehr verstand. Daher kommt es auch, daß Vieles, was Christus durch seine Diener verkündiget, nicht allein in Gleichnissen, sondern geradezu in einer dem Volke unverständlichen Sprache geredet wird, ja oft werde auch ich von Euch nicht verstanden, weil ich nicht Zeit finde das Gelesene in Eure Sprache zu übersetzen und es zu erklären. Doch lese ich nichts in der heiligen Schrift, wovon ich nicht von ganzem Herzen wünschte, daß es von Euch verstanden werde; damit Christus verständlich zu Euch rede und nicht in Gleichnissen. Wahrlich, so viel an mir liegt, wollte ich nichts verhehlen, wenn nicht das eiserne Gesetz der Gewohnheit uns hinderte, Christum nicht allein in Einem Sinne und Geiste, sondern auch in einer und derselben Sprache mit Euch zu preisen. So oft Christus in der heiligen Schrift zu mir spricht, sollte er auch zu Euch sprechen, und so ich mit Gott rede, solltet auch ihr in gleicher Sprache wie ich mit Gott reden. Aber jetzt rede ich in lateinischer und ihr in deutscher Sprache; und wenn wir auch, wie ich es hoffe, in unserem Gottesdienste Eines Sinnes sind, so reden wir doch verschiedene Sprachen. Doch kann solches, solange wir nur mit Gott reden ohne Gefahr angehen, selbst wenn Jeder in seiner eigenen Sprache redete denn das heißt mit Gott und mit sich selbst sprechen. Wenn dagegen ich oder ein Anderer die Epistel oder das Evangelium nicht uns selbst, sondern der Gemeinde vorlesen, so liegt allen daran, daß die Gemeinde es auch verstehe, denn ist dieses nicht der Fall, so reden wir in den Wind. Aber wie selten versteht die Gemeinde, was wir lesen, da die eingewurzelte Gewohnheit uns hindert in einer der Gemeinde verständlichen Sprache zu lesen? Die Kürze der Zeit gestattet mir oft nicht das lateinisch Gelesene ins Deutsche zu übersetzen; und doch heißt mich die Liebe nach Kräften euer Heil fördern. So werde ich von zwei Seiten gedrängt. Ich wünschte, daß die Propheten und Christus offen und verständlich zu Euch redeten, so daß sie von Euch allen verstanden würden, aber die Gewohnheit verhindert solches; indem sie die Vorlesung des Evangeliums und der Epistel in lateinischer Sprache gebietet und eine Uebersetzung des Gelesenen nur dann gestattet, wenn noch Zeit dazu da ist. Was soll ich nun unter diesen Umständen thun? Ich weiß nun was! Ich will der Gewohnheit Einiges, aber auch der Liebe Einiges einräumen! So wird die Liebe eine Abweichung von der Gewohnheit entschuldigen, die Liebe aber wird auch das ertragen, was wir der Gewohnheit einräumen. — Es wird die Liebe daher entschuldigen, daß wir, wie wir uns vorgenommen, das Evangelium und die Epistel in deutscher Sprache vorlesen, wenn die Zeit es nicht gestattet, das lateinisch Gelesene ins Deutsche zu übersetzen und daß wir darin von der Gewohnheit Anderer abweichen. Und so erträgt die Liebe auch, daß wir einstweilen im Uebrigen keine Aenderung treffen. Diese Aenderung zu treffen gebietet uns die Liebe zu Euch, andere Aenderungen einstweilen zu unterlassen die Liebe zu Anderen, damit sie nicht wähnen, daß wir ihre Weise durchweg stolz verachten, und jede Gelegenheit suchen, uns von früheren Freunden zu trennen. Ferne sei, daß die Liebe wegen dieser Aenderungen von uns verletzt werden solle, vielmehr wollen wir sie dadurch mehr pflegen und befestigen. Ihr höret, daß uns Alles zur Liebe reizt, daß sie uns vor Allem eingeschärft wird, denn in der Liebe finden das Gesetz und die Propheten ihre Erfüllung. — Nach dieser Tugend ringet mit allem Ernste, eignet sie Euch an und pfleget sie wohl. — Gewöhnlich erzeugt somit die geringste Neuerung Geisteshochmuth, Euch aber soll diese Neuerung Demuth und Bescheidenheit einflößen. Es soll daher Niemand unter Euch Andere, welche nicht unsere Weise beobachten, deswegen geringschätzen oder sie gar verdammen; keiner von Euch soll auch deswegen die Geistlichkeit und das Band der Liebe verletzen. Danket Christo für die Wohlthat, die Euch durch ihn verliehen worden. Wenn Christus hier oder anderswo in einer Sprache zu Euch redet, die ihr verstehet, so danket Ihm für diese Wohlthat; wenn aber solches, wie bisher, nicht geschieht, da beunruhiget und beschweret Niemanden, sondern bittet den Herrn, daß er selbst Euch sein Wort offenbaren wolle, damit er nicht den Himmel über Euch verschließe, sodaß er ehern werde und die Wolken nicht den heiligen Regenstrom göttlicher Offenbarungen auf Euch niederträuflen lassen; bittet den Herrn, daß er Arbeiter sende in seine Ernte; bittet, daß Er es nie fehlen lasse an Auslegern des göttlichen Wortes. Die Liebe will, daß wir uns nicht überheben, wenn wir in einem Falle begünstigt werden, und daß wir diejenigen nicht belästigen, denen solches nicht verliehen worden. Die Liebe leget Alles zum Besten aus. Darum mögen Andere in ihrem Sinne sich erheben, wir wollen uns der Demuth in Liebe befleißen. — Uns soll es auch nicht so sehr kümmern, was wohl die Väter bewogen haben mag, den Gottesdienst in einer fremden Sprache zu begehen, ob solches aus zu großer Einfältigkeit und Ungeschicklichkeit geschehen, oder weil die vaterländische Sprache, als zu ungebildet, sich zu wenig für den Gesang eignete, weil sie wegen ihrer Rohheit kaum geschrieben werden konnte; vielleicht in angesehenen Hauptkirchen wegen der fremden Pilger, da die lateinische Sprache als die gebildetere allgemeiner verstanden wurde, wie im Morgenlande die griechische; vielleicht geschah solches auch zuweilen aus Rücksicht gegen die Oberen. Wir aber wollen lieber der Väter reine und strenge Sitten, ihren Glaubenseifer, ihre folgsame, demüthige Gesinnung, ihr herzliches Wohlwollen und ihre ungeschminkte Frömmigkeit bewundern und nachahmen. Was nun unsere Angelegenheit betrifft, so wollen wir deswegen Niemanden verachten, weder Vorfahren noch Mitlebende. Sie haben das gethan, was ihnen am Heilsamsten schien; sie konnten aber auch die Nachwelt nicht verpflichten, durchaus nur ihre Weise zu befolgen. Uns steht es daher frei dasjenige zu thun, was nach unserem Dafürhalten für unsere Seelen das Heilsamste ist. — Solches heißt mich die Liebe in gegenwärtiger Rede Euch ans Herz legen, damit nicht, wenn ihr plötzlich mich gegen Erwarten diese Uebung beginnen sehet, der unglückliche Gedanke Euch beschleiche: Was beginnt dieser für Neuerungen? Warum beläßt er uns nicht bei der einfachen Weise unserer Vorfahren? Verschließt Euch vor solchen Gedanken und wappnet Euch gegen die Geschosse des alten Feindes, damit sie an Eurem Glaubensschilde abprallen und die Arznei sich für Euch nicht in Gift verwandle. Die alte Schlange mißgönnt uns solches Glück, denn es kann ihr nichts Unangehmeres begegnen, als wenn die heilige Schrift so gelesen wird, daß Jedermann sie verstehen kann. Sobald diese Posaunen erschallen, stürzen die stolzen Mauern Jerichos ein, und es werden die Fallstricke, Fallgruben und Anschläge des Teufels offenbar. Dieser Ton ist ihm ärger als den Wölfen der Ruf des Hirten. So ist auch dem Teufel nichts lieber, als wenn die Zuhörer taub sind für das Wort Gottes oder dasselbe nicht verstehen. Sein Reich kann er durch nichts fester gründen, als wenn die Wohlthaten Gottes in Vergessenheit und das Wort Gottes in Geringschätzung fallen. Er hütet sich vor dem Glanze dieses Lichtes und verbirgt sich, damit er nicht die Rede der Weisheit hören müsse. Und wie vormals die Sprache der Bauleute zu Babel verwirrt wurde, damit sie abstehen müßten von diesem stolzen unsinnigen Unternehmen, so zielt auch des Teufels List und Trug jetzt einzig dahin, die Sprachen so zu verwirren, daß die Lehrer von den Schülern nicht verstanden und die Mauern des himmlischen Jerusalems um so weniger erbaut werden. Daher rührt die erstaunliche Frechheit und Großthuerei jener Halbwisser, die, wenn sie gleich kaum drei oder vier Worte lateinisch gelernt, doch ihre Reden mit lateinischen oder anderen fremden Wörtern so durchspicken, daß sie damit die Zeit größtentheils ganz fruchtlos zubringen. Das Wort Gottes will vor Allem klar und verständlich und so gleichsam von den Dächern und auf den Gassen verkündigt werden. Es ist nicht ohne Absicht vom heiligen Geiste geschehen, daß die evangelischen Geschichten in so einfacher Sprache erzählt worden. Nun kann wohl Niemand sich entschuldigen, wenn er die so treuherzigen und leicht verständlichen Berichte, die von gar keiner Schminke und von keinem falschen Scheine wissen wollen, liest und sie dennoch nicht annimmt und beherziget. Wohl giebt es einige Wörter welche weder von den Evangelisten noch von den Vätern übersetzt worden sind, wie z. B. Halleluia, Adonai, Eli, Hosianna, Amen. Es ist aber dieses nicht, wie Porphyrius und Lucianus uns vorwerfen, zur Täuschung des einfältigen Volkes geschehen; denn es wollten die Väter diese Ausdrücke nicht unverstanden wissen. Es war dieses aber eine zur Gewohnheit gewordene Uebung gleichsam ein frommes Spiel, daß die Gemeinden die von den Vätern häufig gebrauchten Ausdrücke in Uebung behielten und sie wiederholten. — So weiß ich nun, daß der Satan Euch diese Glückseligkeit mißgönnt und daher nicht unterlassen wird, die Schlangenzungen der Verläumdung gegen unser Beginnen in Bewegung zu setzen, welches dieses Unternehmen als gottlos verschreien und es zu verhindern suchen werden. Ihr aber gebet nicht Raum dem Satan, sondern bittet Christum, daß er den stummen und tauben Geist austreiben möge, es handelt sich ja um Eure Angelegenheit, denn um Euretwillen ist solches unternommen worden. Ich habe von dieser Neuerung keinen anderen Nutzen zu erwarten, als daß ich von einigen Lästerzungen verleumdet werde. Doch von Euch hangt es ab, daß mir dennoch daraus viel Vortheil erwachse, denn Euer Seelenheil und Eure geistige Wohlfahrt ist mein köstlichster Gewinn. Euer Glaube und Euer Heil sind meine Schätze, die mir nicht geraubt noch verwüstet werden können. Und aus diesem Allem wird Euch wohl viel Nutzen, aber kein Schaden erwachsen. Woher kommt das Heil, ich bitte Euch, saget es mir doch? Nicht etwa aus dem Glauben? Woher der Glaube? Nicht etwa vom Lehrer? Und wie können wir hören, wenn Niemand geschickt wird, uns es zu verkündigen? Was hätten wir aber für eine Hoffnung auf Seligkeit, wenn die Gesandten in einer fremden Sprache reden würde, sodaß sie nicht verstehen könnten? Denn es ist gleich, ob du gar nicht hörest, oder ob du zwar wohl hören, aber nicht verstehen würdest. Gesetzt aber auch, daß man das Gelesene bei anderer Gelegenheit verständlich und deutlich erklären würde, so übt doch das Wort Gottes an sich, wenn es verstanden wird, gerade beim Gottesdienste eine wunderbare Macht; und gewöhnlich ergreift das darauf folgende Sacrament unser Herz, und ruft uns mit lauter Stimmer zu: „bereitet dem Herrn den Weg, denn er nahet sich Euch.“ — Diesen Theil des Gottesdienstes solltet ihr vor allem verstehen, denn er wird ja für Euch gehalten. Wer das Evangelium verkündiget, verkündiget es Andern, wer Apostel ist, der ist für Andere Apostel. — Daher will ich Euch keineswegs Euer Recht, das Ihr auf die Nahrung und Erquickung durch das Wort Gottes habet, vorenthalten. Denn was kann Euch wohl Heilsameres, was Angelegentliches verkündiget werden, als das Wort Gottes? Durch das Wort Gottes gehet Ihr aus der Finsterniß zum Lichte über, sodaß ihr Euch immer des Lichtes freuen könnet. Das Wort Gottes leuchtet Euch vor durch die Wüste des Lebens, wie vor Zeiten die Feuersäule den Israeliten. Durch das Wort Gottes werdet Ihr von den geistlichen Fischern wie in einem Netze nach dem Hafen des Heils gezogen, wo Ihr, befreit von dem Schmutze dieser Welt, Christi Eigenthum und Freude werdet. Mit dem Worte Gottes öffnen Euch die Apostel, wenn Ihr es höret, den Himmel; oder sie übergeben Euch, wenn Ihr es verachtet, der Hölle und der äußersten Finsterniß mit den Geistern der Bosheit im Himmel. Mit dem Worte Gottes, als mit dem Himmelsbrote und dem wahrhaften Manna werdet Ihr genährt, sodaß Ihr heranwachset zur vollkommenen Mannheit Christi. Der Mensch lebt nicht allein vom Brote, spricht Christus, sondern von jeglichem Worte, das aus dem Munde Gottes kommt. Und Du solltest solche Schätze, so herrliche Früchte, solche Seligkeit ungestraft vergraben dürfen? Doch was bedarf es noch mehr? Wo das Wort Gottes, da ist Christus. Wenn Ihr daher mich höret, so höret Ihr nicht mich, sondern Petrus oder Paulus oder Johannes oder wessen Schriften gelesen werden; ja Ihr höret auch nicht sie, sondern in ihnen Christus selbst. Denn Paulus redet, lehret und ermahnet nicht aus sich selbst, indem er ja spricht, „ich lebe nun nicht mehr ich, sondern Christus lebet in mir.“; und wiederum: oder verlanget ihr eine Probe des Christus, der in mir redet? So Jemand meint ein Prophet oder Begeisterter zu sein, der erkennt, daß das, was ich schreibe, des Herrn Gebote sind. Und wer möchte nicht gern Christus hören, der Worte des ewigen Lebens hat? Wer möchte sich der Unterredung mit ihm entziehen? Aus dem Worte Gottes erhaltet ihr täglich den würdigsten Stoff zur Unterhaltung, aus ihm entspringt die Fülle frommer Gedanken, von ihm kommt der Wachsthum in guten Werken, es hält dem Sünder gleichsam einen Spiegel vor, in welchem er die Befleckung der Sünde erkennt, und dem Reinen, damit er nach immer größerer Reinheit strebe. Durch das Wort Gottes kann auch Jeder sein eigener Erzieher und plötzlich zum Lehrer werden. Doch der Nutzen davon ist zu klar, als daß noch ein mehreres darüber geredet werden müßte. Wenn aber derselbe auch nicht so groß wäre, wie er es wirklich ist, so fordert uns doch Alles auf, was inzwischen beim Gottesdienste geübt wird, alle Ceremonien und jeglicher Brauch, daß wir fleißige und achtsame Hörer des Wortes seien. Warum wird das Evangelium mit so lauter Stimme gesungen, wenn Niemand da ist, der es versteht? Warum besteigen die Geistlichen sonst eine höhere Stelle, warum kehrt man sich gegen das Volk? Warum werden die Kerzen angezündet? Warum horchen wir so gespannt auf? Wenn jede Erklärung Euch fehlt, gilt nicht etwa von Euch das Wort des Propheten: „Dieses Volk ehret mich zwar mit den Lippen, aber das Herz ist ferne von mir?“ Wir wollen uns nicht der Juden Bosheit vorwerfen lassen, die, weil sie unbeschnitten waren an Herz und Ohren, mit hörenden Ohren nicht hörten. Seid mir nicht ein ungehorsames Volk, daß mir meine Zunge nicht an meinem Gaumen klebe, und ich nicht verstumme, wie der Prophet Hesekiel schreibt. Wahrlich Euch gilt die Weissagung und der Fluch, wenn Ihr Etwas Heilsames höret, es aber nicht verstehet. Die Sache sieht dann mehr einem Schauspiele, als einer religiösen Feier ähnlich. Es versteht der Grieche, was ihm im Gottesdienste gelehrt wird, und ebenso der Jude. Warum sollen wir Christen des Abendlandes darin hinter ihnen zurückstehen? Wer führt vor dem Volke ein Schauspiel in fremder Sprache auf? Wer empfängt Gesandte, mit denen er, weil sie eine ihm fremde Sprache reden, keine Unterredung führen kann? Ist wohl ein Gesandter, der eine unbekannte Sprache spricht, so angenehm als der, welcher die Landessprache redet? — Klagt nicht daher auch Moses, der doch in aller Weisheit der Aegypter unterrichtet war: Ach mein Herr, ich bin je und je nicht wohl beredt gewesen, seit der Zeit du mit deinem Knechte geredet hast; denn ich habe eine schwere Sprache und eine schwere Zunge? Was würde er erst gesagt haben, wenn er die Landessprache gar nicht verstanden hätte? Entschuldiget sich nicht auch Jeremias, als er zum Propheten gesetzt ward über die Völker und Reiche mit diesen Worten: Ach Herr, ich tauge nicht zu predigen, denn ich bin noch jung. Er konnte zwar wohl predigen, aber er verzweifelte daran, daß er das Volk überzeugen könne. Und uns sollte es gleichgültig sein, ob wir überhaupt verstanden werden oder nicht? Ist dieses das Silber der Wohlredenheit, das wir zum Baue des Tempels liefern? Bedeuten das wohl jene sinnbildlichen Symbeln am priesterlichen Gewande? Sind das die gewundenen silbernen Hörner zur Versammlung der Gemeinde? Ich könnte hier viele Beweisstellen anführen, aber es mag uns das Zeugnis des Apostels Paulus genügen, weil seine Rede aus göttlicher Eingebung herrührt, und wir wohl auf ihr gestützt von der Gewohnheit abweichen dürfen. Vernehmet daher, was er im vierzehnten Kapitel seines ersten Briefes an die Corinther schreibt: Strebet nach der Liebe. Fleißiget euch aber der geistlichen Gaben, am meisten aber, daß ihr prophezeiet. Denn der in Zungen redet, der redet nicht für Menschen, sondern für Gott; denn Niemand verstehet ihn, sondern er redet im Geiste Geheimnisse. Wer aber prophezeiet, der redet für Menschen Erbauung und Ermahnung und Trost. Wer in Zungen redet, erbauet sich selbst, wer aber prophezeiet, erbauet die Gemeinde. Was ist das aber für eine Prophetie? Ohne Zweifel die Vorlesung und Auslegung des Evangeliums, der Epistel und der Propheten, denn dieses dient vorzüglich zur Erbauung, Ermahnung und zum Troste der Gemeinde, wie er denn auch im Briefe an die Römer schreibt: Was aber zuvor geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben, auf daß wir durch Geduld und Trost der Schrift Hoffnung haben. Und welche Erbauung kann man wohl haben ohne Verständniß? Und wer geht aus einer solchen Versammlung wohl gebessert weg? Wer befestigter und geduldiger zur Ertragung der Leiden dieser Zeit und zum Widerstande gegen die Anschläge des Satans? Wer wird zur Geduld und Standhaftigkeit ermuntert? „Ich will“, fährt Paulus fort, „daß ihr alle in Zungen redet, vielmehr aber, daß ihr prophezeiet; denn vorzüglicher ist wer prophezeiet als wer in Zungen redet, außer, wenn er auslegt, auf daß die Gemeinde Erbauung habe. Nun aber, Brüder, wenn ich zu euch käme in Zungen redend, was würde ich euch nützen, wenn ich nicht zu euch redete in Offenbarung, oder in Erkenntniß, oder in Prophezeiung, oder in Belehrung?“ Sehet Paulus, der so hoch begnadigt war, bekennt, daß er nichts nützen würde, was maßen wir uns denn jetzt wohl an? Er fügt sodann ein sehr passendes Gleichnis bei: „Die leblosen Dinge doch auch, die da lauten, sei es Flöte oder Harfe, wenn sie nicht bestimmte Töne von sich geben: wie kann man verstehen, was geflötet oder geharfet ist? Denn giebt auch die Trompete einen undeutlichen Laut, wer wird sich rüsten zum Kriege? Also auch ihr, wenn ihr mit der Zunge nicht verständliche Rede von euch gebet: wie kann man verstehen was geredet wird? Ihr werdet ja in den Wind reden! so viele Arten von Sprachen z. B. giebt es in der Welt und keine derselben ist ohne Bedeutung.“ — O, daß doch unsere Priester diese Worte zu Herzen nehmen und daraus lernen möchten, womit sie Paulus vergleicht! Er achtet sie geringer als Flöten, Trompeten und Harfen und behauptet, daß sie in den Wind reden. Was heißt aber in den Wind reden anders als die schönen Stunden, die köstliche Zeit unnütz verbringen und wie man zu sagen pflegt eine lange Rohrpeitsche reiten? Wenn ich daher die Sprache des Redenden nicht verstehe, so bin ich dem Redenden Fremdling und der Redende ist mir ein Fremdling. Bemerke wohl, daß er solches nicht allein für unnütz erklärt, sondern auch für Aergerniß gebend; Aergerniß aber in göttlichen Dingen ist stets verdammlich. „Also auch ihr, da ihr euch der Geistesgaben befleißiget, so strebet, daß ihr zur Erbauung der Gemeinde Euch auszeichnet. Wer daher in Zungen redet, bete (in der Absicht), daß er's auslege. Denn, wenn ich bete in Zungen, so betet mein Geist, aber mein Verstand ist unfruchtbar. Was soll ich nun thun? ich werde beten im Geiste, werde aber auch beten mit dem Verstande. Sonst, wenn du danksagest im Geiste, wie kann der, welcher zur Classe der Laien gehört, das „Amen“ sagen zu deiner Danksagung, dieweil er nicht weiß, was du sagst“! Paulus will nicht, daß wir in der Unwissenheit bleiben, sondern daß wir in der Erkenntniß fortschreiten. Wer auf dem Heilswege stille steht, geht zurück. Laßt uns dafür sorgen, daß wir reich werden an Erkenntniß, und uns auszeichnen, wie Paulus im Briefe an die Colosser schreibt: „Wir hören nicht auf für euch zu beten und zu bitten, daß ihr erfüllet werdet mit der Erkenntniß seines Willens in aller Weisheit und geistlicher Einsicht, um zu wandeln würdig des Herrn zu seinem ganzen Wohlgefallen, fruchtbar an guten Werken und wachsend in der Erkenntniß Gottes“. — Paulus dringt hier darauf, daß auch die Danksagungen und Segenssprüche verstanden werden, damit die Gemeinde um so besser „Amen“ sagen könne. Hierin will ich einstweilen noch für einige Zeit der Gewohnheit folgen. Nicht als ob wir bei unserem Gottesdienste Geheimnisse hätten, die nicht allem Volke verkündiget werden dürften, sondern weil der Apostel hierin nachsichtiger ist, indem er nämlich hinzufügt: „Du magst wohl trefflich danksagen, aber der Andere wird nicht erbauet“. Du siehst daraus, daß er solches auch für eine gute Sache erklärt, aber er will noch etwas Besseres, nämlich daß der Nächste erbauet werde. Dazu will er mehr durch sein Beispiel, als durch ein Gebot anreizen. — Ich danke meinem Gotte, daß ich mehr als ihr Alle in Zungen rede, aber in der Gemeinde will ich lieber fünf Worte mit Verstande reden, auf daß ich auch Andere belehre als tausend Worte in Zungen„. Und auch ich danke dem Herrn, so oft ich von des Herren Tische Euch die geistliche Nahrung des Wortes Gottes bieten kann. — Oder spricht Paulus nicht etwa ganz für uns, damit Niemand sage, daß wir eine Neuerung einführen wollen? Das Beispiel und das Ansehen des Apostels sei für uns die einzige Richtschnur darin. Oder lesen etwa auch die Griechen die Evangelien in lateinischer Sprache oder Lateiner in griechischer Sprache? Wenn es soviel vom Wortlaute abhinge, so müßten wir uns beim Gottesdienste der hebräischen und griechischen Sprache bedienen, indem diese die Sprachen der Patriarchen, Propheten und Apostel waren. Daher muß ich hier die Worte Pauli anwenden: „Brüder, werdet nicht Kinder am Verständniß, sondern an der Bosheit seid Kinder an dem Verständniß aber seid vollkommen.“ Kinder sind nicht im Stande, ihre Gedanken Anderen mitzutheilen, noch vermögen sie den tieferen Sinn der Worte zu verstehen; solche Kinder sollet ihr nicht sein, sondern vielmehr solche, von denen Christus sagt, daß ihrer das Himmelreich sei, nämlich frei von Bosheit und unreiner Lust, einfältig fromm und rein. Paulus schließt mit der Drohung des Propheten Jesaias: „Ich will mit anderen Zungen und mit anderen Lippen reden zu diesem Volke, und auch so werden sie mich nicht hören, spricht der Herr“. Als die Juden das Wunderzeichen, welches an den Aposteln durch den heiligen Geist in der Gabe der Sprache geschah, verachteten, fielen sie in Blindheit und in die Stricke des Irrthums und wurden aus Kindern des Reiches Kinder der Finsterniß, denn dieses Zeichen geschah um der Ungläubigen willen. So sollen wir nicht zweifeln, daß auch unsere Strafe nicht ausbleibe, wenn die Gnadengabe der Auslegung, welche um der Ungläubigen willen verliehen worden, von uns vernachlässigt wird. Traget daher Sorge zu dem Gute, daß zu Eurem Nutzen erworben worden. Damit endlich auch die Bedeutung anderer gottesdienstlicher Handlungen nicht ganz unbekannt bleibe, so wollet in Geduld auch davon etwas hören. Ihr pfleget Euch mit Wasser zu besprengen, Kerzen anzuzünden und Opfergaben Gott darzubringen. Was sollen nun diese Handlungen wohl bedeuten? Ich möchte nicht daß diese drei Uebungen beim Gottesdienste vergeblich wären. Zuerst sollet Ihr Eure Herzen reinigen, indem Ihr Gott in Demuth Eure Sünden bekennet, und so saget Ihr beim Anfange des Gottesdienstes öfters: „Kyrie eleison! d. i. Herr erbarme Dich unser“! und betet dann das Gebet des Herrn. Zum Zweiten sollt Ihr Euch erleuchten lassen durch Anhören des göttlichen Wortes, das ein Licht ist, welche unsere Augen erleuchtet und den Unmündigen Verständniß verleiht und durch himmlische Verheißungen unser Herz in Glauben und Hoffnung befestiget. Sodann opfert Ihr hierauf auch Gott. Ich sage nicht, daß Ihr Gold und Silber opfern sollet, sondern Euch selbst zu einem vollkommenen Brandopfer, indem Ihr fortan nichts mehr Euch selbst zuschreibet, sondern Euch ganz Christo weihet, und fürder nicht mehr nach Eurem eigenen, sondern nach seinem Sinne lebet. Deßwegen bringet Ihr auch dar das Opfer der Lobpreisung und der Danksagung für seine Wohlthaten, die er Euch erwiesen, vorzüglich, daß er für Euch den bitteren Tod am Kreuze erlitten hat. Doch sollte ich auch nicht weniger aufmerksam aufhorchen auf die Worte des glorreichen und gewissen Bundes, indem Ihr Euch fest auf die Verheißungen Christi verlasset, und überzeugt seid in Christo das ewige Leben und die Vergebung der Sünden zu erlangen unter den unaussprechlichen göttlichen Pfändern. Auch sollt Ihr voraus in geistlicher Weise Abendmahl halten, obgleich ich auch will, daß Ihr die Sacramente empfanget, damit Euer Glaube um so mehr befestiget werde, und Ihr mit dem Haupte und dem Leibe Christi immer inniger vereiniget werdet, und indem Ihr Eines Geistes mit ihm theilhaftigt werdet. Und so kennet Ihr dann ohne Zweifel erquickt, befestiget und erfreut von hinnen gehen, sintemal auch Eure Wege offenbar sind, und Er selbst zu Euch in der Schrift Worte des Friedens und der Liebe und Gnade gesprochen; indem er Euch die höchsten Verheißungen, nämlich Vergebung der Sünden und das ewige Leben gethan. Und damit ihr nicht mehr zweiflet, hat er diese Verheißungen durch bedeutungsvolle Sinnbilder bekräftiget und befestiget. Solches redet er künftig zu uns, wie vor Zeiten, nicht in fremder Sprache, noch durch Gleichnisse, wie zu den vollendeten Juden, noch in Räthseln, wie zu Schwachen und fleischlich Gesinnten, sondern offen und verständlich, wie zu den Engeln und Seligen, indem er sich uns in seiner Herrlichkeit offenbaret. Solches wolle uns Er verleihen, der mit dem Vater und dem heiligen Geiste, Ein Gott, in alle Ewigkeit herrschet. Amen. —

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