Lambs, Jean-Philippe - Die Jung St. Peter-Kirche in Straßburg. - §. 2. Der Ablaßhandel bei Jung St. Peter, und dessen Folgen überhaupt für Straßburg.

Lambs, Jean-Philippe - Die Jung St. Peter-Kirche in Straßburg. - §. 2. Der Ablaßhandel bei Jung St. Peter, und dessen Folgen überhaupt für Straßburg.

So rein auch die Absicht des Papstes Leo IX gewesen seyn mag, da er jenen Ablaß, von dem weiter oben die Rede war, der Kirche zum Jungen St. Peter geschenkt hatte, so führte diese Gunstbezeugung doch auf eine ganz entgegengesetzte Richtung, gerade in der Zeit wo die Mißbräuche in der Kirche auf einen immer höhern Grad zu steigen begannen.

Der Zustand der Kirchen Straßburgs zu Ende des 15. Jahrhunderts war ein höchst betrübter. Der Gottesdienst war in ein bloßes Schauspiel ausgeartet, welches die Anwesenden kaum ihrer Aufmerksamkeit würdigten. In den Stifts- und Pfarrkirchen bestand der ganze äußerliche Gottesdienst in Messelesen und Chorsingen, wobei das arme Volk in der tiefsten Unwissenheit blieb. In den Kirchen und Mönchsklöstern predigte man bisweilen, aber nicht in der Absicht um das Volk aufzuklären, oder ihm die Wahrheiten des Evangeliums bekannt zu machen, sondern bloß um seine Opfer und Gaben an sich zu ziehen, und es durch Aberglauben noch mehr zu verblenden.

Peter Schott, regierender Ammeister und Pfleger des Frauenhauses, ein biederer und vortrefflicher Mann, ein eifriger Beförderer alles Guten, tief in seinem Herzen betrübt über die Art und Weise wie die Mönche predigten, faßte den Entschluß diesem Uebelstande einigermaßen abzuhelfen, indem er von seinem Vermögen 1200 Goldgulden Kapital auf ewige Zinse hergab, damit man einen frommen und gelehrten Mann, „ein Mann der nit allein von guten Sitten, sunder auch fürtreffen sy an kunst u. lere,“ einen Doctor der heiligen Schrift als Prediger am Münster anstellen und besolden könnte. Diesem großmüthig gebrachten Opfer fügte der Bischof, Ruprecht von Baiern, und der Dechant des Domcapitels, Graf von Helfenstein mehrere kleine Gefälle und das Amt eines bischöflichen Kaplans oder Beichtvaters bei1).

Zu diesem wichtigen Amte wurde nun Dr. Johann Geiler, von Kaisersberg2) berufen, der auch während 32 Jahren, und bis zu seinem, im Jahr 1510 erfolgten Tode, dasselbe mit großem Eifer verwaltete, und als einer der Vorläufer der Reformation in unserer Vaterstadt anzusehen ist, indem er rücksichtslos die Geistlichkeit und deren zügelloses Wesen mit scharfer Geißel züchtigte. Die Reformation erlebte er zwar nicht mehr, kündigte sie aber als sehr nahe mit bestimmten Worten an; er sagte von ihr: „Ich werde es nicht erleben; aber eurer Viele werdens sehen.“

Ihm glich in seinem Feuereifer Peter Schott, Stiftsherr beim Jungen St. Peter, in der griechischen Sprache sehr bewandert, der würdige Sohn des obengenannten Ammeisters Schott. Er hub an aus Gottes Wort alle Laster zu strafen, auch des Papstes Ansehen und den Ablaßverkauf zu verwerfen, so wie die Mißbräuche der Geistlichen und deren ärgerliches Leben scharf zu rügen. Dieser junge Mann berechtigte zu den schönsten Hoffnungen für die Zukunft, starb aber leider schon 1490, erst im 32. Jahre seines Alters3).

Dergleichen Männer, zu welchen noch Johann Simmler zu rechnen ist4), hatte Straßburg in diesen Zeiten noch mehrere aufzuweisen, welche die Aufklärung zu befördern suchten; ihre Lehren und Predigten übten einen großen Einfluß auf die Bürgerschaft aus, und immer mehr regte sich der Sinn und der Wunsch nach etwas Besserem und Haltbarerem als bisher ihr geboten war. Denn nicht nur laut sprach man von dem Verfall der Kirche an Haupt und Gliedern, von der Entstellung der Lehre in derselben, von der Herabwürdigung des Heiligen, von der Sittenlosigkeit der Geistlichen, welche zu einer furchtbaren Höhe gestiegen war5), sondern die 95 Sätze Luthers waren auch bald hier bekannt und von den Bessergesinnten mit großer Freude aufgenommen worden.

Dazu kam insonderheit der Ablaßhandel, der früher schon6), aber gerade zu dieser Zeit am stärksten getrieben wurde. Im Jahr 1515 wurde, nach Ammeister Wenders Chronik, neben dem Beichtstuhl in der Kirche zum Jungen St. Peter, ein Ablaßbrief, mit großen Buchstaben geschrieben, und auf beiden Seiten bemalt, aufgehängt. Auf der einen Seite sah man den Heiland entkleidet, mit einem Kreuze in den Flammen des Fegfeuers wühlend und die Unglücklichen herausschickend, die dann auf der Seite des Papstes hervorgingen, der im Hohenpriesterkleid auf seinem Stuhle vor einem Ablaßbriefe saß. Vor ihm knieten einige Kaiser, Könige, Kardinäle, Bischöfe u. s. w.; hinter ihm ein Geldsack, einige befreite Gefangene und Priester, die den Türken ihr Lösegeld bezahlten. Man sah auch noch andere Gefangene in tiefen Brunnen vergraben, und mit eisernen Gittern eingeschlossen; Männer, Frauen, Kinder in fürchterlichen Zuckungen. Wer dieses traurige Gemälde sah, weinte und warf mit vollen Händen Geld hin.

Im Jahr 1518 stellte Wolfgang Böcklin, Probst von Jung St. Peter, als päpstlicher Ablaß-Commissarius Indulgenz-Briefe aus, für diejenigen welche für das Waisen- und Krankenhaus allhier etwas beitrugen7).

So kam im nämlichen Jahre 1518 ein Legat von Rom, ein Kardinal mit 20 Reitern, 4 vierspännigen Wagen und 8 Maulthieren, welche die Briefe und das Geld trugen, nach Straßburg. Er wohnte mehrere Wochen in der Probstei zum Jungen St. Peter, in welcher, wie eben bemerkt wurde, der Ablaß feil geboten war. Eine Menge Käufer sollen sich eingefunden haben, und an Geld bereichert, zog er dann das Land hinab8).

Wohl kauften Manche das Ablaßpapier, aber Viele schimpften ins Geheim, Andere laut, daß es mit diesem Sündenhandel nur darauf abgesehen seye, den Bürgern ihr gutes Geld für schlechtes Papier abzulocken. Erhöht wurde endlich noch die immer offener werdende Entrüstung gegen die Geistlichkeit, durch eine entstandene Theuerung, zu welcher sich eine Krankheit, der englische Schweiß genannt, gesellte, an welcher viele starben, während die Geistlichkeit, die ihre Keller und Speicher mit großen Vorräthen an Getreide und Wein gefüllt hatten, sich weigerte, gegen billige Preise der Bürgerschaft das Nöthige zukommen zu lassen, indem sie zur Antwort gab: „daß dies eine sichtbare Strafe Gottes seye, weil sie die Ketzerei Luthers sich gefallen ließen.“9) Von jetzt an wurden eine Menge Schriften verbreitet, in denen theils die Gebrechen der Kirche auf's Lebhafteste geschildert waren, oder welche andererseits die Verbreitung besserer Religionseinsichten bezweckten. Vor allem wurden Luthers Schriften, wovon man in Straßburg viele abdruckte, häufig gelesen.

Auch fing im Jahr 1520 in der Stiftskirche zum Alten St. Peter, Peter Philippus, von Rumersberg (Remiremont)10), der neu angestellte Leutpriester an, nach rein evangelischen Grundsätzen zu predigen. Seine Predigten gefielen der Bürgerschaft, aber nicht den Stiftsherren, die ihn bei dem Bischof Wilhelm III von Hohenstein verklagten und es endlich dahin brachten, weil er sich weigerte seine Predigtweise zu ändern, daß er des Amtes entsetzt wurde11). Noch andere Prediger fingen ebenfalls an, die geläuterten Grundsätze des Christenthums wirksamer zu verkündigen. Zu diesen Männern gehörte: Doktor Peter Wickram, Domprediger im Münster, der seinem Oheim Geiler nachgefolgt war, und Matthäus Zell((Zell wurde geboren 1477 zu Kaisersberg im Oberelsaß, hatte zu Erfurt Theologie studiert, dann zu Freiburg im Breisgau; er erhielt eine Lehrerstelle auf dieser letztern Universität und wurde Rektor derselben. Im Jahr 1518 wurde er nach Straßburg berufen und ihm die genannte Pfarrstelle im Münster übertragen.}), Pfarrer bei der St. Lorenzen-Kapelle im Münster, welche angesehene Stelle er 30 Jahre hindurch und ungeachtet der Umtriebe seiner Feinde, bis an seinen Tod mit dem erfreulichsten Segen verwaltete.

An diese schlossen sich bald noch andere wackere Gehilfen an, wie Symphorian Pollio (Althießer), früher Prediger bei St. Stephan, dann Pfarrherr bei St. Martin, einer Kirche die ehemals auf dem Fischmarkt oder heutigem Guttenbergplatz stand; ferner Caspar Hedio (Heyd) von Ettlingen, im Großherzogthum Baden, gewesener Domprediger in Mainz; Martin Butzer von Schlettstadt; Theobald Schwarz (Nigrinus) von Hagenau; Wolfgang Köpfel (Capito) von Hagenau, lauter Männer von ausgezeichneter Gelehrsamkeit und unermüdetem Eifer. Insonderheit trat Letzterer entschieden auf Zells Seite und vertheidigte und verkündigte mit großer Freimüthigkeit die evangelischen Wahrheiten.

Hier mag wohl die geeignete Stelle seyn, in die Geschichte unserer Jung St. Peter Kirche, einiges aus dem Leben und Wirken dieses treuen Zeugen und ausgezeichneten Mannes einzuflechten, da derselbe nicht bloß zur Beförderung der Reformation in den Kirchen Straßburgs das Seinige beitrug, sondern auch darum, daß er der erste evangelische Prediger unserer Jung St. Peter Gemeinde geworden ist.

1)
Röhrich, Geschichte der Reformation im Elsaß und besonders in Straßburg. Straßb. 1830. B. I. S. 63.
2)
Geiler war den 16. März 1445 zu Schaffhausen in der Schweiz geboren. Sein Vater war Gehilfe des Stadtschreibers, wurde aber nachher Notarius zu Ammersweiher. Er starb, als sein Sohn kaum 3 Jahre alt war. Diesen nahm darauf der Großvater, ein Bürger von Kaisersberg, im Oberelsaß zu sich, und sorgte für seine Erziehung. Weil er nun diesen Ort als sein wahres Vaterland ansah, so bekam er nach damaliger Gewohnheit, den Zunamen davon.
3)
Künast, Beschr. d. Kirchen u. Stifter. S. 113. und Specklin, ad ann. 1491 berichten, daß er bei einem Nachtessen in seines Probstes Hof, durch beigebrachtes Gift in 3 Stunden getödtet worden sey.
Im Chor der Kirche findet sich ein ihm errichtetes Denkmal, welches also lautet: „Petro Schotto, argent. hujus divi Petri aedis canonico, presbytero innocentissimo juris consulto et oratori, poetaeque clarissimo ac graecae linguae docto Petri Schotti, senatoris, Susannaeque filio, pientissimo amici moesti posuere. Vix. Ann. XXXII. M II. De III. Mort ann. Christi. MCCCCLXXXX. II Id. sept.“ Zu deutsch: „ Peter Schott von Straßburg der gegenwärtigen Kirche, die dem heil. Petrus gewidmet ist, Chorherrn; einem Priester von liebenswürdiger Unschuld; einem berühmten Redner und Dichter, auch in der griechischen Sprache gelehrten und erfahrnen Manne. Einem kindlich treuen Sohne des hiesigen Rathsherrn, und seiner Gattin, Susanna, haben dessen Freunde mit betrübtem Herzen dieses Denkmal aufgestellt. Er lebte 32 Jahre, 2 Monate und 3 Tage, den 2. Sept. 1490.“
4)
Johann Simmler, Canonicus zu Jung St. Peter, von Straßburg. Ein ausgezeichneter Rechtsgelehrter, Freund Geilers, Wimphelings und Peter Schotts des Jüngern. Er starb 1492. Der Onkel dieses Simmlers, ebenfalls Johannes Simmler, war Canonicus zu Alt St. Peter. Dessen Grabschrift am Eingang der Kirchenstube daselbst. S. Wencker, Collect. Archivi et Cancellariae jura Argentorati 1715. S. 430.
5)
Siehe Jung, Beiträge rc. B. II. S. 63. - Sogar ein katholischer Priester, Anton Jeanjean, Theol. Doct., des Bischöf. Semin. Vorsteher, Chorherr und Scholaster des Stifts zum Jung St. Peter, (heil. Reden bei verschied. Gelegenheiten gehalten. Straßb. 1771) sagt in einer Predigt, an dem Feste der Kirchweihe in der Domkirche 1767 zu Straßburg gehalten, folgendes: „Um das dreizehnte, vierzehnte Jahrhundert war die Ausgelassenheit des Volkes und… ach! darf ich es sagen? und die Aergernisse der Priester auf das Höchste gestiegen. Die alte Frömmigkeit und Redlichkeit war verbannt, Muthwille, Unmäßigkeit, Unlauterkeit verderbte alle Stände. Die Bischöfe waren gewaffnet, zum Krieg bereit, die Geistlichen träg, nachlässig, das Volk aufrührisch, widerspenstig, u. s. w.“
6)
Specklin, Collekt. B. II. S. 75. Schon im Jahr 1225 kamen Ablaßbriefe von Rom her in Straßburg an. Im Jubeljahr 1500 wurden im Bisthum Straßburg allein gegen 6000 Ablaßbriefe von 2 Schilling bis zu 6 Gulden das Stück abgesetzt. S. Vierordt, Geschichte der Reformation in Baden. Karlsruhe 1847. B. I. S. 56.
7)
Fabricii Amaenitates theol. 1699. Helmst. 4° S. 699. - Silbermanns handschriftl. Nachlaß. Lade H. Mscpt. (Stadtbibliothek.) - Joh. Walters Chronik. Mscpt. fol. berichtet sogar: A. 1517 hat Joh. Tetzel sein Ablaß in diesem Lande feyl getragen, und auch anhero nacher Straßburg gekommen und auf dem Kirchhof beym Jungen St. Peter auf einem dazu gesetzten Tisch sein wahr ausgelegt und feyl gethan, wan die Leuth aus der Kirch waren und also viel Geld gesammlet.„
8)
Jung, Beiträge. Straßb. 1830. B. I. S. 56. - Specklin, Collekt. B. II. S. 46. - Künast, a. a. O., S. 114.
9)
Friese, vaterl. Gesch. B. II. S. 137 u. ff.
10)
Röhrich, Gesch. der Reform. im Elsaß. B. I. S. 126.
11)
Strobel, Gesch. der Kirche zum Alten St. Peter, Straßb. 1824. S. 12.
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