Krummacher, Friedrich Wilhelm - XXIII. Davids Fall.
Bedürfte die alttestamentliche Geschichte zu ihrer Beglaubigung außer den zahlreichen Zeugnissen Christi und seiner Apostel noch der weiteren Stützen, so fände sie eine solche auch in der heiligen Einfalt und der von jeder Berechnung freien Gegenständlichkeit, deren unverkennbares Gepräge allen ihren Berichten aufgedrückt ist. Es begegnet uns in ihren Erzählungen auch nicht die leiseste Spur irgend einer andern Absicht, als der, das Geschehene in seinem thatsächlichen Bestande treulich wieder zu geben. Vieles in der biblischen Geschichtsschreibung nöthigt uns eine wahre Bewunderung ab: so der feine Takt, der sie überall die bezeichnendsten Ausdrucksformen treffen läßt, die Ungeschminktheit und Keuschheit ihrer ganzen Darstellungsweise, und die hehre Kunst, mit wenigen hingeworfenen Federzügen nicht allein ganze Scenen und Situationen uns zu veranschaulichen, sondern auch die handelnd auftretenden Personen so gründlich und anschaulich uns zu zeichnen, daß wir mit ihnen zu leben und zu verkehren meinen, und ihnen fortan als vertrauten Gestalten eine bleibende Stelle in unsrer Erinnerungswelt gesichert ist. Was aber vor allem Andern an den alten Berichterstattern wohlthuend und überzeugend uns anspricht, ist die Ehrlichkeit, die uns überall in ihren Mittheilungen das beruhigende Gefühl gewährt, daß wir auf sicherm historischem Boden, auf dem Grunde eines „festen prophetischen Wortes“ fußen, die aber, die Sache ungeistlich angeschaut, den heiligsten Annalisten leicht den Vorwurf zuziehn könnte, daß sie sich als Schriftsteller wenig auf ihren Vortheil verstanden hätten, indem sie nicht selten menschliche Musterbilder, die sie uns zeichneten, in demselben Momente, in welchem denselben unser höchstes Entzücken entgegen wallt, plötzlich wie mit einem Hammerschlage wieder zertrümmerten. Als welch' eine herrliche Erscheinung taucht nicht im Anfang seiner Laufbahn der Patriarch Abraham vor uns auf! Als, ein Mann Gottes ohne Gleichen steht er vor uns. Mit erwartungsvoller Begeisterung begleiten wir ihn auf seinem weitern Lebensgange. Aber plötzlich überrascht uns die niederschlagende Entdeckung, daß auch diese Sonne ihre Flecken habe, und selbst der „Vater aller Gläubigen,“ wenn auch vorübergehend nur, in schwachen Stunden mehr denn einmal in vorgreifender Ungeduld, oder in offenbarer Verletzung strenger Wahrhaftigkeit vom Wege des Glaubens abtritt. Wie Ehrfurcht gebietend tritt uns der Erzvater Jakob entgegen! Nur wenige einzelne Zuge seines Lebens wären mit Stillschweigen zu übergehen gewesen, und Jakob stand da als ein fleckenloses Ideal hingebendster Unterthänigkeit unter Gottes Gebot und Willen. Aber selbst auf die Gefahr hin, dem Gefühl unsrer Bewundrung unversehens eine starke Zuthat schmerzlichsten Bedauerns über die Unvollkommenheit aller menschlichen Größe beizumischen, werden jene unsre Begeisterung dämpfenden Züge nicht verschwiegen, sondern uns unverschleiert vorgeführt. Moses, dem das ehrenvolle Zeugniß ward, daß er „treu“ befunden sei „in Gottes ganzem Hause,“ wird darum doch aus der Reihe der der freien Gnade bedürftigen Sünder so wenig herausgehoben, daß vielmehr von ihm berichtet wird, es habe ihm wegen Ungehorsams gegen den Herrn versagt werden müssen, das gelobte Land zu betreten. Und nun der „Mann nach dem Herzen Gottes“, David, wer hätte eher, als er, zu einem fast unerreichbaren Muster aller Mannes- und Fürstentugenden in den Augen Israels und der Welt sich verklären können, wäre nur ein einziger Vorfall in seinem Leben mit dem Mantel der Liebe zugedeckt, oder mindestens in ein milderes Licht gestellt, worden. Aber der unbarmherzige Griffel der heiligen Geschichte reißt schonungslos alle Decken von dem unglückseligen Hergange weg, so daß man in einen Schrei der Bestürzung ausbrechen, und die laute Klage erheben möchte: „Wie bist du vom Himmel gefallen, du schöner Morgenstern!“ Was kümmert aber dies die Kanzellisten Gottes? Sie berichten Thatsachen, und schreiben Wahrheit, wie ihnen befohlen ist, und leitet sie dabei noch irgend eine andre Absicht, so ist es nur die, der Welt zur Warnung vor aller Kreaturvergötterung zu zeigen, daß Gott allein gut, und alle Menschen Sünder seien.„
2. Sam. 11,27. Und David sandte hin und ließ Uria's Weib holen in sein Haus; und sie ward sein Weib. Aber die That gefiel dem Herrn übel, die David gethan hatte.
Was ereignete sich, und - wie ward es möglich. Vernehmen wir Antwort auf diese beiden Fragen.
1.
Zurück zur königlichen Hofburg. Große Triumphe sind in ihr gefeiert worden. Noch prangt sie in dem reichen Festschmuck, in welche die Volksbegeisterung sie gekleidet. Stolz weht von ihrer Zinne das Banner Judas, und glänzende Pyramiden aus erbeuteten Harnischen, Schilden, Standarten und andern Kriegsgeräthen errichtet, verkünden ringsumher den Ruhm der Sieger. Aber schon der erste Eintritt ins Innere macht uns stutzen. Da finden wir's nicht mehr, wie gestern und ehegestern. Nach harmlos heitern Angesichtern sehen wir uns vergebens um. Alles verräth hier einen jähen Stimmungswechsel. Wohl bewegen sich die Dienerschaften nach wie vor in ihren gewohnten Geschäftsgeleisen; aber wir vermissen an ihnen die frühere feierliche Gemessenheit, an deren Stelle sich eine gewisse Nachlässigkeit und Entbundenheit bemerkbar machen. Es muß etwas sich ereignet haben, das eine Lockerung ihrer bisherigen ehrfurchtsvollen Haltung herbeiführte. Unverkennbar trägt man sich mit einem düstern Geheimniß. Unter Zeichen großer innerer Aufregung flüstert man sich's einander zu: niedergeschlagen und aufrichtig trauernd hier, dort, als fühlte man sich eines lästigen Bannes entledigt, mit schlecht verhüllter Schadenfreude. Auch außerhalb des Palastes verlauten schon bedenkliche Gerüchte, während das Hofgesinde noch Zurückhaltung übt, und Fragen müßiger Neugier vorsichtig auszuweichen sucht. Vornehmlich bemühen sich die dem Thron am nächsten Stehenden durch erkünstelten Gleichmuts) das Vorgefallene möglichst todt zu schweigen, wenn es auch Manchen selbst unter ihnen kaum gelingen will, die heimliche Genugthuung ganz zu verbergen, die es ihnen gewährt, ihrem hochfrommen Herrn und Gebieter, dessen Gottseligkeit sie beengte, plötzlich mit sich auf gleicher sittlicher Stufe zu begegnen. Des Königes Kinder gehen tief beschämt und gebeugt einher, am tiefsten aber die fromme, treue Abigail, die, was ihr höchster Ruhm und Stolz war, mit einem Schlage vernichtet sah, und ihren Schmerz den Wänden ihres Frauengemaches klagt.
Der König selbst tritt auf. Nein, er ist nicht mehr derselbe, als den wir ihn bisher gekannt. Wir vermissen an ihm die gewohnte Unbefangenheit und Sicherheit, in der sich sonst sein vorwurfsfreies Gewissen wiederspiegelte. Seine Freundlichkeit, früher ihm so natürlich, verräth sich jetzt als eine erkünstelte und erzwungene. Sein Blick, sonst so offen und klar, hat etwas Unstetes angenommen. Ebenso sein Gang und seine Sprache. Die ihm angeborene Majestät erscheint gebrochen. Er gleicht einem Mann, der die auseinander gehenden Fäden seiner Würde ängstlich zusammenzuhalten sich bemüht, um nicht ganz entblößt dazustehen. Wer an der Pforte seines Schlafgemachs lauscht, dem dringt mancher halberstickter Seufzer daraus zum Ohr, nur leider! kein Seufzer mehr zu Gott. Ach, wie ist dem Manne der Herr so fern getreten, und wie so fern er selbst dem Herrn!
2.
Was ist's, daß diese höchst befremdende Veränderung herbeigeführt hat? Etwas kaum Glaubliches! Die Zunge zögert, es auszusprechen. Ein himmelschreiendes Verbrechen ist begangen. Eine zweenfache schwere Schuld lastet auf Davids Haupt. Er, der frömmste unter Tausenden, den wir erst eben auf den Flügeln göttlicher Begeisterung unerreichbar jeder gemeinen Regung über den Höhen der Erde schweben sahen, und in dem nicht allein der menschliche Ahnherr des zukünftigen Welterlösers, sondern sogar dessen persönliches Vorbild vor uns stand, begegnet uns plötzlich - wir zittern, indem wir es aussprechen, - als Ehebrecher und als Mörder!
Lüften wir den Schleier! Während das königliche Kriegsheer die noch uneroberte und stark befestigte Hauptstadt der Ammoniter, Rabba, belagerte, war David, der diesmal vorgezogen hatte, in Jerusalem zurückzubleiben, während sein tapferer Feldhauptmann und treuer Freund Uria sich beim Heere befand, in verbrecherischer Leidenschaft für dessen Weib, die Bathseba entbrannt, und hatte dieselbe freventlich zur Untreue verleitet. Ein listig ausgesonnener Versuch, dieses Verbrechen durch eine Zurückberufung Uria's aus dem Lager zu bedecken, war fehlgeschlagen, und so schmiedete er, damit die Bathseba als Wittwe mit dem Schein vollkommenster Gesetzmäßigkeit ganz die Seine werden könne, einen noch gottloseren Plan, indem er den arglosen Kriegsmann mit dem unter dem Namen des „Uriasbriefes“ weltberüchtigt gewordenen, und ach! aus derselben Feder, mit der der „heilige Sänger“ seine Psalmen geschrieben hatte, geflossenen Schreiben an Joab, den Oberbefehlshaber seiner Mannschaften, gen Rabba zurückschickte. Der Inhalt dieses wohlversiegelten verrätherischen Briefes lautete: „Stellet den Uria an den Streit, wo er am härtesten ist, und wendet euch hinter ihm ab, daß er erschlagen werde und sterbe!“ Kaum wagt Joab, als er diese Ordre liest, seinen Augen zu trauen; aber wie hätte er nicht ahnen sollen, daß in Jerusalem etwas höchst Bedenkliches vorgegangen sein müsse? Uebrigens konnte die Aussicht, in der Person Urias eines gefährlichen Nebenbuhlers im kriegerischen , Rangstreite los zu werden, dem ehrgeizigen Manne nur eine willkommene sein. Gerne unterzog er sich, gewissenlos wie er war, dem geheimen Auftrage seines königlichen Herrn, dessen „all' zu fromme Richtung“ auch ihm schon längst zum Aergerniß gereichte, und dem er es überdieß noch nachtrug, daß er ihn einst nicht allein nöthigte für Abner, der von seiner, des Joab, Hand gefallen war, die üblichen Trauerzeichen anzulegen, und demselben sogar das Grabgeleite zu geben, sondern der ihm auch die Schmach anthat, wider ihn, den Mörder Abners, vor allem Volk die vergeltende Gerechtigkeit Gottes anzurufen. Bei einem erneuerten Ausfall des Feindes aus der Festung stellte Joab den Uria laut dem ihm gewordenen Befehl im vordersten Gliede seines Heers dem ersten Ansturm der wuthentbrannten Ammoniter blos, und der nichtswürdige Anschlag gelang vollkommen. Uria, der edle Kämpe, blieb auf dem Platz, und nicht wenige seiner tapfern Waffengefährten fielen zu seiner Seite. Joab hatte somit eine empfindliche Niederlage zu beklagen; dem Boten aber, den er zur Berichterstattung über den blutigen Ausgang des Gefechts nach Jerusalem entsandte, gab er die schlau berechnete Anweisung, er solle dem Könige zuerst im Allgemeinen das beklagenswerthe Ergebniß des Kampfes melden, und ihm eröffnen, wie sein tapferes Heer zwar schon siegreich bis dicht vor den Eingang des Stadtthores vorgedrungen, wie es hier aber demselben ähnlich ergangen sei, wie einst in den Tagen der Richter vor der festen Stadt Thebez dem Feldherrn Abimelech, welchem ein Weib von der Mauer her einen Mühlstein auf das Haupt geschleudert habe. So habe der in die Veste zurückgedrängte Feind, nachdem er die Thore hinter sich verriegelt, auch sie, die Muthigen Israels, von der Mauerzinne herab mit Felsstücken überschüttet, und gar manchen Helden dadurch zerschmettert. Wenn er, der Bote, dann zu bemerken glaube, daß der König in Zorn entbrennen wolle, so solle er nachträglich noch hinzufügen, daß auch Uria unter den Gefallenen sei. Der Herold eilte davon, und begann, als er in der Hofburg angelangt war, seinen Auftrag pünktlich auszurichten. Als er aber in der Spannung und Aufregung, womit der König ihm zuhörte, nur Vorboten eines nahenden Zorn- und Unmuthssturmes wahrzunehmen glaubte, rückte er in der Bestürzung sofort mit der Nachricht heraus: „Dazu ist auch Uria, dein Knecht, der Hethiter todt!“ Wie überraschte es ihn aber, als David jetzt, statt grimmig aufzubrausen, mit einer unbegreiflichen Milde ihm entgegnete: „Gehe hin, und sage Joab: Laß dir das nicht übel gefallen; denn das Schwert frißt bald diesen, bald jenen. Halte noch an mit dem Streit wider die Stadt, daß du sie zerbrechest, und sei getrost!“ - Unglückseliger David, wie tief bist du gefallen, und die erste böse That, wie zeugt sie schon unaufhaltsam fort! An den Ehebruch reiht sich der Mord, an den Mord ein trauriges Gewebe von Verstellung, Heuchelei und Lüge. Und keine Erwähnung des lebendigen Gottes! Nur eine Berufung auf ein blindes Schicksal, das nach Laune bald diesen, bald jenen hinwegraffe! O wie bewahrheitet sich hier wieder das Wort des Herrn: „Wer Sünde thut, der ist der Sünde Knecht,“ und das Petruswort: „Von welchem Jemand überwunden wird, dessen Sklave ist er!“
Als Bathseba die Botschaft vom Tode ihres Gemahls vernahm, „trug sie,“ so meldet die Geschichte, „Leid um ihren Eheherrn,“ und ohne Zweifel aufrichtiger und tiefer, als der König, wenn gleich letzterer nicht versäumte, für sein Haus wie für das Heer eine Trauer um den gefallenen Helden auszuschreiben. Denn kaum war die übliche Trauerzeit zu Ende, als er das bethörte Weib unter dem Scheine vollkommener Berechtigung seinen Frauen beigesellte. O David, du Stolz und Zierde Israels, wohin geriethest du? Wohl weiß er, was die Geschichte bemerkt: „Die That gefiel dem Herrn übel, die David gethan hatte.“ Aber mit aller Gewalt streubt er sich gegen das in ihm erwachende Schuldbewußtsein. Er redet sich ein, der Tod des Uria habe wenigstens vor der Welt seine Schande zugedeckt; aber er bedenkt nicht, daß Joab, an dem er nie einen wahren und aufrichtigen Freund besessen, und manche Andere außer ihm es in der Hand hatten, augenblicklich, wie es sogar bereits geschehen war, den Schleier von dem dunklen Geheimniß zu lüften. Trotz Allem, was vorgegangen, will David auch jetzt noch stehn, wie und wo er zuvor gestanden. O Betrug der Sünde! Dem Könige geschieht nach dem apostolischen Ausspruch Römer 2, 6: „Sein Gewissen bezeuget ihn und seine Gedanken verklagen und entschuldigen sich untereinander.“ Scham und Trotz kämpfen in seinem Innern um die Obmacht, und je nachdem die eine oder der andre den Sieg davonträgt, ist der Mann gerettet oder ewig verloren. Eine furchtbare Gefahr, in der er schwebt! Was ihn aus dem schauerlichen Schiffbruch, den er erlitt, allein noch retten kann, ist das Selbstgericht, die Buße.
Wie erklärt sich's aber, daß ein Mann, wie David, Gottes und seiner selbst bis zum Sturze in solche Sündentiefe vergessen konnte? Zu einiger Milderung des Urtheils über seinen Fall mag der Umstand dienen, daß er noch unter der Haushaltung des Gesetzes lebte, in der den Frommen weitaus nicht ein Reichthum an Schutz- und Schirmmitteln gegen die Anfechtungen des Teufels, der Welt und ?es Fleisches zu Gebote standen, wie er nachmals den mit Christi Geist getauften, und durch diesen Geist in einem bis dahin kaum von ferne geahnten Sinn und Maße der göttlichen Natur theilhaftig gewordenen Kindern des neuen Testamentes gewähret ward. Zudem dürfte auch das zu Davids Gunsten sprechen, daß er, wie hoch er auch immer in jeder Beziehung über seiner Zeit stand, nichtsdestoweniger die Luft seines Jahrhunderts geathmet, und namentlich die damals herrschenden Anschauungen von der Vielweiberei als ein trauriges und Gott mißfälliges Familienerbtheil mit überkommen hatte. Aber immer stand, wie das Mosiswort: „Gott schuf einen Mann und ein Weib,“ so das Gebot: „Du sollst nicht ehebrechen,“ vom Finger Gottes geschrieben, dem Israeliten so hell und unzweideutig vor Augen, daß eine Uebertretung desselben unter allen Umständen fluchwürdig und verdammlich blieb. David hatte ohne alle Widerrede laut der göttlichen Reichsordnung das Leben verwirkt. Er war des Todes schuldig, auch dann, wenn nicht noch neben dem schmählichen Verrath der Freundschaft und dem Gewebe von Lüge und Verstellung, der entsetzliche Mord, und so manches Andre, was die eine That fortzeugend aus ihrem von der Hölle befruchteten Schooße weiter gebar, erschwerend hinzugetreten wäre und das Frevelmaß voll gemacht hätte.
In der That erscheint der Fall Davids auf den ersten Blick als ein unauflösliches Räthsel. Er nähert sich aber in etwas unserm Verständnisse, wenn wir uns in Davids damalige Lage hineinversetzen. Er hatte, wie uns bewußt, den Gipfel seinen Ruhmes und seiner Herrscherglorie erreicht. Ueberschwenglich mit Lorbeeren gekrönt, sah er von der Höhe, zu der er sich emporgeschwungen, auf ein Leben zurück, in welchem Sieg an Sieg sich knüpfte, und das ihn als einen vor Tausenden bevorzugten Liebling Gottes erscheinen ließ. Alles, was er vor die Hand genommen, war, oft über Erwarten, ihm geglückt. Seine Feinde ringsum lagen niedergeworfen zu seinen Füßen. Könige gedemüthigter Völker zahlten ihm als seine Vasallen den Tribut. Sein Reich, zu einer Großmacht erwachsen, erstreckte sich, wie es schon dem Vater Abraham in einem prophetischen Gesichte gezeigt worden war, von dem Bach Egyptens bis zum Euphrat, und vom Mittelmeer bis über das Ostjordanland hinaus. Es umgab ihn ein Glanz, der bis in die fernsten Gegenden seine Strahlen warf, und die Völker weit umher zur Bewunderung fortriß. David galt nicht allein für den ruhmgekröntesten Helden, sondern auch für den größten Heiligen seiner Zeit. Nie noch hatte irgend ein sittlicher Tadel ihn betroffen, und jeder rechnete sich's zur Ehre, ihm huldigend nahen zu dürfen, und eines freundlichen Blicks von ihm gewürdiget zu werden. Er sah sich in der That am Ziele der kühnsten Wünsche angelangt, die in eines Menschen Herzen sich regen könnten, und was die Erde an Wohlsein und Behagen zu gewähren hat, überströmte sein Dasein in unbegrenzter Fülle. Wie nahe legt sich uns nun der Gedanke, ein in so überschwänglichem Maaße mit Segen Ueberschütteter werde von Erkenntlichkeit gegen seinen himmlischen Wohlthäter überfließen, und sein ganzes Dichten und Trachten auf Wahrung und gottgefällige Verwaltung und Verwendung der ihm zugeflossenen Gaben gerichtet sein lassen. Aber ein Uebermaß irdischen Glücks und weltlicher Ehre ist allezeit eine gefahrdrohende Mitgift. Wo der Mensch seine Triumphe feiert, wird es niemals fehlen, daß auch der „Feind“ unter eines solchen Menschen Gäste sich mische, der „umhergeht wie ein brüllender Löwe, und suchet, welchen er verschlinge.“ Wie häufig ereignet sich's, daß die Glücklichen ehe sie sich's versehn von einem geistigen Schwindel ergriffen werden, der sie ihrer Schritte nicht mehr Meister sein, sie mit dem, was sie erreichten, in leichtfertigster Weise als mit einem unverlierbaren Leibgedinge umgehn, und wie in einem Rausch und Taumel Tritte thun läßt, welche sie unvermerkt einem jähen Sturze von dem Gipfel ihrer Herrlichkeit entgegenführen. Es geschieht ihnen, als flüstere eine geheimnißvolle Stimme ihnen zu: „Du bist so hoch gekommen., und siehst deinen Ruhm in der Welt dergestalt gefestiget, daß du ohne Gefahr dir Vieles erlauben kannst, was Andern allerdings verwehret ist. Unantastbar bist du. Was immer du unternimmst, dir wird man es nur zum Besten deuten. Der Ehrenmantel, in dem du prangst, deckt an dir Alles, was Andern als Makel angerechnet würde. Das hohe Ansehn, dessen du dich erfreust, dient dir als Schild gegen jeden Argwohn. Deine Treue im Großen wiegt jede Untreue im Kleinen auf. Ueberhaupt hast du auf deiner Stufe deinen eignen Maßstab, und darfst dir gar Manches gestatten, was denen, die du tief unter dir erblickst, freilich untersagt ist.“ Wessen Stimme ist dies aber, als der „alten Schlange“, von der geschrieben steht, daß sie „listiger sei, denn alle Thiere des Feldes“, ja, des Lügenvaters, der gerade da, wo uns Alles nach Wunsch geht, und das Fleisch grünet und blühet, für die Entfaltung seiner verderbenden Zauberkünste den günstigsten Boden findet. Wie oft wird es erlebt, daß selbst edel angelegte Naturen schon die Erhebung auf eine der untersten Vorstufen jener Höhe, auf der wir einen David erblicken, nicht tragen können, ohne von dem erwähnten dämonischen Schwindel erfaßt zu werden. Schon irgend eine fürstliche Gnade und Ehrenbezeugung, deren sie sich gewürdigt sehn, bringt sie plötzlich um ihre Fassung und Haltung, und ehe man's denkt, lassen sie sich auf Wegen des Leichtsinns und der Selbstvergessenheit betreffen, die man sie kurz zuvor noch mit dem entschiedensten Ernste verdammen hörte. Und wenn Solches sogar Männern widerfährt, wie es leider! schon oft der Fall gewesen, welche berufsmäßig die Religion und die Kirche zu vertreten haben, so ist dies um so bejammernswürdiger, je mehr hiedurch der sittliche Charakter eines ganzen Standes verdächtigt, und obendrein der Name Gottes der Lästerung blosgestellt wird.
Trotz alledem, was wir eben bemerkten, bleibt es ein kaum zu lösendes Räthsel, wie ein so geistlich geförderter und in den schwersten Proben glänzend bewährte Mann, wie David, durch den Zauber der Weltherrlichkeit bis zur Außerachtsetzung eines der unzweideutigsten und auf das stärkste betonten göttlichen Verbote berauscht werden konnte. Wenn die höllische Magie des Satans je einen glänzenden Sieg davontrug, dann in dem Sturze jenes Chorführers der Heiligen seiner Zeit. Nachdrücklicher, als jedes andere Exempel, schärft uns das seinige die apostolische Warnung ein: „Wer sich dünken lässet, er stehe, sehe wohl zu, daß er nicht falle.“ Ach, daß der König doch auch diesmal, statt unthätig zu Jerusalem zu bleiben, mit seinem Heere gegen die Ammoniter in's Feld gezogen wäre, und den versucherischen Müßiggang mit der eisernen Kriegsarbeit vertauscht hätte! Oder daß er doch, statt in die selbstgefällige Beschauung dessen, wohin er es endlich gebracht, sich zu versenken, noch einmal die Wege, welche Gott ihn bis dahin führte, mit Sammlung hätte überdenken, und dann das Verhältniß bemessen wollen, in welchem seine Würdigkeit zu den Segnungen stehe, womit er von Oben her überschüttet worden! Man hat wohl gemeint, schon darin ein Zeichen einer in David sich anbahnenden Entfremdung von dem Leben in Gott zu bemerken, daß er die ihm Seitens der Ammoniter in den Personen seiner Abgeordneten zugefügte Beleidigung sich allzusehr zu Herzen gezogen, und den Feldzug gegen die Beleidiger lediglich zur Sühne seiner verletzten Herrscherehre unternommen habe. Aber mit Unrecht. Was ihm die Waffen gegen die Ammoniter in die Hand gab, war vielmehr der Eifer um die Ehre des Herrn, welche er in der seinen Boten als Genossen des auserwählten Volkes widerfahrenen Schmach angetastet glaubte. Auch hat man als auf einen Beweis, daß bei ihm schon früher ein geistlicher Verfall eingetreten fei, sowohl auf die an den endlich überwundenen Feinden verübte Grausamkeit, als darauf hingewiesen, daß er die Krone des überwundenen Ammoniterkönigs, statt sie dem Herrn zu weihen, auf sein eigenes Haupt gesetzt, und diesmal mit keinem Laute Gott für den Sieg gepriesen habe. Aber einmal erfolgte die Erstürmung Rabbas erst nach Davids Fall und nicht vor demselben, und sodann darf ja aus dem Schweigen der Geschichte nimmermehr geschlossen werden, daß David dem Herrn nicht die Ehre gegeben habe. Nein, die Versuchung kam jählings über ihn wie ein gewappneter Mann. In einem Momente, da er sich in seiner Selbstherrlichkeit bespiegelte, beschlich ihn der Satan, dieser „Lügner und Mörder von Anfang,“ und brachte ihn zum Sturz.
O Keiner, wie weit er sich auch in der Heiligung gefördert glaubt, erachte sich entbunden von der Beherzigung des Wächterrufes Christi: „Wachet und betet,“ und des apostolischen: „Seid nüchtern und wachet!“ Schirm und Sicherheit ist nirgends, als in glaubensfester Anklammerung an Gott und Gottes Gnade. Wer zumal als ein vom Weltglück Begünstigter sich selber Manns genug dünkt, festen Ganges die grade Straße einzuhalten, der möge zusehn, wo er anlangen wird. Daß Gott nur die Schlinge, die seiner wartet, nicht zu zähe, die Grube, der er entgegeneilt, nicht zu tief sein lasse! Wie Mancher schon glitt auf der schlüpferigen Bahn ununterbrochener zeitlicher Wohlfahrt bis zu einem Abgrunde hinab, aus der er sich nie wieder erhoben hat, und lernte das Wort des Eliphas bei Hiob würdigen: „Selig ist der Mensch, den Gott strafet; darum weigere sich Niemand der Züchtigung des Allmächtigen!“
Was uns übrigens noch unbegreiflicher erscheinen will, als Davids Sündenfall, ist die Hartnäckigkeit, mit der der Gefallene monatelang sich dawider sträubte, die schwere Schuld, die auf ihm lastete, vor dem Angesichte seines Gottes anzuerkennen. Gott und sich selbst belügend, wollte er weder ein Ehebrecher noch ein Mörder sein; denn räumte er ein, er sei ein solcher, so konnte er sich's ja nicht verhehlen, daß ein gleiches Schicksal, wie es den Saul und dessen Haus betroffen, auch ihm in sicherer Aussicht stehe. Nicht länger durfte dann die Krone auf seinem der Steinigung verfallenen Haupte ruhn. Ja, bekannte er sich des Frevels schuldig, der auf ihm lastete, so sah er sich auch unbedingt genöthigt, zu Gott, dessen Namen er lästern gemacht, zu sprechen: „Richte mich Gott, und rette deine Ehre, indem du mich zerschmetterst!“ Davor graute ihm, und um so mehr, da er dann die Lauterkeit dieses Selbstgerichts zunächst und vor Allem auch durch die Entlassung der Bathseba hätte besiegeln müssen. So machte er denn mit ungestümer Hast auf Entschuldigungsgründe Jagd, und, wie er wähnte, auch nicht erfolglos. Er hatte ja die Sünde nicht aufgesucht, sondern sein Vergehen erschien mehr als ein trauriges Verhängniß, denn als ein muthwillig begangenes Verbrechen. Den Uria tödtete er ja nicht mit eigner Hand, sondern setzte ihn nur wie jeden andern Soldaten den Wechselfällen des Krieges aus. Zudem deckte ihn hinsichtlich des erster n Vergehens der Vorgang, ja die Sitte der mehrsten morgenländischen Könige, welche Nichtswürdigkeiten, wie die, welche dem David zur Last fiel, zu den fürstlichen Vorrechten zählten, und ihre hohe Stellung als ein Regal, als einen Freibrief für manches Andre geltend machten, was in den niederen Menschenschichten für strafbar zu erachten wäre. Nichtsdestoweniger sein Gewissen erhob gegen alle diese Beschönigungen seines Falles entschiedenen Protest. Unerbittlich nannte es ihn mit dem rechten Namen. Dennoch machte er unter Zusammenraffung aller möglichen Waffen der Lüge und des Selbstbetrugs einen Versuch nach dem andern, mit dem Richter in seiner Brust sich abzufinden. Es kamen ihm elende Tage und Nächte voller Angst und Schrecken. Was er während dieser Zeit des Leugnens und Verhehlens ausgestanden, hat er nachmals selbst in wenigen aber erschütternden Worten, die uns im 32. Psalme aufbewahret wurden, angedeutet. Hören wir ihn! „Da ich's verschweigen wollte,“ spricht er, „verschmachteten meine Gebeine durch mein täglich Heulen; denn deine Hand, o Gott, war Tag und Nacht schwer auf mir, daß mein Saft vertrocknete wie es im Sommer dürre wird.“ O wie begreiflich dies! Trotz aller erlogenen Rechtfertigungsgründe, die er gleich Feigenblättern zur Decke seiner Blöße mühsam zusammenraffte, behauptete nach wie vor in ihm das Schuldbewußtsein, das ihn und seinen Gott von einander schied, seine Obmacht. Wie hätte er sich doch auch dem Dreimalheiligen in der Höhe anders, denn als seinem zürnenden Richter gegenüber fühlen, wie auch nur mit einem leisen Anfing von Kindeszuversicht zu ihm emporschauen können? Ein fast noch helleres Licht, als die eben vernommenen Worte, wirft auf sein damaliges Elend die lebhafte und inbrunstvolle Seligpreisung, womit er jenen natürlich erst nach seiner Wiederannahme bei Gott gedichteten Psalm eröffnet: „Selig, wem die Uebertretungen vergeben sind und die Sünde bedecket ist! Selig der Mensch, dem der Herr die Missethat nicht zurechnet, und in dessen Geist kein Falsch ist.“ Nicht minder beleuchtet uns seinen damaligen Nothstand sein ernster auf eigner schmerzlichster Erfahrung beruhender Nachruf an alle Sünder: „Seid nicht wie Rosse und Mäuler, denen man Zaum und Gebiß in's Maul legen muß, wenn sie, o Gott, zu dir nicht wollen;“ und dann der Ausspruch: „der Gottlose hat viel Plage,“ verbunden mit dem zurechtweisenden und zugleich ermuthigenden Zusatz: „Wer aber auf den Herrn vertraut, den umfängt er mit Gnade.“
Trauern wir denn um den jähen Sturz des Mannes, der die Krone und der hellleuchtende Polarstern seines Volkes war, und welchem mit größerem Rechte, und nur noch in schmerzlicherem Sinne zurückgegeben werden darf, was er einst dem durch die Schwerter Joabs und Abisais hingewürgten Abner nachrief: „Wisset ihr nicht, daß auf diesen Tag ein Fürst und Großer in Israel gefallen ist!“ Beklagen wir die schwere Trübung des in so unvergleichlichem Lichte strahlenden Herrschendens, als zu welchem vor seinem Falle die Welt zu David emporsah! Uebersehen wir aber auch nicht, daß Menschen, die, wie David, einmal in Gott gewurzelt sind, es wohl geziemt, mit Israel beim Propheten Micha zu sprechen: „Freue dich nicht über mich, meine Feindin, daß ich darniederliege; ich werde schon wieder aufkommen!“ Ist er doch in der That „wieder aufgekommen,“ der Gottesmann; und was sein Bild an idealem Glanze verloren hat, hat es an tröstlicher Bedeutung für uns gewonnen. Auch von Davids Fall darf es in einem gewissen Maße heißen, daß er „der Welt Reichthum geworden ist.“ Hat der Fall ihm selbst zur tiefsten Demüthigung gereichen müssen, so machte er dem Herrn Raum zur' glänzendsten Entfaltung seiner Gnade und seiner unwandelbaren Treue. David blieb nicht allein der „Mann nach Gottes Herzen,“ der er zuvor gewesen; vielmehr ward er es jetzt erst recht, und wie viele seiner herzerhebendsten Psalmen erklängen in unsrer Kirche nicht, wenn er unverrückt und sonder Wanken die hohe Bahn ungetrübter Heiligkeit bis an sein Ende fort gewandelt wäre. Mit lebendigen Tugendidealen möchte uns weniger gedient sein, als mit den Bildern armer Sünder, denen Barmherzigkeit widerfahren ist. Wir werden bald im Blick auf David die Aufforderung des Hausvaters in dem bekannten Gleichnisse an uns ergehen hören: „Lasset uns fröhlich sein; denn dieser mein Sohn war todt und ist wieder lebendig geworden, verloren und ist wieder gefunden.“ Daß alsdann nur nichts von jener in pharisäischer Selbstgerechtigkeit wurzelnden Stimmung, durch welche sich der ältere Sohn in jener Parabel zu einem ewigen Warnungsexempel gestempelt hat, auch uns anwandle! Gesellen wir uns vielmehr dann den heiligen Gottesengeln bei, von denen der Herr bezeugte, daß selbst vor ihnen „Freude sei über einen Sünder, der Buße thue!“