Luther, Martin - Klageschrift der Vögel an Lutherum über seinen Diener Wolfgang Siebergern

Luther, Martin - Klageschrift der Vögel an Lutherum über seinen Diener Wolfgang Siebergern

Unserm günstigen Herrn, Doctori Martino Luthern, Prediger zu Wittenberg

Wir Droßlen, Amseln, Finken,Hänflinge, Stieglitzen, sammt andern frommen, ehrbaren Vögeln, so diesen Herbst über Wittenberg reisen sollen, fügen Euer Liebe zu wissen, wie wir gläublich berichtet werden, daß einer, genannt Wolfgang Sieberger, euer Diener, sich unterstanden habe einen großen, freventlichen Durft und etliche alte verdorbene Netze aus großem Zorn und Haß über uns theuer gekauft, damit einen Finkenheerd anzurichten, und nicht allein unsern lieben Freunden und Finken, sondern auch uns allen die Freiheit, zu fliegen in der Luft und auf Erden Körnlein zu lesen, von Gott uns gegeben, zu wehren vornimmet, darzu uns nach unserm Leib und Leben stellet, so wir doch gegen ihn gar nichts verschuldet, noch solche ernstliche und geschwinde Durft um ihn verdienet. Weil denn das Alles, wie ihr selbst könnt bedenken, uns armen freien Vögeln (so zuvor weder Scheune noch Häuser, noch etwas darinnen haben) eine gefährliche und große Beschwerung, ist an Euch unser demüthige und freundliche Bitte, ihr wollet Euren Diener von solcher Durft weisen, oder wo das nicht sein kann, doch ihn dahin halten, daß er uns des Abends zuvor streue Körner auf den Heerd und morgens vor acht Uhr nicht aufstehe und auf den Heerd gehe; so wollen wir denn unsern Zug über Wittenberg hinnehmen. Wird er das nicht thun, sondern uns also freventlich nach unserm Leben stehen, so wollen wir Gott bitten, daß er ihm steure und er des Tages auf dem Heerde Frösche, Heuschrecken und SChnecken an unser Statt fahe und zu Nacht von mäusen, Flöhen, Läusen, Wanzen überzogen werde, damit er unser vergesse und den freien Flug uns nicht wehre. Warum gebraucht er solchen Zorn und Ernst nicht wider die Sperlinge, Schwalben, Elstern, Dohlen, Raben, Mäse und Ratten?, welche Euch doch viel Leids thun, stehlen und rauben und auch aus den Häusern Korn, Hafer, Malz, Gersten etc. enttragen; welches wir nicht thun, sondern allein das kleine Bröcklein und einzelen verfallenen Körnlein suchen. Wir stellen solch unsere Sache auf rechtmäßige Vernunft, ob uns von ihm nicht mit Unrecht so hart wird nachgestellet. Wir hoffen aber zu Gott, weil unsere Brüder und Freunde so viel in diesem Herbst vor ihm blieben und entflohen sind, wir wollen auch seinen losen faulen Netzen, so wir gestern gesehen, entfliehen. Gegeben in unserm himmlischen Sitz unter den Bäumen, unter unserm gewöhnlichen Siegel und Federn.

Sehet die Vögel unter dem Himmel an, sie säen nicht, sie ärnten nicht, sie sammlen nicht in die Scheuren, und euer himmlischer Vater nähret sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr, denn sie? Matth. 6,26

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