Krummacher, Gottfried Daniel - Brief an seinen Neffen

Krummacher, Gottfried Daniel - Brief an seinen Neffen

Januar 1821

Mein allerliebstes Kind!

Das ist aber doch gar nicht artig von Dir, daß du mir so lange nicht geschrieben hast, bist krank gewesen und wieder besser geworden und hast mir nicht geschrieben. Nun, es soll Dir hiermit vergeben sein. Gestern abend traf ich zufällig mit Herrn U. zusammen, der mir sagte, du habest ihm geschrieben und unter anderem gefragt, ob Du nicht in Köln examiniert und hier ordiniert werden könnest. Er meinte, ich möchte ihm ein Zettelchen zum Einschlag an Dich geben, und so thue ich das. Was Deine Examination in Köln anbetrifft, so sollte ich nicht denken, daß sie Schwierigkeit fände, kann aber auch nicht sagen, ob das Consistorium Ausländer zuläßt. Was Deine Ordination betrifft, so kann dieselbe nicht geschehen, da sie eine Gemeinde voraussetzt. Ich legte gerne eine Hand mit auf Dein liebes Haupt, doch kann ich das auch im Geiste thun und habe es schon gethan. Du wirst aber doch wohl ja zu uns kommen und Dich eine Zeitlang bei mir aufhalten, wozu ich Dich hiermit einlade.

Wie steht's um Dein inneres Leben, lieber N.? Offenbart der Vater seinen Sohn in Dir als den Weg, die Wahrheit und das Leben? Und lernst Du zugleich Dich selbst kennen, wie sehr Du des Mannes von Nazareth bedarfst? Denn eins ist nicht ohne das andere. Hüte Dich nur vor dem modischen Christentume, welches nichts als Afferei ist, ein selbstgemachtes Ding, welches nicht von oben herab ist, sondern von unten her. Um ein wahres Christentum ist es eine seltene Sache, der Weg schmal und die Zahl klein, die ihn findet. Ihr gelehrten Kameele habt besonders eure liebe Last, durch das Nadelröhr zu kommen, und so lange ihr meint, ihr wüßtet was, wie ihr denn meinet, wißt ihr noch nichts, wie ihr's wissen müßtet, mir Respekt zu sagen, und wer da meinet, er sei etwas, der betrügt sich selbst. Nein, es ist ums Christentum ein kurioses Ding, wie man denn lieset, daß der Meister desselben zuvor in einem Stall, glorwürdigsten Gedächtnisses, anzutreffen gewesen sein soll. O weh den seinen Nasen und zierlichen Füßen! Und zuletzt ist er ganz schandmäßig am Holze gestorben, und da heißt's zu den Städten Juda: Sehet, das ist euer Gott! Das sind sonst krasse Begriffe, so einen anzubeten, und der Hohepriester zerriß sein Kleid, sie sollen aber alle den Sohn ehren wie den Vater. Höre, N., werde etwas Rechtschaffenes, oder laß es ganz anstehen, ganz oder gar nicht! Geh Du ihm nur in den Stall nach, mögen auch die Leute sagen, Du wärest ein Kuhjunge, Du bist doch ein Weiser und zwar Theodidaktos (von Gott gelehrt). Du mußt auf eine höhere Schule als Eure Allfanz-Universitäten, da meint ihr, ihr wäret's, mit euch würde die Weisheit sterben, und ohne euch könnte der liebe Gott die Welt nicht regeln. Prostemahlzeit! Halt mir das zu gut, liebes Kind, und wenn Du kannst, wirst Du der nämlichen Einsicht sein. Zum neuen Jahr alles Heil!

Dein getreuer Oheim.

Quelle: Krummacher, G. D. - Gesammelte Ähren

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