Krafft, Johann Christian Gottlob Ludwig - Sieben Predigten über das 53. Kapitel des Propheten Jesaias - Fünfte Predigt.
O Lamm Gottes, unschuldig.,
am Kreuzesstamm geschlachtet,
befunden stets geduldig,
wiewohl Du wardst verachtet!
All Sünd‘ hast Du getragen,
sonst müßten wir verzagen!
Erbarm Dich unser, o Jesu! Amen.
Ja wir Alle haben Dir Arbeit gemacht in unsern Sünden, und haben Dir Mühe gemacht in unsern Missethaten. Du aber rufst am Tage Deiner Todesfeier einem Jeglichen unter uns wiederum zu: „Ich, Ich tilge Deine Uebertretungen, und gedenke Deiner Sünden nicht. Ich vertilge Deine Missethat; wie eine Wolke, und Deine Sünde, wie den Nebel. Kehre Dich zu mir, denn ich erlöse Dich!“ O Herr, der Du uns also gerufen, siehe, wir kommen zu Dir. Erlöser und Herr ist Dein Name, wir haben keine Hülfe, denn an Dir. Siehe vom Throne Deiner Herrlichkeit, zu dem Du längst erhöhet bist, in Gnaden hernieder auf uns, auf diese Versammlung. Siehe jeden Einzelnen unter uns mit einem Blicke Deiner Gnade und Erbarmung an. Wecke auf die Sorglosen und leichtsinnigen, die sich des Friedens getrösten, wo kein Friede ist. laß sie getroffen werden von einem Strahl der göttlichen Gerechtigkeit, welche ohne Dich wider uns ist, und der Du für uns genug gethan. Störe sie auf aus falschem Frieden, daß sie nachjagen dem ewigen Frieden, den Du geben kannst und willst denen, die bei Dir ihn suchen. Alle, die Du aufgeweckt hast, laß vollends wach werden, sich und Dich erkennen, und im Glauben sich mit Dir verloben. Heile die Verwundeten, richte auf die Leidtragenden und Gebeugten, stärke die Müden! Hilf, daß wir nicht hangen bleiben in den Anfängen der Heiligung, sondern feste und gewisse Schritte vorwärts thun. Erleuchte mit dem Lichte Deiner Gnade und Wahrheit diejenigen, die Dich bekennen wollen im heiligen Abendmahle als ihren Erlöser und Herrn. Erhöre uns vom Throne Deiner Herrlichkeit ! Erbarme Dich unser um Deines Namens willen, und hilf uns! Amen.
Text: Jesaias 53, 8.9.
Er ist aber aus der Angst und Gericht genommen; wer will seines Lebens Länge ausreden? Denn Er ist aus dem Lande der Lebendigen weggerissen, da Er um die Missethat meines Volks geplaget war. Und Er ist begraben, wie die Gottlosen, und gestorben, wie ein Reicher; wiewohl Er niemand Unrecht gethan hat, noch Betrug in seinem Munde gewesen ist.
Was in den vorhergehenden Worten sich schon angedeutet findet, daß der Erlöser für unser aller Sünde nicht nur leiden, sondern auch sterben werde, ist in den vorgelesenen Worten nun auch klar ausgesprochen. Der Prophet weissagt in unsern heutigen Textesworten deutlich, daß der Erlöser werde getödtet werden; beschreibt aber diesen Tod zugleich als den entscheidenden Wendepunkt, wo all sein Leiden ein Ende haben, wo Er aller Angst und Schmach alsbald enthoben seyn, wo alsbald sein Leben in der Herrlichkeit beginnen, und durch göttliche Dazwischenkunft auch sein Leichnam ein ehrenvolles Begräbniß, und seine Unschuld ein öffentliches Zeugniß erhalten werde. Diese merkwürdige Weissagung vom Tode des Erlösers laßt uns jetzt in dieser stillen Feierstunde des Charfreitags hören. Laßt uns Acht haben zuerst auf das, was der Prophet von den Umständen dieses Todes, zweitens auf das, was er von den alsbaldigen Erfolgen dieses Todes bezeugt, und dabei wohl aufmerken auf das, was der Geist des Herrn mit diesen Zeugnissen des Propheten an dem heutigen Tage und sagt, auf daß an uns sein heiliger Wille geschehe. Amen.
I.
Von den Umständen des Todes des Erlösers weissagt der Prophet zuvörderst, es werde ein gewaltsamer Tod seyn. Denn dies ist der Sinn der Worte, daß Er aus dem Lande der Lebendigen werde weggerissen, oder getödtet werden. ähnlich, wie ein Zweig weggeschnitten, wie ein Baum weggehauen wird. Dieses gewaltsame Ende beschreibt der Prophet zugleich als einen angstvollen, bittern Kampf, denn den Tod selbst, wenn er erfolgt, beschreibt er als ein Hinweggenommenwerden aus Angst und Gericht. Er deutet aber auch zugleich an, daß es ein äußerst schmachvolles Ende seyn werde, ein Ende, wie Missethäter es nehmen, denn bei diesen werde man Ihm in seinem Tode sein Grab bestimmen. Wie genau, wie getreu auch hier die prophetische Beschreibung mit der Geschichte der Erfüllung zusammentrifft, ist uns Allen wohlbekannt. Unser Erlöser wurde ans Kreuz geschlagen. Das war die Schlachtbank, wo Er aus dem Lande der Lebendigen weggerissen wurde, der Altar, auf welchem Er sein Leben in den Tod gab. Unter allen Arten eines gewaltsamen Todes läßt sich keine denken, welche martervoller und dabei langsamer, welche banger und angstvoller und dabei schmachvoller wäre, als die Kreuzesstrafe, als mit durchbohrten Händen und Füßen am Kreuze ausgespannt, und von den eigenen Wunden getragen, und nackt und bloß der Folter und der Schande Preis gegeben, auf der Richtstätte eine Verachtung des Volks und ein Gespötte der Feinde, also zwischen Himmel und Erde hangen. Und das ist der Tod unsers Erlösers gewesen. Wir haben es aber, geliebte Zuhörer, auch gar nicht als etwas Ungefähres, als Folge einer zufälligen Verkettung der Umstände anzusehen, daß unser Erlöser gerade zu diesem Tode verurtheilt worden, daß Er solchen ausgesuchten Todes gestorben ist. Vielmehr ist gewiß, daß auch diese Art des Todes im Rathe Gottes vorgesehen, vorherbeschlossen und angeordnet gewesen. Das prophetische Wort schon gibt davon Zeugniß, namentlich im 22sten Psalm wird der Tod des Messias mit Umständen vorherbeschrieben, welche zusammengenommen nur auf diese Todesart, nur auf den Kreuzestod passen. Auch unter den Vorbildern des Alten Testaments deuten mehrere darauf hin, namentlich das Vorbild von der aufgerichteten ehernen Schlange, welches Jesus selbst auf sich, auf seine Erhöhung ans Kreuz deutet. Deutlich sagt Er darum seinen Jüngern, wenn Er ihnen sein herannahendes Leiden ankündigt, auch dieses vorher, daß Er den Heiden werde überantwortet und gekreuzigt werden; denn das Kreuz war keine jüdische, sondern eine heidnische Todesstrafe. Johannes bemerkt deshalb bei der Ueberantwortung Jesu an das Gericht des römischen Landpflegers, dies sey vorgesehen gewesen, auf daß erfüllt würde das Wort Jesu, welches Todes Er sterben würde. Darum konnte auch Jesus nach seiner Auferstehung die beiden Jünger, die nach Emmaus gingen, und an seiner Kreuzigung Anstoß genommen, nachdem Er ihnen die Schrift ausgelegt, fragen: Mußte nicht Christus solches leiden?
Fragen wir nun, warum solches geschehen mußte, warum nach dem göttlichen Rathe, den das prophetische Wort schon verkündet hatte, der Erlöser eines so jammervollen und angstvollen, eines so schmächlichen Todes sterben müssen, so hätten wir darauf keine Antwort, wenn nicht das Wort selbst den Aufschluß darüber ertheilte. Noch einmal, geliebte Zuhörer, müssen wir hier vor Augen nehmen, was der Prophet schon oben bezeugt hat: „Fürwahr, Er trug unsre Krankheit, und lud auf sich unsre Schmerzen.“ Er stand in seinen Leiden und in seinem Tode an unsrer Stelle. Die Strafe lag auf Ihm, auf daß wir Vergebung empfingen. Der Herr warf unser aller Sünde auf Ihn. Wie deutlich sagt das der Prophet auch hier wieder in unserm heutigen Texte: „Er ist aus dem Lande der Lebendigen weggerissen, da Er um die Missethat meines Volks,“ der Prophet schließt sich selbst mit ein in das schuldige Volk, „da Er um die Missethat meines Volks geplaget war.“ Wie gut wußte es der Prophet schon, und bezeugt auch das in unsern Textesworten noch einmal (V. 9.), daß der Dulder selbst, von welchem er weissagt, Niemanden Unrecht gethan, und daß kein Betrug in seinem Munde gewesen, daß Er unschuldig und ohne Sünde sey. Besonders merkwürdig ist in unserm Texte in dieser Hinsicht der Ausdruck: Gericht, dessen sich der Prophet hier bei der Beschreibung der Todesleiden des Erlösers bedient, und sagt: „durch den Tod sey derselbe aus der Angst und dem Gerichte entrückt worden.“ Er stand nach dem wunderbaren Rathe von unsrer Erlösung hier für uns im Gericht, hatte sich beladen mit der Last des göttlichen Zorns, die auf uns lag, und trug sie, und ließ das Urtheil, das wir verdient hatten, nach der Strenge der göttlichen Gerechtigkeit an sich vollziehen. Daher das Schaudervolle in den Todesleiden Jesu. Daher dieser Zusammenfluß von Jammer und Schmach über dem Haupte dieses Unschuldigen und Gerechten, als Er für uns sich ins Gericht gestellt; darum sehen wir hier die Strafen aller Arten von Sünden im Kreuzestode Jesu beisammen. Eine Hauptgattung unsrer Sünden heißt: Fleischlichkeit, Wollust, Ueppigkeit, Weichlichkeit, Gottesvergessenheit und Ungehorsam gegen Gott unter dem Gehorsam der sinnlichen Lüste und Begierden. Die verdiente Frucht dieser Aussaat auf das Fleisch ist das Verderben, die gerechte Strafe dieser Sünden der Fleischeslust ist Qual und Pein. Da sehen wir einen Grund, warum der Erlöser, als Er unsre Sünden sühnte, eines so schmerzlichen, so qualvollen Todes starb. Eine andre Hauptgattung unsrer Sünden heißt: Augenlust, Liebe des Reichthums, Geiz, Habsucht, Gottesvergessenheit und Ungehorsam gegen Gott im Dienste des ungerechten Mammons. Die gerechte Strafe dieser Sünden der Augenlust ist Beraubung und Blöße. Sehet da einen Grund, warum der Erlöser in seinen Todesleiden für uns also beraubt und entblößt werden mußte. Wieder eine Hauptgattung von Sünden ist das hoffärtige Wesen, die Eitelkeit, in der wir an uns selbst Gefallen haben, die Selbsterhebung, in der wir Ehre, die Gott gebührt, an uns reißen, der Ehrgeiz, in dem wir die Ehre dieser Welt zu unserm Abgott machen, die Verschwendung unsrer Zeit und Gaben in den Sünden der Hoffart, die Augen der Leute auf uns zu ziehen und der Welt zu gefallen. Der verdiente Lohn, die gerechte Strafe dieser Sünden ist Demüthigung, Verachtung und Verspottung unsrer Thorheit vor aller Welt. Sehet da den Grund, warum der Erlöser eines so schmach- und hohnvollen Todes für uns sterben müssen. Unsre Sünden der Unaufrichtigkeit und Unwahrhaftigkeit, der Lieblosigkeit und Ungerechtigkeit sind es, die über unsern Mittler, den Wahrhaftigen und Liebenden, als Er für uns ins Gericht ging, eine solche Last des Abscheus, der Feindschaft, der Erbitterung und des Hasses wider Ihn zusammen häuften. Unsre Gottesvergessenheit, unser Leichtsinn, womit wir Gottes Angesicht und Wort verlassen und unsre eigenen Wege gehen, diese Grundsünde, mit der wir nach Gottes gerechtem Urtheil die Verdammniß verwirkt, ist es, zu deren Sühnung der Mittler in seinen Todesleiden für uns von Gott verlassen werden, und alles tröstlichen Gefühls der göttlichen Nähe und Erquickung entbehren mußte. Die Frage des 22ten Psalms, das Warum des Ausrufs Jesu am Kreuze: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ diese Frage ist uns vorgelegt, uns heimgegeben, daß wir der Antwort auf dieselbe nachdenken sollen. Wir finden diese Antwort nirgend, als in unsern Sünden, in unsrer nach Gottes gerechtem Gerichte verdienten Verdammniß. Uns war durch die ewige Gerechtigkeit dieser Zornkelch eingeschenkt, den Jesus für uns bis auf den letzten Tropfen geleert hat. Unter der Last unsers Fluchs hat Jesus diese Angst gelitten, diese Pein erduldet, diese Blöße, diese Schmach, diesen Spott und Hohn getragen. Zur Sühnung unsrer Sünden, zur völligen Erfüllung des Wortes der Gerechtigkeit: „Du sollst des Todes sterben,“ als es an dem Bürgen unsrer Schuld vollzogen ward, hat Jesus diesen Tod am Kreuze für uns leiden müssen. Es sind nicht Phrasen und Redensarten, es ist die buchstäbliche Wahrheit, was wir im 146ten Liede unsers Gesangbuchs singen (V. 4.): „Wir, wir und unsre Sünden, der sich so viele finden, als Sandes an dem Meer, die haben Dich geschlagen, die brachten diese Plagen auf Dich und dieses Marterheer.“
Ich fühle es tief, geliebte Zuhörer, daß es nicht in meiner Kraft steht, irgend ein Menschenherz von seiner Sündigkeit und Schuld zu überführen; das kann allein der heilige Geist. Eben darum aber, meine Geliebten, ist es meines Herzens Wunsch für euch, und Bitte an euch, daß ihr aufmerken wollet auf die Erinnerungen und Mahnungen und Zeugnisse des Geistes Gottes in eurem Gewissen, wie ihr im Grunde eures Herzens vor Ihm gestaltet seyd, und wie sündlich und verwerflich, wie greulich alle jene oben genannten Untugenden und Dinge sind, die mit so großem Leichtsinn getrieben und angesehen werden, und die unsern Herrn und Heiland Jesum Christum ans Kreuz geschlagen haben. Menschensache ist es nicht, die Herzen der Menschen hiervon überführen, der Geist Gottes muß es thun. Ihn muß ich zu Hülfe rufen, daß Er es auch unter uns thue, und es auch uns wahr mache, daß die Sünde wirklich in den Augen Gottes solch ein Greuel ist. So lange wir hierin keine Einsicht gewinnen, so lange wir vom Geiste Gottes nicht davon überführt werden, daß wir von Rechtswegen als Sünder und Uebertreter die ewige Verdammniß verdient haben, so lange können wir uns auch nie gehörig finden in die Anstalten, die Gott zu unsrer Errettung getroffen, so lange erscheinen uns diese Anstalten viel zu groß für den Zweck, unsre Sünde und Schuld erscheint uns durchaus nicht so wichtig, als daß es zu ihrer Sühnung und zu unsrer Errettung vom Verderben solcher außerordentlichen Vorkehrungen und Mittel bedurft hätte. Darum ist und bleibt das Wort vom Gekreuzigten auch nothwendig ein Aergerniß für die Welt, und ein Anstoß mehr oder minder für Alle, denen der Geist Gottes dieses noch nicht kund gethan. Wie der Prophet es geweissagt hat: „Er hatte keine Gestalt noch Schöne, da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte,“ so ists bis auf den heutigen Tag wirklich mit dem Lamm Gottes, das der Welt Sünde getragen hat, und mit dem Worte von Ihm, als dem Einigen Retter. Wie Er am Kreuze ausgespannt da hängt, und unsern Fluch trägt, kann er nicht gefallen, als nur denen, die Ihn also brauchen, denen, die Seiner also bedürfen.
II.
Laßt uns nun zweitens auch hören, was der Prophet bei diesem Zeugniß von den Umständen des Todes des Erlösers zugleich auch von den alsbaldigen Erfolgen dieses Todes sagt.
Dahin gehören zuerst die Worte: „Er ist aber aus der Angst und Gericht genommen.“ Der Prophet nennt hier den schwersten Theil des Gerichts, dessen Strenge Er über sich ergehen ließ, die Angst, um deren Abnahme Er so inständig flehte. Doch nicht eher wurde Er entlastet, bis Alles vollbracht, bis der Ihm gereichte Kelch seiner Todesleiden für uns völlig geleert war. So lange Er für uns im Gericht stand, traten seine Rechte als Sohn Gottes, als der Gerechte und Geliebte des Vaters, zurück. So wie aber Alles vollbracht, und der ewigen Gerechtigkeit im Werke unsrer Erlösung genug geschehen war, trat Er auch sofort in diese Rechte wieder ein, wie ein Bürge, der seine Schuld abgetragen hat, sofort auf freien Fuß gestellt wird. Wie das Gericht aufhörte, hatte auch die Angst ein Ende. Mit unverletztem Gehorsam, mit unüberwundener Geduld und Sanftmuth hatte Er ausgeharrt, und dem Augenblick des Endes seiner Leiden entgegen geharrt. Nun war es gekommen, Er hatte nun vollendet das Werk, das Ihm der Vater gegeben, daß Er es thun sollte; Er hatte es so vollendet, daß der Schlange der Kopf zertreten, daß dem Verkläger der Gläubigen das Recht entrissen, und dem Starken der Harnisch genommen war; nun durfte Er sagen: „Es ist vollbracht,“ und sein Haupt neigen und sterben, und der Augenblick seines Todes war darum auch der Augenblick seiner Erlösung aus Angst und Gericht. Auch nicht Einen Augenblick länger litt Er, als es die Rechte der göttlichen Gerechtigkeit zu unsrer Erlösung erforderten. Darum starb Er auch nicht, wie andre Gekreuzigte sterben. Gekreuzigte pflegen in ihren Martern den zweiten, auch wohl den dritten Tag zu erleben, und vor ihrer endlichen Verblutung und Verschmachtung gegen ihr Ende hin, wie bewußtlos, nach langsamem Todesröcheln zu verscheiden. Nicht in ein solches Ende wurde der Herr, der Lebensfürst, dahingegeben. Er endete wie mit einem Triumphruf: „Es ist vollbracht! Vater, in Deine Hände befehle ich meinen Geist!“ Solches rief Jesus mit lauter Stimme unmittelbar vorher, ehe Er verschied. Darum auch der Hauptmann am Kreuze, als Er Ihn mit solchem Geschrei verscheiden sah, in die Worte ausbrach: Wahrlich, dieser Mensch ist Gottes Sohn gewesen! (Marc. 15,39.) und Pilatus, als er es hörte, verwunderte sich, daß Er schon todt war, und rief den Hauptmann und fragte ihn, ob Er bereits gestorben sey, und als ers erkundet hatte, schenkte er Joseph den Leichnam. So wundersam wurde auch in dem Augenblicke des Todes Jesu sein Wort bekräftigt: „Niemand nimmt mir mein Leben, sondern ich lasse es von mir selber.“ So wie das Maß seiner Leiden für uns erfüllt war, gab Er selbst, in eigener Machtvollkommenheit, sein Leben hin.
„Wer will, so werden die alsbaldigen Erfolge seines Todes weiter in unsrem Texte beschrieben, wer will seines Lebens Länge ausreden?“ wer will die Zeit seines nunmehrigen Lebens berechnen? Sein Tod war der Weg zu seiner Auferstehung, zur Verklärung seiner menschlichen Natur, zur Durchbringung auch seines Leibes ins unsterbliche und unverletzliche Leben seiner himmlischen Herrlichkeit. Was hat Er fortan mit dem Tode zu thun? wie der Apostel sagt im Brief an die Römer (Kap. 6): „Wir wissen, daß Christus, von den Todten auferweckt, hinfort nicht stirbt, der Tod wird hinfort nicht über Ihn herrschen, denn daß Er gestorben ist, das ist Er der Sünde gestorben zu Einemmal, daß Er aber lebt, das lebt Er Gotte.“ Und im Briefe an die Hebräer (Kap. 9,28): „Christus ist Einmal geopfert, wegzunehmen Vieler Sünden. Zum andernmal aber, bei seiner Wiederkunft nämlich, wird Er ohne Sünde erscheinen denen, die auf Ihn warten, zur Seligkeit.“ Und obwohl vom Augenblick seines Todes an sein Leib bis an den dritten Tag im Grabe noch ruhte, war doch seine Seele alsbald im Paradiese, am Freudenorte des Hades, des Ortes der abgeschiedenen Menschenseelen, wie wir im zweiten Artikel des apostolischen Glaubensbekenntnisses bezeugen, wenn wir sagen: gekreuzigt, gestorben, begraben, abgestiegen zur Hölle, d. i. zum Hades, dem Orte der abgeschiedenen Menschenseelen, wo es, wie wir im Gleichniß vom reichen Mann und vom armen Lazarus sehen, einen zwiefachen, geschiedenen Ort, einen Ort der Seligen, ein Paradies, und einen Ort der Unseligen, einen Ort der Qual gibt. Indem die abgeschiedene Seele Jesu an diesem Ort, im Paradiese des Hades, in der Zwischenzeit zwischen seinem Tode und seiner Auferstehung verweilte, vollendete Er alles menschliche Schicksal, und hat auch diesen Weg und Ort, als unser Vorgänger auf der Glaubenslaufbahn, uns gelichtet. Von diesem Aufenthalt und Zustand seiner Seele alsbald nach seinem Tode hat Er selbst Zeugniß gegeben in der Zusage, die Er am Kreuze dem Einen der beiden Mitgekreuzigten gab. Dieser, nachdem er bußfertig bekannt hatte, daß er und der andre Mitgekreuzigte leide, was ihre Thaten werth seyn, und nachdem er den andern, der auch Jesum lästerte, dieserhalb gestraft und bezeugt hatte, daß Jesus nichts Ungeschicktes gehandelt, wandte sich an Jesum mit der Bitte: „Herr, gedenke mein, wenn Du in Dein Reich kommst.“ Ein außerordentlicher Glaube, ein erstaunungswerthes Zeugniß, in diesen Stunden der tiefsten Erniedrigung Jesu! Dieses Zeugniß nimmt Jesus an, Er bestätigt und bekräftigt es, und gibt ihm die Zusage, daß Er's thun will, daß Er an ihn denken will. „Wahrlich, ich sage dir,“ erwiderte ihm Jesus, „heute wirst du mit mir im Paradiese seyn.“
Aber auch was den Leichnam Jesu betrifft, ward alsbald nach seinem Tode offenbar, daß die Zeit des Gerichts zu Ende sey, und die Zeit seiner Rechtfertigung angebrochen. Darüber enthält unser Text zuletzt jene merkwürdige Weissagung, welche leider in unsrer sonst so trefflichen Uebersetzung völlig unrichtig gegeben ist, daß fast ein umgekehrter Sinn herauskommt, als die Worte des Propheten wirklich besagen. Die richtige wörtliche Uebersetzung des Grundtextes ist diese: man bestimmte Ihm sein Grab bei den Gottlosen, Er war aber in seinem Tode bei einem Reichen. Der Prophet weissagt, welchen Anschlag die Feinde des Erlösers, ohnerachtet seiner offenbaren Unschuld, um Ihn vollends zu beschimpfen, auch noch haben würden hinsichtlich seines Grabes, (nämlich unter den Missethätern würde Er es gefunden haben, auf der Schädelstätte, wenn es nach ihrer Absicht gegangen wäre) wie Gott aber diesen ihren Anschlag vereiteln und es so lenken werde, daß Er ein ehrenvolles Begräbniß bei einem Reichen empfangen werde. Die genaue Erfüllung dieser merkwürdigen Weissagung ist uns allen bekannt. Joseph von Arimathia, ein angesehenes Mitglied des hohen Rathes und ein reicher Mann, wie der Evangelist Matthäus ausdrücklich bemerkt (Kap. 24,57), schon länger her ein Jünger Jesu, aber bisher im Verborgenen, wagt es gleich nach dem Tode Jesu sich öffentlich dafür durch die That zu erklären. Er ging hin zu Pilatus, und bat um den Leichnam Jesu, und erhielt ihn, und in Gemeinschaft mit Nikodemus bestattete er ihn, und legte ihn in sein eigenes neues Grab, das er sich in seinem Garten in einen Fels hatte hauen lassen, und wälzte einen großen Stein vor die Thür des Grabes, und ging davon. Wir übergehen jetzt die übrigen göttlichen Endzwecke, die durch diese Fügung erreicht wurden, wie der Leichnam Jesu hierdurch vor aller Entehrung oder weiteren Verletzung bewahrt wurde, wie durch die Versiegelung und Bewachung dieses Grabes auf Veranstaltung der Feinde die Wahrheit der Auferstehung um so heller ins Licht gesetzt wurde, und bemerken bloß, worauf unser Text zunächst hindeutet, wie die dem Erlöser zugedachte Schande im Grabe, in Ehre verwandelt ward, und wider alles Erwarten seiner Feinde sein Begräbniß mußte ein Zeugniß für seine Unschuld werden. So fügte es die göttliche Gerechtigkeit; so geziemte es sich. Nachdem das Gericht über Jesum zu Ende, und Alles vollbracht war, durfte auch über seinen Leichnam keine Schmach mehr kommen. So gab Gott auch durch die Verfinsterung der Sonne, während Jesus am Kreuze hing, und durch das Erdbeben im Augenblicke seines Todes, Zeugniß, daß Er diesen Tod anders ansah, als das jüdische Volk. Von dem Eindruck dieser Ereignisse bemerkt Lucas in seinem Evangelium (Kap. 23,48): „Und alles Volk, das dabei war, und zusah, da sie sahen, was da geschah, schlugen sie an ihre Brust, und wandten wieder um.“ Das Bedeutsamste dieser Zeichen aber war die Zerreißung des Vorhangs im Tempel, zwischen dem Heiligen und Allerheiligsten, im Augenblick des Todes Jesu, - ein Zeichen, daß nun, nachdem das Opfer des Neuen Bundes gebracht, den Gläubigen des Neuen Bundes der kindliche Zutritt zum Throne der Gnade geöffnet sey, ein Sinnbild zugleich der höheren Stufe der Seligkeit im näheren Anschauen Gottes, deren auch die Seelen der Gerechten im Paradiese jetzt, in Kraft des Todes Jesu zur Versöhnung der Sünde der Welt, alsbald theilhaftig wurden.
III.
Nur einige Worte laßt mich zum Schlusse noch hinzufügen.
1. Ich gebe zum Schlusse zuerst noch jedem unter uns zu bedenken, wie gewiß es ist, daß wir, wenn wir dieses Opfer Christi verachten, kein andres Opfer für unsre Sünde haben, sondern, wie geschrieben steht, ein schreckliches Warten des Gerichts und des Feuereifers, der die Widerwärtigen verzehren wird. Dies ist ausdrückliche Lehre des Evangeliums, und muß bezeugt werden, es sey, daß die, die es hören, Aergerniß daran nehmen, oder ihren Trost darin finden. Die Sache ist einmal so. O, wer noch mehr oder minder Anstoß daran nimmt, und möchte doch sich überzeugen, kann aber noch nicht, lasse nicht nach mit dem Erforschen sein selbst, und halte nur an mit Gebet im ernsten Forschen nach dem, was hier Wahrheit ist. Fürwahr, es gilt hier das höchste Interesse. Es handelt sich hier nicht um eine Sache, die man nach Belieben annehmen oder liegen lassen könnte, ohne daß was Wesentliches dabei versäumt würde, sondern es gilt das ewige Heil oder Unheil, das Schicksal unsrer Seele ewiglich. Daran wolle ein Jeglicher unter uns an dem heutigen Charfreitag sich mahnen lassen.
2. Sagt uns aber das Kreuz Christi lauter und deutlicher, als alle Donner vom Berge Sinai es uns sagen, was wir an uns vor Gott sind, und was wir werth sind, und daß ohne Begnadigung, ohne Wiedergeburt durch Buße und Glauben, unser gewisses Theil das Verderben ist, so wird uns dagegen auch vom Kreuze Christi kund Gnade und Friede in Ihm, in Christo, als Kraft Gottes, die da selig macht und heilt vom Verderben Alle, die im Glauben Ihn, den Gekreuzigten, ansehen. Der Glaube an Ihn ist unsre Erlösung aus Angst und Gericht; wir kommen nun nicht in das Gericht, sondern sind schon vom Tode zum Leben hindurchgedrungen, wie Er gesagt hat. Der Tod ist für uns nun keine Strafe mehr, nicht mehr Beweis der göttlichen Ungnade, sondern die letzte Züchtigung. Wir haben volles Recht, vollen Grund, unsern Tod als Wohlthat zu betrachten. Ist Christus unser Leben, so ist Sterben unser 'Gewinn.
Der Geist des Herrn sey nahe allen Gedemüthigten und Zerschlagenen unter uns, die zum Tische des Herrn kommen wollen, daß wir's im Glauben ergreifen und festhalten, und was wir noch zu leben haben im Fleische, im Glauben an Den leben, der uns geliebet hat und sich selbst für uns dargegeben. Amen.