Luger, Friedrich - Der Brief des Jakobus - Sechzehnte Betrachtung.
Woher kommt Streit und Krieg unter euch?
Über Jak. 4,1-6.
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesu Christo! Amen.
Jak. 4, 1-6:
„Woher kommt Streit und Krieg unter euch? Kommt es nicht daher: aus euren Wollüsten, die da streiten in euren Gliedern? Ihr seid begierig, und erlangt's damit nicht; ihr hasst und neidet, und gewinnt damit Nichts; ihr streitet und kriegt; ihr habt nicht, darum dass ihr nicht bittet; ihr bittet und kriegt nicht; darum, dass ihr übel bittet, nämlich dahin, dass ihr es mit euren Wollüsten verzehrt. Ihr Ehebrecher und Ehebrecherinnen! Wisst ihr nicht, dass der Welt Freundschaft Gottes Feindschaft ist? Wer der Welt Freund sein will, der wird Gottes Feind sein. Oder lasst ihr euch dünken, die Schrift sage umsonst: Den Geist, der in euch wohnt, gelüstet wider den Hass? Und gibt reichlich Gnade; sintemal die Schrift sagt: Gott widersteht den Hoffärtigen; aber den Demütigen gibt er Gnade!“
Wie ernst warnend, in dem Herrn Geliebte! lauten doch diese Worte des Knechtes Gottes und des Herrn Jesu Christi! Wem gelten sie denn, und an wen richtet sie Jakobus? Es haben Manche gemeint, er wende sich, wie hernach im Eingange des fünften Kapitels, in jener drohenden Anrede an die Reichen, auch hier an die noch nicht an den Herrn Jesum gläubig gewordenen Glieder seines Volkes; und denkbar ist es auch, dass er im Blick auf sein ganzes im Angesichte des hereinbrechenden göttlichen Gerichts sich im Parteihader zerfleischendes Volk sie Alle, seine Brüder nach dem Fleische, mit diesen warnenden Worten unseres Textes gemeint habe. Aber wahrscheinlicher doch, dass er zunächst an seine gläubigen Volksgenossen sich wendet, die Brüder, welche er im dritten Kapitel ermahnt hatte, sich nicht hoffärtig zu Lehrern aufzuwerfen und einander in Zungensünden zu zerfleischen, und die er dann schließlich an die Sanftmut, die aus der rechten keuschen Weisheit, welche von Oben herabkommt, fließt, und ihr eigen ist, erinnert hatte. Das zerriss ihm das Herz, dass auch unter den Tausenden, welche zu Jerusalem an den Herrn Jesum gläubig geworden waren, die erste Liebe so bald erkaltete, dass auch sie so unmutig und ungeduldig den Druck der römischen Herrschaft ertrugen, und den Tag des Herrn und die Offenbarung seiner Herrlichkeit nicht erwarten konnten, dass auch sie sich in diesen Parteihader ihrer ungläubig gebliebenen Volksgenossen verwickeln ließen, und dass unter ihnen selbst der Kampf um die strengere oder freiere Stellung zum Gesetz, wie um die Person des Herrn sich immer unversöhnlicher entwickelte. In diesen entfesselten Kampf der Parteien ruft er hinein:
Woher kommt Streit und Krieg unter euch?
und weist die irregeleiteten Brüder hin auf den eigentlichen Grund ihres Unfriedens, wie auf den rechten Weg zum Frieden.
So wollen denn auch wir, in dem Herrn Geliebte! bei diesen Worten des Knechtes Gottes und des Herrn Jesu Christi nicht auf die sehen, die von dem Herrn Jesu und seinem Evangelium noch nichts wissen, oder nichts mehr wissen wollen, sondern wollen an den Streit und Krieg denken, in welchem leider die Christen selbst sich noch immer unter einander zerfleischen, und die warnenden Worte des Jakobus uns selbst gesagt sein lassen. Gott des Friedens aber segne die Betrachtung derselben an unseren Herzen, und gebe uns Frieden allenthalben und auf allerlei Weise! Amen.
1.
„Woher kommt Streit und Krieg unter euch?“ Jacobus denkt nicht an Streit und Krieg, wie sie auch unter Christen unvermeidlich sind, Streit und Krieg zum Schutze der höchsten, heiligsten Güter des Lebens, im Kampfe für Recht und Wahrheit, zur Abwehr ungerechter Angriffe und unbilliger Zumutungen; er denkt an Streit und Krieg, wie sie aus dem bittern Neide und Zanke hervorgehen, davon er im dritten Kapitel gesagt hatte: „Wo Neid und Zank ist, da ist Unordnung und eitel böses Ding“. (V. 16.) „Woher“, ist seine Meinung, „kommt solcher Streit und Krieg unter euch?“ Er stellt auch die Frage nicht, als wäre er über die Antwort in Zweifel; er will vielmehr allen Einreden die Türe verschließen, und seine Leser selbst zum Geständnisse des wahren Grundes bewegen. Klagt nicht Andere an; sucht nicht in Anderen den Grund eures Unfriedens! Es mag ja wahr sein, dass Andere es euch durch Streitsucht schwer machen, Frieden mit ihnen zu halten. Aber der Hauptgrund, weshalb kein Friede unter euch ist, liegt nicht in Anderen; den suche ein Jeglicher von euch in sich selbst, in seinem eigenen Herzen! „Woher kommt Streit und Krieg unter euch? Kommt es nicht daher: aus euren Wollüsten, die da streiten in euren Gliedern?“ Da seht den eigentlichen Hauptgrund alles Unfriedens unter euch! Weil in euch kein Friede ist, darum kann auch kein Friede unter euch sein.
Jakobus denkt bei dem Worte: „Wollüste“ nicht ausschließlich, ja nicht einmal zunächst an sinnliche Lüste. Er meint auch sie, Fleischeslust, Augenlust, aber nicht sie allein; er meint auch, ja ganz insonderheit, das hoffärtige Wesen, die auf das Irdische, den Gewinn und Genuss irdischer Güter, die Befriedigung des eigenen Willens gerichteten Triebe, Selbstsucht, Eigenliebe, Hochmut, Eitelkeit, Ehrgeiz, Geiz, Eigennutz, Habsucht, Gewinnsucht. Das sind die Wollüste, die ihm wie ein streitbares Heer erscheinen, welches im Herzen des Menschen seine Lagerstatt aufgeschlagen, und von da aus alle Glieder in Besitz genommen, und sich dienstbar gemacht hat. Wie kann es da ohne Streit und Krieg abgehen? Ist doch da drinnen in dem Heerlager dieser Wollüste, in deinem eigenen Herzen, Streit und Krieg. Da ist der Ehrgeiz; der strebt danach, sich den Ruhm der Wohltätigkeit zu erwerben; er möchte Tausende zu dem Ende hingeben. Aber der Geiz sagt: Nein! dazu, und bindet ihm die Hände. Wie kannst du so leichtsinnig und unsinnig wieder verschleudern, was ich mühsam im Schweiße meines Angesichts arbeitend zusammen gebracht habe? Der Hochmut möchte den Kopf gerne hoch tragen; aber der Eigennutz wehrt es ihm, und sagt: „Das geht nicht; wer die Menschen ausnutzen will, der muss sich vor ihnen bücken!“ Und sie Alle insgesamt, die Wollüste deines Herzens, empören sich in wildem Aufruhr, und streiten wider deine Seele; das Gesetz in deinen Gliedern steht auf wider das Gesetz in deinem Gemüte, und hadert mit ihm: „Was beunruhigst du mich mit deinen Vorwürfen, und hinderst mich in der ungestörten Befriedigung meiner Wollüste?“ Du selber sprichst zu dir: „Hätt' ich nur dies oder das, wie glücklich würde ich sein? Wie ganz anders, als jetzt, könnte ich mein Leben genießen!“ Du stürmst mit entflammter Begierde in das Leben hinaus, nun dieses, nun jenes Gut zu erjagen, und du erfährst es immer wieder: Es ist dafür gesorgt, dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen!“ und musst es inne werden, wie wahr das Wort des Herrn Jesu gesagt ist: „Wer ist unter euch, der seiner Länge eine Elle zusehen möge, ob er gleich darum sorgt?“ (Matth. 6,27.) „Ihr seid begierig, und erlanget es damit nicht“, sagt darum Jakobus. Oder ihr erlangt es, und werdet es nun erst recht inne, dass ihr im Grunde doch nicht damit erlangtet, was ihr zu erlangen gedachtet. Wie die Seifenblase, nach welcher der Knabe, von ihrer schillernden Farbenpracht gelockt, ausjagte, in seiner Hand zerplatzt und zu Schaum wird, wenn er sie ergriffen hat, so werden die Güter dieser Erde, nach deren Herrlichkeit ihr begierig ausjagtet, zu Schaum, wenn ihr, was ihr begehrtet, erlangt habt. Ihr fandet die Befriedigung eurer Wollust nicht in dem Besitz des Gutes, nach welchem ihr ausjagtet, und unruhig, grollend jagt ihr aufs Neue einem anderen Gute nach, um, wenn ihr es erlangtet, abermals inne zu werden, dass ihr in eurer Erwartung euch getäuscht habt.
Da fällt euer Blick auf den Bruder zur Rechten oder zur Linken, welchem es besser, als euch, gelang, oder doch gelungen zu sein scheint. „Warum hat denn er erlangt, was mir versagt blieb?“ spricht da der Neid. Er wächst heran, und wird zum Hass und zur tödlichen Feindschaft wider den Bruder. „Ihr hasst und neidet“, wörtlich: „Ihr mordet und neidet“; auch Jakobus weiß es: Wer seinen Bruder hasst, der ist ein Totschläger“. (1 Joh. 3,15.) Ihr hasst und neidet, und gewinnt damit Nichts“; Nichts, als neuen Unfrieden, in welchem ihr euch selbst verzehrt. Denn „Neid ist Eiter in Beinen“, sagt schon der Weise des alten Bundes. (Spr. 14,30.) Er ist wie ein Knochenfraß, der am Leben des Neiders zehrt. Die Krankheit bricht aus; du kannst den Groll nicht im Herzen verschließen; der Hass, der Neid beflügeln die Zunge; auf das giftige Wort folgt die feindselige Tat. „Ihr streitet und kriegt“, sagt Jakobus. Ihr streitet und kriegt mit gehässigen Beschuldigungen, mit Anklagen vor den Gerichten, oder daheim in euren Häusern; der Bruder streitet wider den Bruder um Mein und Dein, um das Erbe des Vaters, die Parteien kriegen wider einander, und jede ringt mit steigender Verbitterung der Gemüter danach, den Sieg zu gewinnen. Aber: „Ihr streitet und kriegt; ihr habt nicht“. Wie oft, dass, während Zwei mit einander streiten, der Dritte mit der Beute davongeht! Die heiligsten Rücksichten, die edelsten Güter, Recht, Wahrheit, Gerechtigkeit, Zucht, Ehre, Sitte, Religion werden missachtet und mit Füßen getreten. „Ihr streitet und kriegt; ihr habt nicht, darum dass ihr nicht bittet!“ „Darum dass ihr nicht bittet“, sondern bei Menschen sucht, und von Menschen begehrt, was allein in Gottes Hand steht, und nur Er geben kann, und nur denen gibt, die es von ihm erbitten. Denn:
„Mit Sorgen und mit Grämen
Und mit selbsteigner Pein
Lässt Gott sich gar nichts nehmen;
Es muss erbeten sein!“
Indem Jakobus diese Worte schreibt: „Ihr streitet und kriegt; ihr habt nicht, darum dass ihr nicht bittet!“ ist es ihm, als ob seine Leser ihn unterbrächen, und ihm zuriefen: „Du übertreibst, wenn du uns vorwirfst, dass wir nicht bitten! Du weiß es selbst recht gut, wie ernst wir es meinen mit unserem Gottesdienst und Gebet. Wie haben wir mit Gott gerungen, dass er uns gebe nach unserer Bitte, und unserer Not ein Ende mache; aber was hat es geholfen? War es nicht, als ob sein Ohr all unserer Bitte verschlossen bliebe?“ Wie oft, in dem Herrn Geliebte! dass wir solche Antwort aus dem Munde unglücklicher oder mit ihrem Schicksal unzufriedener Brüder hören können! Aber um was und in welcher Absicht betetet ihr? Batet ihr Gott, dass er euer Herz von aller unsauberen Lust reinige, und es mit seinem Frieden stille, und dass nur sein guter, gnädiger Wille geschehe? Oder lag es euch vor Allem daran, dass euer Wille geschehe, und euch das Gut dieser Erde, nach welchem ihr begierig ausjagtet, nicht versagt würde? Wir sollen und dürfen ja um Alles bitten, aber doch nur um Alles, was wir bedürfen, nicht um Alles, was wir begehren. Wie könnt ihr erwarten, dass Gott euch geben werde nach eurer Bitte, wenn ihr ihn zum Handlanger eurer Wollüste machen wollt, um in euren Sünden fortzuleben, das Leben nach der Lust eurer Sinne zu genießen, und für die Befriedigung eures Hochmuts und eurer Eitelkeit und Eigenliebe immer neue Nahrung zu gewinnen? „Ihr bittet und kriegt nicht“; schreibt Jakobus, „darum dass ihr übel bittet, nämlich dahin, dass ihr es mit euren Wollüsten verzehrt!“
2.
„Ihr Ehebrecher und Ehebrecherinnen!“ ruft er in starker Bewegung seines Gemütes aus. Versteht das Wort, meine Lieben! im Sinne des alten Testamentes von denen, welche den Bund der Treue, den Gott mit seinem Volke gemacht hat, treulos im Dienste der Welt, ihres Fleisches, der fremden Götter, gebrochen haben. Ihr Ehebrecher und Ehebrecherinnen! Wisst ihr nicht, dass der Welt Freundschaft Gottes Feindschaft ist? „Wer der Welt Freund sein will, der wird Gottes Feind sein.“ Ihr wisst es freilich wohl, dass Niemand zwei Herren dienen kann, und alle Liebe zu der Welt und der eitlen Ehre der Welt und ihren Gütern und Genüssen gegen die eine, reine Liebe streitet, welche wir Gott schuldig sind. „Oder lasst ihr euch dünken, die Schrift sage umsonst: Den Geist, der in euch wohnt, gelüstet wider den Hass? und gibt reichlich Gnade; sintemal die Schrift sagt: Gott widersteht den Hoffärtigen, aber den Demütigen gibt er Gnade!“
Wir müssen es dahingestellt sein lassen, welche Stelle der heiligen Schrift Jakobus bei diesen Worten: „Den Geist, der in euch wohnt, gelüstet wider den Hass!“ im Sinne gehabt habe; aber das ist gewiss, dass der ganze Inhalt der Schrift diesen Worten entspricht. Und nicht wider den Hass allein und den Neid; nein, wider alle Wollüste unserer Adamsnatur gelüstet den Geist, der uns von oben herab gegeben ist, und der in uns wohnt, mit heiliger Begierde. Gelobt sei Gott, dass wir es wissen, und es immer wieder erfahren dürfen: Nicht nur das Fleisch gelüstet wider den Geist, sondern auch den Geist gelüstet wider das Fleisch! Lasst denn solches Wort der Schrift euch nicht umsonst gesagt sein, sondern gebet Raum dem Geiste Gottes, der in euch wohnt, dass er nach seinem heiligen Gelüste an euch tue, und in euch Macht gewinne wider die Wollüste des Fleisches, welche euch der Liebe Gottes entfremden, und immer wieder in den Dienst der Welt ziehen! Dann werdet ihr es erfahren, dass, wo die Sünde mächtig geworden, die Gnade Gottes noch viel mächtiger geworden ist. „Denn er gibt reichlich Gnade“, in immer größerem und reichlicherem Maße, je mehr eine Seele ihm Raum gibt, und sich vor ihm demütigt, und sich reinigen lässt von aller Hoffart und Eitelkeit und Eigenliebe, von aller Genusssucht und Gewinnsucht, und allen anderen Wollüsten des Fleisches, und nichts will und nichts sucht, als seine Liebe. „Denn Gott widersteht den Hoffärtigen, aber den Demütigen gibt er Gnade“. Jakobus meint hier, wenn er schreibt: „Sintemal die Schrift sagt“, die Stelle aus den Sprichwörtern Salomos im 34. Verse des dritten Kapitels, welche in der griechischen Übersetzung des alten Testamentes wörtlich so lautet, wie er sie anführt, und wie sie auch in dem ersten Briefe des Apostels Petrus Kap. 5,5 angeführt wird.
Da seht denn, in dem Herrn Geliebte! auf welchem Wege es in euch Friede werden mag, und wie ihr den Sieg gewinnt über dies streitbare Heer der Wollüste in euren Herzen, und es dem Frieden Gottes, welcher höher ist, denn alle Vernunft, gelingen kann, eure Herzen und Sinne in Christo Jesu zu bewahren, und euch zu stärken, dass ihr als die Kinder des Friedens wandeln, und, so viel an euch ist, Frieden halten möget mit Jedermann!
Abba, das walte, allmächtiger Gott, lieber himmlischer Vater, Du Gott des Friedens! und gib reichlich Gnade, und lass uns die sieghafte Kraft Deines Geistes im Kampfe wider alle Wollüste des Fleisches erfahren, auf dass es Friede werde in uns, und eine Liebe, Deine Liebe, in unseren Herzen wohne, und uns durch das Band des Friedens unter einander verbinde!
„Du süßer Himmelstau, lass Dich
In unsre Herzen kräftiglich,
Und schenk uns Deine Liebe,
Dass unser Herz in Lieb und Treu
Dem Nächsten stets verbunden sei,
Und sich darinnen übe!
Kein Neid, kein Streit
Dich betrübe;
Fried und Liebe
Müsse walten;
Fried und Freud wirst Du erhalten!“ Amen.