Krummacher, Gottfried Daniel - Die Wanderungen Israels durch die Wüste nach Kanaan (Sinai).

Krummacher, Gottfried Daniel - Die Wanderungen Israels durch die Wüste nach Kanaan (Sinai).

Sechszehnte Predigt.

Elfte Lagerstätte: die Wüste Sinai.

4. Buch Mose 33,15.

Es ist ein wichtiges Wort, wenn der Apostel Gal. 3,10 sagt: die mit des Gesetzes Werken umgehen, die sind unter dem Fluche. Paulus hatte eine besondere, sein Gemüt heftig und schmerzhaft bewegende Veranlassung, eigenhändig an die Galater zu schreiben, da er sonst seine Briefe diktierte; jetzt aber schrieb er, wegen der Wichtigkeit der Sache, selbst. Die Galater, an welche er schrieb, waren bekehrte, begnadigte, gläubige Christen, an welchen der Apostel große Freude erlebt hatte. Sie waren aber in einen Verfall geraten, welcher ihren gänzlichen Abfall vom Christentum zur Folge haben konnte. Und dieser Verfall bekümmerte den heiligen Apostel sehr. Worin bestand dieser Verfall? Nicht in einzelnen groben Sünden, auch nicht in einer Gleichgültigkeit gegen die Wahrheit und Gottseligkeit, sondern eher in einem unrichtigen Ernst in derselben. Zwar sollte man es sich kaum vorstellen können, dass man nicht nur durch eigentliche Übertretung der Gebote, sondern auch sogar durch einen unrichtigen Ernst in Erfüllung derselben fehlen könne. Man sollte sagen, ein solcher Ernst sei nie tadelnswert, noch weniger bedenklich und gefährlich, sondern verdiene an sich schon Lob und Aufmunterung, und das etwa Unrichtige werde sich schon regeln. Paulus war aber ganz entgegengesetzter Meinung, und redete vom Verlieren Christi und Fallen von der Gnade. Denn Alles, was den Menschen von Christo ableitet und ihn zu etwas anderem hinzieht, ist seelenverderblich, heiße dies Ableitende auch, wie es wolle, Welt und Sünde, oder auch sogar Tugend und Besserung, wie ja einem Kranken alles nachteilig ist, was seine Heilung hindert, wäre es auch der köstlichste Wein, oder die auserlesensten Früchte. – Genug, Paulus erklärt hier, dass nicht nur grobe Sünder, wie sich von selbst versteht, sondern sogar solche, welche mit des Gesetzes Werken umgehen, unter dem Fluche sind. Was werden das für Leute sein, die unter dem Fluche sind? Was für welche denn anders, als solche, welche durch ihr eigenes Werk und Tun sich die Seligkeit zu erwerben bemühen. Mögen sie ihrem Bemühen einen so viel größeren Wert beilegen, je saurer es ihnen wird, so verlieren sie Christum doch nur umso mehr aus den Augen und erreichen das Ziel so wenig, dass sie unter dem Fluche bleiben; denn es stehet geschrieben: verflucht sei Jedermann, der nicht bleibt in alle dem, das geschrieben stehet in dem Buche des Gesetzes, dass er’s tue.

In allem dem zu bleiben, was geschrieben stehet in dem Buch des Gesetzes, ist also die Aufgabe des Gesetzes, und nichts Geringeres, als das, ist die Bedingung, unter welcher auf diesem Wege das Heil zu erreichen ist.

Wer sich denn außer Stand sieht, diese Bedingung zu erfüllen, der sehe sich nach einem anderen Wege um, und Ein Zweck des Gesetzes besteht darin, dies zu bewirken. Dazu lasse der Herr die anzustellende Betrachtung aus Gnaden gesegnet sein.

Im dritten Monat sind nun die Kinder Israel außer Ägypten, oder nach Tagen gerechnet 50 Tage. Eine kurze Zeit. Aber was hat sich nicht alles in dieser kurzen Zeit zugetragen, so dass wir, so zu reden, längere Zeit nötig gehabt haben, alle diese Ereignisse zu betrachten, als sie, sie zu erleben. Diese 50 Tage sind sehr merkwürdig, und deswegen hat Pfingsten, welches auf Deutsch der 50ste Tag heißt, den Namen von dieser Zahl bis auf den heutigen Tag. – Ist’s nicht aber auch bemerkenswert, dass von der 10ten Lagerstätte zu Rimon Parez an, bis zur 32ten, die Kades heißt, und einen Zeitraum von 38 Jahren umfasst, gar nichts als der Name der 17 Lagerstätten gemeldet wird? Sind wir denn bisheran sehr weitläufig gewesen, so werden wir hernach, wann wir – so der Herr will und wir leben – bis zur Betrachtung jener Lagerstätte gelangen, desto kürzer sein können.

Von Raphidim brechen wir jetzt auf und nehmen, nach göttlicher Anweisung, unseren Aufenthalt in der Wüste Sinai, als der 11ten Lagerstätte, wo Israel fast ein ganzes Jahr verweilt. Wollten wir alles das ausführlich betrachten, was daselbst zu betrachten vorfällt, so würde dies viele Jahre erfordern. Wir lassen uns also darauf nicht ein, sondern befleißigen uns der Kürze. Denn, wo wollten wir ein Ende finden, wenn wir uns auf eine Erklärung aller Gesetze, aller Zeremonien und Vorbilder einlassen wollten, dieser Schattenbilder, deren Körper in Christo ist.

Wir brechen von Raphadim auf, weil die Wolken- und Feuersäule es gebeut, und zieh’n. Wohin denn? Wohin anders, als in eine Wüste, von einer Wüste also in eine andere. Aber was dünkt euch dazu, wenn ich bemerke, dass mans auch, ganz der Sprache, worin das Alte Testament geschrieben ist, gemäß, übersetzen könnte: von einer Schule in die andere; denn das Wort Wüste kann von einem Worte abgeleitet werden, das unterweisen bedeutet. Gewiss aber kommt der Christ aus einer Unterweisung in die andere. Ob er dabei hinauf oder herunter rückt, ohne den Meister immer besser, oder immer weniger zurecht kommen kann, wird sich schon von selbst ergeben. Eine Wüste nötigt durch ihre Beschaffenheit der Unwegsamkeit, des Mangels und der Unsicherheit, zu einem unverwandten Aufsehen auf Gottes Macht, Güte und Treue.

Es geht noch immer schräg auf Kanaan zu, und wenn kein Hindernis eintritt, so haben wir nur noch drei Lagerstätten und etwa noch einmal so viel Stunden, so können wir ohne Weiteres ins gelobte Land, und zwar in das Erbteil Judas einziehen. Lasst uns demnach aufs Sorgfältigste hüten, dass wir nicht versäumen, einzukommen zu der Ruhe.

Bei dieser 11ten Lagerstätte bemerken wir:

1stens ihren Namen und Beschaffenheit,
2tens das Hauptsächlichste von demjenigen, was sich daselbst zutrug.

Was nun den Namen Sinai betrifft, so ist derselbe mit dem Namen Sin gleichbedeutend und bezeichnet Dornen, namentlich Brombeeren. Mosi war diese Gegend nicht unbekannt, sondern als Hirte seines Schwiegervaters Jethro, hatte er noch vor kurzem dessen Heerde hier in der Umgegend gehütet, und daselbst das Gesicht von dem brennenden Senneh, d.i. Brombeerbusch, gehabt und den Befehl, Israel zu erlösen, bekommen. Wir sehen hieraus zugleich, dass die Wüste nicht so sehr Wüste war, dass nicht etwas Weide fürs Vieh darin anzutreffen gewesen wäre. – Sprachkundige übersetzen dies Wort auch durch Glanz und Nahrung. Glanz war hier genug – Nahrung wenig. Es ist daselbst ein sehr großes Gebirge, in welchem besonders Horeb und Sinai hoch emporragen. Unten bilden beide nur einen Berg, teilen sich aber höher in zwei Spitzen; der Sinai ist aber um ein Drittel höher als der Horeb. Der Zugang zu dem Berge ist äußerst beschwerlich und, so zu reden, unmöglich und wird als eine harte Buße, für sehr schwere Sünden, von den dortigen Mönchen auferlegt. Helena, die Mutter des Kaisers Konstantin des Großen, ließ eine Treppe anlegen, welche aber jetzt sehr verfallen ist, so dass sich an einigen Orten gar keine mehr befindet, obschon noch 7000 Stufen, wovon jede 1 auch 2 Schuh hoch ist, vorhanden und in den roten Granit, woraus der Berg besteht, eingehauen sind. Jemand muss sehr hurtig steigen, wenn er in 8 Stunden auf dem Gipfel sein will, von welchem aus man eine weite Aussicht genießt, wie man das Berges selbst schon aus einer Entfernung von 6 Tagereisen ansichtig wird. Auf demselben gibt’s etliche sehr frische, stets fließende Quellen, welche das dort erbaute Kloster mit seinen griechischen Mönchen, so wie deren Gärten, worin gutes Gemüse und vortreffliches Obst gezogen wird, reichlich mit dem besten Wasser versehen. Hie und da ist es unmöglich, den Berg hinanzuklemmen, und man muss sich hinauf ziehen lassen. Die Spitze ist nicht eher sichtbar, als bis man den Berg schon größtenteils erstiegen hat. Dies von dem Berge selbst, wie neuere Reisende, die selbst da gewesen, ihn beschrieben haben. –

Noch bemerken wir, dass der Name dieses Berges sich mit einem I, dem kleinsten Buchstaben der hebräischen Sprache, endet, der als Zahlreichen auch 10 bedeutet, und eben so viel Gebote gab Gott von diesem Berge herab. Auf diesen Buchstaben macht auch Jesus aufmerksam, wenn er sagt: es werde kein I, oder Tüttelchen von dem Gesetz fallen. Es muss also ganz erfüllt werden. Doch gilt dies auch von den Verheißungen, was die Gläubigen, wie von den Drohungen, was die Ungläubigen angeht. Es wird an keinem fehlen. Wie genau redet auch Jakobus, da er denjenigen für des ganzen Gesetzes schuldig erklärt, der alles hielte und nur an Einem fehlte. Lasst uns aber auch nicht vergessen, zu bemerken, dass dieser Buchstabe derjenige ist, womit der Name anfängt, aus welchem all’ unser Heil entspringt und außer welchem es keinen Namen gibt, wodurch wir können selig werden. Und endigt sich das Wort Sinai mit diesem Buchstaben, so ist Jesus ja wirklich des Gesetzes Ende, und wer an ihn glaubt, ist gerecht. Er ist auch der Anfangsbuchstabe des Namens Jehova, welcher die Unveränderlichkeit Gottes bezeichnet. Gott hat sich aber schon 430 Jahr vorher durch die, dem Abraham gegebene Verheißung als einen Gott aller Gnaden geoffenbart, ja, dies schon im Paradiese getan. Darauf macht Paulus aufmerksam, dass die Verheißung viel älter sei, als das Gesetz, also auch durch dieses nicht aufgehoben werde, als ob man hintennach noch verpflichtet sei, sich das Erbe durch Werke zu erwerben, was Gott doch schon durch Verheißung frei geschenkt. Mag’s also auf Sinai donnern und blitzen, die Verheißung tönt doch durch alles durch: Ich bin der Herr, dein Gott. –

Lasst uns aber jetzt zur Betrachtung dessen übergehen, was in der Wüste und sonderlich auf dem Berge Sinai geschah. Es geschah aber daselbst eine majestätische Offenbarung der Heiligkeit Gottes durchs Gesetz, in der Hauptabsicht, die Notwendigkeit eines Mittlers und der Gnade in das überzeugendste Licht zu setzen.

Bis dahin war eigentlich kein Gesetz, oder doch nur sehr wenige Gebote gegeben, welches man die göttliche Haushaltung unter der Verheißung nennt, welche von Adam bis auf Moses 3tehalb 1000 Jahr währte. Am reinsten war diese Haushaltung vor der Sündflut, in welchem Zeitraume es weiter keine bürgerliche Verfassung, keine Obrigkeit gab, keine Stände, keine Rechte, keine Gesetze und keine Richter. Da galt die vollkommenste Freiheit und Gleichheit. Nichts war ausdrücklich verboten, nichts geboten. Keiner brauchte anderen zu gehorchen, als etwa nur das Weib dem Manne, keiner durfte dem anderen etwas befehlen. So kannte man weder menschliche noch auch göttliche Gesetze, sondern jeder lebte, wie es ihm gefiel. Da hatte also jeder Gelegenheit, sich frei und ungehindert so zu zeigen, wie er wirklich gesinnt war, gut oder böse. Aber dies hatte auf die Dauer solche böse Folgen, dass alles Fleisch seinen Weg verdarb. Obschon die heiligen Väter dagegen predigten und Gott anfing, ihnen zu drohen, so half es doch nichts, und Gott sah sich genötigt, seine Drohung in Vollzug zu setzen und die Menschen durch die Sündflut von der Erde zu vertilgen.

Nach derselben gab Gott einige Gesetze und verbot namentlich den Totschlag. Es entstanden Obrigkeiten und Untertanen, und die Menschen mussten sich zu einer gewissen Ordnung bequemen. So stand es von Abraham herab bis auf Mosen. In aller dieser Zeit begriff man noch wenig von dem, was Sünde war – begriff aber auch in dem nämlichen Maße wenig, was für eine ausnehmende Gnade Gottes es war, dass er einen Samen verheißen hatte, welcher der Schlange den Kopf zertreten sollte, einen Samen, durch welchen alle Völker sollten gesegnet werden; denn, sagt Paulus Röm. 5., wo kein Gesetz ist, da achtet man der Sünde nicht, da achtet man aber auch der Gnade nicht, wenigstens nicht in ihrer Größe.

Jetzt war denn die Zeit gekommen, wo beides deutlicher geoffenbart werden sollte. Gott wollte seine Heiligkeit auf eine majestätische Weise offenbaren; dadurch sollte auch die Sünde klarer erkannt und in Folge dieser Erkenntnis auch die Notwendigkeit eines Mittlers und Versöhners desto deutlicher eingesehen werden. Das Gesetz, sagt der Apostel, ist neben eingekommen, nämlich zwischen der Verheißung und ihrer Erfüllung – damit die Sünde desto mächtiger, d.i. desto mehr in ihrer verdammenden und herrschenden, für alle Menschen unüberwindlichen Macht anerkannt, ebenso aber auch die Gnade, in ihrer noch viel größeren Herrlichkeit begriffen würde. So lernte er selbst seine Sünde erst durchs Gesetz kennen. So lange er ohne Gesetz gelebt, war sie gleichsam bei ihm tot, wurde weder erkannt noch empfunden, durchs Gesetz wurde sie lebendig, aber auch überaus sündig und gereichte zu seinem Tode und Verdammung. Indem ihn dies dahin brachte, sich einen unseligen Menschen zu nennen, leitete es ihn dahin, seine Erlösung nicht als eine leichte und geringe Sache, sondern als ein sehr großes und wichtiges Werk zu betrachten und voll Bewegung auszurufen: wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes? – Die schon unseren Eltern gegebene und dem Abraham bestätigte Verheißung von dem Erlöser blieb fest. Nun aber kam durch die Gesetzgebung erst recht zum Vorschein, was derselbe werde übernehmen, tun und leiden müssen, um das Erlösungswerk zu Stande zu bringen.

Lasst uns denn diese Gesetzgebung – diese Offenbarung der Heiligkeit Gottes näher erwägen. Es gingen einige Vorkehrungen vorher, wie wir 2. B. Mose 19 lesen. Zuerst machte Gott einen Bund mit dem Volke, nach welchem sie vor allen anderen Völkern sein Eigentum, ihm ein priesterlich Königreich und ein heiliges Volk sein sollten, unter dem Bedinge jedoch, wenn sie des Herrn Stimme gehorchten und seinen Bund hielten, welches die Ältesten im Namen des ganzen Volkes angelobten. Hierauf machte Moses bekannt, über drei Tage werde der Herr auf den Sinai herabfahren und das Volk sollte aus seinem eigenen Munde die Artikel des Bundes vernehmen. Während dieser 3 Tage ließ Moses rings um den Berg ein Gehege machen, damit kein Mensch oder Tier denselben anrührte, unter Bedrohung des Todes, wenn es dennoch geschähe. Welch’ eine Heiligkeit, die die Gegenwart Gottes dem ganzen Berge mitteilte, so dass dessen Fuß nicht einmal angerührt werden durfte und selbst das Tier, das es unwissend tat, gesteinigt oder erschossen werden musste. Sodann heiligte er das Volk, welches seine Kleider waschen und eben damit seine Unreinlichkeit anerkennen musste. Aber wie konnte sie durch solch’ Waschen weggenommen werden? Daher betet David, in Anerkennung seiner innerlichen Unreinigkeit: wasche du mich, o Gott! dass ich rein werde, entsündige mich, dass ich schneeweiß werde. Selbst die Priester, die doch als diejenigen angesehen waren, welcher unter allem Volk die Heiligsten waren und Gott am nächsten standen, wurden gewarnt, sich dem Berge nicht zu nahen, damit Gott sie nicht zerschmettere. So wurde alle ihre eigene Gerechtigkeit darnieder geworfen, aller Unterschied aufgehoben, so dass sie allzumal Sünder waren, der Herrlichkeit Gottes ermangelten, schuldig und strafwürdig dastanden. –

Über diesen Vorkehrungen brach der dritte Tag an. Des Morgens früh hub es an zu donnern und zu blitzen, eine dicke Wolke senkte sich auf den Berg, und man vernahm den schmetternden Schall einer sehr starken Posaune. Der ganze Berg Sinai fing an zu rauchen, wie der Rauch von einem gewaltigen Ofen mit Feuerflammen untermengt, auch zitterte und bebte der ganze ungeheure Berg, so dass man sein Wackeln und Wanken deutlich sah. Konnte aber ein solches Gebirge von festem Gestein die Nähe der göttlichen Heiligkeit nicht erleiden – wo will denn der Gottlose und Sünder erscheinen, wie müssen denn die Sünder zu Zion erschrecken, welch’ Zittern die Heuchler ankommen, wenn Gott sich als ein verzehrendes Feuer und ewige Glut offenbart! Schrie doch ein Jesajas: wehe mir, ich vergehe; fiel doch Petrus zitternd zu Jesu Füßen und bat: gehe von mir hinaus, denn ich bin ein sündiger Mensch. Wie demütig betet David: gehe nicht ins Gericht mit deinem Knechte, denn vor dir ist kein Lebendiger gerecht. – Das Feuer, wovon der Berg brannte, wird ein verzehrendes genannt. Es sah sich also furchtbar drohend an und als im Begriff, alles zu verschlingen, eine Flamme, der niemand entrinnen konnte. Wo soll ich hingehen vor deinem Geist, und wo soll ich hinfliehen vor deinem Angesicht? Wo soll ich hin, wer hilft mir, wer führt mich zum Leben? –

Nachdem es lange getönt hatte, führte Moses das ganze Volk aus dem Lager, Gott entgegen, an den Berg. Welch’ ein Entgegenführen! Ihren Moses an der Spitze, wagten sie es und konnten auch nicht anders. Was wird das doch einst sein, wenn alle Menschen dem Herrn entgegengerückt werden in den Wolken und sie alle offenbar werden müssen vor dem Richterstuhle Christi, auf dass ein Jeglicher empfahe, nachdem er gehandelt hat bei Leibes Leben, es sei gut oder böse. Wie Not, o! wie Not tut’s, gläubig zu werden, damit man nicht ins Gericht komme und sodann an ihm zu bleiben, damit man Freudigkeit habe und nicht zu Schanden werde am Tage des Gerichts. Wohl uns, wenn wir gekommen sind zu dem Mittler des neuen Bundes, dessen Blut bessere Dinge redet denn Abels. Darum habet Gnade, durch welche wir sollen Gott dienen ihm zu gefallen, mit Zucht und Furcht. Denn unser Gott ist ein verzehrend Feuer, Hebr. 12. – Moses redete und Gott antwortete ihm laut. Wohl allen gedemütigten Herzen, dass sie einen Fürsprecher bei dem Vater haben, Jesum Christum, welcher, nachdem er die Reinigung unserer Sünden gemacht hat durch sich selbst, nun sitzet zur Rechten Gottes und vertritt uns. Wo will aber derjenige bleiben, der diesen Fürsprecher nicht hat, und den hat keiner, der ihn nicht ernstlich suchte und bereitwillig alles um seinetwillen hingab? So suchet ihn denn, damit ihr lebt.

Moses bekam nun Befehl von dem Herrn, zu ihm auf die Spitze des furchtbaren Berges zu steigen. So sah man denn doch, dass dieser majestätische Gott nicht durchaus unzugänglich war, und wer Verstand hatte, konnte daraus schließen, dass es, seiner Herrlichkeit ungeachtet, doch einen Weg zu seiner Freundschaft und Gemeinschaft gebe. Und wie erwünscht ist das für gedemütigte Sünder. Aber wie wunderbar! Kaum ist der 80jährige Mann auf der Spitze des so schwer zu erkletternden Berges angekommen, so bekommt er Befehl, wieder hinabzusteigen und dem Volke zu bezeugen, keiner von ihnen solle es wagen, zu dem Herrn durchzubrechen, dass sie ihn sähen und viele von ihnen fallen. Moses machte eine Einwendung dagegen und bemerkte, das Volk könne nicht auf den Berg, weil er nach göttlichem Befehl umzäunt sei; es sei also nichts zu besorgen. Aber der Befehl: steige herab, wurde wiederholt, und so stieg Moses den mühevollen Weg wieder hinab und sagte es dem Volk und den Priestern. So ganz sollte er alle eigene Wahl und allen eigenen Willen verleugnen und alle Mühen übernehmen, die ihm auferlegt wurden, so ganz alle seine eigene Einsicht verleugnen. Und er tat’s auch.

Als Moses wieder unten beim Volk war, fing Gott selbst an, die zehn Gebote zu geben, die er jedoch auf eine sehr freundliche Weise anhub, indem er sagte: Ich bin der Herr, dein Gott. Hierauf gab er die Gebote, indem er sagte: du sollst keine and’re Götter neben mir haben usw. – Dies waren also die Bundesartikel, welche erfüllt werden mussten, dies die Heiligkeit, welche Gott von denen forderte, mit welchen er Freund- und Gemeinschaft haben wollte; dies ein Spiegel, worin sie ihre Gestalt betrachten und danach beurteilen sollten, in wiefern sie mit dem vorgehaltenen Exemplar, auch in den feinsten Zügen übereinstimmten, also, dass auch kein Gedanke oder Lust wider irgend ein Gebot Gottes je in ihr Herz gekommen sei; dies der Maßstab, woran sie ihre Gerechtigkeit messen, das Gewicht, womit sie sich wiegen sollten, die Regel ihrer beständigen inneren Gesinnung und äußeren Verhaltens, so wie die Richtschnur, wonach sie einst von dem majestätischen Gott gerichtet werden sollten, der sich ihnen hier im Feuer offenbarte. – Tue das, hieß es, so wirst du leben; verflucht aber sei, wer nicht bleibt in alle dem, das geschrieben steht im Buche des Gesetzes, dass er’s tue. Was sollten sie tun? Sich selbst diesem großen, vielsagenden Werk für gewachsen achten, oder durchschauen auf Den, der des Gesetzes Ende ist, und waren sie so zartsinnig, es zu fassen, dass es nicht bloß gebietender Weise heißt: du sollst, sondern auch verheißender Weise: du wirst? nachdem du von dem Herrn dazu tüchtig gemacht worden, der dein Gott ist.

Diese Gesetzgebung geschah noch fortwährend unter den vorhin beschriebenen furchtbaren Umständen. Es machte auf das Volk einen umso gewaltigeren Eindruck, da Moses selbst gestand: ich bin erschrocken und zittere. Zitterte ein so heiliger Mann, was sollten denn die anderen nicht? Sie flohen und traten von ferne. So wenig war daran zu denken, dass sie hätten herzubrechen sollen. So war Ein Zweck der Gesetzgebung erreicht. Derjenige nämlich, wodurch ihnen ihre Sündhaftigkeit, ihre Entfremdung von Gott und ihre Untauglichkeit, so ohne weiteres zu ihm zu nahen, tief fühlbar wurde. Denn so soll bei einem Jeden aus dem Gesetz Erkenntnis der Sünden kommen und zwar eine solche, die da macht, dass er sich fürchtet vor seinem Wort und dass er ein geängstetes und zerschlagenes Herz bekommt. Dies gebrochene Gemüt ist, so zu reden, das einzige, was der Gott aller Gnade fordert, und das er anzusehen verheißen hat, verheißen, er wolle die zerstoßenen Herzen verbinden und die zerschlagenen heilen. Das hatten weder sie noch auch sonst Jemand vor ihnen eingesehen, dass Gott ein so heiliges Wesen sei, dass er einen so weitläufigen und pünktlichen Gehorsam fordere und dass es mit der Sünde so viel auf sich habe. Und steht’s nicht mit Jeglichem eben also, so bald ihm der heilige Inhalt des Gesetzes und eben dadurch zugleich die Sündhaftigkeit seines ganzen Sinnes einleuchtet? Aber die Gesetzgebung erreichte auch ihren anderen Zweck, den nämlich, dass ihnen die Notwendigkeit eines Mittlers zwischen dem heiligen Gott und dem sündigen Menschen einleuchtete. Sie wandten sich zu dem Ende an den Mann, welcher ihnen allein tauglich dazu erschien, an Mosen, mit der Bitte: rede du mit uns und lass’ Gott nicht mehr unmittelbar mit uns reden, wir möchten sonst sterben. Diesen Vorschlag billigte Gott der Herr und sagte: es ist alles gut, was sie gesagt haben. Ach! dass sie ein Herz hätten, mich zu fürchten und meine Gebote zu halten ihr Leben lang, auf dass es ihnen wohlginge und ihren Kindern nach ihnen. - Vertaten sie sich gewissermaßen in der Person des Mittlers, welches eigentlich nicht Moses, sondern ein anderer und viel höherer war, da Moses selbst ein Sünder und also eines Mittlers bedürftig war, was er auch sehr wohl erkannte und einen so hohen Wert auf diesen Mittler setzte, dass er die Schmach Christi für größeren Reichtum achtete, denn die Schätze Ägypti. Er machte sie auch später auf diesen wahren und eigentlichen Mittler, der alle die, zu diesem hochwichtigen Geschäfte erforderlichen Eigenschaften besaß, aufmerksam, wenn er sagte: einen Propheten wie mich wird der Herr, euer Gott, euch erwecken aus euren Brüdern, und seine Schrift mit den Worten schloss: es stand hinfort kein Prophet in Israel auf wie Moses. Da nun aber doch ein solcher aufstehen sollte: so sahen sich die Gläubigen mit ihren Hoffnungen und Erwartungen hinaus verwiesen, in die Zukunft, bis endlich der rechte Mann gefragt wurde: bist du, der da kommen soll? An diesen sind nun alle Menschen, als an denjenigen verwiesen, außer welchem kein Heil ist. Das Gesetz ist durch Moses gegeben; aber die Gnade und Wahrheit ist durch Christum worden.

Diesem von Gott genehmigten Vertrag gemäß, nach welchem Moses das Mittleramt zwischen Gott und dem Volk verwaltete, machte er sich hinzu ins Dunkle, da Gott innen war. Wer muss sich nicht wundern über das herrliche Vertrauen und die Zuversicht Mosis, dass er unter solchen erschrecklichen Umständen ein so kindlich furchtloses Vertrauen zu Gott bewies, wer muss sich nicht freuen über die Macht, welche Gott Menschenkindern verleihen kann, also kindlich und vertraulich mit ihm umzugehen, wie ein Freund mit dem anderen! Fand dies schon unter dem Alten Testament statt, wo doch ein Geist zur Furcht herrschte und der wahre Weg zur Heiligkeit noch nicht geöffnet war – was kann, was sollte nicht unter dem neuen Testament stattfinden, welches einen kindlichen Geist verleihet, durch welchen wir rufen: Abba, lieber Vater! und ermuntert werden, mit Freudigkeit hinzuzutreten zu dem Gnadenstuhl – da es dort immer hieß: das Volk nahe sich nicht, sondern stehe von ferne.

Auf dem Berge mit mehreren Geboten bekannt gemacht, welche er aufschrieb und die wir 2. B. Mos. 20 – 23 lesen, stieg Moses wieder vom Berge herab und teilte sie dem Volke mit, welches sich zu deren Haltung bereit erklärte. Jetzt errichtete er auf eine förmliche Weise einen Bund zwischen Gott und dem Volke. Er nahm Bocks- und Kälberblut mit Purpurwolle und Ysop, und besprengte das Buch und alles Volk, und sprach: dies ist das Testament, das euch Gott geboten hat. Hebr. 9,19. Es wird, setzt er hinzu, alles mit Blut gereinigt, und ohne Blutvergießen geschieht keine Vergebung. Er leitet daraus noch andere wichtige und merkwürdige Schlüsse her, wenn er z.B. sagt: wenn der Ochsen und Kälber Blut heiliget die Unreinen zur äußerlichen Reinigkeit, wie viel mehr wird das Blut Christi, der sich selbst ohne allen Wandel, durch den ewigen Geist Gott geopfert hat, unser Gewissen reinigen von den toten Werken, zu dienen dem lebendigen Gott: darum ist er auch ein Mittler des neuen Testamentes, auf dass durch den Tod, so geschehen ist zur Erlösung von den Übertretungen, diejenigen, welche berufen sind, das verheißene ewige Erbe empfangen, und andere mehr, welche man selbst im angeführten Kapitel nachlese, welches der Apostel mit der Aufmunterung zum freimütigen Hinzunahen zu Gott durch Christum beschließt. So mangelhaft und unvollkommen jener mosaische Bund war, wegen der zu erfüllenden Bedingungen, die das Volk zwar in einer – wie mans nimmt – löblichen oder irrenden Bereitwilligkeit, zur selbsteigenen Erfüllung übernahm: ebenso vollkommen und unseren Bedürfnissen entsprechend ist der herrliche Bund, welcher durch das Blut Christi gestiftet worden ist. Nachdem er selbst die Leistung aller jener Bedingungen übernommen und vollbracht hat, ist aus seinem Blut ein Gnadenbund erwachsen, der eigentlich keine Forderungen und Drohungen enthält und aus lauter Verheißungen besteht.

Lasst uns hier abbrechen. Betrachtet euch denn als mit Israel am Sinai stehend, und lasst euch durch dies feurige Gesetz aus eurem gefährlichen Traum und Schlummer wecken und euch zu Sündern machen, die mit Mosi aus dem Volke erschrecken und ernstlich fragen: welches ist der Weg zu Gott und seiner Gemeinschaft? – um denselben einzuschlagen. – Wohlan! – aber alle, die ihr durstig seid – kommt her zum Wasser, und die ihr nicht Geld habt, kommt her, kaufet und esset, kommt her und kaufet ohne Geld und umsonst, beides Wein und Milch! Amen.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/k/krummacher_g.d/predigt_16.txt · Zuletzt geändert: von aj
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain