Krummacher, Friedrich Wilhelm - XVI. David König über Israel.

Krummacher, Friedrich Wilhelm - XVI. David König über Israel.

Es war ein feierlicher und ewig denkwürdiger Augenblick, in welchem der alte Erzvater Jakob auf seinem Sterbebette in Egypten seinen Söhnen den Abschiedssegen ertheilte und ihnen in prophetischen Andeutungen ihre Zukunft enthüllte. Nachdem er seinen Erstgebornen, den Ruben, und nach ihm die beiden folgenden, Simeon und Levi, gesegnet, trat auf seinen Wink der vierte, Juda, an sein Lager, nicht sein Lieblingssohn, da er ihm manchen Gram und Kummer bereitet hatte. Des Alten Herz und Zunge standen aber nicht mehr in seiner Macht, sondern der Geist Gottes war über ihm und legte ihm, indem er ihn über seine menschliche Vorliebe für die Söhne der Rahel, namentlich für Joseph und Benjamin, hinaushub, nach 1. Mos. 49, 8-10 einen Spruch auf die Lippe, dessen großartiger und weitreichender Sinn zum Theil ihm selbst wohl noch ein Geheimniß blieb. „Juda du bist's!“ redete er ihn an. „Dich werden deine Brüder loben. Deine Hand wird deinen Feinden auf dem Halse sein. Vor dir werden deines Vaters Kinder sich neigen. Juda ist ein junger Löwe. Du bist hochkommen, mein Sohn, durch große Beute. Er hat niedergekniet und (nämlich nach siegreichen Kämpfen) sich gelagert wie ein Löwe und wie eine Löwin; wer will ihn aufwecken? Es wird das Szepter (die Königswürde) nicht von Juda weichen, noch der Meister (die gesetzgebende Gewalt) von seinen Füßen, bis der Schilo (der Held oder Friedefürst) komme, und demselben werden die Völker anhangen.“ Die Geschichte hat diesem Weissagungsspruche als solchem längst von Wort zu Wort das Siegel aufgedrückt. Schon bei der Eroberung des gelobten Landes war es vor allen andern der Stamm Juda, der mit eines jungen Löwen Muth und Kraft seine Hand den Feinden auf dem Halse hatte. In wem aber das uralte Wort seine schließliche und erschöpfende Verwirklichung gefunden hat und noch weiter finden wird, wissen wir. Vorgebildet ward diese vollendete Erfüllung in der Persönlichkeit und dem Lebensgange des Mannes, den wir heute auf dem Herrscherstuhle über ganz Israel begrüßen werden. Eine Lust ist's, zu sehen, wie das vor einem Jahrtausend im fernen Egypten in die Erde gesenkte unscheinbare prophetische Saatkorn unablässig sprießt und immer neue zukunftsvolle Aeste treibt, bis endlich die majestätische Krone sich entfaltet, welche die Enden der Erde überschatten wird.

2 Sam, 5,1. Und es kamen alle Stämme Israels zu David gen Hebron und sprachen: Siehe, wir sind deines Gebeins und Fleisches, V. 7, Und David gewann die Burg Zion, d. i.: Davids Stadt.

„Des Herrn Wort ist wahrhaftig, und was er zusagt, das hält er gewiß.“ David sprach's Psalm 33, 4. Reichlich schon hatte er's erfahren, und sicher fühlte sich seine Seele durch diese Wahrheit vorzugsweise an dem Tage gehoben, an dem wir heute wieder mit ihm zusammentreffen. Die Huldigung des ganzen Volks und die Eroberung seines Herrschersitzes auf Zion sind die beiden Thatsachen, welche diesmal unsere ganze Theilnahme in Anspruch nehmen.

1.

Jubel herrscht in Israel. Der Riß, der durch das Volk ging, ist geheilt. Jeder Zweifel an der göttlichen Berufung Davids zum Königsthrone schwand dahin. Das Haus Sauls lag von der Hand des Allmächtigen zertrümmert, nachdem auch sein Sohn Isboseth todt und Sauls letzter Sprößling, Mephiboseth, schon dadurch als zur Thronfolge unfähig gezeichnet war, daß er als Kind in Folge eines Falles unheilbar erlahmte. Und wer konnte es verkennen, daß David, der Erretter des Vaterlandes aus der Gewalt der Philister, der Bändiger der amalekitischen Räuberhorden, der mit seinem weithin erschollenen Heldenruhme zugleich denjenigen einer in der Furcht Gottes wurzelnden unbestechlichen Gerechtigkeitsliebe, einer bewunderungswürdigen Hochherzigkeit und Großmuth, einer Jedermann gewinnenden Leutseligkeit und Milde, so wie überhaupt die seltensten Vorzüge des Herzens und Geistes in sich vereinigte: daß dieser David längst schon den Stempel einer göttlichen Berufung zum Alleinherrscher über ganz Israel an der Stirne getragen habe? So strömten denn, nachdem die letzten empörerischen Zuckungen in den Provinzen bewältigt waren, die Abgeordneten sämmtlicher Stämme von Dan bis Berseba herzu, um reumüthig und völlig ausgesöhnt ihrem Könige zu Hebron zu huldigen. „Siehe,“ sprachen sie zu ihm, „wir sind deines Gebeins und deines Fleisches,“ d. i. deine Blutsverwandten. „Schon vorhin, da Saul König über uns war, führtest du, als sein Feldhauptmann, Israel aus und ein. So hat der Herr dir zugesagt: Du sollst mein Volk Israel hüten und ein Herzog sein über Israel!“ Aus letzteren Worten ersehen wir wieder, daß sich die Kunde von den schon frühe über David ergangenen Weissagungssprüchen mit dem Spruche des alten Samuels beginnend, weit durch das ganze Volk verbreitet hatte. Voll Dankes zu seinem Gott, der so gnädiglich ihn bis hieher gebracht, schloß David mit den huldigenden Aeltesten, den Vertretern Israels, den heiligen Bund, und beschwor denselben in voller Aufrichtigkeit vor dem Herrn, feierlich gelobend, daß er nur in des Herrn Namen und allein nach des Herrn Wort und Weisung sein Regiment führen werde.

So war nun Israel nach langer Spaltung wieder ein einiges Reich. Nicht weniger, als eine siebenjährige durchhaltende Arbeit theils in Niederwerfung der Rebellen, theils in musterhafter Verwaltung des ihm von Anfang an ergebenen Landestheils Juda hatte es dem David gekostet, sämmtliche Stämme sich zu befreunden und zuzuneigen. Erschien die Hoffnung für Israels Zukunft lange einem erstorbenen Baume gleich, so trieb sie jetzt wieder neue, frische, verheißungsreiche Zweige. Wohl selten hat ein Fürst mit besserem Gewissen seinen Thron bestiegen, als David. Ihn traf kein Vorwurf weder eines menschlichen Intriguenspiels, noch eines ungebührlichen Verhaltens gegen das abgetretene Herrscherhaus. Und wie heilverkündend, ist es für ein Volk, wenn der zum Lenker seines Geschicks Berufene ein Mann unbefleckten Gewissens ist. Dasselbe meint Salomo, wenn er spricht: „Wohl dir Land, deß König edel ist,“ und an einem andern Orte: „Fromm und wahrhaftig sein behüten den König.“

Nur eins müssen wir immer auf's neue schmerzlich an David beklagen, nemlich dies, daß auch er noch nicht Erleuchtung und Kraft genug gewann, um sich von dem zur damaligen Zeit freilich tief eingerissenen, und sonderlich zur stehenden Hofsitte gewordenen heidnischen Greuel der Polygamie loszusagen. Auch er hatte, wie uns bewußt, mehre Frauen, und erbte nach damaligem Brauche auch die von seinem Vorgänger hinterlassenen. Doch darf nicht übersehen werden, daß Letztere mehr zum Hofstaat, als zur Familie des Fürsten gerechnet wurden, und die Stellung unsrer heutigen „Ehrendamen“ einnahmen. Immer aber war die uranfängliche göttliche Eheordnung, die damals selbst dem Bewußtsein des auserwählten Volks so sehr abhanden gekommen war, gröblich durchbrochen, freilich mit einer gewissen Arglosigkeit, weshalb diese Uebertretung auch einstweilen noch unter göttlicher Geduld ging, aber Keinem, auch unserm David nicht gänzlich ungestraft nachgesehen wurde.

David war, als er im Jahre 1050 vor Chr. Geb. das Regiment über ganz Israel antrat, dreißig Jahre alt, und regierte vierzig Jahre mit Einschluß der 7 Jahre und 6 Monate, während deren er zu Hebron ausschließlich über den Stamm Juda das Zepter führte. Von den Kindern, die ihm in Hebron geboren wurden, waren die drei ältesten Amnon, Daniel und Absalon, denen daselbst drei andere Söhne folgten. Viel Freude hat er an seinen Kindern nicht erlebt. Auch dies durfte er auf Rechnung der gesetzwidrigen ehelichen Verhältnisse bringen, vor denen auch er, der „Mann Gottes“ sich nicht zu bewahren gewußt.

2.

Die erste Königsthat Davids nach seiner Krönung war eine kriegerische, welche die Eroberung eines würdigen Herrschersitzes zum Ziele hatte. Zur Stätte dieser seiner Residenz ersah er sich eine weit ins Land hinein schauende und nur theilweise erst bebaute Hügelgruppe, auf der bereits aus uralter Zeit her eine hehre Weihe ruhte. Jener Anhöhen eine war schon vor einem Jahrtausend für immer durch eine Glaubensthat verherrlicht worden, wie eine bewunderungswürdigere die Welt bis zu dieser Stunde nicht gesehen hat. Der Hügel Morija war es, wohin in jenen altersgrauen Tagen das Wort Jehova's den Vater Abraham beschied, daß er ihm daselbst seinen einigen Sohn, sein ander Herz und den Inbegriff seiner Zukunftshoffnungen zum Brandopfer schlachte. Die ihm damit auferlegte Prüfung galt nicht etwa Abrahams väterlicher Liebe. Dieser würde sie gegolten haben, wäre ihm zugemuthet worden, für den Sohn das eigne Leben in die Schanze zu schlagen. Ebensowenig galt sie seiner Liebe zu Gott, so daß es sich darum gehandelt hätte, ob diese an Macht und Stärke seine natürliche Zärtlichkeit für seinen Erstgeborenen überwöge. Eine Probe dieser Art bestand schon Mancher mit dem Hiobsrufe siegreicher Selbstverleugnung: „Der Herr hat ihn gegeben, der Herr hat ihn genommen, der Name des Herrn sei gelobt!“ Vielmehr war es eine Glaubensprüfung, bei der sich's erweisen sollte, ob Abraham Gott den Herrn wahrhaft als den Heiligen verehre, der Wort und Bund halte und nimmer lügen könne. Es war dem Erzvater ja die göttliche Zusage geworden: „In Isaak soll dir dein Same geheißen werden, und ich will dich zum großen Volke machen, wie die Sterne des Himmels, und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter der Erde.“ An Isaak also sah er durch das Wort Jehovas nicht allein die Zukunft seines Hauses, sondern auch die Heilszukunft der Welt geknüpft, und nun sollte er, so schien es, die eine wie die andere in der Person des Knaben für immer selbst zunichte machen. Wurde damit nicht zugleich die Wahrheit und Treue Gottes selbst vernichtet? Abraham sprach entschlossen und gefaßt in seinem Herzen: „Nein!“ „Es ist unmöglich,“ dachte er, „daß der Herr nicht seinem Worte stehe. Tödte ich mein Kind, so kann, so muß und so wird Gott dasselbe von den Todten wieder auferwecken!“ Auf solchen Gedanken gestützt, richtete er zwar blutenden Herzens, aber nichtsdestoweniger mit fester Hand Altar und Holzstoß zu, hob auf letzteren den Knaben hinauf, und zuckte schon das Messer über ihn, als zu ihm, der fortan mit Recht den Ehrennamen des „Vaters aller Gläubigen“ trägt, vom Himmel herab die Stimme erscholl: „Lege deine Hand nicht an den Knaben: denn nun weiß ich, daß du Gott fürchtest.“ Und als er seine Augen wandte, erblickte er hinter sich in einen Dornbusch verwickelt einen Widder, den er nahm, und an seines Sohnes statt zum Brandopfer opferte. Wir wissen, daß er in dieser Handlung nur etwas unendlich größeres Zukünftiges vorbildete, das seinem tiefsten Inhalte nach ihm selbst noch ein versiegeltes Geheimniß war.

An jener bedeutungsvollen Opferstätte ereignete sich um dieselbe Zeit ein Weiteres. Als Abraham aus der Schlacht wider Kedorlaomor und dessen Bundesgenossen sieggekrönt zurückkam, trat ihm hier ein geheimnißvoller Mann entgegen, trug Brod und Wein hervor, und segnete ihn mit den feierlichen Worten: „Gesegnet seist du, Abraham, dem höchsten Gott, der Himmel und Erde gemacht, und gelobet sei Gott der Höchste, der deine Feinde in deine Hand beschlossen hat!“ Wie überaus erhebend mußte den Erzvater dieser ungewohnte Gruß zur damaligen Zeit überraschen. War doch außerhalb seines Hauses ringsum in weiter Welt der Glaube an den Einen lebendigen Gott erstorben, um einer blinden Naturanbetung Platz zu machen. Da schlägt nun plötzlich dieses bestimmte, volle und inhaltreiche Bekenntniß an sein Ohr. Und aus wessen Munde tönt es ihm entgegen? Melchisedek hieß der Segnende, d. i. „König der Gerechtigkeit.“ Er war der Beherrscher von Salem, verdeutscht: Friedensort, und vereinigte in seiner Person mit der Königswürde zugleich diejenige eines Priesters des Allerhöchsten. Ob Abraham schon ahnete, wessen Schatten und Vorbild in dem Manne vor ihm stand? So deutlich, wie nachmals David, ahnete er dies sicher nicht, und viel weniger noch erkannte er's in der Klarheit und dem Umfange, wie später der Apostel, welcher bezeugt: „Melchisedek ist verglichen dem Sohne Gottes,“ und der dann (Hebr. 7) die einzelnen vorbildlichen Züge in der Erscheinung des geheimnißvollen Mannes ausdrücklich hervorhebt und deutet. Wohl etwas davon mochte auch dem alten Patriarchen schon vor der Seele dämmern, ihm, von dem der Herr ja sagt, er habe sich gefreut, daß er „seinen Tag“, den Tag Christi, sehen sollte, und der, von großartigen, wenn auch nur Helldunkeln Anschauungen bewegt, dem Melchisedek dadurch seine Untertänigkeit bezeugte, daß er ihn von Allem, was er hatte, den Zehnten gab.

Der Ort Salem hatte bereits zur Zeit der Einnahme des Landes durch Josua diesen seinen ursprünglichen Namen mit dem Namen Jebus vertauscht. Die Stämme Juda und Simeon eroberten die auf der Höhe Zion gelegene Veste und verbrannten sie, nachdem sie deren heidnische Bewohner getödtet hatten. Zu einer völligen Ausrottung der canaanitischen Jebusiter kam es jedoch damals noch nicht. Im Gegentheil hatten dieselben zur Zeit der Richter ihren Felsenhorst „Jebus“ aus seinen Trümmern nur fester wieder aufgebaut, und im Buch der Richter (Kap. 19, 12) begegnet uns Jebus unter der Bezeichnung einer „fremden Stadt, darin keine Söhne Israels wohnten.“ Als eine solche bestand sie auch noch in den Tagen Davids, der es aber übernahm, das Werk seiner Väter zu vollenden. Das Ueberbleibsel des verbannten Heidenstammes sollte, so war es Gottes Geheiß, die geheiligten Stätten räumen und die alte Bergfeste ihren ursprünglichen bedeutungsvollen Namen wiedergewinnen und zum Hoflager der Könige Israels sich verklären. So rückte denn David mit seinen Männern gegen Jebus aus und belagerte es. Aber die dort oben fühlten sich auf ihrer von Schluchten, starken Mauern und Wällen umgebenen Höhen vollkommen gedeckt, und bewillkommten in ihrem Uebermuthe die Belagerer drunten mit Spott und Hohn. „Komm nur,“ riefen sie trotzig dem David zu, „es wird dir nicht gerathen. Die Blinden und Lahmen (wie ihr verächtlich unsere Götter nennt) werden dich schon abtreiben!“ Jetzt galt es bei dem Kampfe nicht mehr blos die Demüthigung des großsprecherischen Gegners, sondern zugleich, ja vor allem Andern die Rettung der Ehre des Gottes Israels. Ein durchschlagender Thatbeweis war erforderlich, daß Jehova der allein wahre Gott und alle Götzen nichts seien. Davids Tagesbefehl lautet: „Wer die Jebusiter schlägt, bis zu den Wasserleitungen vordringt und die Blinden und Lahmen (die dort aufgestellten Götzenbilder), denen Davids Seele feind ist, erbeutet, der“ - hier brach Davids Rede ab; wer aber seine Worte bis dahin vernahm, hatte nicht Mühe, sie sich mit dem Folgesatze: „Der soll der Oberste in meinem Heere sein,“ zu ergänzen. Joab erbot sich zur Lösung der schwierigen Aufgabe. Der Sturm begann. Der Kampf war heiß und blutig. Aber die Männer Davids eroberten Schanze um Schanze, überstiegen die Riesenwälle, erklommen endlich auch die Mauern, und streckten nieder, was sich ihnen entgegenwarf. Gin glorreicher Sieg war errungen, Jebus in Davids Händen, und der Name Jehova's vor den Heiden hoch erhöhet. Seit dieser Heldenthat kam in Israel das Sprichwort auf: „Laß keinen Blinden und Lahmen ins Haus kommen,“ das hieß: „Halte dein Haus von den Götzen rein, und suche anderwärts Schutz und Schirm!“

Nachdem David dem Orte seinen alten Namen mit dem Zusatze „Jeru“, d. i. Burg oder Stadt zurückgegeben, und ihn „Jerusalem“, verdolmetscht „Wohnung des Friedens“, genannt hatte, ließ er denselben in größtem Maßstabe ausbauen und erweitern, und siedelte dann von Hebron dahin über. „Er bauete,“ heißt es, „umher von Millo und inwendig,“ welche Worte dahin zu verstehen sind, daß er die Burg, oder die feste Oberstadt auf dem Zionsberge zu seiner Residenz bestimmte, diese, die auch den Namen Davidsstadt führte, mit einer von dem Castell Millo ausgehenden starken Ringmauer umzog, und das von letzterer umschlossene umfangreiche Gelände mit zahlreichen stattlichen Häusern schmückte. Innerhalb dieses abgegrenzten Raumes errichtete er auch seinen königlichen Palast, während die unterhalb gelegene ebenere Gegend nach und nach mit Privatbauten sich bedeckte. Der Ruhm des Namens Davids und die Kunde von seinen großartigen Unternehmungen war aber schon so weit hin erschollen, daß der Fürst der reichen, betriebsamen und kunstfertigen See- und Handelsstadt Tyrus Gesandte an ihn abordnete, um Zeugen seiner glänzenden Schöpfungen zu sein, und zugleich ihn mit Cedernbäumen beschenkte, ja sogar bewährte Zimmermeister und Steinmetzen ihm zur Verfügung stellte. Was aller Welt jetzt offenkundig vor Augen lag, das spricht die Geschichte in den Worten aus: „Und David ging, und nahm zu, und der Herr, der Gott Zebaoth, war mit ihm.“ „Und David selbst,“ bezeugt sie weiter, „merkte,“ (d. h. fand sich auf's neue in der Ueberzeugung bestärkt,) „daß ihn der Herr zum Könige über Israel bestätigt, und sein Königreich um seines Volkes Israel willen erhöhet habe.“

O wie ein köstliches und des heißesten Begehrens werthes Ding ist's um solch' ein Gottessiegel auf das Amt, das man in des Herrn Namen zu führen meint! Nicht Alle, wie treulich sie vor Gott wandeln, und wie gewissenhaft sie ihres Berufes warten, theilen hierin das liebliche Loos eines David. Wie manche Regenten, Prediger, Lehrer des Volks haben oft bis an ihr Ende wie einst der Prophet Jesaia klagen zu müssen gewähnt: „Ich arbeitete vergeblich, und brachte meine Kraft unnützlich zu, wiewohl meine Sache des Herrn, und mein Amt meines Gottes ist!“ Edle Fürsten sahen ihr Leben hindurch von ihren Völkern sich verkannt, treue Säeleute auf dem geistlichen Ackerwerk streueten, wie es schien, ihren Samen ins Steinichte, da nicht's wuchs, unermüdliche Bildner der Jugend ernteten nur Undank für ihre Mühe. Schwere, schmerzliche Prüfungen dies, wohl dazu angethan, nach und nach in den Strebenden den letzten Rest des Arbeitermuthes zu brechen, und ihr Herz mit Niedergeschlagenheit und Sterbenssehnsucht zu erfüllen! Aber zu wie vielen Malen ward es schon erlebt, daß die Saaten, die diese Männer den Furchen des ihnen angewiesenen Ackerwerkes anvertrauten, und die sie mit ihren Thränen bethauten, dennoch so wenig verloren waren, daß sie vielmehr, ob auch über ihren Gräbern erst, plötzlich auf's mächtigste zu keimen und zu treiben, und in verheißungsreichster Frühlingsblüthe sich zu entfalten begannen. Namen, scheinbar vergessen, wurden dann mit gerührtem Danke als diejenigen unvergeßlicher Wohlthäter gefeiert. Regenten, von ihren Zeitgenossen unverstanden, verklärten sich in den Augen nachgeborener Geschlechter zu Musterbildern wahrer Völkerhirten. Man ersehnte sie zurück, und wallfahrtete ehrfurchtsvoll zu ihren Ruhestätten. Mögen solcher Erfahrungen alle diejenigen sich getrösten, welche die Seufzer über verkannte Arbeitertreue und über fruchtlos im Dienste der Brüder vergeudete Mühe kennen. Noch keinem Werke, das im Namen des Herrn gethan ward, hat der Herr, auch für das Diesseits schon, einen Lohn und Segen vorenthalten; und wird die Freude seiner Knechte etwa darum eine geringere sein, daß sie erst vom Himmel her ihre Saaten auf Erden sprießen, grünen und gedeihen sehen? Ewig wird sich das Psalmwort bewahrheiten: „Die mit Thränen säen, werden mit Freuden ernten. Sie gehen hin und weinen, und tragen edlen Samen, und kommen dann mit Freuden, und bringen ihre Garben.“ -

David bewohnt jetzt die Burg Zion, die Krone des Landes, und von da an beginnt die Geschichte Jerusalems, die als Geschichte einer Stadt an Großartigkeit, an Wechsel der Geschicke und an Bedeutsamkeit für die ganze Welt nicht ihres Gleichen hat. Durch mehr als zwei Jahrtausende hindurch hat diese fern von den Heer- und Verkehrsstraßen gelegene Hauptstadt eines eng begrenzten Landstrichs fast alle nach einander auftauchende Weltreiche in Waffen um ihre Mauern geschaart gesehn. Bald bis an den Himmel erhöht, bald bis zur Hölle hinabgestürzt, dreimal bis auf den Grund zerstört, und stets aus den Trümmern wieder auferstanden, jetzt den Heiden preisgegeben, ausgeplündert, mit Schmach bedeckt, und dann wieder mit den höchsten Ehren gekrönt, steht die Stadt auf ihren sieben Hügeln unter den Städten der Erde da als ein hoher siebenarmiger Leuchter, von welchem mit gleichem Glanze und gleicher Macht sowohl die verzehrende Flamme der Heiligkeit und Gerechtigkeit Gottes, als das milde beseligende Licht der göttlichen Langmuth, Liebe, Barmherzigkeit und Bundestreue in die Welt hereinscheint. Jerusalem, der Ausgangs- und Mittelpunkt der Offenbarungen Gottes, die überschwänglich bevorzugte Stadt, welche die unfehlbaren Dolmetscher des Allerhöchsten auf ihren Gassen wandeln sah, die Stadt, die de n Zeugnissen eines Jesaias, eines Jeremias, und wie vieler anderen Propheten lauschte, bis endlich der seit Jahrtausenden ersehnte Ruf zu ihr erscholl: „Jauchze du Tochter Zion, denn siehe dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer:“ Jerusalem stehet aufgerichtet als das Panier, dem in stillem großartigem Wallfahrtszuge alle Völker der Erde entgegenpilgern! Was hätte doch seit fast zwei Jahrtausenden segnend, heilbringend, belebend und wahrhaft beglückend in die Schicksale der Menschheit eingegriffen, das nicht von den Hügeln ausgegangen wäre, auf denen das Kreuz stand, aber auch die Siegesfahne des Todesüberwinders wehte, und wo aus dem geöffneten Himmel die pfingstlichen Feuerströme des Heiligen Geistes sich' über alles Fleisch ergossen? Und bis zur Stunde noch erscheint die irdische Davidsstadt vom Lichte großer Verheißungen umflossen. Und wie süß klingt unserm Ohre der Name Jerusalem, da er uns an die Stadt gemahnt, „die einen Grund hat, und deren Schöpfer und Baumeister Gott ist“: an das „Jerusalem da droben,“ nach dem wir, wie wir hoffen, auf der Pilgerfahrt begriffen sind, und von welchem der Dichter singt:

„Ich bin zufrieden, daß ich die Stadt gesehn,
Und ohn' Ermüden will ich ihr näher gehn,
Und ihre hellen, gold'nen Gassen
Lebenslang nicht ans den Augen lassen!“

Ja auch wir, so Viele unserer glauben, sprechen dem Sänger des 137. Psalmes nach: „Vergesse ich dein Jerusalem, so werde meiner Rechten vergessen ewiglich!“

Nachdem David die Herrschaft über ganz Israel angetreten, und auf dem Berge Zion seinen Thron errichtet hatte, sang er getrieben vom Geiste Gottes das unsterbliche Lied des 101. Psalms, in welchem er wie sich selbst, so der Gesammtheit seiner Nachfolger und allen Kronenträgern der Erde den ewig gültigen Regentenspiegel vor Augen rückte. „Von Gnade und Recht,“ beginnt er, „will ich singen, und dir Herr lobsagen;“ und fährt dann fort: „Ich will vorsichtig handeln auf redlichem Wege und in Unsträflichkeit meines Herzens einhergehn inmitten meines Hauses. Uebertretungen hasse, ich; ich lasse sie nicht bei mir bleiben. Ein verkehrtes Herz muß von mir weichen; den Bösen leide ich nicht. Der seinen Nächsten heimlich verleumdet, den vertilge ich. Ich mag nicht den, der stolze Augen hat und hochmüthig ist. Meine Augen sehen nach den Treuen im Lande, daß sie bei mir wohnen, und habe gerne fromme Diener. Falsche Leute halte ich nicht in meinem Hause. Wer Lüge redet, soll nicht bei mir gedeihen. Frühe will ich vertilgen alle Gottlosen im Lande, daß ich ausrotte aus der Stadt des Herrn alle Uebelthäter.“

Erflehen wir's sämmtlichen Großen und Mächtigen der Erde, daß der Geist von Oben auch ihnen diesen Regentenspiegel seinem wesentlichen Inhalt nach mit Feuerlettern ins Mark des Herzens schreibe. Wie wohl wird es dann stehen um sie selbst! Wie wohl um die Völker, deren Leitung Gott der Herr ihren Händen anvertraute!

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