Kapff, Sixtus Carl von - Am Sonntag nach dem Christfest.

Kapff, Sixtus Carl von - Am Sonntag nach dem Christfest.

Text: Gal. 4, 1-7.
Ich sage aber, so lange der Erbe ein Kind ist, so ist unter ihm und einem Knechte kein Unterschied, ob er wohl ein Herr ist aller Güter; sondern er ist unter den Vormündern und Pflegern, bis auf die bestimmte Zeit vom Vater. Also auch wir, da wir Kinder waren, waren wir gefangen unter den äußerlichen Satzungen.
Da aber die Zeit erfüllet ward, sandte GOtt seinen Sohn, geboren von einem Weibe, und unter das Gesetz getan, auf dass er die, so unter dem Gesetz waren, erlöste, dass wir die Kindschaft empfingen. Weil ihr denn Kinder seid, hat GOtt gesandt den Geist seines Sohnes in eure Herzen, der schreiet, Abba, lieber Vater! Also ist nun hier kein Knecht mehr, sondern eitel Kinder. Sind es aber Kinder, so sind es auch Erben GOttes durch Christum.
Also ist nun hier kein Knecht mehr, sondern eitel Kinder.

Warum? Weil wir den Christtag gefeiert haben. Wer ihn wahrhaftig und innerlich gefeiert hat als den Geburtstag des „Christus für uns“ und „in uns“, dem gilt diese große Wahrheit, er ist ein Kind GOttes und ein Miterbe Christi. Ein Kind GOttes - was das heiße, das muss man erfahren; alle Worte sind zu schwach, es zu beschreiben. Wir würden uns hoch verwundern, wenn unser geliebter König eines unserer armen Kinder in sein Schloss kommen ließe und nähme es an Kindesstatt an und ließe es als einen königlichen Prinzen oder als Prinzessin alle Tage an seiner Tafel speisen und aller der Pracht und Herrlichkeit genießen, .die zum königlichen Hause gehört. So auffallend das wäre, so wäre es doch bei Weitem nicht das, was Gott an uns tut. Der König aller Könige, der Herrscher und Richter des ganzen Weltalls nimmt uns nicht bloß an Kindesstatt an, sondern macht uns zu wirklichen Kindern, die sogar den Namen „Söhne GOttes“ bekommen. Dieses Wort dürften wir nicht gebrauchen, wenn es nicht in der Schrift stünde. Gewöhnlich finden wir das Wort „Kinder GOttes;“ aber etlichemal, auch in unserem Text, sagt der Apostel: „Söhne GOttes, Das ist die höchste Stufe der Kindschaft GOttes, da unser Geist aus und zu GOtt geschaffen, aber durch das Fleisch von Ihm getrennt, in Christo Gerechtigkeit erlangt, ja, die Vereinigung der Gottheit und Menschheit, wie sie in Christo ist, sich zugeeignet hat und durch den ihm inwohnenden heiligen Geist neues göttliches Leben in sich trägt, so dass er, wenn gleich nie so wie JEsus, aber doch in gewissem Sinne, sagen kann, „Ich und der Vater sind Eins.“

Weißt du etwas von dieser Sohnschaft GOttes? Ist es wenigstens dein ernstliches Bemühen, ein Kind GOttes zu werden? Diese Frage macht der heutige Sonntag besonders an uns, als der letzte des scheidenden Jahres. Bei dem ernsten Wechsel der Zeiten können wir nur dann ruhig sein, wenn wir als Kinder GOttes auch Erben GOttes sind, und wenn so aus unserem Leben, das wie ein Strom der Ewigkeit entgegeneilt, etwas bleibt, das kein Tod und kein Feind raubt, ein Schatz im Himmel, eine herrliche Krone des ewigen Lebens. Solche Hoffnung ist nur da, wo der Geist zeuget, dass wir Kinder GOttes sind. Dann haben wir das Unterpfand der zukünftigen Herrlichkeit in der Seligkeit, die schon jetzt ein Kind Gottes zu genießen hat.

Von dieser Seligkeit spricht unser Text, da er zeigt, wie wir als Kinder GOttes frei sind von knechtischer Furcht und von äußerlichen Satzungen, die wir nicht erfüllen könnten, und wie der Geist uns in einen Umgang mit GOtt bringe, bei dem wir mit aller Freudigkeit zu Ihm beten und so in seiner Vaterliebe ruhen können, wobei wir zugleich mit froher Hoffnung hinausschauen auf die Herrlichkeit, die einst an uns soll offenbaret werden. Hierüber wollen wir weiter nachdenken, indem wir unter dem Segen des HErrn betrachten

Die Seligkeit der Kindschaft GOttes.

Sie ist

  1. ein Zustand der Freiheit,
  2. der Gebetsfreudigkeit,
  3. der Erbschaft Gottes.

I.

Die Kindschaft GOttes ist ein Zustand der Freiheit und darum ein seliger Stand. Das will uns Paulus dadurch besonders zu fühlen geben, dass er in unserem Text den Zustand außer der Kindschaft als Knechtschaft schildert. Und zwar ist es eine doppelte Knechtschaft, des Geistes und des Fleisches. Paulus sagt: „so lange der Erbe ein Kind ist, so ist zwischen ihm und dem Knecht kein Unterschied, ob er wohl ein Herr ist aller Güter.“ Ehe ein Mensch durch Christum zu einem Kind GOttes geworden, ist er nach dem Grundtext im Zustand der geistigen Unmündigkeit. In einem gewissen Sinn kann auch da eine Kindschaft GOttes stattfinden. So wird das Volk GOttes im Alten Bund ein Sohn GOttes genannt. Einzelne Seelen heißen vor Christo nicht Kinder GOttes, bloß das Volk in seiner Gesamtheit wird Sohn GOttes genannt, weil GOtt dieses Volk zu seinem Eigentum erwählt, und durch Christum zu einer ewigen Herrlichkeit bestimmt hatte. Dass die Verheißung sie zur Kindschaft GOttes erhob, zeigen die Worte GOttes Jerem. 31, 20: „Ist nicht Ephraim mein teurer Sohn und mein trautes Kind? Denn ich gedenke noch wohl daran, was ich ihm geredet habe. Darum bricht mir mein Herz gegen ihn, dass ich mich seiner erbarmen muss.“ Also um deswillen, was GOtt Israel geredet, verheißen hatte, war es sein Sohn. So sind auch unsere Kinder schon von ihrer Taufe an Kinder GOttes, weil sie in seinen Gnadenbund aufgenommen und zu seinen Erben bestimmt sind und alle die großen Verheißungen GOttes ihnen gelten. Zurechnungsweise sind sie Kinder GOttes, nämlich durch Zurechnung des Bundes GOttes in Christo. Es ist aber noch nicht eine wesentliche Kindschaft, sondern Annahme an Kindesstatt, wie es Paulus Röm. 9, 4. nach dem Grundtext von der Kundschaft im Alten Bunde sagt. Dabei ist die Knechtschaft des Gesetzes und des Fleisches noch nicht aufgehoben. Von der Knechtschaft des Gesetzes spricht Paulus besonders in unserer Epistel. Er sagt: „so lange der Erbe ein Kind ist, d. h., so lange der, der von GOtt zum Erben bestimmt ist, noch im Naturzustand steht als ein unmündiges Kind, so lange steht er unter den Vormündern und Pflegern bis auf die bestimmte Zeit vom Vater.“

Unter diesen Vormündern versteht er das Gesetz, das er auch Zuchtmeister nennt. Es übte seine Zucht und Vormundschaft durch äußerliche Satzungen, unter die sie nach unserem Text gefangen waren. Nach dem Griechischen lauten die Worte: wir waren als Knechte dienstbar unter die Anfänge (Elementarlehren) der Welt, d. h. unter die ersten Lehren und Gesetze, wie sie für die Welt nötig sind als äußerliche Gebote mit Androhung von Strafen und mit Verheißung von weltlichem Lohn. Durch diese äußerlichen Gebote des Gesetzes Mose waren die Wege eingeengt, die Israeliten waren wie Knaben, die nicht ohne Aufseher sein, und daher nicht gehen dürfen, wohin sie wollen, sondern immer dem fremden Willen des Vormundes und Erziehers gehorchen müssen.

Auch in unschuldigen, gleichgültigen Dingen durften sie nicht tun, was sie wollten. Die vielen Gesetze über die Reinigkeit oder Unreinigkeit von Tieren, Orten, Speisen und andern Dingen, die Gesetze von Feiertagen, Opfern, Waschungen und Reinigungen beschränkten den Willen sehr, und zwangen, beständig in Sorge zu stehen, ob man kein Gesetz übertrete. Denn auf jede Übertretung war Strafe gesetzt. Darum heißt es Ebr. 2: „dass sie durch Furcht des Todes im ganzen Leben Knechte sein mussten.“ Und das um so mehr, weit nach Röm. 8, 3. „das Gesetz durch das Fleisch geschwächt war, d. h., weil sie in ihrem fleischlichen Verderben nicht fähig waren, das Gesetz zu erfüllen und eine vor Gott gültige Gerechtigkeit zu erlangen“.

Eben das ist die Knechtschaft, unter der heute noch Alle stehen, die nicht durch den heiligen Geist wiedergeboren sind, nämlich die Knechtschaft des Fleisches, die Röm. 7. so beschrieben wird: „ich bin fleischlich unter die Sünde verkauft; in meinem Fleisch wohnet nichts Gutes. Wollen habe ich wohl, aber vollbringen das Gute finde ich nicht.“ Nicht tun können, was man will, und tun müssen, was man nicht will, das heißt“ Knechtschaft, ja Sklaverei. Solche Knechtschaft des Geistes unter das Fleisch rührt daher, dass unsere von Gott abgefallene Natur immer etwas Anderes will, als was Gott will. Da ist der Wille Gottes, der doch unsere Seligkeit will, dem Fleisch ein fremder Wille, und dem inneren Menschen, der in GOttes Willen seine Seligkeit sucht, dem steht das Fleisch als fremde Macht gegenüber, und in dem Kampf dieser Knechtschaft ruft der geplagte Mensch: „O ich elender Mensch, wer wird mich erlösen vom Leibe dieses Todes?“ Paulus konnte diesen Schmerzensruf auflösen in den Freudenton: „Ich danke GOtt durch JEsum Christum, unsern HErrn.“ JEsus hatte ihm geholfen zur vollkommenen Freiheit. Daher rühmt er in unserer Episteln „Da die Zeit erfüllet ward, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einem Weibe und unter das Gesetz getan, auf dass er die, so unter dem Gesetz waren, erlöste, dass wir die Kindschaft empfingen.“ Indem der Sohn GOttes ein Mensch wurde, hat Er sich an unsere Stelle gesetzt und an unserer Stattlich auch unter die Knechtschaft des Gesetzes begeben, daher Er auch am achten Tage sich beschneiden ließ und seine Eltern nach unserem Evangelio an seinem vierzigsten Tage Alles nach dem Gesetz des HErrn über Ihn vollenden mussten. Sein ganzes Leben hindurch war er vollkommen dem Gesetz untertan aus freiem, freudigem Gehorsam, und durch diese Gerechtigkeit hat Er uns die Gerechtigkeit erworben, die uns durchs Gesetz zu erlangen unmöglich war. Daher sagt Paulus Römer 5: „wie durch Eines Menschen Ungehorsam viele Sünder geworden sind, also auch durch Eines Gehorsam werden viele Gerechte.“

Ja über alle Menschen ist die Rechtfertigung des Lebens durch Christi Gerechtigkeit gekommen. Denn Er ist nicht allein von einem Weibe geboren, sondern auch an einem Kreuze gestorben, nicht allein unter das Gesetz getan, sondern auch unter den Fluch des Gesetzes, da Er nach dem Kapitel vor unserem Texte „ein Fluch ward für uns am Holze des Fluches, da alle unsere Strafe auf Ihm lag, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.“ Dadurch hat Er uns die Freiheit erworben. Die Vergebung der Sünde durch den Glauben an JEsu Verdienst macht uns frei von aller Verdammnis des Gesetzes, vom Fluch und von der Strafe der Sünde und so von aller Furcht. Wer durch JEsu Blut gewaschen ist, der erlangt in der Rechtfertigung Friede mit GOtt und ein in Christo Gerechtigkeit vollendetes Gewissen. Schon diese Zueignung der Gerechtigkeit Christi macht eine Seele zu einem Kinde GOttes. Denn sie eignet sich das zu, was der Sohn GOttes für uns getan und gelitten hat. Der Vater sieht eine solche Seele An im Sohne, liebt in ihr den Sohn, wie Paulus sagt Ephes. 1: „Er hat uns angenehm gemacht in dem Geliebten, an welchem wir haben die Erlösung durch sein Blut, und so hat Er uns verordnet zur Kindschaft gegen ihn selbst.“

Aber die wesentliche Kindschaft, bei der wir nicht mehr bloß zurechnungsweise an Kindesstatt angenommen sind, wird erst dadurch uns zu Theil, wenn wir etwas aus dem Wesen GOttes empfangen, das uns, wie Petrus sagt, der göttlichen Natur teilhaftig macht. Dies geschieht durch die Inwohnung des heiligen Geistes in den Herzen, die durch JEsu Blut gewaschen und in der Rechtfertigung von der Verdammnis der Sünde frei geworden sind. Daher sagt unser Text: „weil ihr dann Kinder seid, durch die Versöhnung und Rechtfertigung in JEsu Christo, so hat GOtt gesandt den Geist seines Sohnes in eure Herzen, der schreiet: Abba, lieber Vater.“ Erst diese Inwohnung des heiligen Geistes im Herzen macht uns zu Gliedern Christi, zu Tempeln GOttes, zu solchen Kindern, die wesenhaft mit Ihm vereinigt sind. Und nur solche Kinder sind wahrhaft frei, dass ihnen das Wort JEsu gilt: „Wen der Sohn frei machet, der ist recht frei.“ Durch den heiligen Geist wird die Liebe Gottes und JEsu in's Herz ausgegossen und so das Gesetz oder der Wille GOttes innerlich in's Herz geschrieben. Dadurch kommende Seelen zur Mündigkeit. Was im natürlichen Leben der männliche Verstand ist, den man sich selbst überlassen kann, der Freiheit hat, auszugehen oder heimzukehren, aufzustehen oder niederzuliegen, zu arbeiten oder zu ruhen, das ist im Geistlichen der heilige Geist. Wie ein verständiger, erwachsener Mensch seine Freiheit nicht missbraucht, sondern aus eigenem Antrieb fleißig, geordnet und rechtschaffen ist, so hat der Geistesmensch im heiligen Geist einen lebendigen Trieb zu allem Guten.

Da darf das äußerliche Gesetz nicht mehr sagen: „du sollst,“ und es heißt innerlich nicht mehr: „ich will nicht!“ sondern durch den Geist der Liebe sind GOttes Gebote in's Herz geschrieben und zu Allen sagt es: „Ich will,“ und wenn es auch noch großes Unvermögen fühlt, so sagt es doch: „Ich will, aber hilf, HErr, meinem Unvermögen.“ Das Gesetz des Geistes, das lebendig macht in Christo JEsu, macht frei vom Gesetz der Sünde und des Todes. Daher sagt Paulus 2 Kor. 4, 17: „Der HErr ist der Geist, wo aber der Geist des HErrn ist, da ist Freiheit.“ Denn da ist Liebe, und die Liebe tut das von selbst, was das Gesetz kaum durch Drohung erzwingen kann. Die Liebe treibt zu dem, was dem Vater gefällt und was dem Bruder frommt; darum ist die Liebe des Gesetzes Erfüllung, und eine Macht, Satan, Welt und Fleisch zu überwinden. Solche Freiheit der Kindschaft ist ein seliger Zustand, um so mehr, weil

II.

Gebetsfreudigkeit mit ihm verbunden ist. Das liegt in den Worten unseres Textes: „Weil ihr dann Kinder seid, hat GOtt gesandt den Geist seines Sohnes in eure Herzen, der schreiet, ruft mit lauter, freudiger Stimme: Abba lieber Vater.“ Darin besonders besteht die Seligkeit, die ein Kind Gottes jetzt schon hat, da es mit GOtt als seinem Vater umgehen, ohne Furcht vor Ihn treten, Ihm Alles in sein treues Vaterherz hineinsagen und alle Hülfe von Ihm erwarten darf. Ist es für ein Kind, das seine Eltern liebt, eine selige Freude, wenn es nach, längerer Entfernung von Hause wieder zu seinen Eltern können und sich an ihrer Liebe erquicken darf, so ist es für ein Kind GOttes nicht geringere Freude, aus der Fremde dieser unteren Welt zu dem Vater im Himmel zu kommen und im Umgang mit Ihm himmlische Freude zu genießen. Und diese Freude steht uns jeden Augenblick offen, da wir ja nach dem Gebot des Apostels ohne Unterlass beten sollen.

Das ist die ehrenvollste Erlaubnis, die einem Menschen erteilt werden kann. Zu einem irdischen König dürfen nicht einmal die vornehmsten Staatsbeamten unangemeldet kommen und auch so des Tages höchstens Einmal. Aber zu dem HErrn des Weltalls darf eine gläubige Seele, die durch Christum Rechtfertigung und Kindschaft GOttes erlangt hat, jeden Augenblick treten, und ihre Anmeldung vor der höchsten Majestät ist bloß der kindliche Ruf unseres Textes: „Abba, lieber Vater!“ Das Wort „Abba“ oder „Papa“ ist eines der ersten, das unsere Kinder sprechen können, und fortwährend bleibt es ihnen der süßeste Name. Aber so vertraulich mit GOtt reden zu dürfen und von seiner Liebe so innig erquickende Antworten zu bekommen, das ist mehr, als Alles, das wir von Menschen genießen können. Daher soll ein frommer Papst auf die Frage, wie viel ein andächtiges Vaterunser wert sei, geantwortet haben: „es sei eines goldenen Pfennig wert, „ und auf die Frage: wie breit der goldene Pfennig sein würde, sagte er: „so breit als die ganze Welt,“ und auf die Frage: wie dick? „so dick als vom Erdreich bis an den Himmel, denn es sei keinem zeitlichen Gut zu vergleichen.“

Das können besonders die Seelen begreifen, die wissen, was es ist, wenn man nicht beten kann. Da fehlts einem überall, wie wenn es dem Leibe recht weh ist, oder wie wenn es ihm fehlt an Luft zum atmen. GOtt ist das Element unseres Lebens. Nur in GOtt kann es uns wohl sein, außer GOtt entbehrt unser aus und zu ihm geschaffener Geist der Lebensluft. Wer daher noch nie recht zu beten gelernt hat, dem ist der Himmel verschlossen; beim Gedanken an die Ewigkeit hat er Angst, für sein Sündenelend keinen Trost, in Leidensnächten kein Licht und keine Stärke; zu allen Zeiten fehlt ihm der göttliche Friede, der höher ist, als alle Vernunft. GOtt ist ihm bloß ein hohes, majestätisches, unnahbares Wesen, in schweren Stunden aber ein schrecklicher Richter. Solche Seelen sehen Nichts vor sich, als entweder Verzweiflung oder immer neuen Leichtsinn, um den inneren Unmut zu vertreiben, welcher Leichtsinn aber auch sein Ende hat und dann in eine um so schauerlichere Verzweiflung übergeht. Solches Leben gleicht einer dürren Wüste.

Dagegen wie ein schön bewässerter Garten mit edlen Pflanzen und Blumen, so ist das Herz eines Kindes GOttes, das freudigen Zugang zum Gnadenthron GOttes im Gebete hat.

Freilich kommen auch da Zeiten der Dürre vor, da die Pflanzen welk stehen, Stunden, da auch Kinder GOttes keinen freudigen Hintritt zu GOtt haben und GOtt gleichsam suchen müssen. Die Ursache davon liegt oft in besonderen Verfehlungen, um deren willen GOtt sich uns entzieht, oder will Er überhaupt der Seele recht zu fühlen geben, wie arm und elend sie ist ohne Ihn, um ein tieferes Geistesverlangen, stärkeren Hunger nach der Gerechtigkeit und Durst nach Wahrheit in ihr wecken. Und je mehr wir da unser Nichts erkennen, unsere Sünde bekennen und aus allem Irdischen heraus in GOtt eindringen, desto gewisser dürfen wir auch wieder erfahren, wie Er das Heiligtum aufschließt und den Zepter seiner Gnade gegen uns ausstreckt, wie der König von Persien gegen Esther, die mit Furcht und Zittern vor ihn trat, und der er dann bewilligtes was sie wollte. Da gibt es für ein Kind GOttes oft gerade nach den tiefsten Demütigungen die erquickendsten Blicke in den Himmel hinein, dass wir mit Stephano sagen möchten: „ich sehe den Himmel offen und JEsum zur Rechten GOttes stehen,“ oder mit Johannes: „wir sahen seine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.

Die Augen des Geistes stallen die himmlischen Dinge innerlich vor sich hin, und solch' inneres Schauen im Gebetsumgang ist ein seliger Vorschmack der zukünftigen Herrlichkeit. Dadurch wird das Heimweh gestillt, von dem das Herz oft so voll ist, da es sich nicht wohl fühlt in dieser unteren Welt, unter dem Umtrieb des Irdischen, unter so vielen Versuchungen und Kämpfen und bei so vielen demütigenden Erfahrungen unserer Schwachheit, Ungeschicklichkeit und irdischen Gesinnung. Ach, wie kann man sich da oft sehnen nach der Heimat, in der das Fleisch nicht mehr gelüstet wider den Geist, in der wir frei von der Sünde, die uns immerdar anklebet und träge macht, im reinen Lichte mit JEsu, unseren Seelenfreund, vereinigt sein sollen! Von dieser Seligkeit ist im Gebetsleben ein Vorschmack, da das Gebet mit himmlischen Kräften erfüllt eine Macht gegen die Sünde ist und voll Geistesmacht, überhaupt als eine Himmelfahrt des Geistes uns in die Heimat versetzt, in der es uns allein wahrhaft wohl ist.

Auch die äußeren Erfahrungen, die betende Seelen machen dürfen, sind hohe Freuden. Wie mag es der Hagar gewesen sein, als auf ihr Seufzen in der dürren Wüste der Engel des HErrn ihr erschien und Wasser quellen ließ! Und wie selig war Hannah, als der HErr ihr langes Flehen erhörte und ihr einen Sohn gab! Und wie mag Hiskia frohlockt haben, als auf sein Gebet das ganze Heer der Assyrer geschlagen wurde, und wie selig war Cornelius, da ein Engel zu ihm trat und ihm sagte: „dein Gebet und deine Almosen sind hinaufgekommen in das Gedächtnis vor GOtt.“ So mag Luther sich gefreut haben, als auf sein dringendes Gebet Melanchthon, der schon im Tode war, wieder genas.

So erfuhr den Segen des Gebets auch eine arme, aber christliche Familie in Preußen, als die große französische Armee (1806) Alles in ihrer Nähe verwüstete, plünderte und misshandelte. Die Frau zitterte und bebte vor Angst. Ihr Mann aber sagte: „Komm, wir wollen uns eine Schutzwache ausbitten, „ führte sie in die Kammer, fiel mit ihr auf die Kniee und betete: „Barmherziger Heiland, was Du uns auch schickst, nur um drei Gnadengaben bitten wir: gib uns Geduld im Andenken an dein Leiden, erhalte uns den Glauben an Dich und unser Theil an Dir, und mache uns von allem Irdischen so los, dass wir ruhig Hab' und Gut fahren lassen können.“ Voll Muth, Alles dem Feind zu geben, standen sie auf. Aber kein Feind betrat ihre Schwelle, während Alles um sie her geplündert oder verbrannt wurde.

Solche Erfahrungen von der Kraft des „Abba, lieber Vater,“ sind jetzt schon eine Seligkeit der Kinder GOttes. Sie sind aber auch ein Unterpfand dessen, was wir als Kinder GOttes noch zu hoffen haben, nämlich

III.

der Erbschaft des ewigen Lebens.

Unser Text sagt: „sind es Kinder, so sind es auch Erben GOttes durch Christum.“ Damit ist die Herrlichkeit der Kindschaft GOttes ausgesprochen, ihre Seligkeit im Reich des Himmels. So große Seligkeit die Kindschaft GOttes schon in dieser Welt zu genießen hat, so sagt doch Paulus: „wir wandeln im Glauben und nicht im Schauen, und hätten mehr Lust, außer dem Leibe zu wallen und daheim zu sein bei dem HErrn.“ Und Johannes sagt: „wir sind nun GOttes Kinder, und ist noch nicht erschienen, was wir sein werden; wir wissen aber, wenn es erscheinen wird, dass wir Ihm gleich sein werden; denn wir werden Ihn sehen, wie Er ist.“

Das ist das herrlichste Erbteil der Kinder GOttes. Es gilt ihnen im vollkommenen Sinn, was über die Leviten vorbildlich ausgesprochen wurde: „der HErr ist ihr Erbteil.“ GOtt schauen, wie Er ist, und dadurch Ihm gleichsein - das ist das Höchste, was einem Menschen verheißen werden kann. GOtt ist die Seligkeit selbst. Was wir nur Seliges und Herrliches denken können, das ist Alles in GOtt vereinigt. Wie jetzt die Sonne für uns der Inbegriff des höchsten Lichts und der höchsten Wärme ist, und wie in einem Spiegel sich die Sonne so abstrahlt, dass wir den Spiegel so wenig als die Sonne selbst ansehen können, so will GOtt, Der, der alles Leben und alle Herrlichkeit in sich hat, sich einst in uns abspiegeln, so dass sein Bild, nur nicht spiegelhaft vorübergehend, sondern wesentlich in uns nachgebildet, und also unser ganzes Wesen, Geist, Seele und Leib in die Klarheit seiner Herrlichkeit verklärt werden soll.

Davon haben wir freilich jetzt keinen Begriff. Wenn wir jetzt GOtt auf einmal in seiner herrlichen Majestät sehen würden, so könnten wir den Anblick nicht ertragen, unsere Augen würden erblinden, ja unser Herz stille stehen und der Leib erstarren. Aber wenn in der Ewigkeit das Irdische vollends abgestreift und der Geist rein und frei und ganz vollkommen in GOtt verklärt ist, dann wird auch Gott sich verklären in ihm, und sein ganzes Bild in Geist, Seele und Leib verklären. Das ist dann die vollkommenste Stufe der Kindschaft. Denn je mehr ein Geist von göttlicher Natur in sich hat, desto mehr ist er GOttes Kind.

Diese vollkommenste Stufe der Kindschaft beginnt mit der Auferstehung des Leibes als der herrlichsten Vollendung des himmlischen Erbes. Daher sagt Jesus: „welche würdig sein werden, jene Welt zu erlangen und die Auferstehung von den Toten, die sind den Engeln gleich und GOttes Kinder, dieweil sie Kinder sind der Auferstehung.“ Je bälder sie Kinder der Auferstehung werden, desto bälder sind sie Kinder oder lieber Söhne GOttes im vollkommensten Maße. Welche Seligkeit aber muss das sein, wenn ein solches vollendetes Kind GOttes den Leib anziehen darf, der leuchtet wie die Sonne, und der dann die Macht hat, in der frühesten, schnellsten Bewegung sich durch alle Himmelsräume zu schwingen, da der Geist mit Millionen von Engeln und vollendeten Gerechten in der wonnevollsten Liebesgemeinschaft sich GOttes und JEsu ganz freuen und eine unaussprechliche Seligkeit genießen darf.

Dieses Erbe der Kinder GOttes wird sich dann noch besonders darstellen in äußerer Herrlichkeit. JEsus verheißt den Überwindern Bäume des Lebens mit den edelsten Früchten, verborgenes Manna, in dem Er inniger als im Abendmahl sich selbst zu genießen gibt, Palmen als Sieges- und Ehrenzeichen, weiße Kleider als auserwählten Priesterschmuck, Kronen der königlichen Würde, so dass sie als Priester und Könige auf der neuen Erde regieren und ihre unvergleichliche Residenz haben in der über alle Beschreibung herrlichen Stadt GOttes, deren Gründe von lauter Edelstein sind und ihre Thore von Perlen und ihre Gassen von lauterem Gold als durchscheinendem Glase, so dass die Herrlichkeit GOttes und des Lammes in höchster Pracht daraus hervorleuchtet.

Ja, selbst bis auf den Thron des Sohnes GOttes sollen die vollendeten Söhne GOttes erhöhet werden nach dem Wort des HErrn: „Wer überwindet, dem will Ich geben, mit mir auf meinem Stuhl zu sitzen, wie Ich überwunden habe und bin gesessen mit meinem Vater auf seinem Stuhl.“ Solche, alle Begriffe übersteigende Herrlichkeiten will JEsus als himmlisches Erbe Denen geben, die als Kinder GOttes die Welt überwunden haben. Und zu solch' seligen Hoffnungen erhebt uns heute schon die Kindschaft GOttes, und deswegen gewährt sie heute schon ein seliges Leben, wenn auch noch Vieles von außen und innen demütigt und niederdrückt. Der Glaube darf das Zukünftige als gegenwärtig anschauen, und sich des, was ihm verheißen ist, hoch freuen, wie der Erbe eines irdischen Thrones, wenn er auch noch lange nicht auf ihn gelangt, doch von Jedermann um seines künftigen Erbes willen geehrt wird.

Aber was sind Königskronen und Kaiserschätze gegen dem Erbe GOttes, des großen GOttes und Heilandes, der überschwänglich tun kann und tun will über Alles, das wir bitten und verstehen. O liebe Seelen, nach diesem herrlichen Erbe wollen wir vor allem Andern trachten; wahre Kinder GOttes zu sein und immer mehr zu werden, das soll uns mehr sein, als die Ehren, Freuden und Schätze dieser Erde. Ja, wir wollen gesinnt sein wie Paulus: „ich achte es Alles für Schaden gegen der überschwänglichen Erkenntnis Christi JEsu, meines HErrn, um welches willen ich Alles habe für Schaden gerechnet und achte es für Koth, auf dass ich Christum gewinne und in Ihm erfunden werde, dass nicht erstrebe meine Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz, sondern die durch den Glauben an Christum kommen, zu erkennen Ihn und die Kraft seiner Auferstehung und die Gemeinschaft seiner Leiden, dass ich seinem Tode ähnlich werde, damit entgegenkomme zur Auferstehung der Toten.“

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