Hollaz, David - Von einigen Abwegen

Hollaz, David - Von einigen Abwegen

Eine Stelle aus Hollazens Schriften, von einigen Abwegen, in Ansehung der Zueignung des Blutes Christi.

Wir finden eine unzählbare Menge Menschen, die sich gar nicht um die Zueignung der blutigen Gerechtigkeit Christi bekümmern, und das ist eben die Haupt- und Capital-Sünde der Welt, und die Sünde über alle Sünden, da der Unglaube sich in seiner größten Kraft, Herrschaft und Stärke zeigt. Man achtet die blutige Arbeit, das Ringen, die Wunden, und das Blut unsers Erlösers ganz wie nichts, und des seeligen Evangelii und Rufens des Geistes Gottes nimmt man sich gleichfalls gar nichts an. Das ist eben der verdammliche Unglaube, dadurch sich Menschen um Himmel und Seligkeit bringen, und so strafbar machen. Das ist die Sünde, die der heilige Geist vor andern strafet, daß sie nicht an Jesum glauben, daraus alles Böse und Unglück herkommt in Zeit und Ewigkeit. Und eben dahin geht Satans liebste und meiste Arbeit, im neuen Testamente den Menschen das Evangelium von ihrer Seeligkeit zu verdecken, das Wort von dem blutigen Heiland ihnen zur Fabel, Thorheit und Anstoß zu machen, es von ihrem Herzen zu reissen, auf daß sie nicht glauben und seelig werden. Von denen, die gar gegen das Wort vom Creuze zu Felde ziehen, mag ich nicht erst reden, denn die Haut schauert mir, wenn ich daran gedenke, wem das zum Verdruß, oder zu Gefallen geschieht, und was für ein Gesicht sie einmahl vom Heilande bekommen werden! Es ist aber auch ein großer Haufe von Menschen, die sich selbst einen Glauben machen, und bey ihrem ungebrochenen und ungeänderten Sinne, sich selbst ohne den heiligen Geist das blutige Verdienst des Heilandes zueignen, sie sind nicht geistlich arm, sondern haben viele eigne Gerechtigkeit, lieben aber dabey die Welt mit ihren Thorheiten, sind ohne Sinnesänderung und wollen mit Gewalt behaupten, sie glaubten, welches doch alles wider die Natur des Glaubens ist; - der heilige Geist giebt sein Ja und Amen, und sein Siegel nicht zu diesem Glauben. Ferner giebt es eine Gattung Seelen, die man nicht unter der Welt, sondern bey Erweckten suchen muß. Und gewiß, sie sind das unter Kindern Gottes, was das Brandkorn unter dem Rocken ist, das nahe bey dem gesunden sitzet, misrathene Seelen, oder wie bey den Obstbäumen, eben, wenn die Kulpen im Ansatz sind zu bekleiden, einige viel größer, als die gewöhnliche Frucht pflegen gesehen zu werden, die aber inwendig wurmstichicht sind, und abfallen, welche ungesunde Frucht wohl einigemahl größer ist, als die gesunde, und daran kann man sie kennen. Geblühet hat alles; eine Erweckung mögen sie schon erfahren haben, aber, da es eben Zeit ist, im Ansatze zu bekleiden, und in Armuth zu Grunde zu sinken, so sieht man, daß solche Seelen alle Gnade und Erkenntniß in ihre Eigenheit und Aufblähung ziehen. Die Gnade wird freilich durch den Glauben unser eigen; wir können uns derselben freuen und rühmen, aber ein anderes ist, etwas seyn zu wollen, und sich über das Ziel messen. Hernach giebt es auch viele, die alle Eitelkeiten meiden, und das fliehen, was sie für sündlich halten, aber sie kennen sich doch nicht im Grunde, erkennen sich nicht für so elend, daß sie einen Heiland so höchst nöthig hätten, sie können noch viele gute Sachen aufbringen, worauf sie fest stehen. Andre aber scheinen recht arm am Geiste zu seyn, bezeugen auch solches vielfältig; aber es fehlt ihnen an der Sinnesänderung, sie halten sich vieles zu gute, gehen in viele unlautre Dinge hinein, und das ist ihr eignes und nicht des heiligen Geistes Werk. Fühlten sie sich gründlich arm und ohne Jesu verloren, der Sinn würde von Stunde an verändert. Hernach lassen sich auch viele durch ihre Blödigkeit und das Gefühl ihrer Schnödigkeit, insonderheit ihres Verderbens, das sie doch zu Christo hintreiben sollte, zurückhalten, wollen eher nicht zugreifen und glauben, als, bis sie nichts mehr vom Verderben fühlen, welches unrichtig gedacht ist. Auch ist es betrübt, wenn die Lehrer und Arbeiter etwas anders und mehreres, als das Wort Gottes fordert, zur Seligkeit verlangen, wodurch die Seelen in unglaubliche Schwierigkeiten, und ins Eigenwirken verwickelt werden. Betrübt ist es, wenn aus dem Evangelio eine Gesetztreiberey gemacht wird, wenn man das Glauben, und die damit verknüpfte Erfahrung, auf eine gesetzliche Art und Weise fordert, daß man arme und Heilsbegierige Seelen dadurch zurück setzet. Das Evangelium hat immer mit Ankündigen und Geben zu thun, und fordert nichts von armen Sündern, die ihr Elend fühlen, als, annehmen und fassen. Einige wollen, wider Christi Sinn, ohne das Evangelium zu predigen, die Seelen allein dem heiligen Geiste überlassen. In Absicht auf Unbekehrte ist es auch ein Abweg, wenn man ihnen gar nicht sagt, daß die Gnade auch ihnen erworben ist, und daß auch sie Jesus so theuer erlöset hat.

Quelle: Wöchentliche Beyträge zur Beförderung der ächten Gottseligkeit.

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