Kapff, Sixtus Carl von - Am Feiertag Johannis des Taufers.

Kapff, Sixtus Carl von - Am Feiertag Johannis des Taufers.

Text: Jes. 40,1-8.
Tröstet, tröstet mein Volk, spricht euer GOtt; redet mit Jerusalem freundlich und predigt ihr, dass ihre Ritterschaft ein Ende hat, denn ihre Missetat ist vergeben; denn sie hat Zweifältiges empfangen von der Hand des HErrn, um alle ihre Sünde. Es ist eine Stimme eines Predigers in der Wüste: bereitet dem HErrn den Weg, macht auf dem Gefilde eine ebene Bahn unserem GOtt. Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden, und was ungleich ist, soll eben, und was höckrig ist, soll schlecht werden; denn die Herrlichkeit des HErrn soll offenbart werden; und alles Fleisch mit einander wird sehen, dass des HErrn Mund redet. Es spricht eine Stimme: Predige! Und er sprach: Was soll ich predigen? Alles Fleisch ist Heu, und alle seine Güte ist wie eine Blume auf dem Felde. Das Heu verdorrt, die Blume verwelkt: denn des HErrn Geist bläst darein. Ja, das Volk ist das Heu. Das Heu verdorrt, die Blume verwelkt; aber das Wort unseres GOttes bleibt ewig.

Wir feiern heute das Andenken des Täufers Johannes und übermorgen begehen wir das Reformationsfest, weil es morgen 312 Jahre sind seit Übergabe des evangelischen Glaubensbekenntnisses auf dem Reichstag zu Augsburg. Johannes der Täufer und die Reformation - das sind zwei nahe mit einander verwandte Gedanken. Johannes war ein Reformator seiner Zeit, er sollte das Judentum als die Vorbereitung Christi von seinen Auswüchsen und Entartungen reinigen und die Herzen für die Aufnahme ihres wahren Heils empfänglich machen. Daher vereinigte er in sich die zerstreuten Strahlen der alttestamentlichen Offenbarung, indem er einerseits das Gesetz in seiner Strenge predigte, andererseits als tröstender Prophet den erschienenen Messias ankündigte. Buße und Vergebung der Sünden durch JEsum - das war die Predigt, durch die Johannes nach unserem Text dem HErrn eine ebene Bahn zu machen suchte.

Die gleichen Punkte waren auch der wesentliche Grund der Reformation. Aus dem Außenwerk menschlicher Satzungen und Gebräuche musste der Geist eingeführt werden in die innere Tiefe eines gottgeheiligten Lebens und einer Anbetung GOttes im Geist und in der Wahrheit. Solch neues Leben zu wecken war es durchaus notwendig, auf JEsum Christum, als auf den Einzigen, in dem allein Heil zu finden sei, hinzuweisen. Das bedurfte die Zeit der Reformation, wie die des Johannes. Diese beiden Zeiten waren einander sehr ähnlich. In beiden war Erstarrung des geistlichen Lebens durch äußerliche Formen und große sittliche Verdorbenheit; es war einerseits großer Unglaube sadduzäisch-gesinnter Weltmenschen, andererseits großer Aberglaube der pharisäischen Werkheiligen, die statt wahrer Buße und lebendigen Glaubens äußere Zeremonien und Hebungen als Weg zur Seligkeit ansahen. Da musste die Reformation auf Christum, als den Mittelpunkt des ganzen geistlichen Lebens, ebenso zurückgehen, wie Johannes und der ganze alte Bund auf Ihn vorwärtsschaute, und in beiden Zeiten konnte die Aufgabe, eine neue Zeit herbeizuführen, nur dadurch erfüllt werden, dass die bisherigen Wege in ihrer Nichtigkeit erkannt und so nach unserem Text alle Berge und Hügel erniedrigt und JEsu der Weg in die Herzen eröffnet wurde. Wie das bei der Reformation des Johannes und Luther, so ist es auch bei der unseres eigenen Herzens notwendig. Hierüber wollen wir weiter nachdenken, indem wir unter dem Segen des HErrn betrachten:

Johannes als Vorbild der Reformation,

  1. als Bußprediger,
  2. als Trostprediger.

Lieber Heiland! wirke in uns Allen die wahre Reformation des Herzens, die zu ewiger Vereinigung mit Dir führt. Lass Deinen Geist das Amt Johannis an uns üben zu wahrer Buße und Erneuerung unseres Lebens, und erquicke uns dann auch mit Deinem himmlischen Frieden. Amen.

I.

Johannes war ein Vorbild der Reformation als ernster Bußprediger, der Wesen verlangte, statt bloße Form, Sein statt Schein, Geist statt Fleisch. Als solcher wird er in unserem Texte von Jesajas angekündigt mit den Worten: „Es ist eine Stimme eines Predigers in der Wüste: bereitet dem HErrn den Weg, macht auf dem Gefilde eine ebene Bahn unserem GOtt.“ Diese Worte bezeichnen Johannes als den Herold, der die Herzen der Menschen auf die Erscheinung des Sohnes GOttes so vorbereiten musste, wie die Boten vor irdischen Königen her für Ausbesserung der Wege zu sorgen hatten. Daher heißt es weiter: „Alle Täler sollen erhöht werden und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden;“ Alle, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn, sollen gedemütigt, alle Hohen, die sich wider GOtt erheben, heruntergestürzt, dagegen die Niedrigen und Demütigen sollen erhöht und hoch begnadigt werden; was überhaupt in den Herzen ungleich ist, soll eben, und was höckerig ist, soll gerade werden; alles widerstrebende, ungöttliche Wesen in uns soll überwunden, und Alles, was uns an der Vereinigung mit GOtt hindert, hinweggetan werden, damit die Herrlichkeit des HErrn sich offenbaren könne in allen Herzen.

Als einen besonderen Antrieb zu solcher Erneuerung und Buße nennt unser Text die Vergänglichkeit alles Irdischen: „Alles Fleisch ist Heu und alle seine Güte wie eine Blume auf dem Felde;“ wie die Blume schnell verwelkt, so fällt alles irdische Glück schnell dahin, und vielerlei Trübsal und Not, zuletzt das Grab, macht aller Herrlichkeit des natürlichen Lebens ein trauriges Ende. Nur das Wort unseres GOttes und was daraus gebaut ist, nur das bleibt in Ewigkeit.

Diese ernste Bußpredigt hielt Johannes an seine Zeit. Schon in seiner äußeren Erscheinung predigte er das recht anschaulich. Er lebte in der Wüste, abgeschieden von der Welt, verachtend all ihre Lust und Herrlichkeit, ein raues, härenes Gewand war sein ganzer Schmuck und seine Nahrung das Einfachste und Geringste: Heuschrecken und wilder Honig. Wer diesen gegen sich selbst so strengen Mann nur sah, der musste den Eindruck bekommen, wie das Geistesleben so gleichgültig sei gegen das, was dem Fleische angenehm ist und was so Viele als wesentlich, ja unentbehrlich ansehen. So drang denn auch seine Predigt vor Allem auf Früchte des Geistes und verwarf alle Ansprüche und Hoffnungen, die auf irgend etwas Äußeres sich gründeten, z. B. auf die Abstammung von Abraham, um deren willen schon die Juden sich für selig hielten, oder auf die äußere Erfüllung des Gesetzes, deren sich die Pharisäer am meisten beflissen. Ihnen sagte er: „Ihr Otterngezüchte, wer hat denn euch gewiesen, dass ihr dem zukünftigen Zorn entrinnen weidet?“ Damit war allen Zeremonien und Satzungen der strengsten Juden und all ihrer Werkheiligkeit der Wert abgesprochen. Rechtschaffene Früchte der Buße - das verlangte er von Pharisäern und Sadduzäern, und wenn sie das nicht leisten, so werden sie wie ein unfruchtbarer Baum abgehauen und ins Feuer geworfen. Und als das Volk ihn fragte: „Was sollen denn wir tun?“ da verlangte er tätige Liebe, Barmherzigkeit und Freigebigkeit; den Zöllnern gebot er Redlichkeit, den Soldaten Sanftmut und Genügsamkeit, und strafte ohne Scheu die Sünden jeden Standes. Selbst vor dem König fürchtete er sich nicht, und den Ehebruch des Herodes und was er sonst Übels tat, das nannte Johannes Sünde, so gut wie die Fehler des Volks. Allen sagte er: der HErr werde seine Tenne fegen, den Weizen in seine Scheunen sammeln, die Spreu aber verbrennen mit ewigem Feuer.

Durch diese gewaltige Bußpredigt des Johannes wurden Viele im Volk aufgeweckt. Wir lesen, dass zu ihm hinausging die Stadt Jerusalem und das ganze jüdische Land und alle Länder an dem Jordan, und ließen sich von ihm taufen und bekannten ihre Sünden. Da mag doch in manchem Herzen eine Veränderung angefangen haben, wenn auch keine Reformation im Großen durch Johannes bewirkt wurde. Er war ja nur Vorläufer und Wegbereiter der großen Reformation, die JEsus wirken sollte. Diesen Beruf hat er erfüllt; gewiss in sehr vielen Herzen bereitete er einen Weg für Christum, und wie die wichtigsten Apostel JEsu aus Johannis Schule waren, so mögen Hunderte, die später sich JEsu ergaben, die ersten Erweckungen der Buße, die zum Glauben führte, von Johannes erhalten haben.

Wie so Johannes die Bedürfnisse weckte, deren Gefühl erst für den Glauben an JEsum empfänglich machte, und wie er alles Äußere gering achtete und auf geistliches Leben drang, ebenso hat die Reformation den Seelen von den falschen Wegen, auf denen sie das Heil suchten, auf den einzig wahren Weg, der zum Frieden führt, geholfen. Die katholische Kirche war zur Zeit Luthers in einem ähnlichen Zustand, wie das jüdische Volk zur Zeit des Johannes. Zu der göttlichen Offenbarung JEsu waren allmählig eine Menge menschlicher Zusätze hinzugekommen, Lehren und Gebote von Päpsten und anderen Kirchenlehrern, die keinen Grund im Worte GOttes hatten. Der einfachste Gottesdienst der ersten Christen war zu einem eitlen Gepränge von unzähligen Gebräuchen geworden, bei denen für die Augenlust viele, aber für das Herz keine Nahrung war. Statt den dreieinigen GOtt allein anzubeten im Geist und in der Wahrheit, wurde die Jungfrau Maria und eine große Anzahl von Heiligen, d. h. verstorbenen frommen Menschen verehrt, ihre Hilfe angerufen und von ihrem Einfluss aller Segen abgeleitet. Bei den meisten Gottesdiensten wurde Alles in einer unverständlichen Sprache schnell abgemacht und doch gelehrt, dass, wer solch äußerlichen Zeremonien mit anwohne, dadurch wohlgefällig werde vor dem HErrn. Statt der lautern Verkündigung des göttlichen Wortes hörte man allerlei Märlein und Legenden von Heiligen und vielfache Entstellung der lauteren Wahrheit.

Am meisten verdunkelt war die Grundlehre der heiligen Schrift von der Versöhnung und Rechtfertigung. Der Papst maßte sich an, Sündenvergebung zu erteilen, weil er sich den Statthalter Christi nannte; aber er verkaufte die Vergebung oder den Ablass der Sünden um Geld, und so zogen seine Abgesandten umher und teilten Ablasszettel aus, nach denen die Sünden vergeben wurden, auf kurz, wenn Einer wenig zahlte, auf lang, ja aufs ganze Leben, wenn Einer viel zahlte. Dadurch zerfiel alle Zucht und Ordnung, und die gröbsten Sünden wurden ungescheut verübt, weil man ja ohne alle Besserung ihre Strafen abkaufen konnte. Geld, nicht Besserung, war die Buße. Starb Einer, so ließ er Seelenmessen für sich lesen, dadurch glaubte er des Himmels gewiss zu sein. Die Messen waren überhaupt eine traurige Verkehrung des heiligen Abendmahls. Da genoss der Priester allein das Abendmahl unter vielerlei Gebräuchen und Gebeten, die Niemand verstand, und das sollte dann eine Opferung Christi sein, die allen dabei Anwesenden, ja selbst Verstorbenen, Vergebung der Sünden verschaffte. Und damit man diese Irrlehren nicht als solche erkenne, durfte Niemand das Wort GOttes lesen, sondern bloß das sollte man hören und glauben, was die Priester sagten. So glaubten denn die Menschen, durch Erfüllung dessen, was ihre Priester ihnen befahlen, durch Bezahlung von Geld an Priester und Kirchen, durch äußerliche Gebräuche und Werke werden sie selig. Die Religion des Herzens und die Heiligung des Wandels wurde dabei aufs Traurigste vernachlässigt, ganz wie es durch den Einfluss der Pharisäer zur Zeit JEsu der Fall war. Dass es so war, bezeugen selbst katholische Schriftsteller. Wessenberg, ein edler Bischof der katholischen Kirche, sagt: „Die katholische Kirche war vor Luther in so tiefes Verderben versunken, dass große Kirchenversammlungen zu ihrer Rettung berufen werden mussten. Die Kirche war weltlich, eine Anstalt der Tyrannei, Habgier und Verfolgung geworden, die Priester in die schamloseste Unsittlichkeit versunken, das Beispiel am päpstlichen Hof wurde für die gesamte Geistlichkeit Losung und Deckmantel der abscheulichsten Ausartung. Alles war käuflich; Gold der Beweis der Fähigkeit; weder Frömmigkeit noch Wissenschaft wurden berücksichtigt. Auch in den Klöstern war große Unsittlichkeit und ein leichtfertiges, nutzloses Leben. Die größten Missbräuche wurden als Verbesserungen, dagegen das gute Alte, als der Reform bedürftig, ausgegeben.“

Aber alle Kirchenversammlungen richteten nichts aus. Sie blieben nur beim Äußerlichen stehen; auf das tiefe Grundverderben der Sünde und auf Erneuerung der Herzen durch den heiligen Geist gingen sie nicht ein. Das taten erst die Reformatoren. Sie drangen auf Reinheit des Herzens und Frömmigkeit des Wandels, und daher vor Allem auf wahre Buße und Erneuerung. Sie führten den Geist aus allen äußerlichen Formen heraus in die Stille eines vor GOtt und in GOtt zu führenden Lebens, und zeigten, wie kein Mensch durch die Werke gerecht und selig werden könne, sondern allein Buße und Glaube an JEsum als einzigen Retter der Weg zum Leben sei. Davon wurden denn auch die Leute durch ihr eigen Gewissen überzeugt, und durch das Lesen des Wortes GOttes erkannten sie noch mehr den heiligen Ernst GOttes über die Sünde und wie sehr sie daher einer Sinnesänderung und Erneuerung bedürfen. Da wachte durch die Predigten Luthers und seiner Freunde manches schlafende Gewissen auf und erkannte, dass es anders werden müsse, dass tote Menschensatzungen kein Leben geben, dass die große Sache des Seelenheils mit GOtt allein auszumachen sei, nicht mit oder durch Menschen.

Wie so die Predigt zur Buße durch Johannes und durch die Reformatoren der Anfang eines neuen Lebens war, so gibt es zu allen Zeiten, also auch für uns, kein Heil und keinen Frieden, wenn wir nicht das Gebot des Johannes befolgen: „Seht zu, tut rechtschaffene Früchte der Buße.“ Hört das, alle leichtsinnige Seelen, die ihr euch - auch in der evangelischen Kirche noch - auf äußerliche Dinge verlasst, auf leibliche Geburt von Christen oder äußerliche Gemeinschaft mit Christen, auf äußerliches Mitmachen der Gottesdienste, Stundenlaufen, Abendmahlsgenuss, Herplappern oder Lesen von Gebeten und Bibelkapiteln, oder auch auf Werke der Barmherzigkeit, der Berufserfüllung oder andere Gesetzlichkeit; das Alles hilft euch nicht zum Leben ohne gründliche Buße und Erneuerung des Herzens. Wenn auch alle Menschen uns für gerecht erklären und uns nichts nachsagen können, darauf kommt es nicht an, sondern darauf, wie GOtt uns ansieht. GOtt aber ist ein Licht und seine Augen sind wie Feuerflammen und das Verborgenste der Herzen richtet Er, und wen Er als leichte Spreu erfindet, der wird verbrannt mit ewigem Feuer. Diese schrecklich ernste Wahrheit treibt uns, das Gute zu betrachten, durch das Johannes Vorbild der Reformation geworden ist, nämlich seine Trostpredigt.

2.

„Tröstet, tröstet mein Volk.“ Mit diesen Worten fängt unser Text an und bezeichnet damit die zweite Hauptbotschaft, die Johannes in das Volk zu bringen hatte. „Tröstet, tröstet mein Volk, spricht euer GOtt, redet mit Jerusalem freundlich und predigt ihr, dass ihre Ritterschaft, d. h. ihre Streit- und Strafzeit ein Ende hat, denn ihre Missetat ist vergeben.“ Dieses Wort des HErrn durch den Propheten Jesaja hat erst Johannes seiner Erfüllung näher gebracht, indem er Christum ankündigte als das bereits erschienene Heil der Welt. Nur JEsus ist der Trost Jerusalems und Israels und der ganzen Menschheit; nur durch Ihn wird alle Sünde vergeben, und nur dadurch hört Streit und Angst und Strafe und Gericht auf, und der versöhnte Vater redet durch den Sohn freundlich mit den Seelen. Deswegen stellte Johannes sich so weit zurück hinter JEsum und sagte: „Ich taufe nur mit Wasser zur Buße, der aber nach mir kommt, ist stärker denn ich, dem ich auch nicht genugsam bin, seine Schuhe zu tragen oder seine Schuhriemen aufzulösen, der wird euch mit dem heiligen Geist und mit Feuer taufen.“

Die Buße ist nur der Anbruch des neuen Tages, die Sonne ist JEsus und die Kraft des neuen Lebens ist sein Geist, durch den Er das Feuer einer göttlichen Liebe und eines ewigen Lichts im Herzen anzündet. Das tut der Geist hauptsächlich dadurch, dass Er die wichtigste Trostpredigt des Johannes in uns verklärt, nämlich die: „Siehe, das ist GOttes Lamm, das der Welt Sünde trägt.“ Die Versöhnung durch das Blut JEsu Christi, als des wahrhaftigen Sohnes GOttes, das ist der Grund alles Trostes in Zeit und Ewigkeit. Christi Opfertod allein hat den Fluch der Sünde getilgt und den Zugang zu dem Gnadenthron GOttes uns wieder eröffnet. Nur auf diesem Grund beruht die Möglichkeit eines neuen Lebens. Daher kündigte auch Zacharias in seinem Lobgesang an, „sein Sohn Johannes müsse dem Volk Erkenntnis des Heils geben, die da ist in Vergebung ihrer Sünden. Dadurch erscheine der HErr denen, die da sitzen in Finsternis und Schatten des Todes, und richte ihre Füße auf den Weg des Friedens.“

Vergebung der Sünden also ist der Mittelpunkt der ganzen Heilslehre und das Licht einer neuen Zeit. Daher machte auch Johannis Wort: „das ist GOttes Lamm,“ den Übergang aus dem alten Bund in den neuen. Von diesem Wort an folgten Johannis Jünger JEsu nach (Joh. 1,37.) und die Morgenröte der Verheißung ging über in den Sonnenglanz der Erfüllung. Durch was anderes haben die Apostel und ihre Nachfolger die Welt umgestaltet oder reformiert, als durch das Wort vom Kreuze, das die Versöhnung predigte in arme Herzen, die unter den Verderbnissen des Heidentums und Judentums keine Ruhe im Leben und keinen Trost im Sterben hatten? Aus JEsu Wunden floss der Lebensbalsam für die tausendfachen Wunden, an denen die Menschheit sich vollends zu Tod geblutet hätte. Daher allein war auch für die erstorbene christliche Kirche neue Lebenskraft zu schöpfen. Sie war erstorben, weil nicht mehr in JEsu Versöhnung und Heil gesucht wurde, sondern zuerst in Glaubensartikeln und Lehrbestimmungen, nachher gar bloß in äußerlichen Gebräuchen. Von da an, dass das Christentum zur Staatsreligion geworden war, ging es aus dem Innern immer mehr ins Äußere. Da waren zuerst blutige Streitigkeiten über einzelne Punkte der christlichen Lehre und was die Mehrzahl festsetzte, das zu glauben, galt als Weg zur Seligkeit. Je mehr dann die Kirche verweltlicht wurde und äußere Güter und Herrschaft über den Staat suchte, desto mehr zerfiel die Herzensreligion, und wer noch lauter nach GOttes Wort glauben und leben wollte, der wurde verfolgt, dagegen der selig gepriesen, der die toten Kirchensatzungen befolgte, er mochte sonst leben, wie er wollte. So kam es, dass der Strom des Sittenverderbens Alles überflutete, und wenn die erschrockenen Gewissen in dem äußerlichen Dienst keine Ruhe fanden, so war nirgends für sie Trost zu finden.

Da predigte Luther die Rechtfertigung durch den Glauben, die er selbst in seinem Herzen als höchsten Trost erfahren hatte, er verwarf alle Heilmittel der katholischen Kirche und wies, wie Johannes, auf JEsum, als das Lamm GOttes, das die Sünden der Welt trägt, und in dem allein Gerechtigkeit, Friede und ewiges Leben zu finden ist. Diese Predigt der Reformatoren führte aus öder Wüste auf frische Lebensauen, sie beruhigte die erschrockenen Gewissen, und mit Freuden warfen sie die Bande weg, unter deren Sklaverei sie bisher geseufzt hatten. Mit reißender Schnelligkeit verbreitete sich die evangelische Lehre, und alle Seelen, die noch etwas besseres liebten, begrüßten mit Dank und Freude das Lebenswort, das die Versöhnung predigte. Dadurch allein kam eine neue Zeit. Die Predigt der Buße hätte wohl erschüttern, aufwecken und von der Falschheit aller bisher betretenen Wege überzeugen können: aber auf den wahren Lebensweg führte bloß der einzige Trost bußfertiger Herzen, die Gerechtigkeit, die dem Glauben zugerechnet wird um des vollkommenen Verdienstes JEsu Christi willen, die Wahrheit, die Paulus mit den Worten ausspricht: „dem, der nicht mit Werken umgeht, glaubt aber an den, der die Gottlosen gerecht macht, dem wird sein Glaube gerechnet zur Gerechtigkeit,“ und: „nun wir denn sind gerecht worden durch den Glauben, so haben wir Frieden mit GOtt durch unseren HErrn JEsum Christum, durch welchen wir auch einen Zugang haben im Glauben zu dieser Gnade, darinnen wir stehen, und rühmen uns der Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit, die GOtt geben soll“ (Röm. 4 und 5.).

Das ist das teure Evangelium, durch das die Botschaft unseres Textes in Erfüllung geht: „tröstet, tröstet mein Volk.“ Dieses Evangelium bewirket, wo es hinkommt, eine Reformation im Kleinen und im Großen. Ganze Länder haben durch diese Heilslehre von JEsu, als dem einzigen Versöhner, eine neue Gestalt gewonnen, und in Jedem einzelnen Menschenherzen fängt nur dann die wahre Reformation oder Erneuerung an, wenn es mit bußfertigem Sinn alle eigenen Ansprüche auf Seligkeit aufgibt und nichts mehr in sich selber sucht, sondern allein durch JEsu freie Gnade gerecht und selig werden will. Wo das nicht der Fall ist, da hilft die äußere Reformation nicht viel; daher hat auch die evangelische Kirche, so wie sie von dem Fundament, worauf sie gebaut ist, von der Rechtfertigung durch JEsum allein abließ, alsbald die traurigsten Verunstaltungen erlitten.

Da unser natürlicher Sinn Alles sich selbst verdanken möchte, so legte man auch in der evangelischen Kirche gar manchmal einen anderen Grund, als den echt evangelischen, nämlich einen solchen, bei dem das Herz unbekehrt bleiben kann. Zuerst stritt man sich wieder viel über die Lehre und verhieß nur dem die Seligkeit, der alle die feinen Lehrbestimmungen der evangelischen Theologen annahm. Da wurde Alles in eine, wenn auch bloß äußerliche Rechtgläubigkeit gesetzt, die Hauptsache aber, die Liebe, vernachlässigt. Später erkannte man, dass eine tote Orthodoxie (Rechtgläubigkeit) nicht selig machen könne; da sprang man aufs Gegenteil über und der Rationalismus oder die Vernunftlehre setzte Rechtschaffenheit und Tugend als Grund der Seligkeit. Aber je mehr man von Tugend sprach, desto weniger wurde sie geübt, weil es ohne JEsum und ohne Wiedergeburt durch seinen Geist keine wahre Tugend gibt. So sank das geistliche Leben in traurige Erschlaffung und Sittenlosigkeit dahin. Und bis heute, wo ist wahres Leben, wo völlige Hoffnung und seliger Friede, wo anders, als da, wodurch wahre Bekehrung in gründlicher Buße und lebendigem Glauben die Gerechtigkeit JEsu uns zugeeignet und in Ihm der Himmel uns eröffnet wird. Nur JEsus lehrt lieben, nur sein Geist treibt zu heiligem Wandel, und nur wer im wahren Glauben Friede mit GOtt gefunden hat und seiner Seligkeit schon jetzt gewiss geworden ist, nur der hat die Kraft eines neuen, göttlichen Lebens. Deswegen sagte der HErr, der Kleinste unter den Gläubigen des neuen Bundes sei größer, als Johannes, obwohl er diesen den Größten des ganzen alten Bundes nannte.

Deswegen freuen wir uns morgen und übermorgen mit besonderem Dank gegen den HErrn, dass Er das lautere Evangelium von der Gerechtigkeit durch den Glauben an JEsum und von dem neuen Geistesleben in Ihm wieder ans Licht gebracht hat. Als Urkunde darüber haben wir die Bibel, aber auch die Augsburgische Konfession in der Hand, und unser Bestreben muss nur dahin gehen, dass wir durch die Bußpredigt des Johannes und durch die Predigt vom Glauben, wie wir sie von den Aposteln und Reformatoren hören, immer mehr wahrhaft evangelische Christen werden, fest im Glauben, brünstig in der Liebe, fröhlich in der Hoffnung, geduldig in Trübsal, anhaltend am Gebet. Dazu segne uns der HErr die bevorstehende Reformationsfeier, damit es bei uns Allen zu der vollkommenen Reformation und Wiedergeburt komme, die uns zubereite zur Teilnahme an der allumfassenden Reformation, da der Allerhöchste auf seinem Stuhle sagen wird: „Siehe, Ich mache Alles neu.“ Amen.

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autoren/k/kapff/kapff_johannistag.txt · Zuletzt geändert: von aj
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