Keller, Samuel - Trost für Leidende
Ist der Wert des Leidens Christi nur in dem zu suchen, daß er selbst durch Leiden vollkommen wurde und sein Leiden ein Anschauungsunterricht für uns ward? Ging nicht eine Hauptwirkung auch in die unsichtbare Welt? Da wurde durch das freiwillige, unschuldige, bis zu Ende getragene Leiden ein Sieg über Satan erfochten, ein Gegengewicht gegen die Schuld der Menschen geschaffen, die in der Wahl sündiger Lust bestanden hatte. Im ganzen Machtgebiet des Bösen gab es nichts, was gegen solches Leiden hätte ausgespielt werden können. Schon auf Erden hat unschuldiges Leiden eine unbeschreibliche, rührende Schönheit; man ist wehrlos gegen seinen Zauber und spürt einen mächtigen Antrieb, sich infolge dieses Anblicks von der alten Selbstsucht zu befreien oder sich selbst auch irgend was für Opfer aufzulegen. in der unsichtbaren Welt schlägt das echte Leiden den alten Ankläger des Menschen aufs Maul und wirkt Fortschritte des Reiches Gottes, die sonst durch nichts zu erzielen gewesen wären. Das ist für leidende Gotteskinder ein großer Trost; sie sind also nicht unnütz oder nur zum Gepflegtwerden da, sondern ihr Leiden kann eine wichtigere Seite der Reichsarbeit sein, als die manches gefeierten Rufers im Streit! Vielleicht sind sie Jesu eigentliche Sturmtruppen, die mit geheimer Stoßkraft den Angriff in der unsichtbaren Welt vorantragen! Im Licht dieses Gedankens wird manches langandauernde Siechtum oder man schmerzensreiches Sterben der Gotteskinder sich ganz anders ansehen lassen.