Lobstein, Friedrich - Die letzten Worte - III. Die Bekehrung.

Lobstein, Friedrich - Die letzten Worte - III. Die Bekehrung.

Amos 4, 11 und 12.

(Auf den Buß- und Bettag.)

Das Amt der Propheten in Israel war ein doppeltes. Sie waren in der Hand Gottes wie Hämmer, um die Gewissen zu zerschlagen durch die Verkündigung der Gerichte über die Widerspenstigen. Sie hatten den Auftrag: „Rufe getrost, schone nicht, erhebe deine Stimme wie eine Posaune und verkündige meinem Volk ihr Übertreten und dem Hause Jakobs ihre Sünde.“ Aber nach solcher Predigt ertönte für die reumütigen Herzen eine andere Sprache, für die welche erkannten, dass „ihre Sünden sie von Gott trennten.“ Da hieß der Herr seine Propheten sprechen: „Tröstet, tröstet mein Volk; redet mit Jerusalem freundlich, und predigt ihr, dass ihre Ritterschaft ein Ende hat.“ Auf die Donner Sinais folgte der „sanfte Wind“ der Gnade, denn „Gott will nicht den Tod des Sünders, sondern dass er sich bekehre und lebe.“ Diesen doppelten Charakter finden wir auch in dem Kapitel des Propheten Amos, das wir vor uns haben. Der Herr hatte das jüdische Volk mit allerlei Plagen heimgesucht, aber diese Heimsuchungen haben ihren Zweck nicht erreicht, der Prophet ruft die Gerichte ins Gedächtnis und fügt mit betrübter Seele hinzu: „noch bekehrtet ihr euch nicht zu mir, spricht der Herr.“ Neue Gerichte werden angekündigt; Israel soll behandelt werden gleich „Sodom und Gomorrha,“ doch ehe Er schlägt, erlässt der Herr an das Volk den Mahnruf: „Weil ich dir also tun will, so schicke dich, Israel, und begegne deinem Gott.“ Noch einmal öffnet der Gott der Liebe seine Arme; er will „dem Übrigen seines Erbes“ die Sünde nachlassen, er will „alle seine Sünden in die Tiefe des Meeres werfen,“ aber nur diesmal kehre sich Israel zu seinem Gott und erkenne „was zu seinem Frieden dient.“ Der Gott, „der die Berge macht, den Wind schafft, und dem Menschen zeigt, was er reden soll,“ spricht mit flehender Stimme; er erschöpft „den Reichtum seiner Güte, Geduld und Langmut,“ um zur Buße zu leiten“ und um „die Gnade mächtiger werden zu lassen, wo die Sünde mächtig war.“

Geliebte Brüder, der Tag, der uns heute hier vereinigt, ist ein Buß- und Bet-Tag. Der Aufruf des Propheten an Israel: „schicke dich und begegne deinem Gott,“ ergeht auch feierlich an uns. Wir müssen Alle einst Gott begegnen, nämlich vor seinem Richterstuhl. Alle Mahnungen Gottes sollen uns auf diese letzte Stunde vorbereiten, und hat die Kirche einen Bet- und Buß- Tag eingesetzt, so geschah es wohl nicht, damit wir nach Pharisäer Art eine bloß äußere Andacht abhielten, sondern damit wir uns, die Hand auf der Brust, fragen: Hab' ich mich endlich wahrhaftig Gott zugewendet? Was Gott von uns in dem Text des heiligen Wortes, den wir betrachten, fordert, ist unsere Bekehrung. ihr Alle, die ihr dieses Wort vernehmt, wie steht es mit eurer Seele in diesem Hauptpunkt? Habt ihr daran gedacht seit demselben Tag vorigen Jahres? Der Schein ist viel häufiger als die Wahrheit, und ich würde nicht überrascht sein, wenn auch in dieser Kirche mehr Scheinbekehrte als wahrhaft Bekehrte sich vorfänden. Da nun unser Text uns die Verpflichtung auflegt, von der Bekehrung zu sprechen, so will ich zuerst von den Scheinbekehrungen reden, auf dass sich niemand selbst täusche. Haben wir den Irrweg beseitigt, so wird das Wahre sich uns leichter darstellen und wir werden die Kennzeichen der wahren Bekehrung hervorheben können. „Es prüfe sich ein Jegliches;“ nicht der Mensch, Gott selbst spricht zu uns. Vier Seelenzustände will ich schildern, welche ebenso viele Schein- und Wahnbekehrungen ausmachen.

Es gibt zuerst eine Klasse von Christen, welche in der Kirche nur nervöse Gemütsbewegungen suchen. Haben sie einige Eindrücke erhalten und sind sie mehr oder weniger auf und angeregt worden, so nennen sie solche flüchtige Regungen den Anfang einer Bekehrung. Allein die Bekehrung ist ein neues Leben; das Leben aber hat etwas Bleibendes, das nicht sogleich verraucht. Bist du nicht erneuert „im Geiste des Gemüts“ und in dem innersten Wesen, so ist der Zweck der Predigt verfehlt. Alle die Bußtage, die dahinten liegen, sind verloren, denn du musst dir sagen: ich bin derselbe geblieben. Derselbe Geist, dasselbe Herz, derselbe Wille; und so stumpft das Gewissen ab und es wird „die Gnade auf Mutwillen gezogen.“ Dies kommt daher, dass du nicht mit dir selbst brechen willst; stelle dich endlich in das rechte Licht und du wirst unter deinen vorübergehenden Anregungen eine verborgene Widerspenstigkeit entdecken, die eine Feindschaft ist gegen Gott, und eine ganze Welt von Ungehorsam.

Ein anderer Zustand, der ebenso trügerisch ist, besteht darin, wenn Menschen, nachdem sie die Welt und ihre Lustbarkeiten genossen, nun allmählich ein geordnetes, häusliches Leben beginnen. Da meint man dann, solche Leute, weil sie der großen Welt und dem Leichtsinn entsagt haben, hätten sich bekehrt. Aber weit gefehlt. Man kann den Festlichkeiten und Gesellschaften Lebwohl gesagt haben, ohne darum Gott um einen Schritt näher gekommen zu sein. Man kann ein ganz eingezogenes Leben führen, den lärmenden Versammlungen den häuslichen Herd vorziehen und die stillen Familiengenüsse den Salonfreuden, ohne darum ein besserer Christ zu sein. Aus solch einer Veränderung ist Gott nichts zugekommen; die Gewohnheiten sind andere geworden, das Leben selbst ist dasselbe geblieben. Die Welt ist nicht in den Abend-Gesellschaften, sie besteht in der irdischen Gesinnung, und so lange nicht die herrschende Neigung nach Oben geht, ist und bleibt man ein Weltkind und eine Bekehrung hat nicht stattgefunden.

Ein dritter Zustand ist derjenige heimgesuchter Menschen, welche sich frommen Gewohnheiten hingeben. Gott drängt sie von allen Seiten und seine Hand lastet schwer auf ihnen; da fangen denn solche Leute, denen sonst keine Zuflucht mehr offen steht, an, Gelübde zu machen. Gott befreie sie aus ihren Ängsten und sie werden sich dankbar erweisen. Sie tun Buße, doch gezwungen dazu; der Teufel wird zum Mönch; aber diese Frömmigkeit ist eigensüchtig und keine Bekehrung. Solche Leute suchen nicht Gott, sondern ihren eigenen Vorteil, ihre Befreiung; gib ihnen ihren Wunsch und „der böse Geist wird zurückkehren und noch sieben Andere“ mit sich bringen. Ich berufe mich hier auf euch selbst. Hast du nicht manch' schlimmen Tag hinter dir, wo du nach Gott geschrien und wo dein Herz erweicht schien? Jede menschliche Hilfe war abgeschnitten und du sagtest zu Gott: „Du bist mein Fels und mein Hort.“ Wohlan! wie steht es heute mit den Folgen solcher Erfahrungen? Ach! der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert; die Heimsuchungen an und für sich bekehren nicht, das siehst du am jüdischen Volk. Nachdem Amos alle Strafgerichte Gottes durchgenommen, fügt er jedes Mal bei: „Noch bekehrtet ihr euch nicht zu mir, sagt der Herr.“ Würde das Unglück an und für sich bekehren, so wären alle Bettler, alle Spitalkranke bekehrte Leute. Eine andere Macht muss eintreten, um das Herz zu erneuern und um dem Wort Wirkung zu verschaffen: „Schicke dich, Israel, und begegne deinem Gott.“

Endlich kommen wir zu der gefährlichsten Art von Scheinbekehrungen, zu denen, die nur im Kopf vorgehen. Es gibt Leute, die Alles glauben, die Alles annehmen, nie gezweifelt haben, nie zu kämpfen hatten, weil eben kein Lebensfunke in ihnen war. Dies ist eine Scheinreligion, welche die „Kraft der Gottseligkeit“ verleugnet. Man merkt einem Menschen bald ab, ob er vom Glauben, von dem er spricht, etwas erfahren hat. Christliche Reden, an denen die Seele keinen Anteil hat, sind wie ein „tönend Erz, wie eine klingende Schelle.“ „Der Gerechte lebt seines Glaubens;“ wo Glaube ist, da sind auch „Ströme des lebendigen Wassers,“ da ist „Geist und Kraft,“ da ist, der Sieg über die Welt“ und über das eigene Ich. Wo dieses nicht ist, da ist die Blindheit eine doppelte und Jesus Christus sagt wieder: „Wärt ihr blind, so hättet ihr keine Sünde; nun aber sagt ihr, wir sehen, und darum bleibt eure Sünde.“

Haben wir von den Scheinbekehrungen gesprochen, so wollen wir nun auch die Kennzeichen der wahren Bekehrung untersuchen. Gott hat viele Mittel, uns zu sich zu bekehren, und unter tausend Bekehrungen gibt es wohl nicht zwei durchaus ähnliche; so gibt es nicht zwei Blätter am Baume, die sich gleich wären; dessen ungeachtet gibt es gewisse Seelenverfassungen, welche wir Alle durchmachen müssen, soll unsere Bekehrung eine göttliche sein. Ich will mich so allgemein als möglich halten und nur drei Kennzeichen andeuten, deren Vereinigung eine hinreichende Bürgschaft dafür bietet, dass die Bekehrung eine wirkliche ist. Was zuerst notwendig ist, das ist ein allgemeines Erwachen des Gewissens. Die Bekehrung ist eine geistige Umwälzung, welche, wenn sie stattfinden soll, die Erschütterung der früheren schlechten Grundlage voraussetzt und die Selbstgerechtigkeit aus ihrem Schlaf rüttelt. Es muss bis in den letzten Winkel deines Wesens das Gefühl des Krankseins bis zur Qual sich steigern, „das zweischneidige Schwert“ muss bis ins „Mark und Bein“ dringen und den ganzen Fluch der Sünde aufdecken. Der Weltmensch hat auch Zeiten, wo er Gewissensbisse empfindet; hat aber für eine Seele die Stunde der Bekehrung geschlagen, da sind es nicht mehr einzelne Gewissensbisse, es ist etwas Umfassendes, Weitgreifendes. Du findest in dir eine Scheidung von Gott, eine heillose Wunde, einen Zustand der Gottentfremdung, aus welchem all' dein Elend stammt. Du siehst ein, dass dein ganzes vergangenes Leben ein verfehltes war, weil deine Grundgesinnung Gott zuwider war; du seufzt nach der Erneuerung des Herzens und des Willens und es wird dir das Wort klar: „Wahrlich, wahrlich, so ihr nicht von neuem geboren werdet, so könnt ihr nicht ins Himmelreich kommen.“

Dieses allgemeine Erwachen geht über in einen zweiten Zustand, der auch ein unfehlbares Zeichen der vorhandenen Bekehrung ist. Ein in solcher Verfassung befindlicher Mensch hat auch ein von der Gnade ergriffenes Herz. Er erfährt die Kraft einer neuen Liebe, welche sich seiner bemächtigt und die Weltliebe und die natürliche „Hoffart des Lebens“ ersetzt. Mitten in dieser innern Umwälzung, welche die Bekehrung beginnt, stellt sich auch etwas von dem „Frieden ein, der höher ist denn alle Vernunft.“ Dies ist die Gnade des Herrn Jesu Christi, welche aus einem Weltkind eine neue Kreatur machen will. Wäre in einer Seele nur die geistige Sünden-Qual, so würde daraus noch nicht die Bekehrung sich gestalten können. Man würde in Traurigkeit, Niedergeschlagenheit, Schwermut, Verzweiflung versinken; aber was vor diesen Folgen bewahrt, ist der Umstand, dass mit dem erwachenden Gewissen auch das Herz gerührt wird. Bei dem verlorenen Sohn stellte sich noch was Anderes ein als das Gefühl des Elends; was ihn zum Vater zurückführte, war das Zutrauen; er ist noch dein Vater: „Schicke dich, ihm zu begegnen“, und du wirst es einsehen. Was das Herz so wunderbar bewegt, ist der Glaube. Wo Bekehrung stattfindet, zeigt sich auch ein neues Element, die Liebe Gottes, die sich in unserm Herrn Jesus Christus kund gibt. Raum tut sich auf für, das „teuer werte Wort, dass Jesus Christus in die Welt gekommen, um die Sünder selig zu machen.“

Dieses Zusammentreffen mit Jesus Christus gibt der Entwicklung in der Bekehrung einen dritten Charakter. Wo die Bekehrung eintritt, da entstehen auch innige Beziehungen mit dem Herrn. Das Weltkind denkt auch an Jesus Christus, wir können selbst annehmen, dass es ihn in seinen Gebeten anruft und manchmal das Gefühl seiner Gegenwart hat: allein bei dem Bekehrten steht es anders.

Nicht ich lebe, sondern Jesus Christus lebt in mir.“ Wir tragen in uns „ein Leben, das bleibend ist,“ denn, wer den Sohn hat, hat das Leben; wer den Sohn nicht hat, hat das Leben nicht. Es macht sich eine unmittelbare Mitteilung zwischen unserer Seele und dem Herrn. Er sagt selbst: „Meine Schafe hören meine Stimme und ich kenne sie und sie folgen mir.“ Der gewöhnliche Mensch sucht in sich selbst seinen geistigen Unterhalt; ist er wohl aufgelegt, so meint er, es gehe gut mit ihm; ist er schlecht aufgelegt, so meint er, es gehe schlecht. Wo die Bekehrung stattgefunden hat, wird der Standpunkt ein anderer. Du siehst nicht mehr auf dich, sondern auf das Werk und die Unwandelbarkeit des Herrn. „Aus seiner Fülle,“ sagt Johannes, „haben wir genommen Gnade um Gnade.“ Du wirst was Besseres haben als deine guten oder schlechten Stimmungen; du wirst den Grund haben, der unbeweglich ist, „einen kostbaren Eckstein,“ denn „einen andern Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, nämlich Jesus Christus.“

Und darin eben besteht das Glück der Bekehrung: man hat ein höchstes Gut, das unabhängig ist von der Welt und dem eigenen Elend. „Weder Hohes noch Tiefes, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Leben noch Tod mag uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christo Jesu ist unserm Herrn. Die Welt vergeht, die Menschen ändern sich, dein Herz täuscht dich, aber es gibt eine „Hoffnung, die nicht zu Schanden werden lässt;“ ein lebendiges Gut, das ewig bleibt: nämlich Jesus Christus, den uns Gott gegeben und „in dem er uns alles Andere gibt.“ Wir sind nicht für eine Mehrzahl von Gütern geschaffen, sondern für ein einziges Gut; die Mehrzahl ermüdet; die Einheit beruhigt; Geist, Seele und Leib finden ihre Einigung nur in dem, der uns geliebt hat. Bekehre dich und du wirst es erfahren; hat uns Gott in diesem Augenblick zusammengeführt, so ist es nur, um uns zuzurufen: „Schicke dich, Israel, und begegne deinem Gott.“ Hinter dir siehst du eine Menge Wohltaten und viel Elend; bedenke, wie dein Leben weiter eilt, wie die Jahre dahin fliehen, und wie dieser Bußtag vielleicht der letzte für Mehrere unter uns ist. Hast du bis jetzt die Stimme Gottes versäumt, so „bedenke doch an diesem Tag, der dir gegeben ist, was zu deinem Frieden dient.“ Nähere dich zu Gott und er wird sich dir nähern; erkenne, wie arm du bist, du gar nichts gewisses hast und wie das gewöhnliche Christentum nur Täuscherei ist. Du kannst was Anderes haben, und zwar unentgeltlich. Bitte um ein erwecktes Gewissen, um ein gerührtes Herz; tritt in Gemeinschaft mit dem Fürsten des Lebens und der Auferstehung. Mache deinen Boden fruchtbar und „säe nicht mehr unter die Dornen.“ So wird „dein Fasten verwandelt werden in Freude und Fröhlichkeit.“ Der schönste Anblick ist eine Seele, welche ihr Elend dahinten lässt, weil sie Gott begegnet ist und in ihm ihr höchstes Gut gefunden hat; sie spricht: „Herr! du hast mich gezogen und ich bin gezogen worden; du bist stärker gewesen denn ich und hast gesiegt.“ Amen.

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autoren/l/lobstein-die_letzten_worte/lobstein-die_letzten_worte_-_3.txt · Zuletzt geändert: von aj
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