Limmer, Otto Eduard - Beichtrede am Reformationsfest über Jer. 3,12

Limmer, Otto Eduard - Beichtrede am Reformationsfest über Jer. 3,12

von P. Limmer, Pfarrer in Conradsdorf.

Kehre wieder, liebe Seele,
Die du dich verloren hast,
Sinke reuig bittend nieder
Vor dem Herrn mit deiner Last.
Wie du bist, so darfst du kommen
Und wirst gnädig angenommen.
Sieh, der Himmel kommt dir entgegen,
Und sein heil'ges Wort verspricht
Dir Vergebung, Heil und Segen,
Kehre wieder, zaudre nicht. - Amen. 1)

Meine Brüder und Schwestern. Wir feiern heute Reformationsfest. O der grundlosen, göttlichen Barmherzigkeit, die sich einst ausmachte, zu reformieren, umzugestalten, zu heilen eine durch verunstaltetes Gotteswort, durch Abfall von der seligmachenden Wahrheit verderbte, kranke Kirche, eine von der Kirche in ihren Fall und Abfall von Gott und seiner rettenden Wahrheit mit hineingerissene, kranke Christenheit. Was aber war die durch Gottes Macht über die verderbte Kirche, über eine in leeren Zeremoniendienst, ohne inneres Leben, ohne wahre Buße, ohne Glauben und Frömmigkeit versunkene Christenheit hereinbrechende Reformation anders, als ein gewaltiger, aus dem Todesschlafe aufrüttelnder Ruf Gottes, wie er ihn einst schon durch seinen Propheten Jeremias an das verderbte, abgefallene Israel ergehen ließ: „Kehre wieder, du abtrünnige Israel, so will ich mein Angesicht nicht gegen euch verstellen; denn ich bin barmherzig und will nicht ewig zürnen.“ Galt dieser Ruf Gottes aber bloß der Zeit, in der Luther lebte, galt er bloß der Zeit, in der ein Jeremias einst unter seinem Volke wirkte? Gilt er nicht auch unsrer Zeit? Nicht auch uns? Nicht auch dir, der du heute zum Sühnaltar treten willst? Weshalb wärst du denn heute in stiller Frühe ins Heiligtum gekommen, weshalb könntest und wolltest du heute dem Sünderheiland dich nahen, weshalb im Abendmahle heute bei Gott durch diesen Heiland Vergebung suchen, wenn du keine Schuld hast, weshalb durch deinen Erlöser mit einem heiligen Gott wieder vereinigt werden, wenn dir dein Herz nicht heute und alle Tage so recht schmerzlich sagt und klagt, dass du dich von Gott getrennt, durch deine Schuld und Sühne von ihm geschieden hast? Nein, du wärst heute Morgen nicht hier, du hättest nicht den geringsten Grund gehabt, zu kommen, wenn ein Reformationsruf nicht auch in deine Seele gefallen wäre, wenn nicht auch du den Ruf Gottes in den Tiefen deiner Seele, im Lärm des Lebens, in allen emsig gesuchten Zerstreuungen wie in der Stunde stiller Einsamkeit vernommen hättest: Kehre wieder, du abtrünniges Israel, kehre wieder, du abtrünniges Menschenkind. Gewiss, du fühlst es, dein klagendes Herz sagt dir's: auch du bist abtrünnig geworden von einem so treuen, barmherzigen, gnadenreichen Gott. Oder sagte und klagte dein Herz und dein Gewissen hier zu viel? Wäre dein Herz und dein Leben anders als mein armes Herz und mein armes Leben, das immer und immer wieder mit Schmerzen erkennt, dass ihm noch so unendlich viel von einer seligen Gemeinschaft mit Gott fehlt, dass das Band eines lebendigen Glaubens, einer frommen, kindlichen Liebe zu Gott an tausend Stellen gelockert ist? Ist das alles, du lieber Christ, anders etwa bei dir, als bei mir? Hast du gar keine Verbindung geschlossen mit der Welt und ihrer Lust? Hast du keiner Versuchung dein Gehör geliehen, sondern bist in allen Versuchungen zum Bösen ein unüberwundener Sieger geblieben? Taucht keine Sünde vor deinem inneren Auge auf, klagend, anklagend, Sünden in wüsten, unreinen, lieblosen, gehässigen, neidischen Gedanken, in unkeuschen, oder heuchlerischen, deinen Nächsten verwundenden, oder Gott und sein Wort verspottenden, gegen seine Führung murrenden Worten, keine Sünde in unreinen, lieblosen, von den Leidenschaften und Begierden erzeugten Taten und Werken? Und wenn das wäre du müsstest schon einer der vollendeten Seligen des Himmels sein, du könntest kein Pilger der Zeit, kein sterblicher Mensch der Erde mehr sein, wenn es nicht wäre ich sage, wenn das so wäre, ist da nicht dein größerer oder geringerer Abfall von Gott genugsam ans Licht gestellt, ist da das heilige Band seliger Gemeinschaft mit Gott nicht an tausend Stellen gelockert? Nimm dazu noch, dass dein Glaube vielleicht nicht mehr ein zweifelloser, lebendiger Glaube ist, wie ihn dir Gott einst in das kindliche Herz gelegt und gegeben hatte, dass dein Vertrauen auf Gott kein einfältiges, fröhliches Kindervertrauen, deine Liebe eine zwischen Gott und der Welt und ihrer Lust und Sünde geteilte ist, dass deine Gebete nichts mehr von der Innigkeit und Wärme deiner Kindergebete haben - ist das alles nicht Abfall von Gott, Herausgefallensein aus einem Zustande seliger, einstiger Gemeinschaft mit Gott? Heißt das nicht abtrünnig geworden sein, wenn man dem so treuen, barmherzigen, gnadenreichen Gott seine Treue nicht gehalten, das Herz, wenn auch nicht unausgesetzt, an die Welt und ihre Lust verkaufte? Ja, mein Christ, nicht wahr, du fühlst es, dass du ebenso wenig ein Heiliger bist wie der, der heute dich zu einem bußfertigen Gange zu Gott durch den Heiland am Altar bereiten will. Abtrünnig sind wir so oft gewesen, vielleicht heute noch. Auch uns gilt der Gottesruf heute Morgen: Kehre wieder, du abtrünnige Israel. Wie herzlich klingt der Ruf, wie voll Sehnsucht, Mitleid und Erbarmen. Und wie lockend die Verheißung deines Gottes, wenn du heute wiederkehrst, wenn du in diesem Augenblicke schmerzlich an deine Brust schlägst und rufst: Ich will mich heute in dieser Stunde noch, aufmachen und wieder zu meinem Vater gehen. Wie lockend die Verheißung: Ich will mein Angesicht nicht mehr gegen dich verstellen, nicht mehr zürnend soll auf dir mein Gottesauge ruhen, liebreich wird es dich, den Wiederkehrenden, begrüßen mit jener heiligen Freude, wie der Vater im Gleichnis seinen verlorenen, wiederkehrenden Sohn. Denn ich bin barmherzig, meine Barmherzigkeit reicht auch in die Tiefen deiner Schuld und Sünde noch hinein, mein Zorn wird Liebe, Gnade, sobald du nur dich wieder sehnst nach deinem Vater, sobald du nur den ersten, wenn auch noch so leisen Schritt wieder mir entgegenzugehen anfängst, sobald du nur im Schmerz deiner Sünde und all deines großen Undanks gegen alle meine Liebe, Geduld und Langmut zu rufen anfängst: „Ich will heute mit dem alten Leben brechen, ich will heute in Gottes Kraft alle alten Fesseln von mir streifen, ich sehne mich nach meinem Vater. ewige Liebe, die mich zu suchen nicht müde wurde, nimm dein armes, verirrtes Kind wieder freundlich und gnädig auf.“ Und so geh zum Sühnaltar, so tritt zum Mittler im Gnadenmahle hin, zu deinem großen, heiligen Mittler, der ans Vaterherz dich wieder bringen, mit seinem Erlöserblute deine Schuld löschen und so die Scheidewand zwischen dir und Gott niederreißen will. Ja, so feire heute Abendmahl, komm, verlorener Sohn, komm am Altar der Gnaden im Sohne zum Vater wieder. Amen.

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[[https://alte-lieder.de/2017/12/15/philipp-spitta-kehre-wieder/|Philipp Spitta - Text in den Alten Liedern]
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