Monod, Adolphe - Abschiedsworte - Der häufige Genuss des heiligen Abendmahls.
(Am 28. Oktober 1855.)
Ihr müsst wissen, meine lieben Freunde, dass ich in dem häufigen Gebrauch des heiligen Abendmahles während meiner Krankheit einen großen Genuss finde und auch viel Gewinn daraus zu ziehen hoffe. Es ist ein großes Übel, dass das Abendmahl so selten in unserer Kirche gefeiert wird, ein Übel, dem man auch von allen Seiten abzuhelfen sucht. Unsere Reformatoren haben bei Feststellung dieser Ordnung geflissentlich erklärt, dass sie es nur für eine vorübergehende Zeit so anordneten und um sehr starken Missbräuchen, die sich in die alte Kirche eingeschlichen hatten, vorzubeugen. Aber was sie für eine vorübergehende Zeit angeordnet hatten, ist in unseren meisten Kirchen Jahrhunderte lang stehen geblieben; jetzt endlich nähern wir uns der Zeit, wo uns wieder eine oftmalige Feier des Abendmahls zu Teil werden wird. Calvin sagt an einer Stelle, dass das heilige Abendmahl wenigstens alle Sonntage gefeiert werden sollte; wohlgemerkt: „wenigstens“; wenn alle Sonntage das Wenigste ist, was ist dann das Meiste? Das Meiste ist gemäß der Sitte der ersten Christen nach Calvin (sowie nach den klaren Worten der Apostelgeschichte) ein täglicher Genuss hin und her in den Häusern, im Anschluss an das Familienmahl. Der seltene Genuss des Abendmahls bringt, wie Jeder von Euch gewiss schon bemerkt hat, die Vorstellung von etwas Fremdartigem und Ungewöhnlichem mit sich, welches im Abendmahl selbst sowie in der dazu nötigen Vorbereitung und den darauf folgenden Gemütsbewegungen liegen müsse. So kann der Gedanke Raum finden, dass eben diese Seltenheit des Abendmahlsgenusses zu den meisten Streitigkeiten hierüber Anlass gegeben hat. Im Gegensatz hierzu macht ein häufigerer Genuss des heiligen Abendmahls den wirklichen Charakter dieses Sakramentes viel verständlicher, und ein täglicher Genuss müsste uns denselben vollends ganz klar erfassen lassen. Der tägliche Genuss lehrt uns das Abendmahl auf die allergewöhnlichsten Dinge des christlichen Lebens zu beziehen, wie ja eben die Mahlzeit das Allergewöhnlichste im täglichen Leben ist. Wie dem auch sein mag, wenn wir in der Kommunion den einfachsten Ausdruck unseres Glaubens sehen, so werden wir am meisten Segen davon haben, am meisten Frucht davon ernten, und sie wird unsere Seele nähren mit dem Leib und Blut Jesu Christi.
Unser Glaubensbekenntnis enthält einige so schöne Worte über diesen Gegenstand, dass ich dies zu Euch reden lassen will. Es liegt darin Alles, was ich selbst Euch darüber sagen könnte.
„Wir bekennen, dass uns das heilige Abendmahl ein Zeugnis unserer Gemeinschaft mit Jesu Christo ist, weil er nicht nur einmal für uns gestorben und auferstanden ist, sondern weil er uns auch mit seinem Fleisch und seinem Blut in Wahrheit erquickt und nährt und stärkt, auf dass wir mit ihm eins seien, und sein Leben und gemeinsam. Obgleich er nun im Himmel ist, bis dass er kommen wird, die ganze Welt zu richten, so glauben wir doch, dass er uns durch die geheime und unbegreifliche Kraft seines Geistes mit der Substanz seines Leibes und Blutes nährt und belebt. Wir halten daran fest, dass dies auf geistige Weise geschieht, nicht um an die Stelle des Wirklichen und der Wahrheit Einbildung und Gedanken zu setzen, sondern weil dieses Geheimnis in seiner Erhabenheit das Maß unseres Verstandes und jede natürliche Ordnung übersteigt…. Wir glauben, dass uns Gott sowohl im Abendmahl wie in der Taufe das wirklich und in Wahrheit gibt, was er uns darin vorbildet. Und davon ausgehend, fügen wir zu den sichtbaren Zeichen den wahren Besitz und Genuss dessen hinzu, was uns darin dargeboten ist. Und so empfangen Alle die, welche an den geweihten Tisch des Herrn einen reinen Glauben gleichsam als ein Gefäß mitbringen, in Wahrheit das, was die äußeren Zeichen dabei bedeuten; das heißt: der Leib und das Blut Jesu Christi dienen der Seele ebenso zur Speise und zum Tranke, als das Brot und der Wein dem Leibe …. Das Brot und der Wein, wie sie uns im heiligen Abendmahl gegeben werden, dienen uns wirklich zur geistigen Nahrung, sofern sie uns gleichsam vor die Augen stellen, dass der Leib Jesu Christi unsere Speise sei, und sein Blut unser Trank.“
Ich will dieser wundervollen Stelle nur noch hinzufügen, dass einige lutherische Freunde, denen Herr Pastor Verny eines Tages bei Gelegenheit einer Unterredung über das heilige Abendmahl diese Stelle vorgelesen hatte, ihm sagten: „das ist der genaue Ausdruck unseres Glaubens;“ worauf Herr Pastor Verny antwortete, diese Worte seien dem Glaubensbekenntnisse der reformirten Kirchen entnommen; ein Beweis, dass, wenn man sich, wie in diesem Fall, genau an die Schrift hält, man durch Glauben und Liebe der Streitfragen Herr wird.
Wohlan, meine Freunde, wir legen also durch die eben gefeierte Kommunion das Zeugnis ab, dass der Leib und das Blut des Heilandes in Wahrheit eine Speise und ein Trank sind, und dass das ganze christliche Streben unserer Seelen dies ist, uns Tag und Nacht damit zu nähren und alle unsere Stärke zu suchen in einer wirklichen, tiefen und lebendigen Gemeinschaft mit dem ganzen Jesus Christus. Das Gebet erhält uns in dieser Gemeinschaft mit Jesu Christo, der uns fähig machen wird, das zu vollbringen, was er vollbracht hat, und zu sein, was er gewesen ist; aber es muss sein das Gebet des Glaubens, anhaltend, brünstig ein Gebet, das keine abschlägige Antwort annimmt, das alles genießen will, was der Vater uns in seinem Worte verheißen hat, und das nie verstummt; ein Gebet, welches beständig auf den Knieen liegt und durch Blut und Tränen hindurch sein Ziel verfolgt, bis es endlich erreicht hat, was es bittet. wie groß wäre nicht unsere Kraft, wie groß wäre nicht unsere Freude, unveränderlich und unabhängig von allen Leiden dieses elenden, vielleicht schon halb zerfleischten und zerstörten Leibes, der aber doch von jetzt an der Tempel des heiligen Geistes ist und der morgen in einen herrlichen geistlichen Leib umgewandelt, d. i. wie der Leib Jesu Christi selbst ganz mit dem heiligen Geist erfüllt werden wird - wie groß, sage ich, wäre nicht unsere Freude, wenn wir das Mittel, ich will nicht sagen, hätten, denn wir haben es, sondern wenn wir das Mittel, welches wir haben, gebrauchten, um immer die Schmerzen und Kämpfe des Fleisches zu überwinden, um immer zum Herzen unseres Vaters, zur Freude unseres Heilandes und zur Kraft des heiligen Geistes zu gelangen! Denkt, ich beschwöre Euch, über den heiligen Geist nach! Lest und lest immer wieder die Reden Jesu Christi, die in den letzten Kapiteln des heiligen Johannes enthalten sind, lest vom 8. Kapitel des Römerbriefes bis zum Schluss! Da werdet Ihr erfahren, welch eine Macht der Stärke und des Trostes wir haben an dem heiligen Geist, der nichts weniger ist als Gott selbst, ja, mein Gott, als du selbst der in dem Leib deines armen Kindes Wohnung machen will, des sündigen, elenden, welches durch Leiden und Sünde zu Grunde gerichtet, aber aus Gnaden gerettet ist, und gewaschen in dem Blut des unbefleckten Lammes! Warum sollten wir, wenn wir solche Verheißungen haben, auf halbem Weg stehen bleiben? Warum sollten wir über Hunger und Durst klagen, wenn wir vor uns eine überreichlich besetzte Tafel haben, nach der wir nur die Hand des Glaubens zu strecken brauchen, um uns zu nähren, uns vollauf zu sättigen und die Fülle des Lebens zu haben? O wenn diese kleine Hand voll Christen, die hier sind, sich entschließen könnte, vollkommen glücklich zu sein, „im Gebet“ zu beten wie Elias; wenn sie sich entschließen könnte, ihre natürliche Feigheit, ihre geistige Trägheit, ihren Unglauben zu besiegen, was vermöchten wir nicht, wenn wir in die Welt hinausgingen wie die zwölf Apostel? Ganz Paris würden wir erregen, alle unsere Brüder und Schwestern würden wir mit uns fortreißen, entzückt würden sie sein, das Evangelium in unserem Leben verwirklicht zu sehen! Mein Gott, das ist gerade unser tiefstes Elend, solche Verheißungen zu haben und so wenig zu tun! Komm und hilf uns! mache dass diese kleine Abendmahlsfeier im Kämmerlein für Alle, die daran Teil genommen oder ihr beigewohnt haben, das Samenkorn eines neuen Christenlebens sei für Leben und Tod, damit wir ihm so ähnlich werden, dass wir leben, wie er gelebt hat, und dass wir, wie er gesagt: „Wer mich gesehen hat, der hat meinen Vater gesehen,“ selbst auch sagen können: Wer mich gesehen hat, der hat meinen Meister gesehen! Breite deinen Segen aus über diese Freunde, welche gekommen sind, um mich zu trösten in meiner Trübsal, meiner seligen Trübsal….