Krummacher, Gottfried Daniel - Das Haupt der Gemeine (4)

Krummacher, Gottfried Daniel - Das Haupt der Gemeine (4)

Zu der Zeit wird das Haus Davids und die Bürger zu Jerusalem einen freien, offenen Born haben wider alle Sünde und Unreinigkeit. So sagt der Prophet Sacharja, 13,1. In diesem Spruch wird erstens von einem Brunnen wider die Sünde und Unreinigkeit geredet, und wenn dabei des Hauses Davids gedacht wird, so beschuldigt dies zugleich alle Welt der Sünde und Unreinigkeit. Die Allgemeinheit des Übels verringert aber seine Wichtigkeit und Bedenklichkeit nicht, da es ohnehin das höchste Übel ist. Diejenigen sind also in einem äußerst kläglichen und schädlichen Irrtum befangen, die sich eben deshalb wenig daraus machen, daß sie Sünder sind, weil alle anderen es auch seien. Aber diejenigen sollten erst einmal lernen, daß sie Sünder sind, dann würden sie mit Paulo sagen: Was andere sind oder gewesen, kümmert mich nicht. Zweitens liegt in diesem Spruche die Wahrheit, daß man sich selbst nicht reinigen könne. Dies geben einige gern zu, um nur, aller Mühe enthoben, fortschlummern zu können, und so hat die Wahrheit durch ihre eigene Schuld bei ihnen die Wirkung eines tödlichen Giftes, was sie auch nicht besser verdienen. Andere sträuben sich dagegen, weil ihre Krankheit im Selbstvertrauen besteht, die sich darin zeigt, daß sie Arznei zurückweisen. Einige ängstiget es, weil sie der Arznei nicht trauen, oder besorgen, sie gehörten weder zu dem Hause Davids noch zu den Bürgern zu Jerusalem. Andere demütiget es und leitet sie recht. Die dritte Wahrheit, die wir hier niedergelegt finden, ist die: Es gibt einen Born wider die Sünde und Unreinigkeit. Mag er von noch so vielen verschmäht werden, und das Haus Davids, an welchem er seine Kraft erweiset, eben nicht zahlreich sein, so hebt dies die Wahrheit nicht auf. Sie steht aber hauptsächlich für diejenigen da, denen der Feind und der Unglaube gern glauben machen möchte, es sei kein Retter da. Das ist's aber doch, dein Unglaube mag sagen, was er will. Auch gegen diese Sünde des Unglaubens ist ein Born geöffnet; aber wo ist dieser Born anzutreffen? Es wäre wohl genug, darauf aus Hiob 28,23 zu antworten: Gott weiß seine Stätte; denn der Wievielte ist um die Antwort verlegen! Was soll dem Tauben das Saitenspiel? Der Text sagt auch nichts davon, und wenn wir das Folgende lesen, so geht es wunderlich durch einander, bis derjenige, wo er anzutreffen ist, wirklich genannt, und von dem Herrn der Mann, der ihm am nächsten, und der Hirte genannt, auch von ihm gesagt wird: Er wird seine Hand zu den Kleinen kehren. Für das Haus David war dies genug gesagt, und es ging ihm, wie den Weisen aus Morgenland, denen Herodes gar nicht zu sagen brauchte: Forschet nach dem Kinde. Es ist einer, der sein Kleid in Wein und seinen Mantel in Weinbeerblut wäscht.

Er wird sein Kleid in Wein waschen und seinen Mantel in Weinbeerblut. Seine Augen sind rötlicher denn Wein, und seine Zähne weißer denn Milch.
1. Mose 49,11.12

Die Weissagung Jakobs vom Schilo wird auch diesmal den Gegenstand unserer Betrachtung ausmachen. Es geschiehet aber im 11. Vers Meldung von seinen ferneren Taten, und im 12. von seinen Eigenschaften. In geheimnisvollen Bildern fährt der sterbende Erzvater Israel fort, die glücklichen Folgen der Zukunft des Schilo zu schildern, wenn er von ihm sagt: Er wird sein Kleid in Wein waschen und seinen Mantel in Weinbeerblut. Der alte Israel redet in Bildern und erläutert sie nicht, sondern überläßt die Erläuterung der Zeit der wirklichen Erfüllung. Seine Bilder lassen mehrere Deutungen zu, ja alle diejenigen, welche schriftgemäß und dem Glauben ähnlich sind. Und so ist es nicht schwer, ihre Deutung zu finden. Israel drückt sich schön aus und zierlich. Es würde matt lauten, wenn er gesagt hätte: Er wird sein Kleid und seinen Mantel in Wein waschen, oder nicht so wohl klingen, wenn er sagte: Er wird sein Kleid in Wein waschen, und seinen Mantel in Wein, als es nun heißt, wenn er spricht: Er wird sein Kleid in Wein waschen und seinen Mantel in Traubenblut, welches nichts anderes ist als Wein; und was ist Wein anders, als gleichsam das Blut der roten Trauben, wie denn diese im gelobten Lande die gewöhnlichsten waren. Jedoch bemerkt Luther, daß das Bild vom Waschen der Kleider in rotem Wein nicht weniger ungereimt sei als das vom Binden des Füllens an den Weinstock. Die Pracht der Morgenländer bestand in weißen Kleidern von kostbarer Leinwand. Jener reiche Schlemmer trug roten Purpur, aber zugleich die feinste ägyptische Leinwand. Die Priester trugen schneeweiß, und selbst die Engel erschienen in langen weißen Kleidern; ja die Kleider des Sohnes Gottes selbst wurden bei der Verklärung so weiß wie der Schnee, daß sie kein Färber auf Erden konnte so weiß machen. (Mk. 9,3). Und als Johannes ihn im Gesichte sah, hatte er gleichfalls ein bis auf die Füße herabhängendes weißes Gewand mit einem goldenen Gürtel; selbst sein Haupt und seine Haare waren weiß. Offenb. Joh. 3 wird denen, die überwinden, ein weißes Kleid verheißen, womit sie bekleidet werden sollen, und in dem ganzen Buche werden sowohl die himmlischen Ältesten, als die ganze große Schar, welche niemand zählen konnte, als in weiß gekleidet, vorgestellt. Würden nun weiße Kleider in Traubenblut gewaschen, so hieße dies ja nichts anders, als sie ganz und gar verunstalten und verderben. Und der Schilo sollte so etwas Ungereimtes tun? Treffend ist die Bemerkung des heiligen Augustinus, welche Luther hierbei anführt, welcher sagt: „Die Ungereimtheit des buchstäblichen Sinnes zwingt uns, auf den geistlichen zu achten. wir müssen daher das Waschen der Kleider in Wein geistlich deuten, weil es im buchstäblichen Sinne nie, und am wenigsten zu Christi Zeiten in Judäa geschehen ist.“

Was wäre aber der geistliche Verstand dieses ungewöhnlichen Bildes? Es kann offenbar mehrere Deutungen erleiden, die alle gleich wahr sind. Wir führen deren insbesondere drei an. Die erste ist die des gottseligen Lampe, im zweiten Teile seines „Geheimnisses des Gnadenbundes“, welche nachgelesen zu werden verdient. Er versteht diese bildliche Redensart von schweren Gerichten, welche sonderlich in der letzten Zeit, kurz vor dem Anbruch des herrlichen Reiches Christi auf Erden, hereinbrechen werden, und wovon sonderlich in der Offenbarung Johannis sehr ausführlich geredet wird, Gerichte, wodurch Christus seiner Alleinherrschaft Bahn macht, seine Feinde ausrottet, seine Kirche läutert. Daß rote Kleider darauf hindeuten, erhellt aus Jesaja 63, wo es heißt:

V. 1. „Wer ist der, so von Edom kommt, mit rötlichen Kleidern vor Bazra? Der so geschmückt ist in seinen Kleidern, und einhertritt in seiner großen Kraft? Ich bin es, der Gerechtigkeit lehret und ein Meister bin, zu helfen.“
V. 2. „Warum ist denn dein Gewand so rot gefärbt, und dein Kleid wie eines Keltertreters?
V. 3 Ich trete die Kelter allein, und ist niemand unter den Völkern mit mir. Ich habe sie gekeltert in meinem Zorn, und zertreten in meinem Grimm; daher ist ihr Vermögen auf meine Kleider gespritzet, und ich habe alles mein Gewand besudelt;
V. 4 Denn ich haben einen Tag der Rache mir vorgenommen; das Jahr, die meinen zu erlösen, ist gekommen;
V. 5. Denn ich sah mich um, und da war kein Helfer; und ich war im Schrecken, und niemand enthielt mich; sondern mein Arm mußte mir helfen, und mein Zorn enthielt mich.
V. 6. Darum habe ich die Völker zertreten in meinem Zorn, und habe sie trunken gemacht in meinem Grimm und ihr Vermögen zu Boden gestoßen.“

So lesen wir auch Offenb. Joh. 19,11.12.13.15.: „Und ich sahe den Himmel aufgetan, und siehe, ein weißes Pferd, und der darauf saß, hieß: Treu und Wahrhaftig, und richtet und streitet mit Gerechtigkeit. Und seine Augen sind wie Feuerflammen und auf seinem Haupte viele Kronen; und hatte einen Namen geschrieben, den niemand wußte, denn er selbst. Und war angetan mit einem Kleide, das mit Blut besprenget war, und sein Name heißt: Gottes Wort. Und aus seinem Munde ging ein scharfes, zweischneidiges Schwert, daß er die Heiden schlüge.“

Ein erschreckliches Gericht erging vierzig Jahre nach Christi Himmelfahrt über die gottlosen Juden, wo ihre Stadt und ihr Tempel ganz und gar zerstört wurde, so daß kein Stein auf dem andern blieb, und ihrer wenigstens 1,200,000 elendiglich ums Leben kamen, daß man die Übriggebliebenen wie das Vieh auf den Märkten verkaufte und keine Käufer fand. Hundert Jahre später, unter Trajan, glaubten sie sich unter einem falschen Messias so erholt zu haben, daß sie sich gegen die Römer auflehnten, so daß sie wirklich 460,000 Römer ums Leben brachten, wofür ihrer aber wieder eine halbe Million mit dem Schwert getötet wurden, ohne diejenigen zu rechnen die durch Hunger etc. umkamen. So erging's den Feinden.

Aber, wie gar unbegreiflich sind des Herrn Gerichte, und wie unerforschlich seine Wege (Röm. 11,33), wenn wir erwägen, daß die Freunde und Gläubigen Jesu Christi ganze 300 Jahre lang in zehn entsetzlichen Perioden aufs grausamste verfolgt wurden; daß dasjenige, welches damals Heiden verübten, nachgehends von sogenannten Christen gegen Christen, kurz nach der Reformation wiederholt wurde, so daß in Paris in einer Nacht 50,000 meuchelmörderisch erschlagen wurden, daß selbst ein Alba rühmte, in den Niederlanden allein durch Henkershände 80,000 getötet zu haben, und daß nach dem Bericht einer Frau von Staêl in dem Jahre 1815 zu Nismes und in der Umgegend 180,000 Protestanten ermordet worden sind.

Wir haben nach dem Worte Gottes auch noch vor dem völligen Durchbruch seines Reiches ganz entsetzliche Gerichte zu erwarten, deren eigentliche Beschaffenheit aber erst bei ihrer Verwirklichung sich ausweisen wird. Offenb. 16,16 wird von einer Schlacht bei Harmageddon, Kap. 17,14 von zehn Königen geredet, die mit dem Lamme streiten, und welche das Lamm überwinden wird, und Kap. 14 gesagt: Das Blut wird den Pferden an die Zäume gehen durch 1600 Feldwege, welche Gerichte durch die Wörter: Wein und Traubenblut angedeutet werden. Die Kleider des Schilo und sein Mantel bezeichnen teils seine Herrlichkeit, wodurch er sich kund macht; so heißt's Psalm 104: „Licht ist dein Kleid, das du anhast;“ weil Gott dies zuerst aus der Finsternis hervorrief und sich selbst in seinem Werke sichtbar machte; teils wird unter seinen Kleidern auch seine Kirche verstanden. Sie wird Jeremia. 13 einem Gürtel verglichen, den der Herr um sich gürtet, und Jesaja 62 eine Krone in der Hand Gottes und ein königlicher Hut genannt. Kleider sind auch ein sehr passendes Bild von den Gläubigen, denn Christus hat sich aufs genaueste mit ihnen vereinigt; er ist in ihnen; er zeigt sich als kräftig wirksam in ihnen und achtet sie für sein Eigentum und seinen Schmuck, in welchem er herrlich erscheinen will. Denn wie Kleider den Stand und Reichtum einer Person kund tun, so sollen sie verkündigen die Tugenden dessen, der sie berufen hat von der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht (1. Petri 2,9). Sie sollen etwas sein zum Lobe seiner Herrlichkeit; es soll an ihnen kund und sichtbar werden, was für einem Herrn sie angehören. In dieser Beziehung genießen sie eines vollkommenen Schutzes, denn dieser Schilo hat sich einmal seiner Kleider berauben lassen, aber hinfort nicht mehr; sie genießen die Ehre mit, die der Person widerfährt, deren Kleider zu sein, sie die Ehre haben, und sind mit derselben am nämlichen Orte. Wiederum ist Christus das Kleid der Gläubigen; darum heißt es: „Ziehet an den Herrn Jesum Christum. Ziehet an den neuen Menschen, der nach Gott geschaffen ist in rechtschaffener Gerechtigkeit und Heiligkeit.“ (Eph. 4,5). Das Waschen seiner Kleider in Wein und seines Mantels in Weinbeerblut bedeutet denn die Offenbarung seiner Herrschaft in Wegräumung alles dessen, was seinem Reiche im Wege stehet: Des Unglaubens und des Ungehorsams, des Aberglaubens und falschen Gottesdienstes vermittelst des zweischneidigen Schwertes, das aus seinem Munde gehet, seines Wortes und seines Geistes. Dann wird's heißen: Wohlauf, du Arm des Herrn, zeuch Macht an! Machet Bahn! Tut die Tore auf, daß das gerechte Volk hereingehe! Bereitet dem Herrn den Weg! Dies wird die Bekehrung großer Scharen zur Folge haben, und die Bekehrten selbst in Heiligkeit leuchten; denn Heiligkeit ist die Zierde deines Hauses. Sie werden bewährt, rein und lauter werden (Dan. 11), daß der Schwächste ein Held sein wird wie David. Dein Volk werden eitel Gerechte, und alle vom Herrn gelehret sein. Alsdann wird's insbesondere von den Gläubigen heißen können: Sie sind aus großer Trübsal gekommen und haben ihre Kleider helle gemacht im Blute des Lammes (Off. 7,14). Es wird aber auch recht kund werden, wie heilig der Herr sei, wie sehr er alles Sündliche und Eitle haßt, und daß, wer böse ist, nicht vor ihm bleibt, sondern daß nur der auf seinem heiligen Berge wohnt und an heiliger Stätte stehet, der heilige Hände hat und reines Herzens ist, der wird Segen von dem Herrn empfangen.

„Er wird waschen“. Er wird solches alles und zwar eilend tun. Er wird aber kommen wie ein Dieb in der Nacht, ja wie ein Blitz, wenn die Leute sagen: Mein Herr kommt noch lange nicht, und meinen, sie könnten' s treiben, wie zur Zeit der Sündflut. Merket aber auf die Zeichen der Zeit. Wohl dem, der sich bereit hält, wacht und seine Kleider bewahrt, daß er nicht bloß wandle! Denn es wird auch dahin kommen, daß, wo es möglich wäre, auch die Auserwählten in den Irrtum verführt würden (Matth. 24,24).

Eine andere Erklärung dieser Wörter ist uralt. Sie ist kurz und fromm, und findet sich, wie uns Luther berichtet, in einer alten Anmerkung zu den lateinischen Bibeln, die man vor seiner Übersetzung brauchte. Diese, schon wegen ihres undenklichen Altertums ehrwürdige und nichts als Wahrheit enthaltende Randglosse sagt: „Das Waschen der Kleider in Wein müsse vom Leiden Christi verstanden werden.“ Diese uralte Anmerkung beweiset, daß die christliche Kirche stets das Blut Christi als den Mittelpunkt des Evangeliums und das einige zuverläßliche Reinigungsmittel verehrt hat, und Luther bemerkt dabei gerne, daß sich trotz aller Finsternis und Werkheiligkeit des Papsttums doch die Redensart bei demselben erhalten habe: Die Sakramente fließen aus der geöffneten Seite Christi, anzuzeigen, wie sie und alle Gnadenmittel ihre Kraft aus dem Blut und Verdienst Christi empfangen, welches eine köstliche Beilage war, und die Schafe Christi auf die rechte Weide wies, die sie auch treulich benutzt haben werden, während andere in den Zeremonien ihr Heil suchten.

Wo kommt der Wein, wo das Traubenblut anders her, als vom Weinstock? Und wer ist der Weinstock anders, als Christus? Sind seine Kleider ein Sinnbild seiner Gläubigen, womit will er sie, womit kann er sie anders waschen als mit dem köstlichen roten Wein seines Blutes?

Dies Blut, der edle Saft,
Hat solche Stärk' und Kraft,
Daß es kann ganz alleine
Die Welt von Sünden reine,
Ja gar aus Teufels Rachen
Frei, los und ledig machen.

Er hat uns geliebt, sind die auserkorene Schar im Himmel, und von den Sünden gewaschen mit seinem Blut. „Ihr seid abgewaschen,“ sagt Paulus zu den Korinthern. „Ich habe euch gewaschen, und ihr seid rein,“ sagt Christus nach verrichtetem symbolischem Fußwaschen. Ist, wie die Braut im Hohenliede Kap. 1,14 sagt, ihr Freund eine Traube Copher, so ward er in seinem Leiden, wie er selbst sagt, gepreßt und vergoß sein Blut. Und dies sein Blut, wie wird es nicht erhoben! Durch dies sein eigen Blut ist er einmal eingegangen in das Heilige; an ihm haben wir die Erlösung durch sein Blut. Durch dies Blut hat er alles versöhnet zu ihm selbst, was im Himmel und auf Erden ist. Die Gläubigen sind nach 1. Petri 1 versöhnet durch die Heiligung des Geistes zum Gehorsam und zur Besprengung des Blutes Jesu Christi. Durch sein Blut hat er sich eine Gemeine erkauft, und ohne Blutvergießen ist keine Versöhnung. Das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes, ist das wunderbare und einzige Reinigungsmittel unserer Seelen, die es rein macht von aller Sünde; das unser Gewissen reinigt von den toten Werken, zu dienen dem lebendigen Gott. Er vermag's, allein, und sonst keinerlei Werke, Seufzer und Tränen, welche nur dem Wasser gleichen, womit Pilatus seine Hände wusch, ohne rein zu werden. In diesem Wein wäscht er seine Kleider, seine Gläubigen, und seinen Mantel in diesem Weinbeerblut. Er ist scharf und beißend, aber auch lindernd und erfreuend; dadurch werden wir erlöset von dem alten Menschen, der durch Lüste in Irrtum sich verderbet; dieweil wir wissen, daß unser alter Mensch samt Christo gekreuzigt ist, auf daß der sündliche Leib aufhöre, daß wir hinfort nicht der Sünde dienen (Röm. 6,6). Mit ihm werden wir durch die Taufe begraben in den Tod, auf daß wir in einem neuen Leben wandeln, gleich wie Christus von den Toten auferweckt ist. Offenbar ist also die Deutung dieser Worte in den ältesten Zeiten eben so christlich als wahr, einfach und fromm, denn das Leiden, Sterben und Blutvergießen war's, wodurch der Schilo das ganze Heil zuwege brachte.

Die dritte und geistreichste Auslegung dieser Worte ist diejenige, welche Luther gibt. Er hält das Bild vom Waschen der Kleider in Wein für gleichbedeutend mit dem Vorhergehenden, für ein Bild der allerreichsten und glückseligsten Zeiten, wie wenn man sagte: Unter der Herrschaft des Schilo wird eine solche Glückseligkeit, ein solcher Überfluß von den allervortrefflichsten Gütern zu genießen sein, wie wenn es im Natürlichen Zeiten gäbe, wo man nichtswürdige Esel mit den edelsten Trauben fütterte, wo man selbst zum Waschen nicht wie gewöhnlich Wasser, sondern den köstlichsten Wein braucht. Dies nennt man eine hyperbolische Art zu reden, deren sich die Schrift nicht selten bedient. So hyperbolisch redet Hiob Kap. 29 von seiner vormaligen Glückseligkeit, wenn er sagt: Ich wusch meine Tritte in Butter, und die Felsen gossen wie Oelbäche; und Jes. 60, wenn der Herr da solche Zeiten verheißet, wo man da Gold nehmen wird, wo man sonst Erz braucht, und das Silber statt des Eisens. So sagt Luther denn: „Der wahre Sinn dieser Stelle ist dieser: Der Schilo wird die Seinigen dem Kreuz unterwerfen. Aber, sagt er, ist das nicht mehr ein Fluch als ein Segen, verfolgt, gekreuzigt, getötet, mit Feuer und Schwert ausgerottet zu werden? Dies einen Segen heißen, fließt aus einer überschwenglichen Mitteilung des Geistes her, nach welcher die Gläubigen in neuen Sprachen reden. Denn o, könnten wir es glauben, was für eine große Sache die Vergebung der Sünden, und auch solcher Sünden sei, welche noch existieren und in unserm Fleische übrig sind, daß Gott sie nicht zurechnen, und uns ihretwegen nicht nur nicht verdammen, sondern so behandeln will, als hätten wir einige Sünde begangen und gehabt; uns selig wissen, unser Vater sein, und als seine Söhne und Töchter aufnehmen will, dann würden wir's erst verstehen. Denn diejenigen, welche glauben, sind das heilige Füllen und das selige Lasttier, das an den edlen Reben gebunden, erfüllt wird mit dem heiligen Geist. Sie werden trunken von der göttlichen Verheißung durch die Kraft des Heiligen Geistes. Diese sind der Weinstock, die Trauben, der Wein, welche uns aufrichten, uns stolz und unverzagt machen, daß wir Tod und Teufel nichts achten. Was aber vom alten Menschen übrig ist, das wäscht und nimmt er weg, bis wir auferstehen unverweslich, geistlich, in Kraft und Herrlichkeit; da werden wir gar rein sein. Indessen werden wir erquickt durch die Vergebung der Sünden und haben das ewige Leben in gewisser Hoffnung und sind voll süßen Weins, das ist des Heiligen Geistes und werden gewaschen in diesem Bade, und in demselben der alte Mensch je mehr und mehr getötet, der innerliche Mensch aber von Tag zu Tag erneuert. So, setzt er hinzu, so haben die heiligen Väter vom Reiche des Schilo geredet aus vollem Herzen und voller Freude, aus der Fülle des Heiligen Geistes. Gewiß hat Israel nicht erst in den letzten Tagen seines Lebens also geredet, sondern so wie er's von Abraham und Isaak vernommen, seinen Söhnen wieder mitgeteilt: Es sei ein herrliches Reich Christi, des Gesalbten, und eine Abwaschung aller Sünden vorhanden. Als redende Beweise dieser herrlichen Trunkenheit führt er das Exempel jener heiligen Märtyrer an, welches zarte Jungfrauen waren, der Agatha und Luzia, welche von der Vergebung der Sünden, dem ewigen Leben und der Liebe Gottes aufs völligste versichert, und so an den Weinstock gebunden, den Tod für ein Spiel, die Sünde und Hölle für nichts achteten, so daß, als Luzia erschlagen werden sollte, sie ausrief: Nur zu, so komm ich ins Paradies. Und Vincentius, als er auf glühenden Kohlen gehen mußte, sagte: Ich wandle auf Rosen. So, setzt er hinzu, so tötet der Geist das verfluchte und widerstrebende Fleisch, wenn er uns allem Elend Preis gibt. Dann wäscht er seine Kleider in Blut, und wenn es uns so gehet, mögen wir denken, Christus sage zu uns: Ich wasche dich nur von Schmutz und Unrat zum ewigen Leben, nicht mit Wasser, sondern mit dem besten Wein! Halt mir nur stille und sei fröhlich in Hoffnung! So, sagt er weiter, sollten wir billig alle gesinnt sein. Denn dies sind, wie Paulus sagt, die Verheißungen in Christo, welcher zwar keine gute Tage nach dem Fleisch schenket, aber ein Herz voll Friede und Freude. Und so fürchten wir nichts, wohl wissend, daß alles genötigt ist, uns zum Besten zu dienen. Daß wir aber noch zittern, uns fürchten und zagen, das ist nicht Glaube, sondern die Überbleibsel des alten Menschen, welche, setzt er hinzu, besonders bei uns erstarket sind, die wir ehemals unter dem Papsttum lebten, wo wir angewiesen wurden zu fürchten, zu zagen, von Christo zu fliehen. Und auch noch ist's mir schwer, die Lehre des Papsttums auszuziehen und von mir zu werfen, nicht allein nach dem alten Menschen, sondern auch wegen der Schwachheit des Glaubens, die mich noch schüchtern macht, auf Christum zu sehen, so daß wir kaum anheben zu hoffen und den Schilo anzurufen, daß er durch Hunger, Krieg und Tod komme, und uns erlöse. Dies Zweifeln und Zagen ist eine uns angeborene Krankheit, welcher los zu werden, uns aufs äußerste angelegen sein muß. Wir sind berufen zur gewissen Hoffnung des Lebens und der Herrlichkeit, zur Verachtung des Teufels und des Todes. Lasset uns nur trunkener werden vom Trost, von der Gnade und den Wohltaten Christi, zu welchem Zweck das Füllen an den Weinstock und der Eselin Sohn an den edlen Reben gebunden ist, daß wir rumoren wie vom Wein, und voll seien wie die Becken am Altar.“ In dieser Beziehung ist die Redensart des heiligen Erzvaters so wenig hyperbolisch oder übertrieben, daß diejenigen, welche es aus seliger Erfahrung kennen, zum Ruhme Christi bekennen, daß der Trost, den Christus schenkt, alles unendlich hinter sich läßt, was die Welt anbieten und geben kann. Freilich, freilich möchten wir nur lebendiger, zuversichtlicher im Glauben sein, denn so du glauben könntest, würdest du die Herrlichkeit Gottes sehen! Aber nun kann er um unsers Unglaubens willen nur wenig Zeichen unter uns tun. Er wasche denn auch uns im Wein und lehre uns, unsere Kleider zu waschen und helle zu machen im Blute des Lammes!

Noch wird hinzugesetzt: „Seine Augen sind rötlicher denn Wein, und seine Zähne weißer denn Milch.“ Was wäre es denn, wenn wir von diesem Bilde geständen, wir wüßten es nicht, was der Erzvater damit habe sagen wollen. Wie leicht wissen wir genug, wenn wir so viel wissen, um uns dadurch zum Glauben und zur Liebe gedrungen zu fühlen, und was kann uns ohne dieses alles Wissen nützen? Es blähet ja nur auf und ist eher schädlich als förderlich. Lampe hält die rötlichen Augen für ein Bild des Zorns gegen die Sünde, die weißen Zähne der Freundlichkeit gegen die Freunde Christi. Luther findet darin ein Bild der Verachtung, womit die Welt die Predigt des Evangeliums und die seligen Erfahrungen des Christen belastet. Im Hohenliede werden sowohl die Augen der Braut als auch des Bräutigams Taubenaugen genannt, und diese sind rötlich. Schwärzliche, funkelnde Augen und weiße schöne Zähne sind einzelne Teile der Schönheit. Malt die Gemeine im Hohenliede die Schönheit ihres himmlischen Königs, den sie auch namentlich weiß und rot nennt, weiter aus, so begnügt sich der heilige Erzvater mit wenig Zügen. Sein Gemüt war voll von den heiligsten und seligsten Empfindungen der Liebe, der Ehrfurcht, des Vertrauens, welche er ohnehin nicht aussprechen konnte. Er war ganz entzückt über den Schilo, der ihm aus ferner Zukunft und aus dem nahen Himmel entgegen leuchtete; aber da er sein unerreichbares Lob nicht erreichen kann, entwirft sein Pinsel gleichsam einige Züge des Bildes, und so legt er ihn bei Seite als zu schwach. Mögen wir es aus Erfahrung kennen, was jene Sprüche sagen wollen: Die Liebe Christi dringet uns etc. Gewiß ist es aber, daß unsere Liebe zu unseren nächsten und teuersten Verwandten, ja zu unserm eigenen Leben verdrängen soll, sobald sie jener Liebe zu ihm in den Weg tritt und hindert. Denn „wer Vater und Mutter mehr liebet denn mich, der ist mein nicht wert.“ Wem diese Liebe zu Christo fremd ist, der gebe sich keine Mühe, sich zu entschuldigen oder wohl gar zu rechtfertigen, und wisse, daß, wer Jesum Christum nicht lieb hat, der sei Anathema. Maranatha (1. Kor. 16,22). Es ist also ein Beweis eines abscheulichen und sträflichen Zustandes, worüber man sich zu demütigen hat. Ihr könnt so vieles lieben, könnt ihr's Jesum nicht, so beweiset es nur eure Blindheit und eure Entfernung von Gott. Ihr kennet ihn nicht; kein Wunder, wenn ihr ihn auch nicht liebet. Er kennt euch auch wohl nicht, und wehe euch alsdann! Die Liebe entspringt aber aus dem Glauben, und der Glaube setzt wiederum voraus, daß man Bedürfnisse für den habe, an den man glauben soll. Und sogar an diesem letztern, an der Vorbereitung zum Glauben, fehlt es nur zu allgemein. Was suchen die Menschen nicht alles, aber wer sucht Jesum? Ja, wie viele sind, die sich schon gleich keinen Begriff mehr von dem, was sie hören, machen können, sobald von einem Suchen Jesu Christi die Rede ist. Was begehren die Menschen nicht alles, das sie um ihr Leben gern hätten, oder wenn sie's haben, um alles willen nicht verlieren möchten; was wünschen, um was bekümmern sie sich nicht! Was lernen die Menschen nicht alles! Aber kennen sie auch die fernsten Weltteile, mit dem ihnen so nahen Lande ihres Herzens, dessen Kenntnisse doch unentbehrlicher sind, bleiben sie entweder unbekannt oder haben irre Vorstellungen von demselben. Sie verstehen vielleicht mehrere Sprachen, aber Jesu Sprache (Joh. 8,43) nicht, nicht die Dinge, welche des Geistes Gottes sind, die sind ihnen eine Torheit. Sie haben etwa manche Kenntnis der Geschichte, aber die zu Bethlehem und Golgatha erregen ihre Aufmerksamkeit nicht. sie verstehen manche nützliche Kunst, nur die allernützlichste nicht, nämlich die zu beten und zu glauben. Man rühmt die Schönheit einer Landschaft, eines Kunstwerks, und weiß es als Kenner zu beurteilen, während man von der Schönheit des Schilo, des Mannes der Schmerzen, nie gerührt wird. Ist das nicht ein jämmerliches Ding? Und wenn man das eine tun wollte, sollte man doch das andere nicht lassen.

Soll's dem Schilo immer auf die nämliche Weise gehen, daß für ihn kein Raum in der Herberge, in dem Herzen ist? „Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. So jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde ich eingehen und das Abendmahl mit ihm halten und er mit mir.“ Off. 3,20. Amen.

Quelle: Gesammelte Ähren. 58 Predigten von Gottfried Daniel Krummacher, weiland Pastor zu Elberfeld, nebst einigen Briefen desselben, zusammengestellt und herausgegeben von J. Haarbeck, Pastor. Neukirchen bei Moers. Verlag der Buchhandlung des Erziehungs-Vereins. 1898 Buchdruckerei Richard Kühne, Oberhausen.

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