Hofacker, Wilhelm - Am Sonntag Jubilate.

Hofacker, Wilhelm - Am Sonntag Jubilate.

Text: Matth. 10,16-20.
Siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe; darum seid klug wie die Schlangen, und ohne Falsch wie die Tauben. Hütet euch aber vor den Menschen; denn sie werden euch überantworten vor ihre Rathäuser, und werden euch geißeln in ihren Schulen. Und man wird euch vor Fürsten und Könige führen um meinetwillen, zum Zeugnis über sie und über die Heiden. Wenn sie euch nun überantworten werden, so sorgt nicht, wie oder was ihr reden sollt; denn es soll euch zu der Stunde gegeben werden, was ihr reden sollt. Denn ihr seid es nicht, die da reden, sondern eures Vaters Geist ist es, der durch euch redet.

In den ersten Gnadentagen
Wird man von dem HErrn getragen;
Endlich muss man lernen wagen
Selber seinen Gang zu gehen:

so singt ein in den inneren Wegen Gottes wohlerfahrener Jünger des HErrn1). Er spricht damit eine Erfahrung aus, welche schon viele tausend Kinder Gottes, die der große Anfänger und Vollender des Glaubens zur Herrlichkeit führte, in der inneren Erziehungsschule des Geistes Gottes zu machen hatten. In den ersten Gnadentagen, wo der heitere Frühling des neuerwachten Lebens aus Gott seine Blüten entfaltet und seine Knospen treibt, in den Tagen der ersten Liebe, wo das Herz hingenommen und erfüllt ist von der Gnade, die ihm in Christo Jesu aufgegangen und erschienen ist, da darf man die Freundlichkeit des HErrn, Seinen sanften und wohltuenden Frieden und die Kräfte der zukünftigen Welt in besonderem Grade schmecken und erfahren; da wird man von Ihm über alle rauen und unebenen Stellen des inneren Lebens gleichsam hinweggetragen, das Schwere wird erleichtert, das Bittere gemildert, das Herbe versüßt, und ein eigentümlicher Freudenmut durchdringt das Herz, ein Freudenmut, der mit einem David spricht: mit dem HErrn will ich über Mauern springen (Psalm 18,30.). Da kann man gar nicht begreifen, wie ein Christ noch trauern, zagen und klagen möge; da findet man es unbegreiflich, dass nicht Alle miteinstimmen in die Lob- und Friedens-Psalmen, die sich nun auf die Lippen drängen. Aber, wie es oft zu gehen pflegt, dass gerade nach den schönsten und erquickendsten Frühlingstagen oft schnell ein winterlicher Frost zurückkehrt, welcher das fröhliche Wachstum der Natur hemmt, und den Farben- und Blütenschmuck abstreift, so geht es auch häufig im inneren Leben. Nach den ersten Frühlingstagen, wo die zarte Knospe der Liebe sich hervorgedrängt hat, kommen oft wieder frostige und winterliche Zeiten, wo das Friedensgefühl des Innern weicht, die Sonne der göttlichen Gnade hinter die Nebel des Zweifels und des Kleinmuts sich verbirgt, und wo es sich erst beweisen muss, ob die Knospe der ersten Liebe, die so herrlich sich entfaltet, auch unter dem Wechsel der Witterung erstarkt zur saftigen und guten Frucht der Treue, welche an Christo bleibt, an Christo hängt, an Christo wächst und an Christo reift auf den Tag der Ernte, zur ewigen Seligkeit. Mit einem Wort:

Endlich muss man lernen wagen
Selber seinen Gang zu gehen.

Es ist dies wirklich ein Wagestück des Glaubens, und man muss es erst lernen durch tägliche Übung in der Schule des Geistes, der allein hierin der rechte Lehrmeister ist; in einer Schule, bei welcher es durch viele Prüfungen, ja durch manche Verdrossenheiten und Verschuldungen geht, durch Erfahrungen, welche den müden Wanderer tief niederbeugen und in den Staub werfen, aber auf der andern Seite auch um so froher machen an der Gnade, die allein durchhelfen kann zum Sieg.

Einen Beleg von dieser inneren Erziehungsweise des HErrn haben wir in unserem heutigen Evangelium an den Aposteln vor uns; in den ersten Gnadentagen, als der Bräutigam bei ihnen war, da konnten sie nicht trauern, da konnten sie nicht klagen, da wurden sie von dem HErrn wie kleine Kinder getragen, getragen mit allen ihren Schwachheiten, mit all' ihren Unarten, mit all' ihren Vorurteilen, und zwar getragen auf den zarten Armen Seiner Liebe und Seiner Langmut, getragen von den mütterlichen Händen Seines Erbarmens und Seiner unermüdeten Geduld. Aber so konnte und so sollte es nicht bleiben, endlich sollten sie lernen wagen, selber ihren Gang zu gehen, selber in die Welt hinauszutreten, und auf eigenen Füßen zu stehen, selber den Kampf des Reiches Gottes durchzukämpfen und die Waffen des Geistes zu ergreifen und das Feld zu behaupten. Jedoch nicht unvorbereitet und ungerüstet wollte Er sie ziehen lassen, nicht ungeübt wollte Er sie entlassen, hinaus in die Feldschlacht der auf sie lauernden Welt stellen. Nein, Er gab ihnen gute Wehr und gute Waffen an die Hand, und ein himmlisches Trostwort mit auf den Weg, das sie um ihre Lenden gürten sollten, dass sie einen guten Kampf kämpfen und Glauben halten konnten. So, meine Lieben, sehen wir in unserm heutigen Evangelium den HErrn Seine Apostel ausrüsten mit den Waffen des Geistes, mit der guten Wehre, mit welcher sie an dem bösen Tage Widerstand tun und das Feld behalten konnten. Und deswegen wollen wir in dieser gottgeweihten Stunde die Frage aufstellen:

Womit sandte der HErr die Seinigen hinaus in die Welt?

I.

1) Das Erste, was der HErr den Aposteln in unserem Evangelium als eine edle Mitgabe zuteilt, die sie auf ihrer Sendung in die Welt mitnehmen und sich bewahren sollten, ist ein himmlischer Adelsbrief, den Er ihnen ausstellte, und der sie vor Hohen und Niederen auszeichnen, und mit einer unvergänglichen Würde zieren und schmücken sollte.

Äußerlich und natürlich betrachtet war an den Aposteln nichts Hohes, nichts Großes; sie waren die unscheinbarsten und die verachtetsten Leute von der Welt; was Paulus an die Korinther schreibt: seht an, liebe Brüder, euren Beruf, nicht viel Weise nach dem Fleisch, nicht viel Gewaltige, nicht viel Edle sind berufen, sondern was verachtet ist, was töricht, was unedel ist, das hat Gott erwählt (1 Kor. 1,26. f.), das galt auch in ausgezeichneten Sinne von den Aposteln. Sie waren nicht weise vor der Welt; denn Bildung und Wissenschaft war ihnen ferne geblieben, wenigstens hatten sie ihre Weisheit nicht gelernt in den Hörsälen und Lehrschulen menschlicher Weisheit und Wissenschaft; auch mussten sie ja fort und fort Narren um Christi willen bleiben. Auch waren sie nicht edel vor der Welt; denn das Fischer- und Zöllner-Handwerk, das sie trieben, gehörte zum verachtetsten und unwertesten, und die Pharisäer sprachen ja: glaubt auch irgend ein Oberster an Ihn? das Volk, das Pöbelvolk, das hängt Ihm an. Auch waren sie nicht gewaltig vor der Welt; denn weiter, als über eine Schiffsbarke, einen Fischerkahn, über ein paar Netze und Ruderstangen erstreckte sich ihre Gewalt und Herrschaft nicht, und sie waren ja jetzt in der Schule dessen, der nicht hatte, da Er sein Haupt hinlegen konnte. Also viel Hohes, Edles, Gewaltiges konnte man nicht an ihnen entdecken und rühmen; dennoch aber fertigt ihnen der HErr im heutigen Evangelium einen Adelsbrief aus, der sie über alle Fürsten und Gewaltige der damaligen Welt weit hinaushob, - ein Adelsbrief, durch den sie tüchtig wurden, einst, wenn alle Thronen und Herrschaften in den Staub zerfallen sein werden, dennoch auf zwölf Stühlen zu sitzen und zu richten die zwölf Geschlechter Israels. Und worin bestand denn dieser Adelsbrief? in einem ganz unscheinbaren, an sich unbedeutend lautenden Wort, über das Viele beim Lesen unseres Evangeliums flüchtig und schnell hinweggegangen sein werden, in dem einzigen Wörtlein: ich sende euch wie Schafe, wie hilflose, wie wehrlose, unerfahrene, aber auch wie stille, sanftmütige, demütige, verträgliche Lämmer und Schafe meiner Herde. In diesem einzigen Worte liegt kurz und bündig zusammengefasst ihr großer Vorzug, ihre Jesus-Ähnlichkeit. Denn Er erklärte sie eben damit für solche, die Seiner Natur teilhaftig geworden sind; Christus ist das Lamm Gottes, und Er wird gerühmt in alle Ewigkeit als das Lamm Gottes; nennt Er sie nun Schafe, so erklärt Er sie eben damit für teilhaftig Seiner Natur, Seines Wesens; von dem Wesen dieses Gotteslammes erglänzte ein Lichtstrahl auch auf ihrer Stirne. Das war ihr Herrlichkeitsschmuck, den sie an sich tragen, das ist ihr Adelsbrief vor Gott und vor Menschen, dies das Siegel und Gepräge der göttlichen Natur, die sie im Glauben und in der Nachfolge Christi angezogen und sich angeeignet, dies das Angeld ihrer ewigen, himmlischen Erwählung und Verherrlichung, welches sie aus dem Munde der Wahrheit selbst empfangen hatten.

Meine Lieben, sollen wir unsere Sendung in die Welt hinaus als eine Sendung im Namen des HErrn betrachten dürfen, so müssen wir dieses Adelsbriefes auch teilhaftig werden. Die Wolfsnatur des natürlichen Menschen muss ausgezogen, die Lammesnatur Christi muss angezogen werden, die tierische, die wilde, die zornige, die trotzige, die bissige, die habgierige, die unreine, die eigensüchtige Natur des alten Menschen muss daran gegeben werden, und die sanfte, die stille, die demütige Lammesnatur, das geduldige, das folgsame Wesen des Geistes Christi muss angeeignet werden; und das geschieht nur durch die neue Geburt aus Gott, aus dem Fleisch in den Geist, durch die Verpflanzung aus dem wilden Boden der Welt in den geheiligten Boden der Gemeinschaft mit Christo und Seinen Heiligen; das geschieht nicht anders, als durch einen Herübertritt aus der Freiheit, der Zügellosigkeit des Fleisches in die Schule dessen, der da gesagt hat: lernt von mir: ich bin sanftmütig und von Herzen demütig (Matth. 11,29.). Ohne diesen Adelsbrief wird sich einmal die Pforte des Paradieses Keinem öffnen, ohne diesen Stempel der sanftmütigen und demütigen Lammesnatur wird Niemand für würdig erfunden, in den himmlischen Tempel einzugehen, wo das Lamm die Seinigen weidet und leitet zu dem lebendigen Wasserbrunnen und abwischen wird alle Tränen von ihren Augen (Offb. 7,17.). Denn vor Gott gilt nichts, als eine neue Kreatur in Christo Jesu, unserem Heiland; denn das Alte ist vergangen, siehe es ist Alles neu geworden (2 Kor. 5,17.), und dazu hat uns Gott berufen, und verordnet, dazu erwählt und ausersehen, dass wir ähnlich werden dem Ebenbilde seines geliebten Sohnes, des Erstgeborenen aller Kreaturen.

2) Jedoch nicht, um diesen Adelsbrief gleichsam zu sich zu stecken, und sich desselben in der Stille und Verborgenheit vor der Welt zu reuen, nicht dazu hat ihn der HErr den Aposteln eingehändigt. Nein, sie sollten ihn gelegenheitlich auch vorzeigen, und dadurch der Welt sich ausweisen, dass sie Seine rechten Jünger seien, und dass sie Geist haben von Seinem Geist, Leben von Seinem Leben, Natur von Seiner Natur, - das war Seine weise und große Absicht. Und hierzu fehlte es nicht an genugsamer Veranlassung, wie Er denn ihnen in unserem heutigen Evangelium ohne Hehl die Gefahren zeigt, die sie zu bestehen, und die Kämpfe vorhält, welche sie zu übernehmen hatten; denn es heißt: ich sende sie hinaus als Lämmer unter die Wölfe. Anfangs fiel es den Aposteln auch schwer, sich immerdar in Christi Tod zu geben; gute Tage zu haben in dieser Welt, reich, geehrt und vornehm zu wer den in dieser Welt, das wäre mehr nach ihrem natürlichen Sinn gewesen; die Lammesnatur wollte nicht sogleich den Sieg davontragen, wie wir denn auch von einem Apostel Petrus lesen, dass er jenen Adels-Brief im Garten Gethsemane so weit verletzte, dass er ihn gar nicht mehr finden konnte, sondern ganz gegen die Lammesart mit dem Schwert dreinschlug. Aber er und seine Brüder lernten sich nach und nach darein finden: ist nicht derselbe Apostel Petrus, der nach dem Schwerte griff, fröhlich mit den andern Jüngern von des Rates Angesicht gegangen (Apostel - Geschichte 5,41.), darum dass sie gewürdigt waren, um des Namens Jesu willen Schmach zu leiden? war das nicht Siegel der Lammesnatur? und der Stephanus, der im Ratssaale saß mitten im Gebrüll und Toben der Wölfe und der Löwen, hat er nicht das Siegel der Lammesnatur an sich getragen, als sie ihn ansahen und sein Angesicht leuchtete, wie eines Engels Angesicht? und der Apostel Paulus, der da schnaubte und dräute2) und mordete, o wie wurde er umgewandelt aus der rauen Wolfsnatur in die sanfte Lammesnatur, aus einem Wolf in ein Lamm der Herde Christi, also dass er sagen konnte: wir werden allenthalben in den Tod gegeben, und sind geachtet, wie die Schlachtschafe; aber in dem allen überwinden wir weit durch den, der uns mächtig macht, Christus (Röm. 8,36.37.). Seht, so hell glänzte der Adelsstern der Lammesnatur Christi von der Brust der Jünger, so ehrfurchtgebietend standen sie im Schmuck der sanftmütigen Überwindernatur Christi unter Freund und Feind; so unwidersprechlich wurden sie legitimiert vor der Welt als solche, die Christum angezogen, und, statt sich vom Bösen überwinden zu lassen, in der Kraft Christi das Böse mit Gutem zu überwinden verstehen.

Meine Lieben, das Christentum ist nicht bloß etwas für den sonntäglichen Gebrauch, man kann es auch nicht nach Belieben anziehen und ausziehen, wie einen Sonntagsrock; auch soll es nicht bloß stehen als Schaustück im Bücherschrank, um da zuweilen hervorgeholt, und dann wieder an seinen Ort gestellt zu werden, sondern das Christentum ist etwas fürs Leben, für das tägliche Leben, fürs ganze Leben. Hier im Leben muss sich zeigen, welcher Natur wir teilhaftig sind, welchen Stempel des Geistes wir an uns tragen. Wenn an dir und deinem Leben die Wolfsnatur sich kund gibt mit Fluchen und Schwören, mit Zanken und Grollen, mit Hadern und Poltern, o so lass dir doch das Auge öffnen, und wisse, dass du noch fern bist von denen, die das Reich Gottes ererben; und wenn an dir und deinem Leibe niedriges, tierisches Wesen zum Vorschein kommt, das nur an Essen und Trinken, oder, wie die Schrift sagt, an Fressen und Saufen, an Leckerei und Genusssucht daran, dass du dir einen guten Tag machst, sich vergnügt, - warum stellst du dich zu den Schafen der Herde Christi, deren Sinn und Wandel du verleugnest? und wenn du das raubsüchtige Wesen der Wolfsnatur an dir trägst, dass du auf keinen Vorteil verzichten, kein Interesse dahintenlassen kannst, sondern alles mit einem irdischen Heißhunger nur an dich zu raffen, nur an dich zu reißen, und als einen Raub dahinzunehmen trachtest, warum stellst du dich nicht unter die Wölfe, warum stellst du dich unter die Herde Christi? denn die Lammesnatur derer, die von Gott erkoren sind, hat ein anderes Siegel; sie weiß zu dulden, sie weiß zu tragen, zu hoffen und zu glauben, wo der Geduldsfaden dem natürlichen Menschen längst gerissen wäre; sie weiß nachzugeben, und auszuweichen, ja sogar die eigene Wolle dahintenzulassen, um sich nichts am himmlischen Erbteil zu verkürzen; die Lammesnatur weiß Böses mit Gutem, Fluch mit Segen, Unbilligkeit mit Billigkeit, Rache mit Güte zu vergeben, und feurige Kohlen auf das Haupt derer zu sammeln, die mit feindseligem Sinn sich um sie lagern. Und damit erkämpft sie die schönsten Siege, die erfochten werden können, erringt die herrlichsten Triumphe, die allein der Geist der Sanftmut und Liebe davontragen kann. So hat Christus, der Sohn Gottes die Welt überwunden durch Stillesein und Sanftmut, durch Liebe und durch Demut; zu denen aber, die Seinen Adels-Brief an sich tragen, spricht Er; ihr seid nicht von dieser Welt, wie auch ich nicht von der Welt bin; ihr seid von oben her, wie auch ich von oben her bin (Joh. 15,19.).

So entließ der HErr die Apostel in die Welt mit einem himmlischen Adelsbrief; aber noch mehr, Er entließ sie auch

II.

mit einem viel umfassenden Verhaltungsbefehl.

1) Unter unsern Vätern war es Sitte, dass, wenn der Sohn des Hauses den Reisebündel schnürte, und den Wanderstab ergriff, um in die Fremde hinauszugehen, in ferne Länder und unter unbekannte Menschen, dass dann der Hausvater die Hausgenossen versammelte und unter Gebet und ernsten Verhaltungsregeln ihn entließ. Das war dann eine Feierstande noch ehe er den Stab weiter setzte; der Vater fasste alle Ermahnungsworte, die er ihm gegeben hatte, kurz und bündig zusammen, um sie ihm gleichsam als eine goldene Halskette um den Hals zu binden; und solche Abschiedsworte sollten ihn dann begleiten auf seinem ganzen Wanderzuge; sie verfehlten auch selten ihres Zwecks, wenn sie von Herzen kamen, und zu Herzen gingen, und bildeten gleichsam eine Schutzwehr und einen Schild, welchen der unerfahrene Sohn den Angriffen und Verführungen der Welt entgegenhielt. Die Apostel waren in ähnlicher Lage; sie sollten hinausgehen in die Welt, wo so vieles Neue sich ihnen darstellen, und so manche unerwartete Erfahrungen sich ihnen aufdringen sollten, und wo so mancherlei Gefahren und Versuchungen waren, um sie zu berücken und zaghaft zu machen.

Der Heiland gibt ihnen deswegen auch einen sichern Wanderstab in die Hand, indem Er in kurzen, aber gedrängten Worten einen vielumfassenden Verhaltungsbefehl ihnen mit auf den Weg gibt, der sie wohlbehalten hindurchbringen sollte durch die Welt. Und was war denn dieser Verhaltungsbefehl? Seid klug, wie die Schlangen, und ohne Falsch, wie die Tauben, dies ist der einfache und körnigste Rat, den Er ihnen erteilt, und wenn ein anderer Mensch hundert und tausend Ratschläge aufgehäuft hätte, um den reichen Inhalt dieses einzigen Wortes auszudrücken, - er hätte doch nicht erschöpft, was der Heiland mit diesen kurzen und wenigen Worten den Jüngern mit auf den Lebensweg gab.

Seid klug, wie die Schlangen, dies ist das erste Wort, das Er ihnen ans Herz legt. Die Klugheit der Schlangen besteht aber hauptsächlich darin, dass sie niemals unvorsichtig aus ihren verborgenen Schlupfwinkeln sich hervorwagen, und unnötiger Weise sich Gefahr aussetzen. Sobald sie nur von Ferne etwas Unheimliches wittern, sobald sie einen Angriff befürchten, so eilen sie ihren Schlupfwinkeln zu und halten sich verborgen, und wissen zu warten in der Stille, bis die Gefahr vorüber ist. Das ist Schlangenklugheit, und zu dieser wollen wir nicht umsonst aus dem Munde Christi uns aufmuntern lassen. Unserem geistlichen Leben droht mancherlei Gefahr; denn das Leben des Geistes ist ein zartes und leicht verwundbares Leben, und nur gar zu leicht werden wir für unsere eigene Person verrückt von der Einfalt auf Christum, vom kindlichen Umgang mit dem HErrn, vom lauteren und ungetrübten Blick auf das Ziel der himmlischen Berufung; - da gilts Vorsicht, die wachsam und nüchtern ist, und auf der Hut steht, damit wir nicht von irgend einer Versuchung unversehens uns überfallen lassen, nicht ohne Not einer Gefahr uns preisgeben, wodurch wir an unserem geistigen Leben Schaden und Ärgernis nehmen können. Schlangenklugheit ists z. B., sich nicht ohne Not und Beruf in Gesellschaften und auf Plätze hinauszuwagen, auf denen das Herz mit irdischem Tand erfüllt, mit weltlichem Getreibe bestrickt, von dem Geist dieser Welt befleckt und besudelt zu werden Gefahr läuft. Schlangen-Klugheit ists, den Umgang mit Menschen vorsichtig zu wählen, weil das Öl des Geistes unter ihnen leicht mehr verschüttet, als gesammelt wird. Schlangenklugheit ists, vor Entwürfen und Anschlägen, vor Unternehmungen und Weltverhältnissen sich in Acht zu nehmen, die uns voraussichtlich übermannen, und innerlich berücken, lähmen und geistlich mundtot machen können. Schlangenklugheit ists, das Herz nicht auf der Zunge zu tragen, nicht Jedermann sich anzuvertrauen, und die Worte im Reden und Schreiben wohl in Acht zu nehmen, eingedenk, dass, wie ein klein Feuer einen ganzen Wald anzündet, also die Zunge, ein klein Glied, den ganzen Leib befleckt, und all unsern Wandel anzündet, wenn sie von der Hölle entzündet ist (Jakobi 3, 5. 6.). - Schlangen-Klugheit ists, auch in kleinen Dingen mit Vorsicht zu reden und allen bösen Schein zu meiden, damit man nicht dem Lästerer ins Urteil falle (1 Timoth. 3,6.). Schlangenklugheit ists, vor allen Dingen und bei allem Beginnen die Kosten wohl zu überschlagen, und zu rechnen, ob man habe den Bau hinauszuführen, und müsse nicht mit Schanden feine Übereilung bekennen (Luk. 14,28.). Schlangenklugheit ists, auch im Umgang mit Andern der Zeit wohl wahrzunehmen, und mit Weisheit von oben ausgerüstet diejenige Zeit herauszufinden, wo dem Wort der Wahrheit bei ihnen Bahn gebrochen, die verschlossenen Herzen aufgeschlossen, die verhärteten Gemüter angefasst, und die Schwankenden gewonnen werden können. Diese Klugheit aber lernt man in keiner Schule der Welt, sondern nur in der Schule des Geistes Gottes, nur da, wo das innere Ohr offen ist für die Weisung des Geistes von oben, wo man hört, wie ein Schüler, wo man ein richtiges und feines Gehör hat, um die Aussprüche bloß menschlicher und berechnender Klugheit als das, was sie sind, ebenso zu erkennen, als das ungestüme, blinde Dareinfahren leidenschaftlicher Hitze.

Merk, Seele, dir das große Wort,
Wenn Jesus winkt, so geh',
Wenn Er dich zieht, so eile fort,
Wenn Er dich hält, so steh!

2) Jedoch, eben damit sich die Schlangenklugheit nicht verliere in jene menschlich berechnende kalte Verständigkeit ohne die Weihe des Geistes von oben, eben deswegen setzt der Heiland das zweite Wort hinzu: seid ohne Falsch, wie die Tauben. Zweierlei Haupt-Eigenschaften sind es, welche die Tauben nach dem Sinn der Schrift nachahmungswürdig und beachtenswert machen, auf der einen Seite ihre Reinlichkeit, die keinen Flecken an sich duldet, weswegen denn auch der Geist bei der Taufe auf Jesus herabfuhr in der Gestalt einer reinen, unbefleckten Taube, und auf der andern Seite ihre Harmlosigkeit und Zutraulichkeit ohne Argheit und Tücke. Und darum spricht die Bibel auch von Taubeneinfalt bei denjenigen, die ohne Verstellung, ohne Schminke, ohne Heuchelei sich geben, wie sie sind, und ein reines Gewissen bewahren ohne Falsch und Schalkheit, ohne Lüge und Unwahrheit. - Taubeneinfalt ist es, wo es gilt, Jesus zu bekennen vor den Menschen mit freimütigem Geiste, und dabei weder rechtswärts zu schauen, noch linkswärts, auch auf die Gefahr hin, verkannt, verlacht und verspottet zu werden. - Taubeneinfalt ist es, bei den klaren und einfachen Worten der Schrift zu bleiben', ihr sich zu unterwerfen, und selbst den Honig des göttlichen Wortes zu kosten und sich anzueignen, während man es Andern überlässt, erst lange darüber zu disputieren, daran zu drehen und zu wenden, daran zu mehren und zu mindern, daran zu bessern und zu schlechteren; Taubeneinfalt ist es, bei der gesundesten, einfachsten und kräftigsten Nahrung des Geistes zu bleiben, und während andere bald da kosten, bald dort nippen, bald diesem Buch zufallen, bald jenem, täglich zu den Fenstern Gottes zu fliegen, und aus seiner unmittelbaren Hand die Nahrung des Worts dahinzunehmen. Taubeneinfalt ists, sich gängeln und leiten zu lassen an der Hand Jesu Christi, wo Er hin will, und, statt Ihm eigene Wege vorzuschreiben, Seiner Führung zu vertrauen, und Seiner Leitung sich zu überlassen, Taubeneinfalt ist es, nicht mit ängstlicher Sorge in die Zukunft zu blicken, sondern Tag für Tag aus der Hand Gottes zu leben und das Wort zu beherzigen:

Ihn, Ihn lass tun und walten,
Er ist ein weiser Fürst,
Und wird sich so verhalten,
Dass du dich wundern wirst,
Wenn Er, wie Ihm gebühret,
Mit wundervollem Rat
Das Werk hinausgeführet,
Das dich bekümmert hat.

Taubeneinfalt ists, nicht mit heimlicher Schalkheit umzugehen, sondern mit Offenbarung der Wahrheit, und sich wohl zu beweisen gegen aller Menschen Gewissen vor Gott (2 Kor. 4,2.). Taubeneinfalt ists, seine Rede ja, ja; nein, nein sein zu lassen, und ohne Schleichwege offen und gerade mit seinem Nächsten zu handeln, als mit einem Glied an dem Leibe Christi.

Heil'ge Einfalt, Gnadenwunder,
Tiefste Weisheit, größte Kraft,
Schönste Zierde, Liebeszunder,
Werk, das Gott alleine schafft!

Wenn wir in der Einfalt stehen,
Ist es in der Seele licht,
Aber wenn wir doppelt sehen,
So vergeht uns das Gesicht.

Einfalt ist ein Kind der Gnade,
Eine kluge Ritterschaft,
Die auf ihrem schmalen Pfade
Nicht nach dem und jenem gafft.

Einfalt denkt nur auf das Eine,
In dem alles Andre steht,
Einfalt hängt sich ganz alleine
An den ewigen Magnet.

Einfalt quillt aus Jesu Wunden
Mit dem teuren Gottesblut; Wer sie da nicht hat gefunden,
Der ist fern von diesem Gut. 3)

Diesen vielumfassenden Verhaltungsbefehl gab der HErr den Aposteln auf ihre Lebensreise mit.

III.

Aber noch etwas, das wir noch kurz betrachten wollen, erteilte Er ihnen ebenfalls; es war ein zuverlässiges Sicherheits-Geleite das Er ihnen mitgab.

1) Wenn einer durch ein Land zu reisen genötigt ist, das von Feinden aller Art erfüllt ist, so erfordert es die Klugheit, dass man von denen, die darin die oberste Gewalt haben, ein Geleite sich erbittet, um gesichert zu sein gegen Unbilden und Feindseligkeit, gegen Angriff und Gefahr. Durch ein solches Land in welchem viel Krieg war, hatten die Apostel hindurchzuwandern; die Welt mit all ihren Hinterhalten und Gefahren lag vor ihnen, in welcher der Fürst dieser Welt herrschte mit den Kindern des Unglaubens; - aber sie bekamen ein Sicherheitsgeleite mit von dem, der alle Gewalt hat im Himmel und auf Erden (Matth. 28,18.), und auf dies konnten sie sich verlassen, und ohne Reue Ihm sich anvertrauen. Und worin bestand denn dieses Sicherheitsgeleite? Schon das, dass der Heiland sagte: „siehe, ich sende euch,“ schon darin lag der Aufrichtung und des Trostes genug; so waren sie also Gesandte des Königs aller Könige, des HErrn aller HErren, so waren sie also Botschafter an Christus statt (2 Kor. 5,20.), und deswegen sah Er selbst Alles, was ihnen widerfuhr, so an, als ob es Ihm selber begegnete; so war es ja dort, als Er einem Saulus begegnete und zu ihm sprach: Saul, Saul, was verfolgst du mich. Christum selbst konnte er nicht verfolgen, aber Christum in den Jüngern konnte er verfolgen. Eben damit waren die Apostel unantastbar und unverletzlich, sie waren heilige Personen. Und sollten sie auch geführt werden in die Schulen und Rathäuser, vor Gewaltige und die Fürsten, auch dafür hatte Er gesorgt; denn, spricht Er, sorgt nur nicht, was und wie ihr antworten sollt; denn es soll euch zu der Stunde gegeben werden, was ihr reden sollt; denn ihr seid es nicht, die da reden, sondern meines Vaters Geist, der in euch redet. O wie waren sie mit diesem Sicherheitsgeleite nach innen und außen so wohl bewahrt und beschützt für alle Fälle und Vorkommenheiten, damit sie hindurch, und hinaus und hineingebracht würden aus der argen und feindseligen Welt in die Tore der ewigen Friedensstadt.

2) Unsere Stellung zur Welt ist in unseren Tagen eine andere geworden; die Welt, die noch dieselbe ist, wie vor 1800 Jahren, hat auch noch ihre Wolfsnatur, aber sie hat großenteils den Schafspelz der christlichen Bildung und der christlichen Duldung angezogen, und, wenn sie zuweilen auch noch die Wolfsklauen zeigt, und die Zähne fletscht gegen die, die ihr offen und frei den Krieg erklären und den Dienst aufsagen, so darf sie sich doch nicht ungehindert in ihrer blinden Verfolgungswut zeigen. Aber ebendarum ist sie eine nur um so gefährlichere Feindin geworden. Wenn sie ehemals in offenem Felde dem Glauben gegenüberstand, so hat sie sich jetzt mehr in Hinterhalte zurückgezogen, um unversehens aus ihnen hervorzubrechen, und die Pfeile der Versuchung auf unsere Seele abzuschießen; wenn sie ehemals den Christen das leibliche Leben durch offene, feindselige Gewalt zu rauben trachtete, so will sie jetzt uns fort und fort Christum und damit unser geistliches Leben durch Lockung und Verführung rauben; wenn sie ehemals der Christen irdisches Erbteil zerteilte und raubte, so will sie jetzt an unser ewiges sich wagen, und das Erbe uns rauben, das unbefleckt, unvergänglich und unverwelklich behalten wird im Himmel; und darum ist die Stellung eine viel gefährlichere; und deswegen bedürfen wir fortwährend ein Sicherheitsgeleite, das gleichsam als eine heilige Leibwache uns umgibt und uns hinausbringt durch diese Welt zur ewigen Sicherheit.

Und wir haben es; denn der Jesus sendet uns, der bei den Seinigen ist alle Tage bis an der Welt Ende; der Geist der Gnade den Er noch gibt bis auf den heutigen Tag, ist unsere Beilage und das Pfand unseres ewigen Erbes; und der Starke hält uns in Seiner allmächtigen Hand, davon geschrieben steht: der Arge wird euch nicht antasten (1 Joh. 5, 18.). Und so sind wir denn getrosten Muts und guter Zuversicht: der in uns angefangen das gute Werk, der wird es auch vollführen bis an den Tag Jesu Christi (Philipp. 1,6.).

Ja durch Gottesmacht sollen die, die an den HErrn glauben bewahrt werden zur Seligkeit, durch Gottesmacht, also dass sie mit einem Apostel Paulus rühmen und preisen und frohlocken können: ich bin‘s gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstentum noch Gewalt, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes, noch keine andere Kreatur mich scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christo Jesu ist, unserem HErrn (Röm. 8, 38. 39.).

Amen.

1)
Anna Nitschmann
2)
drohte
3)
August Gottlieb Spangenberg
Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/h/hofacker_w/hofacker_w_jubilate.txt · Zuletzt geändert: von aj
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain