MacDuff, John - Bethanien - X. „Der Meister ist da und ruft dich!“
Da sie aber ihre Augen aufhoben, sahen sie niemand, als Jesus allein. (Matth. 17, 8.)
Martha kann nun nicht länger warten, ihrer Schwester die frohe Botschaft mitzuteilen, welche sie zuerst gehört hat. Eilenden Fußes kehrt sie nach Hause zurück mit der Kunde: „Der Meister ist da und ruft dich.“ Maria hört es, sagt in ihrem stillen Kummer kein Wort, steht eilend auf und geht zu ihm. Die Nachbaren haben ihren Weggang bemerkt und glauben, dass sie zum Grabe gehe, dort zu weinen. Sie verstehen es nicht, dass sie den Einen suchte, der allein ihr Herz trösten und froh machen konnte. Nur ihm, dem Herrn des Lebens, konnte sie ihr Herz ausschütten. Auch jetzt noch ist es Jesus allein, der unser Leid ganz versteht, dem auch nicht die zarteste Regung unseres Herzens entgeht, der den schwersten Kummer, den wir vielleicht im Geheimen hegen, mit uns fühlt. „Sein Mitleid ist ein Mitleiden.“ Menschliches Mitleid dagegen ist begrenzt und kommt nicht immer aus des Herzens Tiefe. Darum lässt es uns gar oft unbefriedigt. „Das Verlangen der Elenden hörst du, Herr, und ihr Herz ist gewiss, dass dein Ohr darauf merkt (Ps. 10, 17).“
In Maria sehen wir das getreue Bild eines gebrochenen Herzens. Sie ist dankbar für das menschliche Mitleid, das viele Juden von Bethanien ihr bezeugen; aber über dies alles geht ihr die Nachricht: Der Herr ist gekommen. Glücklich alle, die so von allem menschlichen Trost gern absehen, wenn sie die Botschaft vernehmen: Der Herr ist da.
„Der Meister ist da und ruft dich.“ Er will allen Verlust ersetzen. Es ist das Ziel und die Absicht unseres gnädigen Gottes, bei all seinem Tun, uns, wie Maria, zu Jesu Füßen hin zu leiten. Ja, er ruft dich, du armes, untröstliches Herz, da du glaubtest, mit deinem Leid allein in der weiten Welt zu stehen, er will Öl und Wein in dein verwundetes Herz gießen und dir ein Pfand seiner Liebe in der Heimsuchung geben. Er will seinen Trost in den bitteren Kelch gießen, deine schwere Last will er dir erleichtern und dir die Hoffnung ewigen Lebens schenken. Siehe, welch ein gütiger, barmherziger und gnädiger Meister er ist. Gehe zu ihm hin mit deiner Betrübnis. „Den Abend lang währt das Weinen, aber des Morgens ist Freude.“ (Ps. 30,6.) Wir können uns vorstellen, wie Maria den Weg entlang eilte und die Worte des Psalmisten in ihrem Herzen bewegte: „Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser, so schreiet meine Seele, Gott, zu dir; meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott!“ (Ps. 42,2.3.)