Marheineke, Philipp - Christus ein Fall und Aufstehen Vieler in dem verflossenen Jahr.

Marheineke, Philipp - Christus ein Fall und Aufstehen Vieler in dem verflossenen Jahr.

Am Sonntage nach Weihnachten 1812 vor der St. Petri-Gemeinde im Dom vorgetragen

Im Namen des dreieinigen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen.

Eine mit Christus erst der Welt im vollen Glanze aufgegangene und durch ihn geoffenbarte Lehre ist die von einem jüngsten Gericht am Ende der Welt und aller Tage, meine andächtigen Zuhörer. Nach einem ganz anderen, unendlich höheren Maßstabe mußte das menschliche Geschlecht sich selbst beurtheilen und von Gott richten lassen, seitdem der Sohn Gottes selbst als Mensch erschienen und als der künftige Richter der Lebendigen und Todten aufgetreten war. Denn in ein helleres, heiligeres Licht war von ihm alles Leben und Wirken der Menschen gestellet; Aufschlüsse, die sie vorher kaum geahndet, hatte er ihnen mitgetheilt über ihr geheimnißvolles, ewiges Verhältniß zu ihm und seinen himmlischen Vater; Pflichten hatte et ihnen angelegt, die sie vorher entweder gar nicht gekannt oder deren Vernachlässigung sich nun wenigstens nicht länger mehr mit der Unwissenheit entschuldigen ließ. Neue und höhere Ansprüche an das menschliche Geschlecht, größere Verpflichtungen und Schuldigkeiten entstanden also zugleich mit der neuen Welt, die mit Christo entstanden war: mit ihm erst begann das Weltgericht im höchsten Sinn und er wird das jüngste und letzte halten, welches eben darum so heißt, weil ihm schon mehr als eins vorher gegangen ist.

Und können wir, die wir in Christo aufgewachsen sind, das sichtbare Walten dieses ewigen Weltgerichts verkennen, welches der Herr schon hier auf Erden ununterbrochen hält über Alle, die sich nach seinem Namen nennen; können wir es an uns selbst, an der uns zunächst umgebenden Welt, an ganzen Familien, Völkern und Staaten übersehen, welche täglich das erhabene Schauspiel vor unsern Augen erneuern, wovon wir jetzt selbst eins der entsetzlichsten erleben, wovon wir die lebendigen Spuren und Folgen in tausend Jammergestalten erblicken? Nicht unbesonnen, nicht ungeduldig also lasset uns jetzt, stehend an der Schwelle eins der wichtigsten Jahre in der Weltgeschichte, in das neue eilen, ohne die Vergangenheit des bald vollbrachten noch einmal mit ernstem Sinne zu überschauen; nicht gedankenlos und müßig lasset uns stehen an einem Ziele, das uns von selbst auffordert zum Abschluß unsrer Lebensrechnung für das verflossene Jahr; demüthig, reuig, aber auch freudig und getrost lasset uns hintreten vor den Richterstuhl des Erlösers und unser Urtheil aus seinem Munde vernehmen. Dies Vorhaben segne Gott, wie wir ihn noch besonders darum anrufen in dem Gebete des Herrn.

Evang. am Sonntage nach Weihnachten.

Luc. 2, 33 -40.
Und sein Vater und Mutter wunderten sich des, das von ihm geredet ward. Und Simeon segnete sie und sprach zu Maria, seiner Mutter: siehe, dieser wird gesetzt zu einem Fall und Auferstehen Vieler in Israel und zu einem Zeichen, dem wir versprochen wird. Und es wird ein Schwerdt durch deine Seele dringen, auf daß vieler Herzen Gedanken offenbar werden. Und es war eine Prophetin Hanna, eine Tochter Phanuel, vom Geschlechte Aser, die war wohl betaget und hatte gelebet sieben Jahre mit ihrem Manne nach ihrer Jungfrauschaft. Und war nun eine Witwe bei vier und achtzig Jahren, die kam nimmer vom Tempel, dienete Gott mit Fasten und Beten Tag und Nacht. Dieselbige trat auch hinzu zu derselbigen Stunde und preisete den Herrn, und redete von ihm zu allen, die auf die Erlösung zu Jerusalem warteten. Und da sie es alles vollendet hatte nach dem Gesetz des Herrn, kehrte sie wieder in Galiläam zu ihrer Stadt Nazareth. Aber das Kind wuchs und ward stark im Geist, voller Weisheit und Gottes Gnade war bei ihm.

Zu einem Zeichen, dem widersprochen wird, werde Christus dienen, sagt der fromme Simeon; ein wundervolles, bedeutsames Zeichen lasse Gott der Welt mit diesem neugebornen Kinde aufgehen, entscheidend über ihre Seligkeit und Unseligkeit werde der Menschen Verhalten gegen diesen ihren Erlöser seyn. Vieler Herzen Gedanken, sagt er weiter, die verborgensten Gesinnungen würden an Christus sich verrathen und offenbar werden, gleichsam ein beständiges Weltgericht werde die Erscheinung Christi auf Erden seyn, ein Stein des Anstoßes für Viele, den sie nicht berühren können, ohne zu fallen, ein Fels für Andre, den sie gefallen selbst umklammern, um sich an demselben aufzurichten. Dieser ist gesetzt zu einem Fall und Auferstehen Vieler in Israel. Dem tiefen Sinne dieser Worte nachdenkend lasset uns also jetzt die ernsthafte Frage aufwerfen: hat Christus uns zum Falle gedient oder zum Auferstehen in dem verflossenen Jahr? .

Von selbst zerfällt unsre Betrachtung in zwei theile, in deren ersten wir zu bedenken haben, in wiefern uns Christus ein Fall gewesen, in deren andern wir fragen werden: in wiefern uns derselbe zum Auferstehen gedient habe.

I.

Ein Fall, ein tiefer, beklagenswerther Fall war uns der Herr zuerst, wenn wir uns bewußt sind, ihn vernachlässiget zu haben.

Wenn wir es überlegen, meine Freunde, wie sich Christus von jeher gegen uns bewiesen, wie er uns auch in dem verflossenen Jahr auf die mannigfaltigste Art zu sich zu ziehen suchte, wie er von Jugend auf uns sein Heil und seine Liebe und seine Erlösung angeboten, ja sich uns aufgenöthigt und aufgedrungen, wie groß, wie schwer wird dann unsre Schuld, wenn wir uns vorwerfen müssen, ihn vernachlässiget, seiner Stimme kein Gehör gegeben, seine Liebe mit Kälte erwidert, seine Dienste von uns gestoßen zu haben? Noch als wir unmündig und hülfsbedürftig waren im höchsten Grad, unfähig, auch nur zu ihm zu beten, war es seine Liebe, die durch Erlösete uns schon erlösete, die durch die Taufe uns in den großen Christenbund aufnahm und uns eben damit Anspruch auf alle Hülfe und Unterstützung gab; seine Liebe, die uns verpflanzte, wie ein zart Gewächs, in diese reine Luft des Himmels, in diesen fruchtbaren Boden seines Reichs, aus welchem wir allein Kraft und Nahrung ziehen konnten, um zu unsrer Bestimmung hinzureisen. Und o! wer kann sie zählen, alle die Erinnerungen an ihn, woran er es uns seitdem niemals fehlen ließ, alle die Ermahnungen, ihm zu folgen, die er an uns ergehen ließ und die wir selbst einst feierlich gelobten, nie zu vergessen, alle die Beweise seiner Liebe, von denen unser ganzes Leben nur eine lange Kette ist? O! meine Freunde, ist es uns auch in dem verflossenen Jahr so klar geworden und immer so gegenwärtig geblieben, als es senn sollte, wie wir nichts sind ohne ihn und Alles allein durch ihn; haben wir es gefühlt, wie arm, wie öde, wie traurig das Leben ist ohne ihn, haben wir es eingesehn, wie wir so ganz vergeblich und nie ungestraft und nie ohne tief zu fallen, in irgend etwas außer ihm, in etwas Irdischen unsre Erlösung sehen konnten und wie wir so ganz ohne Entschuldigung sind, wenn wir seine Wohlthaten mit Undank, seine Liebe mit Gleichgültigkeit aufnahmen! O! ihr, denen Christus ein Fall war in dieser Art, so lasset euch denn nun auch beschämen von dem frommen Greis, den ihr in unserm Text erblicket, so lasset nun auch die fromme Witwe in unserm Text euch richten und zu euch reden, wie sie redete zu Allen, die auf die Erlösung warteten. Sehnsuchtsvoll und immer das fromme Auge auf jene Gegend hingerichtet, aus der der Erlöser kommen sollte, war das Leben Simeons fast schon ganz abgeflossen, harrend auf den Trost Israels kannte er in seinen alten Tagen kein größer Glück, als den Erlöser noch von Angesicht zu Angesicht zu schauen. O! ihr Jünglinge, Männer und Greise in dieser Versammlung, die ihr in Christo geboren und aufgewachsen seyd, sehet die heilige Freude eines Greises, dem erst in seinen letzten Tagen beschieden war, sich in Christo selig zu fühlen. Auf seine heißen Gebete war ihm die Antwort geworden von dem heiligen Geiste, er solle den Tod nicht sehen, er habe denn zuvor Christum gesehen: und nun fraget euch, wie es mit euch bestellet ist, ob ihr euch auch so gesehnt nach ihm, ob ihr nur wahres, seliges Leben auch so, wie er, in Christo gefunden oder ob ihr statt dessen nur überall den Tod gesehen und an euch selber erlebt, mitten im Leben gestorben send und todt gewesen, weil Christo abgestorben? Aus Anregen des Geistes war er in den Tempel gekommen, wo Christus war und wo wir ihn finden nach unserm Text, wie er die Mutter Jesu segnet: und nun fraget euch, ob ihr ihn auch so aufgesucht habt im Tempel und Alle gesegnet, die mit ihm in Verbindung standen, oder ob ihr die träge Ruhe, die vornehme Bequemlichkeit zu Hause dem Besuche Christi im Tempel vorgezogen? Dort nahm er ihn auf die Arme, lobete Gott und sprach: Herr, nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast, denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen: O! wenn ihr euch bewußt seyd, sein Entzücken nicht getheilt zu haben, wo ihr den Heiland sahet, so lasset nun wenigstens seine Worte entscheidend euch auf die Seele fallen: Dieser ist gesetzt zu einem Falle und Auferstehen Vieler in Israel. Und ihr Frauen in dieser Versammlung, vor euch tritt die fromme Prophetin unsers Textes als Muster hin, sie die da nimmer vom Tempel kam, Gott dienend mit Fasten und Beten Tag und Nacht: O! sehet, wie ehret sie euer Geschlecht, indem sie den Heiland ehrt, wie danket sie ihm schon in ihrem prophetischen Geiste im Voraus für alle die Wohlthaten, die er euch und eurem ganzen Geschlecht erzeigen würde, wie vergrößert sie aber auch durch ihre Frömmigkeit eure Schuld, wenn ihr es jemals an ähnlicher Liebe fehlen ließet und, durch Vernachlässigung des Herrn, der Welt und euren Kindern das entgegengesetzte Beispiel gabt.

Ein Fall, ein tiefer, trauriger Fall war uns der Herr in dem vergangenen Jahr, wenn wir zweitens uns jemals an ihm ärgerten, ihn jemals verleugneten.

Eine der schwersten Versuchungen, in der wir jederzeit so Viele fallen sehen, ist die Wahl, die uns in manchen Lagen des Lebens gelassen ist, zwischen Menschenfurcht und Gottesfurcht. In solchen Augenblicken zeigt es sich, ob wir fest gewurzelt find in dem Boden des Reiches Christi, oder nur als flüchtige Spreu zu betrachten sind, da entscheidet sich gründlich und auf immer unser Verhältniß zur Welt und zu Christo; da werden, wie Simeon sagt, die Gedanken des Herzens offenbar. O! ein schönes Bild der edelsten Standhaftigkeit, Freimüthigkeit und Liebe zu dem Erlöser stellet er selbst uns dar, der würdige Greis, wie nicht weniger die fromme Witwe in unserm Text. Obgleich es schon damals gefährlich werden wollte, sich laut und unverhohlen für den einzigen Heiland der Welt, für den ewigen König und Herrn zu erklären, denn die Nachricht davon hatte bereits die Aufmerksamkeit des argwöhnischen Herodes auf sich gezogen: dennoch ist ihm die fröhliche Botschaft von Christo eine Kraft, selig zu machen und weit entfernt davon, sich derselben zu schämen oder mit derselben sich zu scheuen vor irgend Jemand auf Erden, spricht er laut im Tempel sein Entzücken aus über das der Welt gekommene Heil und seinen Segen über die, die ihm zunächst angehören und eben so laut stimmt die Prophetin Hanna in seine Wonne ein. O! diesen würdigen Personen gegenüber wie unwürdig, wie unedel, wie unverzeihlich müssen wir nicht die entgegengesetzte Gesinnung, wie tief gefallen und gesunken an dem Erlöser diejenigen finden, welche in dieser unserer Zeit sich so schmählich beherrschen lassen in ihrem Glauben und Lehren durch einen weit ärgern Tyrannen, als Herodes war, ich meine den Zeitgeist, den sie sich selbst seit dreißig Jahren und länger als einen Götzen aufgerichtet haben, vor dem sie knieen und beten, dem sie in ihren Schriften und Reden fröhnen und huldigen, und dem sie Christum, obwohl nicht ohne kluge Verschleierung täglich zum Opfer bringen; wie unwürdig, wie unedel die besorgliche Denkart, die eine Meinung von Christo äußern kann, ohne sich rechts und links umzusehen, ohne zu horchen, wie Andere von ihm denken, ohne zu fragen, was eben jetzt gelte in dieser Zeit und mit welcher Meinung von ihm man sich am sichersten in Ehren erhalten könne bei dieser Welt; wie unwürdig, wie unedel selbst die Gesinnung derer, denen zwar tief im Herzen noch etwas spricht für den Erlöser, die aber scheu, verlegen, ängstlich sich verbergend es meiden, öffentlich gesehen zu werden und äußerlich Kunde zu geben von demjenigen, was sie doch innerlich noch so warm und lebendig bewegt. O! diese sollen wissen, daß sie auf schlüpfrigen Wegen wandeln, daß sie in großen und augenscheinlichen Gefahren schweben, ihren Herrn und Meister zu verrathen und zu verläugnen aus einer falschen und unzeitigen Scham, ja daß solche Scheu und Zurückgezogenheit vor allem öffentlichen Bekenntniß nicht sehr verschieden ist von einer wahren Verläugnung des Herrn. Wer mich bekennet vor den Menschen, spricht der Erlöser, den will ich bekennen vor meinem himmlischen Vater; wer mich aber verläugnet vor den Menschen, den will ich auch verläugnen vor meinem himmlischen Vater. Und kann es fehlen, daß ein Leben, von solchen zweideutigen Gesinnungen getragen, in dem ersten Sturm der Leidenschaften, in der ersten Stunde einer heftigen Versuchung sinkt und immer tiefer sinkt in Sünde und Verderben? O! sehet nur, wie matt das Licht ihres Glaubens an den Erlöser brennt und so allmählig ausgeht, sobald der alte Erbfeind des Guten sich bemühet, sie zu gewinnen und zu umstricken mit dem Netz der Sünde; sehet, wie er ihnen jede Missethat so reihend, so verführerisch darstellt, um sie zu berücken, wie sie schon wanken und beben entzündet von der Glut der Leidenschaft, berauscht vom süßen Gift der Sinnenlust, getauscht durch das betrügerische Spiel der Sinne, hingerissen von den Reizen eines augenblicklichen Genusses und hinsinkend zuletzt in das entschiedene Laster ohne allen weiteren Widerstand. Und dann nicht zufrieden, sie nur einmal und so weit zum Fall gebracht zu haben, treibt noch viel weiter und immer von neuem beginnend der böse Geist mit ihnen sein leichtes Spiel. Immer unklarer, verworrener wird vor ihrem Blick das heilige Gesetz und der Wille des Erlösers, immer fremder wird ihnen die heilige Gestalt Christi, immer mehr verwischt jeder ernste Zug seines göttlichen Angesichts, immer geringfügiger und unbedeutender die Sünde, immer leichter entschuldigt das Lasier und immer mehr und mehr zur Natur und Gewohnheit. Dann sind sie da, wo der böse Feind sie haben will, daß ihnen nun auch die Nähe Christi beschwerlich, jede Erinnerung an ihn verdrießlich, jede Wohlthat, die sie aus seiner Hand genießen, lästig und selbst der Gedanke an ihn mit einer bitteren Empfindung gemischt und zuletzt ganz aus ihrer Seele vertilgt wird. Ach! wenn ihr genau zusehet, verloren, gefallen müßt ihr sie schon finden, sobald sie anfingen, Freundschaft und Frieden zu stiften zwischen Wort und dem Teufel, zwischen Christus und Belial, sobald sie anfingen, zu dingen und zu markten und zu klügeln über die Grenzen des Reichs Christi und der Welt, zu glauben, nur hierhin und dahin gehöre Christus nicht, unzeitig sey es hier und am unrechten Orte dort, sich durch seine Gegenwart stören zu lassen, aufzusparen sey die fromme Gesinnung auf eine andere, gelegenere Zeit und das Lasier zu schmücken mit einem gelinderen und edleren Namen. Schnell und unaufhaltsam eilten sie von diesem Augenblick ihrem sichern Verderben entgegen, immer weiter wurden sie entfremdet Christo und dem Leben, das aus Gott ist, bis sie dann anlangten an jenem schauderhaften Abgrunde, wo ihnen selbst der Name Christi ein Aergerniß ward und ein Dolch ins Herz, wo sie sein heiliges Angesicht nicht mehr schauen konnten, ohne zu vergehen und nicht ertragen den verzehrenden Blick seines himmlischen Auges, ohne zusammen zu sinken in ihrer Nichtigkeit.

Ein Fall, ein tiefer, unglückseliger Fall war uns der Herr in dem vergangenen Jahr, wenn wir drittens ihm geradezu ins Angesicht widersprachen.

Wohl zu beklagen, aber noch nicht verloren, wohl gefallen, aber noch nicht erstorben sind alle jene, welche den Herrn vernachlässigt und verläugnet hatten: die heilige Scheu vor ihm war ihnen in der Tiefe der Seele noch sitzen geblieben und an ihr können sie, so Gott will, noch die Rückkehr finden zur ewigen Wahrheit und Seligkeit. Aber ach! weit größere, traurigere, schrecklichere Verbrechen gibt es gegen den Erlöser, welche, soweit ein menschlich Auge reicht, sich durch nichts mehr vertilgen lassen: eine Sünde gibt es gegen den Geist Christi, und eine Lasierung desselben, welche dem, der sie begeht, nicht kann vergeben werden, weder in dieser, noch jener Welt. Ach! daß ich euch, um sie euch zu bezeichnen, nur nicht erinnern dürfte an das, was wir noch alle miterlebt, was wir zum Theil mit unsern Augen gesehen, wovon wir Alle naher oder entfernter Zeuge gewesen sind. Gab es nicht, gibt es nicht noch Gottvergessene, die sich nicht scheuen, die eine Ehre darin sehen und eine rechte-Heldenthat, wenn sie es öffentlich vor der Welt bekennen, wie wenig sie sich aus Christo machen, wie wenig sie sein bedürfen, wie sich auch ohne ihn zwar heidnisch, aber doch sittlich leben lasse; Thörichte, die da sagen, er sey nicht, was er vorgebe zu seyn, und sey es nicht anders als sie es auch könnten seyn, wenn sie nur wollten; Frevler, die nicht allein mit Worten und Lehren, sondern auch in der That und im Leben alle Grundpfeiler der Ordnung, der Sittlichkeit und des gemeinen Wesens untergraben und umstoßen, und planmäßig arbeiten an dem Verfalle aller öffentlichen und häuslichen Zucht; Mächtige der Erde, die es laut erklären, keiner sey mächtiger, denn sie, Gott selbst müsse sich mit dem Himmel begnügen, ihnen allein stehe der Erdkreis zu Gebot; Unsinnige, die da sagen, nichts sey wahr, als die Unwahrheit und die Falschheit, nichts sey sittlich und rein, als die Unsittlichkeit und Unreinheit, nichts sey göttlich, als das menschliche, kurz die alle Begriffe umkehren und sich selbst vergöttern. O! diesen allen ist Christus erschienen zum sichern Fall und Verderben, zu einem Zeichen, wie Simeon sagt, dem widersprochen wird, zu einem unfehlbaren Strafgericht, zu einem Stein des Anstoßes, an welchem sie mit aller ihrer Weisheit müssen zu Schanden werden und untergehen. Denn o! meine Freunde, wenn es erst so weit gekommen, wenn es erst so aufs äußerste gediehen ist mit dem Frevel der Menschen, wenn man den Greuel der Verwüstung selbst an heiliger Stätte aufgepflanzt, wenn man angefangen, alles Heilige ohne Scham mit Füßen zu treten, wenn menschlicher Scharfsinn, menschliche Kunst und Wissenschaft, so gar die von dem Heiligen selbst, sich in den Dienst eines unheiligen, gottlosen Geistes begeben, wenn man anfangt, frech und rücksichtslos mit bloßer roher Gewalt den Himmel zu stürmen und zu versuchen, ob man Gott selbst nicht und Christum vom Thron stürzen könne, dürfet ihr, denen bei diesem Anblick, wie Simeon sagt, ein Schwerdt durch die Seele geht, euch dann noch wundern, wenn die Zukunft des Herrn nicht fern mehr ist, wenn Christus wieder lebendig, groß und gewaltig hervortritt, wie er zu seiner Zeit auch erschien mitten im Frevel und Glanz einer heidnischen römischen Weltherrschaft, wenn er wieder anfängt, Zeichen und Wunder zu thun, wenn die Natur, die bei seinem Tode, ihr Angesicht verhüllte vor den Greuelthaten der Menschen, wenn dieselbe Natur mit ihren Elementen sich regt, die Frevler zu stürzen von ihrer eingebildeten Höhe, wenn der Herr sie durch Feuer oder Wasser, durch Hitze oder Frost zu Tausenden vertilgt von einer Erde, der sie nicht werth sind, weil sie, was heilig ist auf ihr, geschmäht und geschändet haben? O! lasset sie laut in, eure Seele dringen, die Stimme des ewigen Weltgerichts, das in drohender, furchtbarer Gestalt sich zu erheben beginnt; lasset sie uns verstehen, die blutigen Zeichen der Zeit, die am Himmel unserer Tage erscheinen; lasset uns einen Schluß machen von dem Großen und Allgemeinen, was wir erblicken, auf das was sich im Kleinen und Einzelnen jederzeit und unfehlbar wiederholt und ein Exempel nehmen an dem tiefen Fall und dem entsetzlichen Schicksal aller, die da erbittert und ergrimmt in ihrem bösen Geist über Christum, wie die Besessenen im Evangelium, schrieen: Ach Jesu, du Sohn Gottes, was haben wir mit dir zu thun, bist du herkommen uns zu quälen, ehe denn es Zeit ist, und die wie jene Stadtbewohner ihn baten, daß er von ihren Grenzen weichen möchte.

2.

Ein Auferstehen aber war Christus Allen, die an ihm gefallen waren in dem vergangenen Jahr zuerst durch den lebendigen Glauben an seine Nähe und Allgegenwart.

Soll einer, der da gestrauchelt ist und gefallen zur Erde, sich erheben und aufrichten an irgend einem Gegenstande, so muß er vor allem wissen, daß dieser sey und nahe genug, um ihn ergreifen zu können. Soll einer der an Christo gefallen war, sich an ihm wieder erheben, so muß er überzeugt senn, er sey nicht fern von ihm, er sey ihm nahe genug, um ihn ergreifen zu können im Glauben und sich an seiner Hand wieder aufzurichten. Daß er aber sey, der ewige Sohn des ewigen Vaters, daß er uns nahe sey und bleibe, seitdem er einmal für immer sich mit unsrer Menschheit verbunden, daß er ein Richter zwar und eine Strafe sey für alle von ihm Abgefallene, aber auch ein Retter aus jedem Sündenfall - o! meine Freunde, verkündiget das nicht selbst der Fall, den wir, in welcher Art es sey, zu betrauren haben, ist es nicht Er allein, an dem wir gefallen, von dem wir abgefallen waren, kann das Gefühl, wir seyen gesunken, wir seyen gefallen, wir seyen zurückgekommen in unserer Besserung, auch nur entstehen in uns, ohne den Gedanken an den, von dem wir uns getrennt, und entfernt hatten? Ja, das ewige Maaß aller Ordnung und Sittlichkeit, die ewige Richtschnur alles Verhaltens und Lebens, den lebendigen Richter aller Gedanken und Thaten haben wir an Christus in uns; sein Geist allein war es, der uns fallen ließ, wo wir ihn je vernachlässigten, verleugneten oder ihm widersprachen; seine Hand allein war es, die uns dahin gab in unser Verderben, in die eignen Gedanken und die Lüste unseres Herzens, sobald wir nur dachten, was menschlich und nicht, was göttlich ist. O! ein Auferstehen ist uns der nämliche Erlöser, sobald wir nur anfangen, uns ihm zu nähern, ihn zu sehen, ihn zu erkennen und zu ergreifen im lebendigen Glauben, sobald wir nur nicht glauben, daß Gott den Menschen die Macht gegeben, ihn umzubringen so, daß er nicht widerkehre ins Leben: o! mit ihm selbst sind wir auferstanden aus jedem Tode dieses irdischen Lebens, er selber ist die Auferstehung und das Leben. O! so ergreift denn nur die Hand, die er euch darreicht, so lange es noch Zeit ist, raffet eure letzten Kräfte zusammen, ihr Gefallenen alle, öffnet die kranken Augen und sehet ihn, wie er in tausend Zeichen sein Daseyn bekundet, wie er selbst da euch nicht verlassen hatte, da ihr ihn verlassen hattet, wie er die Seinen doch nimmer verlassen und vergessen kann; siehe auf und wandle, ruft er auch euch zu, so richtet denn nun auch eure matten Glieder auf an dem Heiland der Welt, der da ewig uns nahe und gekommen ist, zu suchen, was ohne ihn verloren ist.

Ein Auferstehen ist uns der Herr zweitens durch den lebendigen Glauben an seine Kraft und Stärke.

Wenn Einer, der da gefallen war zur Erde, sich wieder erheben und aufrichten soll an irgend einem Gegenstande, so muß dieser auch stark seyn, Kraft haben und Widerstand leisten können, ja stärker muß er seyn, sonst ist es vergeblich, ihn zu erfassen, sonst ist es thöricht, sich auf ihn zu verlassen: der halb erhobene sinket dann nur getauscht in seiner Hoffnung und desto arger und schmerzlicher auf die Erde zurück. Wenn der an Christo Gefallene sich an ihm wieder erheben und aufrichten soll, so muß er auch die Gewißheit haben, daß er starker und mächtiger, daß er erhabener und gewaltiger sey, als er: sonst ist es besser und rathsamer, weil hinreichend, nur' Menschen zu Hülfe zu rufen, daß sie uns aufhelfen aus unserm Sündenfall, daß sie uns in ihrem Namen die Sünde vergeben und von ihrer Kraft mit? theilen, um alles, was Gott von uns verlangt, zu leisten. Ja, die ihr so auf Andre, die ihr auf euch solch Vertrauen setztet. - o! sehet zu, ob nicht gerade das der Grund aller eurer Leiden und eures Falls war, den ihr doch beweinet, ob nicht der Stolz, der Hochmuth, womit ihr euch selbst und nicht einem Höheren vertrautet, eurem Fall vorhergegangen, ob ihr nicht in eben dem Augenblick sanket, als ihr auf euch allein und auf die Welt vertrautet, ob es nicht von dem Augenblick an, wo ihr von Christo euch losgesagt, euch auch sogleich gebrach an Kraft und Ausdauer zu. allem Guten? O! der Mensch, nicht wissend, woher und wohin, allein und einsam in dieser Welt, selbst unter seines Gleichen, in sich und außer sich nur an sich selbst gewiesen, wie will er sich zurechtfinden in diesem dunklen Leben und seines Weges nicht verfehlen? O! ist es möglich nicht zu straucheln auf dieser rauhen, unwegsamen Bahn, wenn keine höhere, starke, sichre Hand ihm entgegenkommt: ist es möglich, in dieser Finsterniß zum Ziel zu kommen, wenn ihm lein Licht vom Himmel entgegendämmert; ja was soll denn am Ende dies ewige Gewühl um uns her, dies dumpfe Einerlei von Dunkelheit und Verworrenheit bedeuten, wenn wir kein höher Ziel, kein höher Leben, keine höhere Kraft bemerken, an der wir uns aufrichten und zu dem, was ewig ist, erheben können? O! jenes göttliche Licht, das Gott uns in Christo angezündet, muß uns leuchten, sollen wir den rechten Weg zum Leben finden; den Stab des Glaubens an den Erlöser muß der Mensch ergreifen, um durch diese Verwirrungen hindurch zu kommen; berühren muß er den Saum des Kleides Christi, welches seine heilige Gemeinde ist, um aus der Krankheit und dem Tode dieses Lebens gesund und lebendig aufzustehen. Es ist vergeblich, meine Freunde, sich zu tauschen über die Mängel, über die Gebrechlichkeit und Bedürftigkeit unserer Natur, sich zu verbergen die Abhängigkeit, in der wir leben und die sich nur so in Kraft und Stärke für uns verwandelt, wenn wir sie fühlen und anerkennen; es ist vergeblich, sich zu schmeicheln und hinzuhalten mit Kräften, die in sich nichts als Schwachheiten sind, wenn wir sie selbst einem höheren Ursprung entgegensetzen, und die uns nur so doch allein von wahrem Nutzen seyn können, wenn wir es eingestehen, daß Gott sie uns mitgetheilt: alle mitgetheilte Kraft aber ist Gnade. Zu ihr also, der ewigen Gnade, die Gott in Christo uns bereitet hat, lasset uns fliehen, wem wir es ernstlich meinen mit unserm Auferstehen aus dem Sündenfall, den wir beklagen; ihm lasset uns schon den Wunsch und Willen und die Kraft dieses Willens selbst verdanken, wozu wir uns hier am Schlusse dieses Jahres vor Gottes Angesicht vereinigen; ja ihm, dem ewigen Erlöser, sey es allein zugeschrieben, selbst das Gefühl des Falles, das er allein durch seinen Geist in uns aufgeregt und woran wir selbst schon einen Theil und Vorschmack der Erlösung und Begnadigung besitzen, die er so reichlich uns erworben hat. O! davon seyd versichert, meine Freunde, noch Keiner ist gefallen, der, wenn er nur ernstlich erst die Tiefe seines Falles eingesehen, an seiner starken Hand sich nicht erhoben hätte; noch Keiner beklagt in tiefempfundener Wahrheit seine Schwachheit ohne ihn, ohne zugleich durch ihn, und durch die Macht und Gewalt, die der Vater ihm, seinem ewigen Sohn verliehen, gekräftigt und gestärkt zu senn; noch keiner sah sich gesunken in Elend und Verderben nach Hülfe und Rettung um, ohne sich durch ihn getröstet und beseligt zu finden. Ein Auferstehn aus jedem noch so tiefen Fall, ein Trost und Rath in jedem Unglück, ein Fels ist Christus, an welchem nur der Verruchte untergeht, der Christ aber selbst im Sturm und Schiffbruch sich noch halten und vor dem Untergange retten kann.

Ein Auferstehen endlich ist uns der Herr drittens durch den Glauben an seine grenzenlose Liebe.

Wenn es freilich nach strengem Recht mit uns gehen sollte, meine Freunde, wer möchte da bestehen vor dem Gericht und Angesicht des Herrn; wer selbst von denen, die sich keines lauten Widerspruchs gegen ihn, keines Verbrechens, keiner Missethat schuldig wissen, möchte dieses sein Nichtschuldigwissen oder was er sonst noch Gutes an sich auffinden kann, vor dem Richterstuhle des Erlösers aufzeigen und darauf einen Anspruch an seine Liebe gründen? Nein, nicht so wird Liebe überhaupt zugezogen und verdient, gleich muß das Maaß von beiden Seiten seyn, die höchste Liebe kann selbst nur durch die höchste verdient und erworben werden. Frei also und durchaus unverdient ist die unendliche und grenzenlose Liebe, womit der Erlöser uns von Ewigkeit hex geliebt, womit er sich selbst als Mensch zu uns herab gelassen, womit er uns die Fähigkeit erworben, Kinder Gottes zu seyn, und aus dem Nichts zu neuen Menschen geschaffen und aus der Dunkelheit ans Licht geboren zu werden. Denn konnte wohl noch stärker, noch unzweideutiger, die Liebe des Erlösers sich beweisen, als eben dadurch, daß er selbst, der Sohn Gottes, sich umhüllet? mit demjenigen, was bei uns der Grund aller leiden, aller Schwachheit und Sünden ist, mit dem leben in dieser Zeitlichkeit und Sinnenwelt; konnte er noch eine innigere, noch eine nähere Verbindung mit uns suchen und finden, um uns zu retten und zu heiligen, als eben dadurch, daß er selbst das Fleisch, das uns sonst immerdar von ihm trennte, annahm, daß sein Geist sich in unserm Herzen eine Wohnung suchte und das Innerste der Menschheit durchdrang und beseelte; ja konnte noch rührender und beseligender sich seine göttliche Liebe offenbaren, da eben dadurch, daß er, um alle Schuld, die auf uns lastete, zu tilgen, an unsrer Statt der ewigen Gerechtigkeit Genüge leistete; um unser Leben zu retten, das seinige freiwillig opferte und so theuer uns erkaufte: denn wer, o! wer hat größere Liebe noch, als wer sein Leben lässet für seine Brüder! Wohlan denn, meine Freunde, so trete denn nun auch mit dem neuen Jahre ein neues Leben ein und eine neue Liebe, das Leben und das Lieben in Christo Jesu, das einzige, das uns allein doch Heil und Frieden gewähren mag, so gebet denn nun auch Raum in euch dem Geist der Liebe und der Erbarmung, der euch erlösen will und mit dem Ewigen verbinden, so sey uns wenigstens Christus nicht umsonst geboren und in dieser Welt erschienen und unser Herz nicht länger todt für ihn und ohne Liebe für den, der uns zuerst geliebt. O! fest und sicher gegen jeden Sturm siehe nun auf diesem Stande das Gebäude unsers Lebens; schön und herrlich kann nur in diesem Sinne sich unser Leben bilden und entwickeln, nur so sich immer vollkommener, verbinden in die Klarheit des Herrn unser Geist in den Tag des Herrn schauen, nach dem wir uns alle sehnen. Wer aber steht, sehe wohl zu, daß er nicht falle. Amen.

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