Luger, Friedrich - Der Brief des Jakobus - Vierzehnte Betrachtung.

Luger, Friedrich - Der Brief des Jakobus - Vierzehnte Betrachtung.

Habt Acht auf eure Zunge!

Über Jak. 3,3-12.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesu Christo! Amen.

Jak. 3, 3-12:
„Siehe, die Pferde halten wir in Zäumen, dass sie uns gehorchen, und lenken den ganzen Leib! Siehe, die Schiffe, ob sie wohl so groß sind, und von starken Winden getrieben werden, werden sie doch gelenkt mit einem kleinen Ruder, wo der hin will, der es regiert! Also ist auch die Zunge ein kleines Glied, und richtet große Dinge an. Siehe, ein kleines Feuer, welch einen Wald zündet es an! Und die Zunge ist auch ein Feuer, eine Welt voll Ungerechtigkeit. Also ist die Zunge unter unseren Gliedern, und befleckt den ganzen Leib, und zündet an allen unseren Wandel, wenn sie von der Hölle entzündet ist. Denn alle Natur der Tiere und der Vögel und der Schlangen und der Meerwunder werden gezähmt, und sind gezähmt von der menschlichen Natur. Aber die Zunge kann kein Mensch zähmen, das unruhige Übel, voll tödlichen Giftes. Durch sie loben wir Gott, den Vater, und durch sie fluchen wir den Menschen, nach dem Bilde Gottes gemacht. Aus einem Munde geht Loben und Fluchen. Es soll nicht, liebe Brüder! also sein! Quillt auch ein Brunnen aus einem Loche süß und bitter? Kann auch, liebe Brüder! ein Feigenbaum Öl, oder ein Weinstock Feigen tragen? Also kann auch ein Brunnen nicht salzig und süß Wasser geben.“

In dem Herrn Geliebte! Indem Jakobus von der Macht der Zunge und den verheerenden Wirkungen ihres Missbrauchs redet, stürzen seine Worte wie ein Waldbach daher, und überstürzen sich, indem ein Bild das andere verdrängt, so dass es schwer wird, die Gedanken seiner Rede zu gliedern, und nach ihren einzelnen Teilen zu sondern und zu ordnen. Doch sind es insonderheit drei Stücke, auf welche es ihm in dieser seiner Warnung vor Zungensünden ankommt.

Denn:

Habt Acht auf eure Zunge!

  1. Sie richtet große Dinge an; aber ihr Missbrauch darum auch großes Verderben.
  2. Der Mensch, welcher die ganze Natur bezähmt, vermag seine Zunge nicht zu bezähmen, und
  3. Durch sie loben wir Gott, den Vater, und durch sie fluchen wir dem Menschen, der nach seinem Bilde gemacht ist.

Seht da den Gegenstand unserer heutigen Betrachtung! Gott der Gnade walte über derselben mit seinem Geiste und mit seinem Segen! Amen.

1.

„Siehe, die Pferde halten wir in Zäumen, dass sie gehorchen, und lenken den ganzen Leib! Siehe, die Schiffe, ob sie wohl groß sind, und von starken Winden getrieben werden, werden sie doch gelenkt mit einem kleinen Ruder, wo der hinwill, der es regiert!“ Jakobus beginnt hier mit zwei Vergleichungen, welche sich an die Worte des zweiten Verses anschließen, und dieselben erläutern sollen: Wer auch in keinem Worte fehlt, der ist ein vollkommener Mann, und „kann auch den ganzen Leib im Zaume halten“. Blick um dich her, meint er, hinaus in die Welt, in das Leben! Sieh das Pferd, wie es mit seinem stolzen Wuchse den Reiter an Größe überragt, und doch lenkt er es, wenn er ihm den Zügel in den Mund gelegt hat, in allen Bewegungen nach seinem Willen! Sieh das Schiff, wie es die Wogen des Meers durchschneidet! Die Winde stürmen; die Wellen gehen hoch, und brausen mit Macht; aber mächtiger, als Wind und Meer, ist die Hand des Steuermanns, welcher mit dem kleinen Steuerruder die gewaltige Masse des Schiffes nach seinem Willen durch die Wogen hindurchlenkt. So kann der Mensch, welcher seiner Zunge Herr ist, sich selbst, alle seine Handlungen und Werke, beherrschen. Das ist der Gedanke, zu dessen Erläuterung Jakobus die beiden Vergleichungen gewählt hatte. Aber schon hat er diesen Gedanken verlassen, und eilt fort zu einer anderen Anwendung des Bildes. Der Gedanke an die Kleinheit des Steuers im Vergleich zu der Größe des Schiffs mahnt ihn daran, wie große Wirkungen ein so kleines Glied, wie es die Zunge ist, hervorbringt. „Also ist auch die Zunge ein kleines Glied“, fährt er daher fort, „und richtet große Dinge an.“

Wunderbare Gewalt der Zunge! Willst du es inne werden, was es auf sich habe mit ihrer Bedeutung für den Menschen, so nimm einen Stummen, welchem das Band der Zunge nicht gelöst ist, der seinen Empfindungen und Gedanken keinen Ausdruck im Worte zu geben vermag! Oder sieh das Tier, wie es fragend und forschend zu dir aufblickt; es ist, als ob es dir etwas zu sagen hätte, aber es vermag es nicht. Der Mensch aber vermag es; er kann seinen Gedanken und Empfindungen durch die Sprache Ausdruck geben; er kann durch das Wort eine Brücke vom Herzen zum Herzen bauen. Wie groß ist die Macht des Wortes im Munde des Menschen; des Gebieters, welchem Tausende gehorchen; des Redners, wenn er in geflügelter Rede die Herzen der Zuhörer gewinnt, und nach seinem Willen lenkt! Welchen Gottesfrieden kann ein Wort dem Menschen ins Herz sprechen; aber auch welche Gluth wilder Leidenschaften kann es in ihm entzünden! Wie flog das kühne Glaubenswort unseres Luther in die Welt hinaus, in tausend und aber tausend Herzen wiederklingend, und das Band ihrer Zunge lösend. Da bewährte es sich:

„Der Fürst dieser Welt,
Wie sau'r er sich stellt,
Tut er uns doch nichts;
Das macht: Er ist gericht't;
Ein Wörtlein kann ihn fällen!“

Denn: „Die Zunge ist ein kleines Glied, und richtet doch große Dinge an!“

„Große Dinge“ zum Heil und Segen der Welt, aber wie oft auch großes Verderben! „Siehe, ein kleines Feuer, welch einen Wald zündet es an!“ Wer berechnet die zerstörenden Wirkungen, die ein Feuerfunke hervorbringen kann, welchen die Hand eines unvorsichtigen Knaben, eines Frevlers, in dürres Laub oder trockenes Gestrüpp fallen lässt, wenn er fortglimmt, und, zur Flamme entfacht, den ganzen Wald anzündet, dass keine menschliche Macht der Zerstörung Einhalt zu gebieten vermag, bis die ganze Stätte des Waldes in eine Wüstenei verwandelt ist, und Jahre erfordert werden, um die Spuren der Verwüstung wieder zu vertilgen! „Und die Zunge ist auch ein Feuer, eine Welt voll Ungerechtigkeit.“ Wie oft, dass ein einziges unbedachtes oder frevelhaftes Wort einen Waldbrand entzündete, in Tausenden das verheerende Feuer wilder Leidenschaften entfesselnd! Wie manche zarte Blüte eines hoffnungsvoll sich entwickelnden Lebens hat ein Wort der Verführung mit seinem versengenden Hauche vergiftet! Wie manches Band der Liebe und der Freundschaft ward schon durch ein vorschnelles oder bitteres Wort zerrissen! Wahrlich, es ist eine Welt voll Ungerechtigkeit, die aus dem Missbrauch der Zunge hervorgeht, und sie selbst, die Urheberin dieser Bosheit und Unsauberkeit, ist eine Welt voll Ungerechtigkeit!

„Also ist die Zunge unter unseren Gliedern, und befleckt den ganzen Leib, und zündet an allen unseren Wandel, eigentlich: das ganze Rad unseres Daseins, unserer Lebensbewegung - wenn sie von der Hölle entzündet ist.“ Da weist Jakobus uns hin auf die Quelle und wirkende Kraft alles Missbrauchs der Zunge. Von welchem Feuer ist sie entzündet? Dem himmlischen, welches der Herr am Tage der Pfingsten in feurigen Zungen herniedersandte, oder von dem Feuer der Hölle? Wo die Flammen des Hasses, des Neides, des Zorns, der Rachbegierde, die Zunge des Menschen entzündet haben, wie schnell bewährt es sich, dass nicht, was zum Munde eingeht, sondern, was zum Munde ausgeht, und aus dem Herzen hervorkommt, den Menschen verunreinigt! Wie redet sich der Mensch in eine Welt voll Hass, voll Lüge, voll Bosheit hinein! Die höllischen Mächte ziehen seinen ganzen Leib, alle seine Lebensregungen und Handlungen, in ihren Dienst hinein; es treibt ihn weiter fort von einer Ungerechtigkeit zur anderen; der Achsenbrand hat das ganze Rad seines Daseins ergriffen; in jäher Hast beschleunigen sich die Schwingungen, bis es, von der Flammenglut zerstört, in sich zusammenbricht, und vernichtet ist.

2.

Denn einmal in ihrer verderblichen Gewalt entfesselt, wo ist die menschliche Macht, die der Zerstörung, welche die Zunge anrichtet, Einhalt gebietet? Das führt Jakobus auf das Zweite: „Denn alle Natur der Tiere und der Vögel und der Schlangen und der Meerwunder werden gezähmt, und sind gezähmt von der menschlichen Natur; aber die Zunge kann kein Mensch zähmen, das unruhige Übel, voll tödlichen Giftes“. Der Mensch, welcher die ganze Natur bezähmt, vermag seine Zunge nicht zu bezähmen. Als Gott, der Herr, die Menschen geschaffen hatte, da segnete er sie, und sprach: Seid fruchtbar und mehrt euch, und füllt die Erde, und macht sie euch untertan, und herrscht über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Tier, das auf Erden. kriecht!“ (1 Mos. 1,28.) Seitdem ist der Mensch, auch der gefallene, unablässig bemüht, diesen Beruf, den ihm der Schöpfer gegeben hat, zu erfüllen, und den Segen desselben sich zuzueignen. Mit verständiger Klugheit und unermüdlicher Ausdauer hat er eine widerstrebende Macht der Natur nach der anderen bezwungen; und wenn wir sehen, wie in unseren Tagen eine Entdeckung und Erfindung die andere drängt, wie der Mensch nicht bloß mit dem Zügel das Pferd und mit dem Steuer das Schiff zu lenken weiß, nein, die Elemente des Feuers und des Wassers sich dienstbar gemacht hat, sein Schiff bis zu den fernsten Inseln durch die Meereswogen zu lenken, und mit dem schnaubenden Dampfrosse durch weite Wüstenstrecken und durch die dunklen Schlünde der Berge hindurchzueilen; wenn wir sehen, wie er mit überlegener Kraft des Geistes selbst die Übel zu beseitigen, oder doch zu mildern vermag, wie er Giftstoffe durch Gegengifte unschädlich macht, ja selbst zwingt, ihm als Heilmittel zu dienen, da staunen wir vor der Macht und dem Herrschergeiste des Menschen, und sehen ihn dem Ziele zueilen, welches dem Jakobus in prophetischer Gewissheit vor Augen stand, als er zu seinen Worten: „Denn alle Natur der Tiere und der Vögel und der Schlangen und der Meerwunder werden gezähmt“, noch hinzufügte: „und sind gezähmt von der menschlichen Natur“.

Und nun, o Mensch, du stolzer Beherrscher aller Kreaturen! So mächtig in der Herrschaft über die ganze Natur, und so ohnmächtig in der Herrschaft über dich selbst und deine eigene Natur dass du dies kleine Glied, die Zunge, nicht zu beherrschen vermagst; ein Mann an verständiger Klugheit und erfinderischer Kraft des Geistes, und ein Kind in der Bezähmung deines eigenen Willens, der Herrschaft über den Gebrauch deiner Zunge! Merkest du wohl, dass es hier nicht nur einen Kampf gilt wider Fleisch und Blut deiner eigenen menschlichen Natur, nein, wider die Macht der Hölle und ihres Fürsten, der dies unruhige Übel durch die Kräfte des Abgrunds in Bewegung setzt, und mit dem Gift der Hölle durchgiftet!

3.

„Durch sie loben wir Gott, den Vater, und durch sie fluchen wir den Menschen nach dem Bilde Gottes gemacht; aus einem Munde geht Loben und Fluchen; es soll nicht, liebe Brüder! also sein!“ „Durch sie loben wir Gott, den Vater“; das ist das Größte und Herrlichste an dieser Wundergabe Gottes, dass wir durch sie zu ihm selbst in den Himmel dringen, und was in Lob und Preis, in Dank und Bitte unsere Herzen bewegt, vor ihm aussprechen, ja, die großen Taten seiner erbarmenden Liebe in Christo unseren Brüdern verkündigen können. Heiliger, seliger Beruf des Menschen, des Christen, also Gott loben und preisen, und von ihm zeugen zu dürfen, dem Vater unseres Herrn Jesu Christi, und unserem Vater im Himmel, dem Vater, von welchem er selbst herniedergekommen ist zu den Menschen, der eingeborene Sohn des Vaters, und hat unser Fleisch und Blut an sich genommen, das Wort, welches Fleisch ward und wohnte unter uns, und durch welches der Vater selbst zu uns geredet hat auf 'Erden! Aber um so mehr, was macht ihr, wenn ihr dies Glied, welches euch gegeben ist, um Gott, den Vater, zu loben, missbraucht, um den Menschen nach dem Bilde Gottes gemacht zu fluchen, durch liebloses Gericht den Bruder zu verlegen, oder seine Seele durch unzüchtige Rede zu vergiften? Und doch wie oft, wenn kaum unsere Lobgesänge zum Preise Gottes verstummt sind, dass bittere Worte des Zorns, des Zankes, des Hasses und Haders über die Lippen fließen!

„Es soll nicht, liebe Brüder! also sein!“ Gewiss nicht, da es so ganz wider die Natur ist! „Quillt auch ein Brunnen aus einem Loch süß und bitter? Kann auch, liebe Brüder! ein Feigenbaum Öl, oder ein Weinstock Feigen tragen? Also kann auch ein Brunnen nicht salziges und süßes Wasser geben.“ Trägt in der Natur jeder Baum nur Früchte seiner Art, quillt nur eine Art von Wasser aus einem Brunnen, wie unnatürlich dann, wenn nicht einerlei Rede aus eines Menschen Munde hervorkommt! Und nicht unnatürlich nur, ungöttlich, widergöttlich ist es, wenn Loben und Fluchen aus einem Munde kommt. Oder was meinst du, es sei Gott mit dem Lobe eines Mundes gedient, welcher dem Bruder flucht? „So aber Jemand unter euch sich lässt dünken, er diene Gott, und hält seine Zunge nicht im Zaum, sondern verführt sein Herz, des Gottesdienst ist eitel.“ Es gilt ihm, was der Herr von dem Volk des alten Bundes gesagt hat: „Dies Volk naht sich zu mir mit seinem Munde, und ehrt mich mit seinen Lippen; aber ihr Herz ist ferne von mir!“ (Jes. 29,13. Matth. 15,8.)

„Es soll nicht, liebe Brüder! also sein!“ Wenn es aber dennoch leider also ist, wie es nicht sein soll, o, dann sorgt um so mehr, liebe Brüder! dass ihr eure Zuflucht zu dem nehmt, der es vermag, auch die Zunge, die kein Mensch zu zähmen vermag, zu zähmen! „Bei den Menschen ist es unmöglich; aber bei Gott sind alle Dinge möglich.“ (Matth. 19,26.) Wo er das Herz regiert, da hält er mit der Zunge auch den ganzen Leib des Menschen im Zaum. Wo die Ströme seines Geistes auf die Seele herniederrauschen, da wird sie selbst zu einem Born, aus welchem ein Strom des lebendigen Wassers hervorquillt. Denn wes das Herz voll ist, davon geht der Mund über. Wo der Geist der Wahrheit, der Liebe, der Zucht im Herzen wohnt, da hält er als Türhüter die Wacht, dass über die Lippen kein bitteres Wort, keine faule Rede gehen darf, und der Mensch verlangt nach besserer Unterredung, als sie das Splitterrichten über den Bruder oder das leere Tagesgeschwätz zu bieten vermag. Wir gehen immer wieder in die Schule dessen, der auch in keinem Worte gefehlt hat, und lernen von ihm, unsere Zunge zu hüten, und seine Kraft wird in den Schwachen mächtig, also dass wir mit dem Apostel sprechen dürfen: „Ich vermag Alles durch den, der mich mächtig macht, Christus“. (Phil. 4,13.)

Amen, das walte, o Herr! Also reinige Dir unsere Herzen und Lippen, und entzünde in uns das Feuer Deiner heiligen Liebe, auf dass sie Dir wohlgefallen, die Opfer unseres Dankes und unseres Lobes, welche wir hier mit stammelndem Munde Dir darbringen, bis wir, erlöst von allem Dienst der Sünde und der Ungerechtigkeit, am Throne Deiner Herrlichkeit, Dein priesterliches Volk, samt allen Engeln und Auserwählten mit reinen Herzen und neuen Zungen Dich ewiglich loben dürfen! Amen.

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autoren/l/luger/luger_der_brief_des_jakobus_14._betrachtung.txt · Zuletzt geändert: von aj
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