Krummacher, Gottfried Daniel - Die Wanderungen Israels durch die Wüste nach Kanaan (Nahaliel Hesbon)

Achtundsechzigste Predigt.

Eingang.

Merkwürdig ist es, wenn wir den Inhalt der beiden Worte neben einander stellen, erstlich, wenn Christus Joh. 15 zu seinen Jüngern sagt: Ohne mich könnt ihr nichts tun, und zweitens, wenn er Matth. 28 zu ihnen spricht: Siehe, ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende, oder wenn es zur Maria heißt: Der Herr ist mit dir. Beides muss erfahren werden, und so demütigend das Eine, so erhebend ist das Andere.

Ohne mich, sagt Jesus, könnt ihr nichts tun. Wer sind diese ihr? Es sind die Jünger, denn zu ihnen wurden die Worte des 14., 15. und 16. Kapitels insbesondere geredet. Sie waren wiedergeboren, sie waren gläubig, sie waren rein, wie Jesus sie nennt. Insbesondere standen sie in dem Verhältnis zu Jesu, wie Reben zum Weinstock, welche aus demselben allen fruchtbringenden Saft ziehen. Er sagt nicht zu ihnen: Ohne mich wollt ihr nichts tun, denn das wollten sie allerdings wohl, und zwar nicht Böses, sondern Gutes, z. B. mit ihm ins Gefängnis gehen und sterben. Dies floss aber nur aus dem Fleisch her, aus der guten Meinung, welche sie von sich selbst, von ihren Einsichten und Kräften, hegten, und von dem Vertrauen, das sie darauf setzten. Was ist das aber anders, als fleischlich sein und handeln? Diese vorteilhafte Meinung, dies Vertrauen auf sich selbst schlägt nun der Heiland immer durch das Wörtlein „nichts“; ohne mich könnt ihr nichts, nicht mit mir ins Gefängnis gehen, nicht mit mir sterben, und überhaupt gar nichts. Er erlaubt ihnen nicht, in irgendeinem Stücke auf sich selbst zu vertrauen, vielmehr überzeugt zu sein, dass sie nicht einmal tüchtig seien, aus sich selbst etwas zu denken; dagegen leitet er ihr Vertrauen allein und ganz auf sich selbst, wenn er hinzufügt: Bleibet in mir, und ich in euch. Vertraut nicht bloß dann und wann, sondern immer, nicht bloß in einigen, sondern in allen Fällen allein und ganz auf mich. Dies ist der Weg, dass ihr in mir bleibt, der Weg, dass ich in euch bleibe. Mit mir aber könnt ihr Taten tun. Besitzt ihr mich und ich euch, dann seid ihr geborgen.

Text: 4. Buch Mosis 21, 19. 5. Buch Mosis 2, 24.

Und von Mathana gen Nahaliel; und von Nahaliel gen Bamoth. Macht euch auf, und zieht aus, und geht über den Bach bei Arnon. Siehe, ich habe Sihon, den König der Amoriter zu Hesbon, in deine Hände gegeben mit seinem Lande. Hebe an, einzunehmen, und streite wider ihn.

Nahaliel ist die fünfte Lagerstätte der Kinder Israel, welche in dem eigentlichen Reiseprotokoll nicht verzeichnet ist, und deren im Ganzen sieben sind. Auch dieser Name hat eine erfreuliche Bedeutung.

Die Bedeutung des Namens El ist uns bekannt. Es heißt Gott, insbesondere wegen seiner Kraft, der starke Gott, welches ein Name Jesu Christi ist, welcher ihm Jes. 9 beigelegt wird. Nahal heißt austeilen, besitzen, erben. Nahaliel: Gott hat ausgeteilt. Dies war ein ebenso angenehmer als schicklicher Name. Bisher besaßen die Kinder Israel noch keinen Fuß breit Land, nichts von dem ihnen verheißenen Erbe. Sie besaßen es bloß im Glauben an die ihnen gegebene Verheißung, im Glauben an die göttliche Zusage. Übrigens sahen sie nicht ein, wie sie zum wirklichen Besitz gelangen sollten, der mit erstaunlichen Schwierigkeiten verknüpft war, die ihnen einst so groß und unüberwindlich schienen, dass sie lieber alsofort nach Ägypten zurückkehren wollten, möchte es ihnen gehen, wie es könnte. Gehts auf dem Wege nach dem himmlischen Kanaan nicht auch wohl so? O! wie mancher hat nicht wohl schon geglaubt, nein, für ihn sei kein Durchkommen, möge er sich anstrengen, beten, seufzen, sich ängstigen - er werde doch nicht angenommen. Ja, es werde immer schlimmer, und neues Elend geselle sich zu dem alten. Es sei je länger je weniger Aussicht, Hoffnung, Wahrscheinlichkeit da. Es ist wohl geschehen, dass Seelen sich wie die Kinder Israel in ihren vorigen Stand zurückgewünscht haben; da lebten sie noch ruhig. Ihre Sünden drückten sie nicht, der Zorn Gottes ängstigte sie nicht, der Fluch, die Verdammnis schreckte sie nicht, das Gesetz drängte sie nicht. Jetzt drängt das Gesetz, dass die Sünde überaus sündig wird durchs Gebot, jetzt schreckt sie die Verdammnis. Aber was richten sie damit anders aus, als dass sie gleichsam schon in der Hölle sind. Diese Mühe scheint ihnen bloß auferlegt, dass sie sich darin plagen sollten, ohne dass endlich etwas Gutes dabei heraus komme. Dürften sie gewiss hoffen, dass doch endlich noch etwas Gutes, ja, was Herrliches dabei herauskommen würde ach! ja, dann wollten sie sich's ja noch gefallen lassen. Indessen hier reiht sich auch ein Aber ans andere, eine Bedenklichkeit, eine Schwierigkeit an die andere, die sie wohl bis an die Grenze der Verzweiflung trieb. Sie sollen glauben und können nicht anders als zweifeln, - sie sollen beten, und sind wie Steine, sie sollen heilig sein, und sind fleischlich, unter die Sünde verkauft. Kein Wunder, wenn sie mit Jeremias ausrufen: Wo ist ein Schmerz, wie mein Schmerz? und mit Hiskias aus der Tiefe ihrer Seele aufseufzen: Ich leide Not, Herr, lindere mir’s! Tritt einmal eine Pause ein, so macht ihnen das wohl Angst, dass sie keine Angst haben, nun auch keinen Ernst mehr spüren, sondern lauter Gleichgültigkeit, Trotz, Unwillen gegen Gott sogar, dass es sie mit Hiob verdrießt zu leben, oder gar noch Ärgeres. Stellt man ihnen vor, wie gut sie's noch einmal haben würden, so dünkts ihnen lauter Märlein, wie den Jüngern die Auferstehung, und sie fragen ungläubig, wie Zacharias: Wie mag solches zugehen? Elend! das Schrecklichste schreckt sie oft nicht, das Tröstlichste macht keinen Eindruck auf sie. Wofür sollen sie sich halten? für schon Verhärtete, für solche, denen das Evangelium nur darum verdeckt ist, weil sie verloren gehen sollen? Und was ist zu tun? Ja, was ist für einen solchen zu tun, der nichts tun kann, ja, der nicht einmal weiß, obs ihm nur ein rechter Ernst sei. O! ich elender Mensch, wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes? Ich bin arm und krank - wirst du es nicht tun? In uns ist keine Kraft. Um das Elend vollends zum Elend zu machen, kommts ihnen überall vor, sie verderben es allenthalben selber. Gott wolle wohl, aber sie stellen sich nicht danach, da es doch heißt: Schicke dich Israel, und begegne deinem Gott; daran lässt du es fehlen, und so überall. Ja, wer kann dann selig werden? Bei dem Menschen ist's ja unmöglich. Jawohl. Aber bei Gott sind doch alle Dinge möglich. So bleib dann deine 4 Tage mit Lazarus im Grabe, oder mit dem blutflüssigen Weibe deine zwölf Jahre in der Hilflosigkeit, oder mit jenem gebundenen Weibe deine 18 Jahre in den Banden, oder gar deine 38 Jahre mit jenem Manne am Teiche Bethesda. Du liegst auf Hoffnung gefangen, und wirst doch endlich durch das Blut des Bundes ausgelassen werden aus der Grube, worin kein Wasser ist. Wie vielen hat der Herr schon aus noch desolateren und trostloseren Umständen geholfen. Warum denn dir nicht? Endlich lief doch für Israel die lange Wartezeit, und wenn auch erst im 39sten Jahre ihrer Wanderschaft, zu Ende, endlich fanden sie ihre Lagerstätte zu Nahaliel, „der starke Gott hat ausgeteilt.“

Denn hier war's, wo das zu Mose und der ganzen Gemeinde gesagt wurde, was wir 5. Mos. 2, 24 lesen: Hebe an einzunehmen, jetzt will ich anheben, dass sich vor dir fürchten und erschrecken sollen alle Völker. In Folge dessen nehmen sie dem König von Hesbon und Basan ihre Länder weg, welche dies- und jenseits des Jordans lagen, und das Erbteil Rubens, Gads und des halben Stammes Manasse wurden. Wohl erwies sich hier der Herr als ein starker Gott, der nicht nur stark ist, sondern auch stark macht. Moses war schon an den Sinn und die Art des Herrn in seinen Reden gewöhnt, und verstand ihn wohl. Wenn es hieß: Hebe an einzunehmen, so lautete das wie ein Befehl, dessen Ausführung zwar angenehm, aber zugleich höchst schwierig war. Moses erkannte aber Gott nicht bloß als einen solchen, der's sagt, sondern der's auch tut, dessen beides, Rat und Tat ist. Schon vor 40 Jahren hatte Gott ihm befohlen, Israel aus Ägypten zu führen. Damals machte er noch viele Einwendungen wegen seiner Untauglichkeit dazu, und sagte gar zuletzt: Sende, wen du willst. Nachher brachte er aber nicht so sehr sein Unvermögen in Rechnung, als Gottes Kraft. Als es daher zu ihm hieß: Teile du das rote Meer, so schrie er nicht, wie dort der König Israels, als der König von Syrien den aussätzigen Naeman zu ihm sandte mit einem Briefe, worin er schrieb: Siehe, ich habe dir meinen Knecht zugesandt, dass du ihn los machst von seinem Aussatz. Da schrie der König Israels laut auf: seht, wie er eine Sache an mir sucht. Bin ich denn Gott, dass ich töten und lebendig machen könnte. Moses nicht also, sondern getrost streckt er seinen Stab über das Meer hin, und teilte es. So auch hier. Der Herr sprach: hebe an einzunehmen, und Moses ward voll Mut und Freudigkeit, weil er nicht auf sich, sondern auf den starken Gott vertraute, der's sagt und tut. Der göttlichen Gebote an uns sind viele und mancherlei. Zum Teil ist ihre Ausübung an sich schon angenehm, wie z. B. das Gebot der Liebe, die ja so süß ist, das Gebot, nicht zu sorgen, sich allewege zu freuen, fest auf den Herrn zu vertrauen, teils ist ihre Ausübung schmerzhaft und schwierig, so dass Christus auch sie unter den Bildern des Abhauens einer Hand oder eines Fußes und des Ausreißens eines Auges vorstellt. Wer wird ihre Notwendigkeit nicht einräumen, oder doch einräumen müssen, dass wir Buße tun uns bekehren, an Jesum glauben, der Heiligung nachjagen müssen, wollen wir anders selig werden? Wer wird nicht einräumen müssen, das die Heilige Schrift uns das Vermögen dazu rein abspricht, wenn sie um nur zwei Sprüche anzuführen in dem einen sagt: kann auch ein Mohr seine Haut wandeln und ein Pardel seine Flecken? in dem anderen aber: So ihr das Geringste nicht vermöget, warum sorgt ihr für das andere? Was ist denn nun zu tun? Die Gebote abweisen? das geht nicht. Sie aus sich selbst erfüllen? auch nicht. Was denn? Es so machen, wie Mose, da es zu ihm hieß: Hebe an einzunehmen teile das Meer. Es nimmermehr zugeben, dass wir's in keinerlei Weise können, sondern vielmehr mit den Jüngern rühmen: Ja, wir können es wohl. Und ist dies nicht ein sehr wohlbegründeter Ruhm? Denn was sollte uns nicht tunlich und möglich sein, wenn wir glauben, und wie sollte derjenige nicht alles vermögen, den Christus mächtig macht. Ja, insofern wir in Christo sind, sind wir nicht schwach, sondern stark. Gibt er zu tun, gibt er zu leiden, so gib er auch die Kräfte her.

Übrigens welch ein liebliches Gebot: Hebe an einzunehmen, und streite wider ihn, mit der Verheißung: Jetzt will ich anheben. Jetzt, heute. Alles hat seine Zeit und jegliches Vornehmen unter dem Himmel seine Stunde.

Wenn die Stunden sich gefunden,
Bricht die Hilf mit Macht herein.

Meine Stunde ist noch nicht gekommen, sagte Jesus zu seiner Mutter zu Kana, als sie ihn auf einen entstandenen Mangel aufmerksam machte; nicht lange nachher sprach er: Schöpft nun! welches Nun das herbeigeholte Wasser in den köstlichsten Wein umwandelte und allen Mangel entfernte. So erfreulich dies helfende Nun ist, so hoch steigt oft die vorher die Not, die alles zu zertrümmern droht.

So trat es z. B. zu Hiskias Zeit hervor. Sanherib rückte Jerusalem näher und näher, es zu belagern. Die Gemeinde betete: Herr, sei uns gnädig! denn auf dich harren wir; sei unser Arm und unser Heil zur Zeit der Trübsal. Indessen rückte der Feind immer näher und verwandelte das Land in eine Einöde. Eine Stadt nahm er nach der anderen ein, und belagerte Jerusalem selbst. Aber als es bis zu diesem Gipfel der Not gestiegen war, da war auch die Stunde des Herrn da, da sprach er (Jes. 33, 10): Nun will ich mich aufmachen, spricht der Herr, nun will ich mich erheben, nun will ich hoch kommen. Wie lange hatte es nun mit Israel gedauert. Ins 40. Jahr hatten sie nun umhergepilgert; die Schwierigkeiten hatten sich nicht gemindert, sondern gemehrt; die Kriegsleute waren alle gestorben, wie der Herr geschworen hatte. Es begann jetzt ein Krieg mit Königen, wovon der eine, Og, ein ungeheurer Riese war, dessen gewaltiges Bett zum Gedächtnis aufbewahrt wurde. Und nun hieß es: Hebe an zu streiten und einzunehmen. Hätte das nicht der El, der starke Gott gesagt, so hätte es ja wie bitterer Spott gelten mögen. Aber Gottes Volk und Kirche warte im Ganzen, wie jeder Einzelne nur das göttliche Nun aus, so wird sich alles herrlicher gestalten, wie man gedacht. Sie kann sehr herunterkommen, es kann alles auf die Neige gehen, sie kann im Finsteren sitzen: aber sie wird wieder aufkommen. Es wird dennoch dahin kommen, dass Israel grüne, blühe und Frucht bringe. Stärket deswegen die müden Hände und erquickt die strauchelnden Knie. Hier zu Nahaliel hieß es nur noch: Hebe an einzunehmen, und das Streiten wird noch dabei befohlen. Es war noch nicht Kanaan selbst, sondern lag noch diesseits des Jordans, über welchen sie noch hinüber mussten. Doch bekam Manasse sein Erbteil an beiden Seiten des Flusses, dies- und jenseits. Und so stehts um wahre Gläubige. Hier im Glauben, dort im vollen Besitz. Das rechte Anheben, um einzunehmen, geschieht bei den Gläubigen in ihrem seligen Sterbestündlein. Alsdann dürfen sie mit diesem Leibe der Demütigung ihre Reisegeräte und ihre Rüstung, ihre Entbehrungen und ihr Ungemach ablegen, für immer ablegen. Alles, was feindlich, was hemmend, beschwerend und drückend ihnen entgegenstand, weicht und schwindet für immer. Es heißt zu ihnen, wie zu den Kindern Israel am roten Meer von den Ägyptern: Diese werdet ihr nimmermehr wiedersehen. ewig. Der schlimmste Feind, den sie noch immer wider Willen mit fortschleppen mussten, der alte Mensch, bekommt jetzt den letzten Todesstreich. Da sondert sich die Sünde, welche bisher der Seele anklebte und ihren Flug hemmte, von dem neuen Menschen gänzlich ab; er entfaltet sich vollkommen und entwickelt sich in seiner völligen Gottesgröße, und verklärt sich zu der ihm von Ewigkeit zugedachten, durch Christum erworbenen, vom Heiligen Geist übertragenen höchsten Schönheit, und wird vergestaltet in das herrliche Ebenbild des Schönsten unter den Menschenkindern. Der zähe Unglaube, welcher bisher noch so leicht dem Glauben den Weg vertrat und ihn niemals vollkommen werden ließ, löst sich ab, und das völlige Glaubensgold senkt sich mit namenloser Wonne in den kristallhellen Strom der Liebe, der vom Stuhl des Lammes ausströmt. Die Flügel breiten sich aus und schweben himmelan. Das verdunkelnde Gewölke schwindet von dem Angesicht der Lebenssonne, und das gestärkte Adlersauge sieht nun dieselbe ohne Nebel und wiegt sich in den Strahl ihrer Wonne. Das enge Herz wird weit wie Sand am Meer, und fühlt sich von einer Liebesfülle erweitert und bewegt, die es ganz mit dem geliebten Jesus und seiner Gemeinde vereinigt. Die Stirn wird ganz geglättet und jede Furche geebnet, welche Gram, Schmerz, Kummer und Sorge - jetzt lauter unbekannte Sachen - darin gezogen hatte. Der nun von seinem Posten heim ins Vaterhaus berufene Pilger atmet mit wunderbarer Lust und Freiheit in der neuen Luft des neuen Himmels und der neuen Erde, und atmet lauter Leben und Kraft, atmet Gott selbst, sein wahres Element. Jetzt heißt es mit vollem Nachdruck: Hebe an einzunehmen; gehe ein zu deines Herren Freude. Jedoch ist's nur noch nach der Seele allein. Aber ach! wie herrlich wird ihr doch zu Mute sein. Was ist schon der Vorschmack des ewigen Lebens, der hienieden schon die Seele zuweilen wie außer sich versetzt! - was ist es doch, wenn der Glaube Macht erhält, sich zuversichtlich die ganze Fülle des Heils in Christo Jesu anzueignen, wenn der neue Mensch das Regiment führt, und der alte Feind zu meinen Füßen liegt! Ein solcher Tag in den Vorhöfen des Herrn ist besser, als sonst tausend. Was wird das sein, wenn das ganze Elend dieser Erde für ewig hinter uns liegt, und vor uns nichts als eine wonnevolle Ewigkeit, nichts als Loben und Danken.

Das volle Einnehmen folgt gar bald, wenn die Seele am jüngsten Tage ihren Leib in verklärter Gestalt, in ewiger Frische, Schönheit und Jugend, mit allen für den Herrn passenden Eigenschaften, aller Unvollkommenheit entledigt, ein bequemes Werkzeug zur Verherrlichung Gottes, durch die allmächtige Stimme Jesu Christi wieder bekommt. Dann werden wir bei dem Herrn daheim sein immer und ewig. Unser Wohnort das Paradies wird so herrlich sein, als ihn die Allmacht der Liebe nur hat zu bereiten wissen, als es der Kostbarkeit des Preises angemessen ist, der durch das Blut Jesu Christi dafür erlegt worden. Welche herrliche Gesellschaft wird da sein, eine Gesellschaft, unter welcher gegenseitig das herzlichste Vertrauen, die innigste Verehrung, das größte Einverständnis, die aufrichtigste Liebe herrscht, und jeder den anderen wie sich, alle aber den über alles lieben, der sie geliebt und gewaschen von den Sünden mit seinem Blute, an den sie bisher glaubten, obschon sie ihn nicht sahen, nun aber ihn sehen, wie er ist.

Was für köstliche Unterredungen werden da sein, was für teure Bekanntschaften, werden da gemacht, was für liebliche Neuigkeiten werden da erfahren werden! Der Verstand wird nun Gott vollkommen kennen, der Wille vollkommen mit ihm eins sein in der Liebe, und das Gewissen in seiner Genießung vollkommen fröhlich sein; und welch ein neues Wunder alle diese Herrlichkeiten, wovon wir nur reden wie die stammelnden Kinder dies ganze ewige Leben ist eine Gabe Gottes in Christo Jesu, aus lauter Gnade ohne alles Verdienst. wer es nur so annähme!

Welch ein herrliches Ziel! O! hätten wir erleuchtete Augen, um zu erkennen die Hoffnung unseres Berufs; wie gerne ließen wir uns den Weg gefallen, der dahin führt. Derselbe fängt hienieden an, und zwar in der Tiefe der Selbsterkenntnis, der Selbstverurteilung, der Selbstverwerfung, des Verzagens an sich selbst. Aber indem er uns alles eigene entreißt, gibt er uns auf der anderen Seite alles durch unendlichen Gewinn wieder, denn er leitet nach Nahaliel.

Nahel heißt besitzen, erben. Nahali El heißt demnach: Gott besitzt mich, und ich besitze Gott. Das Eine ist so vortrefflich wie das Andere. Was kann herrlicher und vortrefflicher sein, als wenn eine Seele sagen kann: Gott besitzt mich! was kann glückseliger sein, als dasjenige Volk, das des Herrn Teil ist, als Jakob, die Schnur seines Erbes, von dem er sagt: Ich habe dich bei deinen Namen gerufen, du bist mein. Der dich gemacht hat, ist dein Mann, oder hat dich. Das sind diejenigen, von welchen Jesus sagt: Sie sind dein, du aber, o Vater, hast sie mir gegeben; die er im Voraus schon seine Schafe nennt, bevor sie noch hergeführt waren, die er aber zur Herde bringen muss. O welche glückselige Menschen, von denen es heißt: Ihr seid Christi, ihr gehört Christo an. Ihr seid teuer von ihm erkauft mit seinem kostbaren Gottesblut. Er hat euch erlöst, erlöst euch täglich, und wird euch endlich vollkommen erlösen. Was gibts anders für einen echten und beständigen Trost, als den, dass ich mit Leib und Seele nicht mein, sondern meines getreuen Heiland Jesu Christi eigen bin; denn ach! wem gehören wir doch an, sollten wir Christo nicht angehören, wer und was besitzt uns, sollte er uns nicht besitzen. Die Sünde besitzt uns, um zu herrschen in unseren sterblichen Leibern, dass wir ihr auch wohl mit einem anklagenden und verdammenden Gewissen Gehorsam leisten in ihren Lüsten, oder ganz und gar darin tot sind, Unweise, Ungehorsame, Irrige, Dienende den Lüsten und mancherlei Wollüsten. Sie ist ein Gesetz in unseren Gliedern, das da gefangen nimmt; dabei verdammt sie uns durch das Gesetz das durch alle seine Forderungen und Drohungen uns so wenig hilft, dass sie dadurch vielmehr erregt und überaus sündig wird. Kommen wir aber in den Besitz Jesu, so wäscht er auch unser Gewissen mit seinem Blute, und tröstet und erquickt es mit dem süßen Troste aller unserer Sünden, und heilt mit diesem Lebensbalsam unsere brennenden Wunden; zugleich legt er einen Samen ins Herz, der nicht sündigt und sündigen kann, weil er aus Gott geboren ist, die Gnade ins Herz, die uns unterweist, zu verleugnen das ungöttliche Wesen, gießt seine Liebe aus durch den Heiligen Geist, welcher uns auf die kräftigste und angenehmste Weise dringt, ja er selbst nimmt Besitz von uns, um in uns zu wohnen.

Was besitzt uns, ehe Er uns besitzt? Ach wir selbst! Wir stehen und fallen für unsre eigene Rechnung. Wir liegen allein, wie sollen wir erwärmen? Wir gehen allein; so wir fallen, wer soll uns aufrichten? Es heißt zu uns: da sieh du zu! Sieh du zu, wie du durchkommst. Musst du vors Gericht, da ist kein Fürsprecher, in Not und Kampf, da ist kein Beistand, in Angst kein Trost. Aber im Besitz Jesu hast du einen guten Hirten, der dir’s an nichts wird mangeln lassen, wie Hiskias Einen, der sich deiner Seele herzlich annimmt, einen, der dich tröstet, wie jemand seine Mutter tröstet, der dich hebt und trägt. Wer besitzt uns, so lange der starke Gott uns nicht besitzt? Ach der Teufel selbst. Von wem jemand überwunden ist, dessen Knecht ist er. Er besitzt uns, vermöge eines Eroberungsrechts, und hat nun sein Werk in uns, nachdem er unsere Natur zu Fall gebracht hat. Wie ein stark Gewappneter bewahrt er seinen Palast, und gewiss würde Niemand entkommen, wenn nicht der Stärkere über ihn käme, und ihn plünderte. Welche Glückseligkeit, dass Jesus uns losgekauft hat von aller Gewalt des Teufels; und was kann dir Herrlicheres zu Teil werden, als wenn er dich zu seiner Wohnung macht. O verliere dein Leben, damit Christus dein Leben werde. Verliere dich selbst, damit du ihn findest. Werde ein Befreiter und Besessener Jesu Christi.

Nahaliel. Ist der Herr dein Besitzer, wie leicht wird dir dann die Übung der Gottseligkeit, die sonst so schwierig, ja unmöglich und beschwert ist. Du kannst ja anders nicht als beten, glauben, hoffen, lieben, sanftmütig und demütig sein; du kannst nicht anders als dich allewege freuen, weil du stark bist in dem Herrn. Ist der Herr dein Besitzer - ach er wird sein so teuer erkauftes Eigentum nirgends stecken lassen, wird es nicht lassen, bis ers erlöst habe aus allem Übel und ausgeholfen zu seinem himmlischen Reiche. O! dreimal glückselig Volk, das zu Nahaliel lagert. Wer hat Recht an dir? Niemand als Jesus, der hat dich teuer erkauft und du bist sein. So wird denn dieser sagen: Ich bin des Herrn und Jener wird genannt werden mit dem Namen Jakob; und dieser wird sich mit seiner Hand dem Herrn zuschreiben, und wird mit dem Namen Israel genannt werden.

Aber Nahaliel zeigt auch an: Ich besitze Gott. Man sollte ja sagen, ein solches Wort sei für einen Heiligen, will geschweigen für einen Sünder, in dessen Fleische nichts Gutes wohnt, viel zu groß und zu hoch. Aber legt Jesus es uns armen Sündern nicht bei jeglichem Gebet gleich anfangs in den Mund, wenn er uns nicht bloß in etwa und zuweilen erlaubt, sondern allezeit und unter allen Ums ständen befiehlt, Gott also anzureden: Unser Vater. Ist es nicht in seinem Namen und an seiner statt, dass wir so reden, die wir in Christo Jesu sind? Hat er uns nicht versöhnt? Ist Gott denn nicht unser Freund, unser Liebhaber geworden, ja, auf unsere Seite getreten; ja, ist er nicht unser Gott geworden? Freilich ist das ein solcher Schatz, ein solcher Reichtum, dass Assaph ausruft: Wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde. Aber ist Gott denn nicht reich genug, mir so viel Schätze zu geben, dass ich werd unerschöpflich reich? Ist es nicht des Glaubens Art, das zueignende mein mit aller Zuversicht auszusprechen, und fest dafür zu halten, dass Gott mir seinen eingeborenen Sohn mit allen seinen Schätzen und Gütern zu eigen geschenkt hat? Und welch ein Segen ist ein solcher zuversichtlicher Glaube, der doch erlangbar ist, weil er nicht aus uns, sondern Gottes Gabe ist! Der Herr ist mein Teil, spricht meine Seele. Er ist meines Lebens Kraft. Er ist meine Burg, mein Hort, mein Gott, worauf ich traue.

Was das nun sagen will: Mein Gott! was das in sich fasst - wer mag's ergründen? Ohne ihn könnt ihr nichts - mit ihm Alles. Er ist meine Weisheit, wie kann ich weiser sein, auch wenn ich nichts weiß; er ist meine Gerechtigkeit, wie kann ich gerechter sein; meine Stärke, - wie mag ich stärker sein, obwohl ich so schwach bin, dass ich nicht einen Augenblick bestehen kann. Er ist mein Reichtum mitten in meiner gänzlichen Dürftigkeit. Bedarf ich Waffen, Schild und Schwert, oder was es sonst sei, so habe ich statt des allen Einen, nur Gott allein, das Kind in der Krippe, das da heißt Wunderbar, Rat, El Gibbor, starker Gott.

O! du Erhörer des Gebets, o! du Zuversicht Aller auf Erden und ferne am Meer. O Nahaliel, Nahaliel! kostbare Lagerstätte Israels. Mein Gott besitzt mich; ich besitze Gott! Zunichte, zunichte, zunichte denn alle eigene Weisheit, Gerechtigkeit und Würdigkeit; zunichte alles, was etwas ist, damit er Alles in Allem sei. Amen.

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