Körber, Emil - Ölblatt - Der barmherzige Samariter.
(25. August 1872.)
Text: Luk. 10, 23-37.
Und er wandte sich zu seinen Jüngern, und sprach insonderheit: Selig sind die Augen, die da sehen, das ihr seht. Denn ich sage euch: Viele Propheten und Könige wollten sehen, das ihr seht, und haben es nicht gesehen; und hören, das ihr hört, und haben es nicht gehört. Und siehe, da stand ein Schriftgelehrter auf, versuchte ihn, und sprach: Meister, was muss ich tun, dass ich das ewige Leben ererbe? Er aber sprach zu ihm: Wie steht im Gesetz geschrieben? Wie liest du? Er antwortete, und sprach: Du sollst Gott, deinen Herrn, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften, und von ganzem Gemüt; und deinen Nächsten als dich selbst. Er aber sprach zu ihm: Du hast recht geantwortet; tue das, so wirst du leben. Er aber wollte sich selbst rechtfertigen, und sprach zu Jesu: Wer ist denn mein Nächster? Da antwortete Jesus, und sprach: Es war ein Mensch, der ging von Jerusalem hinab gen Jericho, und fiel unter die Mörder; die zogen ihn aus, und schlugen ihn, und gingen davon, und ließen ihn halb tot liegen. Es begab sich aber ohngefähr, dass ein Priester dieselbige Straße hinab zog; und da er ihn sah, ging er vorüber. Desselbigen gleichen auch ein Levit, da er kam bei die Stätte, und sah ihn, ging er vorüber. Ein Samariter aber reiste und kam dahin; und da er ihn sah, jammerte ihn sein, ging zu ihm, verband ihm seine Wunden, und goss drein Öl und Wein; und hob ihn auf sein Tier, und führte ihn in die Herberge, und pflegte sein. Des andern Tages reiste er, und zog heraus zwei Groschen, und gab sie dem Wirt, und sprach zu ihm: Pflege sein; und so du was mehr wirst dartun, will ichs dir bezahlen, wenn ich wieder komme. Welcher dünkt dich, der unter diesen dreien der Nächste sei gewesen dem, der unter die Mörder gefallen war? Er sprach: Der die Barmherzigkeit an ihm tat. Da sprach Jesus zu ihm: So gehe hin, und tue desgleichen.
Unser heutiges Evangelium, im Herrn Geliebte, ist gar schön, ja wunderschön und lieblich für Jeden, der ein offenes Auge und ein empfängliches Herz hat; und ich kann nur von Herzen wünschen, und zu Gott flehen, dass seine Schönheit uns Allen recht ins Auge falle, zum Bewusstsein komme und tiefe, bleibende Eindrücke in uns zurücklasse. Vor allem sehen wir um den Heiland einen kleinen Freundeskreis geschart; es ist das Häuflein seiner Jünger, seiner treu liebenden Anhänger. Zu ihnen wendet sich der Herr und spricht insonderheit: Selig sind die Augen, die da sehen, das ihr seht. Denn ich sage euch: Viele Propheten und Könige wollten sehen, das ihr seht, und haben es nicht gesehen; und hören, das ihr hört, und haben es nicht gehört. Also selig, selig sind seine Jünger! Und warum? Weil sie nicht nur mit leiblichen Augen Jesum sehen, sondern mit den Augen des Geistes, mit Glaubensaugen in Jesus erkennen Christum, den Heiland der Welt, den Gottessohn, das Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt. Darum selig sind die Augen, die sehen, das ihr seht!“ Aber ein Schriftgelehrter, der nahe dabei stand, hörte die Rede auch, und ärgerte sich an derselben. Wie? dachte er, durch das gläubige Sehen dieses Mannes soll man der Seligkeit teilhaftig werden? nein, das geschieht durchs Tun, durch die Werke. Darum wendet er sich schnell an Jesus mit der versuchlichen Frage: Meister, was muss ich tun, dass ich das ewige Leben ererbe? Jesus, die himmlische Weisheit, geht ein auf die Frage; Er, in dem verborgen liegen alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis, hat zur rechten Zeit das rechte Wort auch für die Gelehrten und Weisen. „Wie steht im Gesetz geschrieben? Wie liest du?“ Der Schriftgelehrte antwortete: Du sollst Gott, deinen Herrn, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüte; und deinen Nächsten als dich selbst. Da sprach Jesus: Du hast recht geantwortet, tue das, so wirst du leben. Damit weist der Heiland hin auf das auch im Neuen Bunde gültige Gebot der Liebe Gottes und des Nächsten, das durch den Glauben an Ihn erfüllt werden kann.
Beschämt steht der Schriftgelehrte da. Er wollte den Meister meistern und siehe, er ist selbst gemeistert. Das einzugestehen lässt ihm aber sein Hochmut nicht zu. Er will sich selbst rechtfertigen und fragt: Wer ist denn mein Nächster? Was ein jedes Kind wissen kann, danach fragt der Schriftgelehrte, nur um nicht seine Schande eingestehen zu müssen, nur um sich den Schein der Weisheit und Gelehrsamkeit zu bewahren. Wer ist denn mein Nächster? Nun das weiß ihm Jesus gar trefflich zu sagen in dem wunderschönen Gleichnis vom barmherzigen Samariter. In dieser Erzählung zeichnet der Herr gar zart und fein, gar lieblich und schön die Nächstenliebe, den Samaritersinn, den er von den Seinigen verlangt. Aber wer fühlt nicht zugleich dieser Erzählung ab, dass Jesus in dem Bilde des Samariters sich selbst schildert. Was er von uns verlangt, das hat er am schönsten und besten uns vorgelebt. Fürwahr, Er ist der rechte Samariter, der vom Himmel gekommen hinging in Leiden und Sterben, um die todkranke Menschheit, die von Priestern und Leviten aufgegeben war, zu erlösen.
Dieser schönen, hochwichtigen Wahrheit wollen wir heute unsere volle Aufmerksamkeit schenken und uns vorhalten
den barmherzigen Samariter.
Wir betrachten:
- den himmlischen Samariter,
- die irdischen Samariter.
O unser geliebter Heiland, du großer, barmherziger Samariter vom Himmel, schaute uns in dieser stillen Stunde heiliger Andacht in Gnaden an! Heile uns, wir sind krank durch die Sünde, ja todkrank; und Viele wissen das gar nicht und bedenken es nicht, dass sie so tiefe, schwere Wunden haben.
O mache uns kranke Leute gesund durch dein Evangelium, dass wir in einem neuen Leben der Liebe Gottes und des Nächsten wandeln, fröhlich, glücklich, selig im Glauben an dich. Durch deine Wunden sind wir geheilt, das lehre uns! Amen.
I. Wir reden fürs erste vom himmlischen Samariter.
Der rechte barmherzige Samariter, der vom Himmel auf unsere arme Erde gekommen ist und in den Himmel zurückkehrte, ist unser Heiland - ein barmherziger Samariter, ein Hohepriester in Ewigkeit! Und der Mensch, der von Jerusalem nach Jericho hinabging, und unter die Mörder fiel, ist ein Bild für die ganze Menschheit, die gefallen ist aus dem seligen Zustand der Unschuld und Reinheit und hinabsank in Sünde und Übertretung. Ja der Menschenmörder von Anfang, der nicht bestanden ist in der Wahrheit hat uns das Kleid der Gerechtigkeit und Heiligkeit ausgezogen, uns geschlagen mit Lüften und Begierden des Fleisches, so dass wir halbtot liegen. im Jammer und Elend der Sünde. Das will freilich die moderne Welt nicht mehr glauben. Wenn man die Propheten des Unglaubens hört, die Zeitstimmen der Aufklärung und des Fortschritts, so ist im Grunde Alles recht und gut. Sie rühmen und preisen und vergöttern den Menschengeist und seine Werke auf allen Gebieten des Lebens, der Kunst und des Wissens; sie phantasieren und schwätzen von der Hoheit und dem Adel unseres Wesens; sie nehmen den Mund voll von Menschentugend und Menschenwürde, und über den Abgrund, den tiefen Abgrund unseres Sündenelends, träumen sie sich hinweg und decken ihn zu mit allerhand grünen Zweigen eitler Worte und schönen stolzer Rede. Aber darum ist eben der Abgrund doch da; darum bleibt es doch wahr, was die heilige Schrift sagt: Wir sind von Natur tot in Sünden und Übertretungen; da ist Keiner, der Gutes tue, auch nicht Einer. Das ganze Haupt ist krank, das ganze Herz ist matt, von der Fußsohle bis zum Scheitel ist nichts Gesundes, sondern Wunden und Striemen und Eiterbeulen, die nicht geheftet und verbunden noch mit Öl gelindert sind. Und was die heilige Schrift bezeugt, das bestätigt die Erfahrung. O denkt an die Sünden und Laster, die überall im Schwange gehen, an die Stätten der Unzucht, der Völlerei und Wollust, an die groben und feinen Werke des Fleisches, an die geheimen Sünden und Gräuel, die im Finstern und Verborgenen schleichen! Denkt an die Lieblosigkeit, an den Hader, Streit und Neid, an das Herzeleid und den Jammer in so vielen Familien, da Mann und Frau, Kinder und Geschwister oft vom frühen Morgen bis zum späten Abend einander betrüben. Denkt an die Kriege und das Blutvergießen der Völker und Nationen im Großen, die einander hinwürgen, wie der Wolf die Schafe zerreißt. Ach! ich will inne halten und nicht weiter gehen; das Bild der Menschheit ist zu betrübt und traurig, sie ist dem Seelenmörder in die Hände gefallen, und liegt ausgezogen und halbtot am Wege.
Woher soll da Hilfe kommen? Priester und Leviten können sie nicht leisten. Die sehen wohl den Jammer, aber sie gehen vorüber! Keine heidnische Religion konnte und kann helfen; keine Weltweisheit, keine Philosophie, keine Bildung und Wissenschaft, kein Gottesdienst und Opferdienst; auch das Gesetz des Alten Bundes nicht, denn es ist in steinerne Tafeln geschrieben, es gibt Erkenntnis der Sünde, aber keine Kraft zum neuen Leben. Priester und Leviten ziehen vorüber! Aber wer kann denn der armen Menschheit, wer kann denn mir und dir helfen in unserem Sündenelend? Wer kann uns denn retten und selig machen? so müssen wir mit bangem, sehnendem Herzen fragen. Sei still mein Herz! der Mann ist schon gefunden; Jesus Christus ist sein Name, der barmherzige Samariter, der vom Himmel gekommen ist und gibt der Welt das Leben. O lasst uns die Augen auftun, dass wir sehen, wie wunderschön und lieblich Er in unserm Evangelium geschildert ist. Ein Samariter aber reiste und kam dahin, und da er ihn sah, jammerte ihn sein“. Da unser Heiland die verwundete und todkranke Menschheit sah, jammerte ihn. Das ist der Grund unseres Heils, der Grund unserer Erlösung und Versöhnung mit Gott, der Grund unserer Seligkeit das Erbarmen Jesu Christi! Er hat die Menschheit liegen sehen in ihrem Blute, zerstreut und verschmachtet wie Schafe, die keinen Hirten haben; da jammerte ihn, da ist ein heiliges Mitleid und Erbarmen in seiner Seele rege geworden, da brannte sein Herz vor Liebe, seinen armen Brüdern und Schwestern zu helfen. Ja
Nichts, nichts hat dich getrieben
Zu mir vom Himmelszelt,
Als dein getreues Lieben,
Damit du alle Welt
In ihren tausend Plagen
Und großen Jammerlast,
Die kein Mund kann aussagen,
So fest umfangen hast.
Da er ihn sah, jammerte ihn. Aber das war nicht genug, damit wäre uns nicht geholfen, mit dem bloßen Mitleid und Erbarmen. O nein! „Er ging hin zu ihm“, heißt es in unserem Texte. Wohin ist er denn gegangen, der Heiland, der himmlische Samariter? Zu uns, auf Erden ist er gekommen. Sein Lieben hat ihn getrieben hierher aus des Vaters Schoß. Aber nicht, um sich dienen zu lassen, ist er gekommen, sondern dass er diene und gebe sein Leben zu einem Lösegeld für Viele. Er ging hin in die Niedrigkeit und Armut, in das Elend, das Ungemach, die Leiden und Schmerzen dieser Zeit; zuletzt ging er hin in das blutige Leiden und Sterben, und starb am Holz des Kreuzes ein Fluch für uns!
Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld
Der Welt und ihrer Kinder,
Es geht und büßet in Geduld
Die Sünden aller Sünder;
Es geht dahin, wird matt und krank
Ergibt sich auf die Würgebank,
Entzieht sich allen Freuden.
Es nimmt auf sich Schmach, Hohn und Spott,
Angst, Wunden, Striemen, Kreuz und Tod,
Und spricht: ich wills gern leiden.
Seht, das ist unser Heiland, das ist der Samariter vom Himmel, der uns helfen kann. Wie er zu uns kam, so lasst uns zu ihm kommen, lasst uns zu ihm hingehen mit Glauben und herzlicher Liebe. Ach wie lange willst du noch stehen, lieber Bruder, müßig an dem Markt des Lebens? Wie lange willst du deine Augen weiden an der vergänglichen. Lust dieser Zeit und dein Herz hängen an die Eitelkeit, an die Kleiderpracht, an Geld und Gut, an die Wollust des Fleisches? Das darf nicht länger so sein, das muss von heute an anders werden. O lasst uns allesamt hingehen zur ewigen Liebe, zum himmlischen Samariter und von Herzensgrund sprechen: Da hast du mein Herz; dir gehört es, du hast mich erschaffen, du hast mich erlöst, auf dich bin ich getauft. Lange genug bin ich in der Irre gegangen, lange genug habe ich an den löcherichten Brunnen dieser Welt gelegen und getrunken die giftigen Wasser der Sünde; nun will ich hingehen zu dir, und mich zu deinen Füßen setzen, du ewige Liebe, du reine Liebe, du göttliche Liebe, du selige und seligmachende Liebe! An dein Herz will ich mich legen, da soll es mir wohl, ewig wohl werden.
Ja Geliebte, wir brauchen Alle den himmlischen Samariter. Keines ist unter uns, das nicht diese oder jene Wunde hätte. Manches liegt krank an vielen tiefen Seelenwunden; Manches hat eine klaffende Gewissenswunde, welche durch nichts geheilt wird, welche die Seele unruhig macht und hin und her treibt; „sie sucht und sucht immer zu, und findet nirgends ihre Ruh“. O hört, ihr Seelen, ihr könnt heil und gesund werden, Ruhe und Frieden finden beim himmlischen Samariter. Eilt, eilt zu ihm mit Buße und Glauben! Ach es gibt viele Leute, die haben eine Öde und Leere in ihrem Herzen, sie fühlen sich unglücklich; oft kommt die Traurigkeit und Schwermut wie ein Gewappneter über sie, dem sie nicht widerstehen können. Es fehlt ihnen eben etwas, sie wissen selbst nicht, was es ist; aber glücklich sind sie nicht. Lieber Freund, du bist es, dich meine ich! O probiere es einmal und gib dich dem himmlischen Samariter in die Kur; fasse ein Zutrauen zu diesem Jesus, klage ihm dein Leid. Fange an zu beten und beharrlich zu beten; bitte ihn kindlich, dass er sich dir offenbare als dein Heiland und dein Versöhner, der alle deine Sünden am Holze des Kreuzes getilgt hat. Gewiss das Heil wird dir lieblich und freundlich aufgehen, und erglänzen als ein heller Stern und eine schöne Sonne.
Wüssten's doch die Leute,
Wie's beim Heiland ist!
Sicher würde heute
Mancher noch ein Christ.
Das heißt: ein bekehrter, ein wiedergeborener, glücklicher Mensch. Ja beim Heiland ist es gut sein. Er verbindet die Wunden, wie im Gleichnis erzählt wird, mit seiner zarten, feinen Samariterhand; er gießt treu besorgt und liebevoll als der Arzt von oben Öl und Wein darein, das trostreiche und heiligernste Evangelium, das lindert und stillt, heilt und bessert. Und nicht genug! Seine Samariterliebe geht so weit: Er hebt dich auf sein Tier, führt dich in die Herberge und pflegt deiner! Die Herberge ist die Kirche Jesu Christi, die Gemeinschaft der Heiligen, das Volk seiner Weide, die Schafe seiner Hand. Wen einmal Jesus in seine Pflege genommen hat, den lässt er nicht allein in der Welt stehen; sondern führt ihn ein in die selige Gemeinschaft der Kinder Gottes, in seine heilige Kirche. Und wenn Jesus auch nicht sichtbar gegenwärtig ist, sondern hinging in die Herrlichkeit des Vaters und sich gesetzt hat zur Rechten der Majestät Gottes: so vergisst er doch die Seelen nicht, die seiner Pflege und Liebe befohlen sind. „Des andern Tages reiste er und zog heraus zwei Groschen und gab sie dem Wirt und sprach zu ihm: Pflege sein“. Ja der Herr der Kirche lässt die Seinen nicht Waisen auf Erden. Er hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung, er hat das Amt gegeben, das die Versöhnung predigt, und Hirten in der Gemeinde eingesetzt, welche die Seelen mit Gottes Wort speisen und tränken sollen. Vor allem aber lässt Christus seiner Gemeinde den heiligen Geist zurück, den andern Tröster, den er sendet vom Vater, dass er bei uns bleibe ewiglich; der leitet und führt uns in alle Wahrheit, und heilt uns gründlich aus, dass wir gesund und tüchtig werden. für die Ewigkeit.
Sein Geist spricht meinem Geiste
Manch' süßes Trostwort zu:
Wie Gott dem Hilfe leiste,
Der bei ihm sucht Ruh';
Und wie er hab' erbauet
Ein' edle, neue Stadt,
Da Aug und Herze schaut,
Was es geglaubt hat.
II. Wir reden noch in Kürze von den irdischen Samaritern.
Was sind denn das für Leute? fragst du, mein lieber Zuhörer. Wer ist denn darunter verstanden? Darunter bist du und ich verstanden, das heißt, wenn wir Christi barmherzigen Sinn haben. Das sind solche Leute, die nicht lange mit dem Schriftgelehrten fragen: wer ist denn mein Nächster? sondern im Sinn und Geist ihres Heilands barmherzige Liebe üben an Jedermann, allermeist an des Glaubens Genossen.
O Geliebte, die Hand aufs Herz! Wie steht es bei uns mit dem Samaritersinn? Wandeln wir Alle in den Fußstapfen des himmlischen Samariters? Haben wir ein Herz für die Not unserer Brüder und Schwestern? Kennen wir die edle, treue, aufopfernde Liebe, die dem Nächsten mit Trost, Rat und Tat beispringt? Meinet ja nicht, das seien unnötige Fragen; es sei ja allbekannt, wie viel Gutes gerade in unserer Stadt geschehe. Das ist wahr, es geschieht viel Gutes von Vielen; aber lange nicht genug von Allen! Und geschieht das Gute auch immer mit dem Samaritersinn Jesu, und nicht oft in selbstgefälliger Eigenliebe und Eitelkeit, um vor sich und Andern mit dem Namen eines Wohltäters oder einer Wohltäterin zu glänzen? O, wir wollen heute Alle zu den Füßen unseres hochgelobten Heilands uns setzen, und seine edle, milde Samaritergestalt fleißig betrachten und uns unauslöschlich ins Herz prägen. Er hat uns ein Vorbild gelassen, dass wir sollen nachfolgen seinen Fußstapfen. Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen. Ein Christentum ohne barmherzige, rettende, helfende Liebe ist kein Christentum. Was hilft es, wenn du allen Glauben hast, alle Erkenntnis und alles Wissen? Was hilft es, wenn du schön reden kannst von der Gnade des Heilands und den Namen des Herrn im Munde führst? Was hilft es, wenn du schön singen und beten kannst in der Kirche und Stunde? Aber dabei verschließest du dein Herz und deine Hand vor der Not deines Bruders, du weißt nichts von barmherziger Liebe. Lasst uns doch nicht dem Priester und Leviten gleichen, die in scheinheiliger Miene und frommem Gewand einhergehen, aber hart und unbarmherzig sind wie ein Stein, in Eigennutz und Eigenliebe, in der Bequemlichkeit des Fleisches, die nur an sich denkt, für sich sorgt, sich das Leben angenehm, schön und bequem macht, während viele Mitmenschen darben und in Not, Elend und Kummer dahinwandeln. O das ist eine schwere Sünde! Wisst ihr, was der Heiland einst zu solchen Priester- und Levitenseelen sagen wird? Ich bin hungrig gewesen und ihr habt mich nicht gespeist; ich bin durstig gewesen, und ihr habt mich nicht getränkt; ich bin ein Gast gewesen, und ihr habt mich nicht beherbergt; ich bin nackend gewesen, und ihr habt mich nicht bekleidet; ich bin krank gewesen, und ihr habt mich nicht besucht. Wahrlich, wahrlich, was ihr nicht getan habt Einem unter diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht getan. Geht hin von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln.
O meine Lieben, lasst uns barmherzig werden und dem Samariter gleichen! Lasst uns nicht bloß geben und reichlich geben, sondern in mitleidiger Liebe, mit betendem Herzen, und auch hingehen an die Stätten der Armut des Unglücks, der Krankheit und Not. Da ist in deiner Nähe eine arme Witwe, oder es liegt auf seinem Schmerzenslager ein kranker Mann, oder arme Waisen weinen um den Vater, den einzigen Ernährer und Versorger o gehe hin zu ihnen! Trockne die Tränen, gieße Öl und Wein in die Wunden, bringe tätige, kräftige Hilfe und Unterstützung, bring ihnen mit dem leiblichen Brot auch das Brot des Lebens, das teure Evangelium, das allein alle Wunden des Herzens und Hauses heilen kann. So lasst uns denn anziehen herzliches Erbarmen; lasst uns Liebe üben im Geben und Vergeben; lasst uns Gutes tun und nicht müde werden, denn zu seiner Zeit werden wir auch ernten ohne Aufhören.
Lehr, o Gott, mich Gutes tun
Und im Treusein nicht erliegen;
Denn die Zeit dazu ist nun,
Und sie wird so schnell verfliegen.
Wenn man gleich was Kleines tut:
Ist's nur gut, so ist es gut.
Amen.