Lehmann, Wilhelm Theodor - Beichtrede am Kirchweihfest über Luk. 19, 1-10

von P. Lehmann, Pfarrer in Strauch.

Der Herr Jesus zog hinein und ging durch Jericho. Er zieht noch heute ein und geht durch das Jericho der Welt. Er zieht ein auch in das Jericho deines Herzens. Das wird er heute tun, der da gekommen ist zu suchen und selig zu machen, was verloren ist. Aber wer bist du, bei dem er einkehren will? „Und siehe, da war ein Mensch, genannt Zachäus.“ Zachäus wohnt in Jericho. Jericho ist eine schöne Stadt, es ist die Palmenstadt. Aber hier war es auch, wo jener unter die Mörder fiel, die ihn auszogen, schlugen und halb tot liegen ließen. Aber jener allein? Mag Jericho mit seinen Palmen untergegangen sein, das Jericho der Welt, das Jericho deines Herzens besteht noch und wer müsste nicht klagen, selbst unter die Mörder unter den Mörder von Anfang an gefallen zu sein, beraubt seiner besten Güter, blutend aus seinen Wunden - Wunden, die nie sich wollen schließen und täglich uns schmerzen! Unter die Mörder gefallen, oder vielleicht selbst die Mörder sein? Ach, unsere Sünden, unsere Lieblingssünden sind unsere Mörder und nicht bloß unsere Mörder. Das fünfte Gebot umfasst noch mehr, als: du sollst niemand mit der Axt totschlagen. Wir sollten nichts von den Sünden der Welt an uns haben? An jenem Unglücklichen gingen der Priester und der Levit vorüber, und wir sollten nichts von diesen Herzlosen an uns haben? Zachäus wohnt in Jericho und wir mit ihm!

Zachäus war ein Oberster der Zöllner. Die Zöllner erlaubten sich mancherlei Übertretungen, Übervorteilungen. Mehr nahmen sie, weniger gaben sie. Aber tun wir nicht Gleiches? Fordern wir nicht von andern mehr, als wir selbst leisten? „Zoll dem, dem Zoll gebührt, Ehre dem, dem Ehre gebührt.“ Wie halten wir auf unsere Ehre! Wehe dem, der sie uns schmälern wollte! Unnachsichtig, mit aller Strenge, treiben wir sie ein. Öffentlich muss der Schuldige sie uns wieder herstellen. Aber geben wir nun Gott die Ehre, die ihm gebührt? Ach nein, wir behalten sie für uns zurück und begnügen uns zu sprechen: Allein Gott in der Höh' sei Ehr! Gebt unserm Gott die Ehre. - Zachäus war ein Oberster der Zöllner. Wird er sich ausgezeichnet haben vor den gewöhnlichen Zöllnern, wird er anders, besser gewesen sein? Ach, im Gegenteil. Wo viel Licht ist, da ist viel Schatten, und je größer das Licht, umso größer der Schatten. Je höher einer steht, umso mehr hat er Verantwortung, umso mehr Versuchung. Gehörst du zu den Obersten, so gehörst du auch zu den Obersten in der Sünde. Paulus, der hohe Apostel, spricht von sich, er sei der vornehmste Sünder. Mancher mag von seiner Höhe sehr vornehm herabblicken auf das gemeine Volk er mag denken, nur das gemeine Volk begehe Sünden o, die offenbaren Sünden sind noch nicht die größten Sünden; wie auch das siebente Gebot: Du sollst nicht stehlen, noch mehr in sich fasst als: du sollst niemandem ins Haus einbrechen. Er war ein Oberster der Zöllner. Je höher jemand steht bei der Welt, umso tiefer oft bei Gott. Je feiner jemand ist, umso feiner auch seine Sünden, um so spitziger, schärfer. Aber ein scharfes Schermesser ist viel gefährlicher, als ein stumpfes Beil. Jesus nennt die schwerste Sünde die Sünde wider den Heiligen Geist. Aber wer denkt daran, dass er vielleicht in diese gefallen. Ach, wir fragen nur, ob wir Diebe, Mörder, Ehebrecher sind. Und Zachäus war reich, und das sind auch wir. Jeder hat seinen Reichtum, jeder hat eine Gabe von Gott empfangen, der eine diese, der andre jene. Der eine ist an Gütern reich, der andre Geistes reich. Keiner ist leer ausgegangen, nur dass mancher seinen Reichtum nicht kennt, ihn noch nicht gehoben hat oder sein Pfund im Schweißtuch vergraben hat, und das ist sein Unrecht, das ist seine Sünde. Aber auch, je mehr wir haben, umso mehr ist auch Unrecht dabei. Ach, an das Silber setzt sich so leicht der Schmutz. Ferner wem viel gegeben ist, von dem wird man viel fordern. Unsere Gabe schließt eine Aufgabe ein. Wo unsere Stärke liegt, da liegt auch unsere Schwäche. Keiner von uns, ob wir Mann oder Jüngling sind - vergesse, was vom reichen Mann und vom reichen Jüngling geschrieben ist. Aber du sprichst: „Ich bin ein armer Mann,“ bist du nun geistlich arm? Es gibt auch einen Bettlerstolz - und wenn wir nicht reich sind, so sind wir doch reich an Sünden.

Das wusste, das fühlte auch Zachäus. Er begehrte Jesum zu sehen, wer er wäre. Bei all seinen Gaben und Vorzügen fand er doch keine Befriedigung. Kann der reiche Jüngling sagen: Was fehlt mir noch? Zachäus weiß, er fühlt täglich: Eins fehlt mir noch, das Beste. Aber was ist es, und wo erlang ich es? Das war ihm noch nicht klar. Er mag mit Salomo mancherlei versucht haben, aber mit eben dem Salomo gefunden haben: es ist alles eitel! „Nothelfer viel, die uns doch nichts erworben.“ Da begehrt er denn auch Jesum zu sehen, wer er wäre, ob er ihm vielleicht helfen könnte! Was ist dein Begehr? Wir, die wir uns hier versammelt haben, wollen Jesum sehen. Er soll uns helfen. Zu ihm nehmen wir unsere Zuflucht. Er soll uns geben, was uns die ganze Welt nicht geben kann: Frieden und Befriedigung. Aber so wie Zachäus war, konnte er nicht kommen vor Jesum. Er konnte nicht vor dem Volk zu ihm kommen, denn er war klein von Person. So kann niemand von uns zu Jesu kommen - durch sich selbst, durch seine eigene Vernunft noch Kraft, sondern allein durch den Heiligen Geist, und der wirkt durch das Wort und niemand kann durch den Sohn zum Vater kommen, es ziehe ihn denn der Vater zu dem Sohne, und das tut der Heilige Geist durch das Wort. So groß wir auch sind oder uns machen, so klein bleiben wir doch von Person. Wie sind wir klein geworden, da wir wollten groß sein, groß wie Gott! Durch Adams Fall ist ganz verderbt das ganze menschliche Geschlecht. Abraham, der Freund Gottes, bekennt: Ich habe mich unterwunden mit dir zu reden, der ich Staub und Asche bin; und der Psalmist: Wir sind alle abgewichen und allesamt untüchtig; und Jesaias, der heilige Prophet: Wehe mir, ich vergehe, denn ich bin unreiner Lippen. Wie sollten blöde Fleisches Augen, die die verhasste Sündennacht mit ihrem Schatten trüb gemacht, dein helles Licht zu schauen taugen? Nichts kann ich vor Gott ja bringen. Es ist doch unser Tun umsonst auch in dem besten Leben. Vor dir niemand sich rühmen kann, es muss sich fürchten jedermann und deiner Gnade leben. Darum auf Gott will hoffen ich, auf mein Verdienst nicht bauen. Auf ihn mein Herz soll lassen sich und seiner Güte trauen, die mir zusagt sein wertes Wort, das ist mein Trost und treuer Hort, des will ich allzeit harren.

Er lief und stieg auf einen Maulbeerbaum, auf dass er ihn sähe. Nun, meine Lieben, wir haben auch einen Baum, auf den wir sollen steigen, von dem wir ihn sehen können: das ist sein göttliches Wort. Auf dieses musst du dich verlassen, auf dieses trauen, es ist dein Trost und treuer Hort. Steigst du auf den Berg Sinai, siehst du den Berg Golgatha. Steigst du auf den Baum des Erkenntnisses, siehst du den Baum des Lebens. Paulus spricht: Ich erkannte meine Sünde nicht ohne das Gesetz. Das Gesetz aber ward mir ein Zuchtmeister auf Christum. Demütigst du dich vor Gott, so findest du seine Gnade. Siehst du zu ihm hinauf, so sieht er zu dir hernieder. Als Jesus kam an dieselbige Stätte, sah er auf und ward seiner gewahr und sprach zu ihm: „Zachäus, steig eilend hernieder, denn ich muss heute zu deinem Hause einkehren.“ Jesus kehrt ein bei einem Sünder! Ja, deshalb kehrt er ein. Die Gesunden bedürfen des Arztes nicht, wohl aber die Kranken. So kommt er auch zu dir, wenn du dich als Sünder erkannt hast, er kommt zu dir als dein Heiland. Heilen will er dich und womit? mit sich selber. Er ist das Heil selbst, er gibt sich dir selbst. Er bringt dir mit die Erlösung, die er selbst durch seinen Tod gestiftet, und die der Vater anerkannt und bestätigt hat dadurch, dass er ihn von den Toten erweckte. Kehrt er bei dir ein, so versichert er dir aufs Neue: Mir hast du Arbeit gemacht mit deinen Sünden und Mühe mit deinen Missetaten, doch ich tilge deine Sünde und gedenke ihrer nicht mehr. Kehrt er bei dir ein, so hast du das verkörperte Wort: „Gott war in Christo und versöhnte die Welt mit sich selber, und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. Er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, auf dass wir würden in ihm die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt.“ - Zu diesem Zweck, um dich deiner Erlösung zu versichern und dich ihrer von neuem teilhaftig zu machen, kehrt er bei dir ein der lebendige, leibhaftige Christus. Er kehrt ein in das Haus deines Herzens. Er hat sich die Möglichkeit dazu geschaffen in seinem heiligen Mahle, dem Mahle seiner Gegenwart und seiner Gemeinschaft.

Da sie das sahen, murrten sie alle, dass er bei einem Sünder einkehrte. Also das Wort von der Gnade hat schon früher seine Feinde gefunden. Ja, schon Kain missgönnte seinem Bruder die Gnade Gottes. Jesus soll nicht Sünder-Heiland sein. Der Trost der Vergebung mache leichtfertige Menschen. Zachäus wird ihnen das Gegenteil zeigen, seine Buße soll eine aufrichtige sein. Er trat dar zu dem Herrn und sprach: Siehe, Herr, die Hälfte meiner Güter gebe ich den Armen, und so ich jemand betrogen habe, das gebe ich vierfältig wieder. O, so lasst auch ihr es nicht an Früchten der Buße fehlen. Alles, was wir sind und haben, sollen wir in den Dienst unsers Gottes stellen. Zachäus verspricht die Hälfte. Ja, wir wollen nicht zu viel versprechen. Es könnte uns reuen, wie Ananias und Saphira. Wenn wir nur einmal mit der einen Hälfte den Anfang machen, wird die andre schon nachfolgen. Nur einen Anfang machen. Die Hälfte deiner Güter den Armen. Wem? Wer sind die Armen, wer ist der Ärmste der Armen? Er, der sich selbst entäußerte, der arm ward um unsertwillen, der Allerverachtetste und Unwerteste. Ihm die Hälfte. Aber wie? Er gibt uns selbst die Anweisung: „Ich bin hungrig gewesen und ihr habt mich gespeist; ich bin durstig gewesen und ihr habt mich getränkt; ich bin ein Gast gewesen und ihr habt mich beherbergt; ich bin nackend gewesen und ihr habt mich gekleidet; ich bin krank gewesen und ihr habt mich besucht; ich bin gefangen gewesen und ihr seid zu mir gekommen.“ Die Hälfte deiner Güter den Armen; aber bloß von den irdischen Gütern? Ach, denen Gold und Silber fehlt, diese sind noch nicht die Ärmsten. Ach, ihnen, denen das Beste fehlt, ihnen das Beste von uns. Das kann und soll ein jeder - was Petrus dem Lahmen an der Tempeltür gibt: „Silber und Gold habe ich nicht, aber im Namen Jesu, stehe auf und wandele.“ Die Hälfte von unserm Glauben denen, die keinen haben. Gott, gebe uns Glauben, diesen Glauben, der die Lahmen gesund macht. Zachäus spricht weiter: So ich jemand betrogen habe, das gebe ich vierfältig wieder. Dass wir das unrechte Gut wiedergeben müssen, sagt uns schon unser Gewissen, eher findet dieses nicht Frieden. Gott spricht durch Jesaias Mund: „Lass los, welche du mit Unrecht verbunden hast, lass ledig, welche du beschwerst, gib frei, welche du bedrängst; reiß weg allerlei Last, alsdann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte und deine Besserung schnell wachsen und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen und die Herrlichkeit des Herrn wird dich zu sich nehmen.“ Zachäus will das unrechte Gut vierfältig wiedergeben, wir wollen den Anfang machen mit einem Viertel. Aber wisse, der Betrug ist so vielfältig, nimm es mit der Wiedererstattung nicht so leicht. Wir haben einander nicht bloß an irdischem Gut betrogen, sondern auch an der Liebe, am Lebensglück. Wann, wie tragen wir diese Schuld ab? Der Apostel schreibt: Seid niemand nichts schuldig, denn dass ihr euch untereinander liebet o, fangen wir an, den andern zu lieben und den, den wir am wenigsten lieben! „Aber ich habe nun einmal eine Abneigung gegen ihn, ich kann ihn nicht lieben.“ Tun wir uns Gewalt an! War doch für den Sohn Gottes seine Liebe zu uns sein tägliches Kreuz; und noch heute, er kommt zu suchen und selig zu machen, was verloren ist. Wenn wir uns üben in der Liebe, wenn wir das heutige Mahl, dieses Liebesmahl, uns zur Stärkung in unsrer Liebe dienen lassen, dann wird auch uns und unserm ganzen Hause gelten, wie dem Zachäus: Heute ist diesem Hause Heil widerfahren. Das walte er, der die Liebe selber ist! Amen.

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