Krummacher, Gottfried Daniel - Die Wanderungen Israels durch die Wüste nach Kanaan - 72. Predigt (Bileam)

Krummacher, Gottfried Daniel - Die Wanderungen Israels durch die Wüste nach Kanaan - 72. Predigt (Bileam)

Eingang.

Wenn der weise König in seinem Predigerbuche 1, 9 sagt: Es geschieht nichts Neues unter der Sonne, so stellt er hier eine Behauptung auf, der wir aus vielen Gründen unsere Zustimmung versagen möchten. Dies Buch ist überhaupt ein seltsames Buch, das mehr der Vernunft, als der Lehre folgt und sich in paradoxen, in seltsamen Gegensätzen gefällt und Rätsel aufzulösen gibt, was nicht jeder kann, wenn er auch sonst einen guten Verstand hat.

Besehen wir nun dies Wort: Es geschieht nichts Neues unter der Sonne, so wird alles auf den Standpunkt ankommen, von wo aus wir's besehen, wonach es uns als richtig oder unrichtig erscheinen mag. Betrachten wir z. B. den Tod Jesu für unsere Sünde, so werden wir ja dem Salomo die Frage entgegenstellen können: geschah da denn nichts Neues. War das denn nur die Wiederholung etwas schon Geschehenen: Aber wie nennt denn Johannes Jesum: Das Lamm, das erwürgt ist vor Grundlegung der Welt.

Text: 4. Buch Mosis 23, 23 - 26.

Denn es ist kein Zauberer in Jakob, und kein Wahrsager in Israel. Zu seiner Zeit wird man von Jakob sagen, und von Israel, welche Wunder Gott tut. Siehe, das Volk wird aufstehen wie ein junger Löwe, und. wird sich erheben wie ein Löwe; es wird sich nicht legen, bis es den Raub fresse, und das Blut der Erschlagenen saufe. Da sprach Balak zu Bileam: du sollst ihm weder fluchen noch segnen. Bileam antwortete und sprach zu Balak: Habe ich dir nicht gesagt: Alles, was der Herr reden würde, das würde ich tun?

So schließt sich die zweite Gottessprache Bileams. Er redet: 1. Von einer Zeit. 2. Von Ereignissen.

Alles hat seine Zeit und alles Vornehmen unter dem Himmel seine Stunde. Die Schriften des Neuen Bundes richten, besonders in der Geschichte des Herrn, ihr Augenmerk darauf, wenn sie auch nicht mit menschlicher Genauigkeit verfahren. Da finden wir mehrere Zeitbestimmungen von Tagen und Stunden, ohne dass wir gerade immer einsehen, warum sie die geben. Warum bemerkt z. B. Johannes, wie er und Andreas von Johannes dem Täufer zu Jesu gekommen seien, und wie Leute, die nicht gut eine Anrede zu machen wissen, gefragt haben: Meister, wo bist du zur Herberge? dass es die zehnte Stunde, das ist nahe Abend, gewesen. Doch ich besinne mich. Gewiss war das für ihn die merkwürdigste Stunde seines Lebens. Denn was für eine merkwürdigere Stunde kommt in eines Menschen Leben vor als die, wo er erstmals mit Jesu bekannt wurde! Johannes erinnert sich ihrer in seinem achtzigsten Lebensjahr, wo er dies Evangelium schrieb, noch mit Inbrunst und Dank, und tuts noch in diesem Augenblick. Möchte man sagen: Es sei doch jedenfalls eine Privat-Angelegenheit, die doch eben nicht in eine öffentliche Geschichte gehöre, so antworten wir: teils geschieht durch Meldung der Stunde die Frage an jeglichen Leser und auch an dich: wann war denn bei dir die Stunde, wo du die Bekanntschaft Jesu machtest? teils liegt darin ein Wink, dass die ganze Geschichte Jesu eine persönliche Angelegenheit werden müsse; deswegen nennt sich Johannes den Jünger, den der Herr lieb hatte. Das ist ihm das Merkwürdigste und Teuerste, und zugleich legt er's darauf an, dass jeder ihm das nachsagen und sich mit ihm den Jünger nennen lerne, den der Herr lieb hat. Denn er sagt ja auch: Er hat uns geliebt, maßt sich also nichts an, will aber, dass wir das Allgemeine zum Allerbesondersten machen lernen. Übrigens geben die lieben, heiligen Männer Gottes keine Zeitbestimmung, wie die weltlichen Skribenten, oder so, dass es wohl sein kann, dass wir in der Zeitrechnung einige Jahre älter oder jünger sind. Dem Apostel war das die Hauptsache, dass jetzt das angenehme Jahr des Herrn, jetzt der Tag des Heils und das kostbare Heute sei, ohne sich darum zu bekümmern, das wievielte Jahr es nach Erschaffung der Welt oder nach der Geburt Christi sei. Die Propheten geben bekanntlich auch Zahlen an, deren genaue Auflösung bis jetzt eine zu schwere Aufgabe und eine unfruchtbare Spekulation und Grübelei war. Der Herr selbst band sich sehr genau an Zeit und Stunde. Bald heißt es von ihm: Seine Stunde war noch nicht gekommen, deswegen letzte niemand Hand an ihn, bald sagt er selbst: Eure Stunde ist allewege. Meine Stunde ist noch nicht gekommen; so redete er auch zu seiner eigenen Mutter. Er wollte Wein verschaffen, aber die Stunde musste erst da sein. Er tat nichts zu früh und nichts einen Augenblick zu spät. Das war ein so zartes Aufmerken auf den Wink seines Vaters, dass wir grobsinnige Menschen uns keine Vorstellung davon machen können. Wie eine leichte Feder in der Luft von jedem Luftzug sich regieren lässt, so Jesu heilige Seele von jedem Hauch des göttlichen Willens. Welch ein köstlicher Gehorsam, welch ein Verdienst und Vorbild für uns!

Die Zeitbestimmung, wann etwas geschehen oder nicht geschehen soll, ist Sache Gottes, welche die Heilige Schrift seine Gerichte und Wege nennt, die sich als unerforschlich und unbegreiflich darstellt. Es ist in Gottes ewigem, weisem, unveränderlichem Rat festgesetzt, samt demjenigen, was und wie es sich ereignen soll. Oft baut es sich nach und nach an, oft steht es rasch und unerwartet da. Man nennt die Zeit mit Recht gut oder böse, wiewohl sie selbst weder das Eine noch das Andere, sondern nur die Möglichkeit ist, das Dinge neben und nacheinander sein können. Aber das Zusammentreten von Umständen macht sie zu einer guten oder bösen, je nachdem diese oder jene die Oberhand haben. Man redet auch vom Zeitgeist, und bezeichnet damit et was Merkwürdiges und Unerklärliches; es ist eine gewisse, sehr weit verbreitete Richtung der Gemüter, Meinungen, Bestrebungen, die ihre Zeit durch fortdauern und dann einer andern Platz machen, wie die Menschen selbst. Paulus sagt Apg. 13 von David, er habe zu seiner Zeit dem Willen Gottes gedient. So auch Salomo und die andern nach ihm, jeder in seiner Weise. Jede Zeit hat ihre eigentümlichen Versuchungen, so wie ohne Zweifel auch ihre Vorteile und Nachteile vor andern, und ihren besonderen Charakter. Das gilt sogar von Schriften aller Art, die durchgängig selbst wenige religiöse Ausnahmen abgerechnet - veralten und vergessen werden. Es muss was Neues sein. Es gibt deswegen auch ein tadelnswertes Festhalten an alte Formen, so wie eine bedenkliche Neuerungssucht. Die Geschlechter kommen und gehen und mit ihnen andere Ideen oder doch andere Gestaltungen derselben, weniger in Europa, da die sogenannte alte Welt sich auch noch ziemlich in ihren alten Formen bewegt, wenn gleich besonders jetzt im türkischen Reich vieles daran rüttelt. Gott hat bekanntlich seine Kirche unter drei Haupt Formen regiert und den beiden vergangenen jeder ungefähr einen Zeitraum von 2000 Jahren bewilligt. Die erste, die mit Adam begann und mit Mose schloss, war besonders lieblich und dem unmündigen Kindesalter entsprechend. Die Menschen machten nur noch eine Familie aus, redeten alle einerlei Sprachen, erreichten ein unglaublich hohes Alter und lebten in völliger Freiheit, ohne irgendein anderes Gesetz, als was jeder von Natur in seinem Herzen hat. Eine Verheißung aber hatten sie, nämlich die von dem Weibessamen, und zwar ein Exempel, aber kein Gebot von Opfern. Übrigens teilten sich die Menschen schon damals in Schlangensamen und Weibessamen, in Unkraut und Weizen, in Kinder des Reichs und der Bosheit, in Kinder Gottes und des Teufels. Ja, zuletzt gewannen die Gottlosen dermaßen die Oberhand, dass kaum acht Fromme auf der ganzen Erde waren. So gingen die ersten anderthalb tausend Jahre herum und die ehrwürdigen Namen der acht Patriarchen aus diesem Zeitraum sind uns bekannt. Der Letzte, Methusalah, war schon 240 Jahr alt, als Adam starb, und Sem hatte beim Tode seines Urgroßvaters Methusalah schon ein Alter von 90 Jahren, und Isaak war schon 50 Jahre alt, als Sem zu seinen Vätern versammelt ward. Dem zufolge waren zwischen Mose und Adam nur vier Personen, nämlich Methusalah, Sem, Isaak und Mosis Großvater, Kahat. Diese Zeit der Verheißung änderte sich nun in ihrer zweiten kürzeren Hälfte in vielen Stücken. Es wurden wirklich ein Paar Gebote oder vielmehr Verbote namentlich des Totschlags gegeben, aber auch der Glaube durch das Sakrament des Regenbogens und 300 Jahre später durch das der Beschneidung gestärkt und erleichtert; die Menschheit teilte sich in verschiedene Völkerschaften und fing an, verschiedene, doch sehr ähnliche Sprachen zu reden. Mit der Beschneidung und in der Person Abrahams begann Gott sich eine Kirche abzusondern, die er sein Volk, die andern aber Heiden nannte. Diese Zeit war besonders lieblich durch die häufige göttliche Ansprache und himmlische Erscheinung, welche die Gottseligen genossen, und zwar ohne Furcht und Schrecken, wie es später der Fall wurde, wo diejenigen, welche solche Erscheinung hatten, meinten des Todes sein zu müssen. Dieser Schrecken gehört in die zweite, nämlich gesetzliche Kirchenregierung, die mit Mose auf dem Berge Sinai begann, deren Ende aber Christus ist auf dem Berge Zion. Die Kirche wurde behandelt wie ein heranwachsender Knabe, der unter der Zucht und in die Lehre getan wird. Der Glaube wurde teils erschwert, da die Verheißung in gesetzliche Windeln eingehüllt und sie dadurch gewissermaßen unkenntlich gemacht, auch mit Bedingungen verbrämt wurde, dass sie die Gerechtigkeit nicht aus dem Glauben, sondern aus den Werken suchten und die wahre Gerechtigkeit Gottes nicht erkannten, da doch die Verheißung nicht 430 Jahre nachher durchs Gesetz aufgehoben, auch nicht einmal verkümmert wurde. Jedoch war das Maß des Geistes und folglich auch der Erkenntnis, des Trostes und der Heiligung sparsam und mehr einzelnen, hellen Blitzen, als einem heitern Tage vergleichbar, wo das Licht zwar weniger glänzend, aber gleichförmiger scheint; teils wurde das Vertrauen gegen die Zeit der Verheißung, wo es fast gar kein Gesetz gab, ungemein gestärkt, denn die Kirche bekam nun das Wort schriftlich und statt Einer, tausend Verheißungen, statt Eines, fünfzig Sakramente, das Osterlamm, das Manna, den Fels, die Opfer, das Priestertum usw. Das Gesetz selbst war wie ein strenger Zuchtmeister auf Christum, das durch die strengen Bundesartikel erfüllt werden musste, so dass Gott das am Ende der gesetzlichen Haushaltung selber tat, was dem Gesetz unmöglich war.

Wir leben nun freilich seit 1800 Jahren in der neutestamentlichen Periode, wiewohl wir durchgängig sehr wenig neutestamentlich und evangelisch gesinnt sind, obschon unsere Zeit seltsamer Weise mit dem Titel „evangelisch“ prangt. Möchte es nur nicht in dem laodizäischen Sinne geschehen, wie es doch tut. Fürwahr, das Maß des Geistes ist noch sehr sparsam. Von dieser neutestamentlichen Zeit will ich jetzt nicht ausführlich reden, weil ich das ja stets nach Vermögen tue. Ein gottseliger Gelehrter meint, man könnte die neutestamentliche Kirchenzeit in sieben Perioden abteilen, nach der Zahl der sieben Siegel und sieben Briefe in der Apokalypse, wo noch in dem letzten Siegel, worin wir leben, sieben Engel mit eben so viel Posaunen auftreten und mit sieben Schalen, und wenn die letzte ausgegossen, heißt es, wie vorher bei der Schöpfung und zum zweiten Mal beim Tode Jesu, sodann zum Schluss: Es ist geschehen. Halleluja! Denn die Reiche der Welt sind unsers Herrn und seines Christus geworden, und er wird regieren von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Gewiss ist es, Gottes Ratschlüsse sind noch nicht zur vollständigen Ausführung gekommen. Aber sie werden es alle, und man wird endlich mit Jesaja rühmen können und müssen: Kein Wort des Herrn ist auf die Erde gefallen. Es kam Alles.

Gehen wir mit unserer Betrachtung vom Allgemeinen und Großen zum Besondern und Geringeren über, so hat auch da alles seine Zeit. Dies „Alles“ zerlegt der weise König in mehrere Einzelheiten, die er mit Geborenwerden und Sterben beginnt und mit Streit und Friede beschließt. Die Hauptsache dabei ist nur die, dass wir von denen sind, welche Gott lieben. Denn alsdann genießen wir das große Vorrecht, dass alle Dinge zu unserm Besten dienen müssen, dass eine gute Hand über uns waltet; dann werden auch unsere Schicksale sich schon zu einem erwünschten Ziele neigen, möchten sie auch unangenehmer Art sein. Zu diesem erwünschten Ziele neigt sich aber unser Weg, wenn die Stunde über uns schlägt, wo wir zum zweiten Mal geboren werden und von oben her aus Wasser und Geist, wo wir geistliche Menschen werden, geistliche Augen, Ohren und Herzen bekommen. Dies selige Geborenwerden hat seine Stunde, mag sie auch dem Gotteskinde, das geboren wird, nicht gleich genau bekannt werden. und mancher die Wiedergeburt noch ängstlich suchen, da er sie schon hat. Die Erfahrung lehrt, dass diese Stunde gewöhnlich in den Jünglingsjahren schlägt. Mit den zunehmenden Jahren werden die Bekehrungen seltener, und wo sie sich bis zum 30. Lebensjahre nicht ereignet haben, ist für die Folgezeit wenig Hoffnung. Man sollte sagen, es verhielte sich umgekehrt und die reiferen Jahre wären der Bekehrung günstiger. Aber die Gnade erweist sich eben dadurch in ihrer siegenden Macht, dass sie sich mehrenteils solcher bemeistert, welche noch in der Blüte ihrer Jahre und in der ganzen Lebhaftigkeit der Sinne stehen, wo man fragen möchte: wie mag solches zugehen? - Doch ist die Gnade an nichts gebunden und so werden etliche noch um die elfte Stunde, im Alter, in den Weinberg gemietet.

Salomo nennt auch Streit und Friede unter den Dingen, die ihre Zeit haben. Und gewiss hat beides seine angewiesene Stunde. Es gibt eine Zeit der innerlichen Kämpfe und Anfechtungen, und man trifft auf seinem Wege einen Ofen des Elendes. Man muss hinein und an diesem engen und heißen Ort seine Zeit verharren, und alle Bemühungen, sich vor der Zeit herauszuarbeiten, sind vergeblich und vermehren das Ungemach; dann muss man auf Kraft, Trost und Friede Verzieht tun und meint wohl in der Angst seines ungläubigen Herzens, man komme nie aus Herada heraus. Aber es ist eine Zeit dabei, wie lange es dauern, ein Maß, wie weit es gehen soll. Jeremias meint, der sei wohl daran, der sein Joch in der Fugend trage. Doch

Wenn die Stunde sich gefunden,
Bricht die Hilf' mit Macht herein!

Die Seele meint wohl einmal, sie werde sich nie wieder freuen können. Aber obschon euer Herz jetzt voll Trauerns ist, will ich euch doch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll Niemand von euch nehmen. Davids Seele weigerte sich einst, sich trösten zu lassen, aber der Herr zog ihm doch zur rechten Stunde sein Trauerkleid aus und gürtete ihn mit Freuden. Ein anderes Mal hatte der Herr seinen Berg durch seine Barmherzigkeit so fest gesetzt, dass es ihm ungemein wohl ging und er nun meinte, er werde nimmermehr darnieder liegen. Aber da du dein Angesicht verbargst, erschrak ich. Jesus ist ein Meister zu helfen und hat eine gelehrte Zunge, dass er wusste mit den Müden zur rechten Zeit zu reden. Betrübt er, so ist niemand vermögend, zu trösten, erfreut er, so kann niemand traurig machen. Mit Recht fragt Hiob: Wenn er stillt, wer will beunruhigen? Auch die Erleuchtung hat ihre Zeit und Maß, wovon die Jünger ein auffallendes Exempel liefern. Die Mittel ihres Unterrichts waren unvergleichlich. Der Sohn Gottes selbst war ihr Lehrmeister. Aber wie wenig förderten sie. Die Rede war ihnen verborgen, heißt es mehrmals von ihnen, und sie vernahmen der keines, wie deutlich auch die Worte lauteten. Ihre Herzen waren in ihnen erstarrt. Sie meinten, was menschlich, nicht was göttlich ist. Jesus hatte ihnen wohl noch viel zu sagen, aber sie konnten es jetzt noch nicht tragen. Das alles kam daher, dass der Geist noch nicht da war, denn Jesus war noch nicht verklärt. Dieser Geist wurde aber erst 50 Tage nach der Auferstehung Christi ausgegossen und von da an verstanden sie erst das Geheimnis des Reiches Gottes klar und deutlich. Doch bedurfte es bei Petro noch einer besonderen Erleuchtung, einzusehen, dass auch Heiden an den Gütern des Neuen Bundes ebenso vollständig Teil bekämen, als die Juden, und es ging im Ganzen eine lange Zeit darüber hin, ehe sich die Gläubigen aus den Juden darin schicken konnten, dass sie nicht an das Zeremonial-Gesetz gebunden sein sollten, worauf sie strenge hielten, so teilte sich die Christenheit schon damals in zwei Abteilungen, die Zeremonial-Christlichen, an der Spitze Petrus, und die rein Christlichen, an deren Spitze Paulus stand, bis mit Stadt und Tempel dieser oft störende Unterschied schwand. Die Erleuchtung hat auch ihre Zeit und ihr Maß, und niemand kann auch in dieser Beziehung seiner Länge eine Elle zusetzen, oder auch nur ein Haar schwarz oder weiß machen.

Dies von der Zeit. Den Ort bezeichnen die Namen Jakob und Israel. Der Ort ist die Kirche, sind die Personen, woraus sie besteht. Die Kirche ist der Schauplatz, wo sich die Herrlichkeit Gottes offenbart, wo die mannigfache Weisheit Gottes den Fürstentümern im Himmel kund wird, an der Gemeinde, welche die Tugenden dessen verkünden, der uns berufen von der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht. Sie ist Gottes Augapfel. Ihre Erhaltung, Ausbreitung, Läuterung und Förderung sind die Herzens-Angelegenheiten Gottes und das letzte Ziel des Tumults auf dem ungestümen Meere der sich durchkreuzenden Winde und Wogen. Des Herrn Weg ist doch in diesen Wassern, mag auch sein Fuß nicht gesehen werden. Eine ist meine Taube, meine Fromme. Eine ist ihrer Mutter die Liebe und die Auserwählte dessen, der sie gezeugt hat. Der wahren Kirche wahrlich anzugehören, ist die höchste Glückseligkeit und Herrlichkeit, und ginge man auch leiblich ganz darüber zu Grunde.

Bileam weissagt nun durch den Geist, der sich seiner als seines Werkzeugs wider seinen Willen bediente, von jener bestimmten Zeit: Alsdann wird man von Jakob sagen und von Israel, welche Wunder Gott tut. Er drückt dies in einem Bilde aus: Siehe, das Volk wird aufstehen, wie ein junger Löwe, und wird sich erheben, wie ein Löwe; es wird sich nicht legen, bis es den Raub fresse, und das Blut der Erschlagenen saufe. Das Bild lautet fürchterlich, aber seine Bedeutung ist lieblich. Das Bild redet von einem Blutbade, das einige ergrimmte starke Löwen anrichten, deutet aber nur auf die Anwendung einer großen siegreichen Kraft, deren Erfolge groß und durchgreifend zum Ziele führen. Die Weissagung ist großartig und weit aussehend, und noch bis heute nicht vollständig erfüllt. Große Wunder hat Gott getan, tut sie noch, und großen Wundern gehen, harren und hoffen wir entgegen.

Alles kommt darauf an, was der starke Gott tut. Sein ist die Kraft; ohne seinen Willen kann keine Kreatur sich weder regen noch bewegen, nicht einmal etwas denken, wollen und begehren, will geschweige tun und ausrichten. Seine Kraft erweist sich zu einer Zeit mehr wie zur andern, wird auch als Seine Kraft bald mehr, bald weniger verstanden und erkannt, geehrt und gerühmt. Ist hier nicht besonders von einer Zeit die Rede, wo Gott sein Israel also gnädig heimsucht, dass nicht von menschlichem Tun und Treiben, sondern ausschließlich von dem die Rede und das Lob geht, was Gott tut, der die Kräfte gibt. O! eine heilige, eine herrliche Zeit. Dann geht nach Offenb. 19. die Stimme vom Stuhl aus, die da sagt: Lobt unsern Gott, alle seine Knechte und die ihn fürchten, beide klein und groß. Alsdann wird des Menschen Dichten und Trachten, Wissen und Meinen, Sein und Können, Wollen und Laufen, nach seinem Verdienst beurteilt, das ist, für weniger als nichts, ja für ein Gräuel geachtet werden, der Herr aber allein groß sein. Jes. 2. Der Herr tut aber Wunder. Das Wort Wunder steht eigentlich nicht da, weil der Herr alles tut. Was hat er nicht getan! Die Welt hat er erschaffen und bis jetzt erhalten. Noch mehr: in sicht- und hörbarer Weise hat er sein Gesetz bekannt gemacht. Noch mehr: seinen eingebornen Sohn hat er gegeben und ihn ein Menschenkind werden lassen. Noch mehr: diesen seinen menschgewordenen Sohn hat er zur Sünde, hat er für uns zum Fluch gemacht, hat seiner nicht geschont, sondern ihn um unsrer Sünden willen dahingegeben. Ich kann nun nicht sagen: noch mehr, aber doch nicht weniger; denn er hat seinen Heiligen Geist, der's von dem, was Jesu ist, nimmt und es den Seinigen verkündigt, gesendet. Was tut er noch? Noch immer erweitert er die Grenzen seines Reiches; er lässt noch fort und fort seinen Namen und sein Evangelium zu den gebildeten und zu den rohen Heiden tragen, die noch nie davon gehört hatten und nicht ohne Erfolg. Was tut er noch? Es werden noch immer allerlei Leute in Zion geboren. Verstummt sein Wort hier - dort erschallts so viel lauter. Es werden Leute erweckt, begnadigt, hinzugetan zu denen, die da selig sollen werden, von denen man es am wenigsten hätte denken sollen, und auf eine Weise, dass man fröhlich bekennen muss: Das hat der Herr getan und es ist wunderbar vor unsern Augen. Was wird er tun? Er wird so fortfahren. Er wird auch fortan gnädig sein und Sünden vergeben und neue Herzen schaffen. Er wird fortan seine Schafe also bewahren, dass sie nimmermehr umkommen, wird sie aus- und einführen, dass sie Weide finden, und ihnen endlich das ewige Leben geben. Was wird er tun? Er wird alle seine Feinde, die nicht wollen, dass er über sie herrsche, zusammen führen, dass sie tun einerlei Meinung und streiten mit den Heiligen und obsiegen. Da wird denn alle Hilfe aus und alles verloren zu sein scheinen. Dann wird es klar werden, dass unsere Hilfe lediglich steht im Namen des Herrn. Aber dann wird man auch von Jakob sagen und von Israel, was Gott tut, wie es bis jetzt noch nicht gesehen worden ist. Das heilige Volk wird aufstehen wie ein junger Löwe. Wer schwach sein wird, wird sein wie David. Die schwachen Mittel des Predigtamts, die geringen Werkzeuge des Missions-, des Traktats-, des Bibelwesens werden aus Schafen starke, unbändige Löwen werden, die Hindernisse reißen, ohne dass ihnen jemand wehren kann. Sie werden den Raub der Namens-Christen, Muhamedaner, Juden und Heiden also fressen, dass sie Zion einverleibt werden. Sie werden sie erschlagen mit den geistlichen Waffen ihrer Ritterschaft des Evangeliums, und das Blut ihrer Sünden, ihrer eigenen Weisheit, Kraft und Gerechtigkeit vergießen, um sie als eine reine Jungfrau Christo zuzuführen und als ein ganzes Opfer auf den Altar zu bringen. Siehe, ich komme bald. Amen.

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