Hofacker, Wilhelm - Am Christfeste - zweite Predigt.
Text: Ephes. 1, 3-8,
Gelobet sei Gott und der Vater unsers HErrn Jesu Christi, der uns gesegnet hat mit allerlei geistlichem Segen in himmlischen Gütern durch Christum. Wie Er uns denn erwählet hat durch denselbigen, ehe der Welt Grund gelegt war, daß wir sollten seyn heilig und unsträflich vor Ihm in der Liebe, und hat uns verordnet zur Kindschaft gegen Ihn selbst durch Jesum Christ nach dem Wohlgefallen seines Willens zu Lob seiner herrlichen Gnade, durch welche Er uns hat angenehm gemacht in dem Geliebten, an welchem wir haben die Erlösung durch sein Blut, nämlich die Vergebung der Sünden, nach dem Reichthum seiner Gnade, welche uns reichlich widerfahren ist durch allerlei Weisheit und Klugheit.
Gehe heraus und tritt auf den Berg vor den HErrn! Dieses Wort erging einst an Elias, als er auf dem Berge Horeb angelangt war, wo er einer Offenbarung Gottes gewürdiget werden sollte. Die Nähe des Unnahbaren that sich ihm kund in den Schrecken der im Aufruhr befindlichen Schöpfung, im Sturm, im Erdbeben, im Feuer. Aber der HErr war nicht im Sturme, nicht im Erdbeben, nicht im Feuer, sondern in dem stillen, sanften Sausen, bei welchem Elias sein Angesicht verhüllete, und in tiefer Beugung der Befehle seines Gebieters harrte. Die Schauer der Anbetung durchrieselten seine Gebeine; der enge Eingang der Felskluft, in welcher er sich befand, däuchte ihm zum Thor der Ewigkeit sich zu erweitern, und was er in diesen Augenblicken empfand, fühlte und kostete, war Vorschmack himmlischer Eindrücke und Vorgenuß der Kräfte einer zukünftigen Welt. Einer ähnlichen Offenbarung des HErrn, meine Lieben, werden wir an jedem Christfeste gewürdiget. Auch an uns ergeht da der Ruf: steige herauf auf die Zinne der Andacht und blicke nach Bethlehem und tritt vor den HErrn! Der Unnahbare ist dir da nahe geworden; der Unsichtbare in die Sichtbarkeit herausgetreten, der, Ewige auf die unterste Sprosse der Zeitlichkeit herniedergestiegen; und damit ja kein Schrecken und kein Zagen dich befalle, siehe! so hat Er alle Abzeichen seiner Majestät und Herrlichkeit von sich gethan, und ist dir in Armuth und Niedrigkeit entgegengekommen, und zeigt dir nun sein Antlitz in Demuth und Knechtsgestalt. Nicht im Gesetzesdonner vom Sinai her, nicht in den zuckenden Flammen seiner furchtbaren Zorngerichte, nicht im Schelten seiner Gerechtigkeit, vor dem auch der Erde Gründe beben: nein, im stillen sanften Sausen seiner holdseligen Freundlichkeit und Sünderliebe hat Er sich uns hier geoffenbart, auf daß die Zaghaften getrost, die Blöden muthig, die Schüchternen beherzt werden und mit Danksagung vor den Sohn der ewigen Liebe sich stellen, in welchem uns beucht hat der Aufgang aus der Höhe, auf daß Er unsere Füße richte auf den Weg des Friedens.
Es ist ein weiter und großartiger Gesichtskreis, der sich uns eröffnet, wenn wir an die Krippe zu Bethlehem treten und die Wunder ins Auge fassen, die hier unserem Geiste aufgeschlossen werden. Ein solcher Anblick erfordert aber eitel gläubige Herzen, wie dem Apostel Paulus eines inwohnte, der in unserer Epistel uns den Blick wunderbar zu schärfen und unsern Sehkreis ins Unendliche hinaus zu erweitern versteht. Seinen Fingerzeigen wollen wir folgen, wenn wir den weiten Gesichtskreis überschauen, welchen der heutige Festtag unserem Glaubensauge eröffnet.
Wir wollen untersuchen - wie weit zurück - - wie hoch hinan - - wie fern hinaus -
er uns schauen lehrt.
I.
1) Der heutige Festtag fordert uns vor allen Dingen auf, weit zurück zu blicken. Die Gedenktage, welche die Menschen hienieden feiern, beziehen sich meistens auf Begebenheiten, die erst vor Jahrzehenten oder höchstens vor einem Jahrhundert sich zugetragen haben. Wenn es hoch kommt, so sind es dreihundert Jahre, auf die man zurückgeht, als auf den Wendepunkt der neueren Zeit, wie z. B. bei den Erinnerungstagen der Reformation und ihrer Einführung. Weiter zurück gibt es selten einen allgemein wichtigen, der Feier und der Berücksichtigung werthen Gedächtnißtag. Es ist dieß auch natürlich. Denn je mehr man mit der großen Karawane der Menschheit bei ihrem Zug durch die Wüste der Zeit vorwärts schreitet, je mehr man sich von den für gewisse Völker und vergangene Geschlechter auch noch so wichtigen und bedeutsamen Weltbegebenheiten entfernt: desto mehr verlieren sie an Bedeutung für uns, die spät geborenen Enkel; desto mehr fallen sie der Geschichte und im gewöhnlichen Volksleben der Vergessenheit anheim. Auf der großen und weiten Ebene, welche die wandernde Menschheit hinter sich läßt, sieht man am Ende nichts mehr als Gräber, und auch diese werden von der Todtenschaufel der unaufhaltsamen Zeit geebnet und dem Erdboden gleich gemacht. So nun ist's mit dem Gegenstand unseres heutigen Festtages nicht. Er weist uns zwar zurück auf eine Begebenheit, die schon vor achtzehn Jahrhunderten sich ereignet hat; aber ihre volle, unverkümmerte Bedeutung hat sie durch alle achtzehen Jahrhunderte gleichmäßig behalten und wird dieselbe auch ungeschmälert fernerhin behalten bis aus Ende der Tage. Ja wenn die Welt auch Tausende von Jahren von jetzt an noch zu stehen hätte, wenn Hunderte und Tausende von Geschlechtern kämen und giengen, und wenn auch jedes kommende Jahrzehent immer denkwürdigere Begebenheiten zu bringen hätte: - die Begebenheit, deren Gedächtniß wir heute festlich begehen, wird nicht veralten, und alle kommenden Generationen werden noch, auch wenn schon der große Weltabend eingebrochen seyn wird, wie wir, zurückblicken nach Bethlehem, auf diese wunderbare Stätte des Segens und des Heils, auf diesen Schauplatz einer nach ihrer Höhe und Tiefe, nach ihrer Länge und Breite gleich unermeßlichen That des lebendigen Gottes. Denn Bethlehem ist die Mitte und der Wendepunkt der Zeiten. Wie auf diesen Punkt alles Sehnen und alles Verlangen der Väter des Alten Bundes vorwärts gieng; wie ihr hoffender Glaubensblick auf diesem Städtlein ruhte, von wo der Stern Jacobs aufleuchten und die Sonne der Gerechtigkeit aufgehen sollte mit dem Heil unter ihren Flügeln: - so blicken wir jetzt rückwärts auf diesen Glanzpunkt der Offenbarungen Gottes, auf diesen theuren Mutterort unserer heiligsten Glaubensgüter. Gelobet sey Gott und der Vater unsers Herrn Jesu Christi, der uns gesegnet hat mit allerlei geistlichem Segen in himmlischen Gütern durch Christum - so ruft deßwegen mit heiliger Inbrunst der Apostel beim Blick auf die Segensfülle aus, die der Erscheinung Jesu Christi entströmte und mit heiligen Gnadengüssen über die Menschheit sich ausbreitete. So muß aber auch unser Herz mit Dank und Freude sprechen, wenn unser Auge auf Bethlehem ruht, wo für uns die ewig reiche Quelle des Heils, des Friedens, des ewigen Lebens entquollen ist. Das Licht, das uns jetzt umstrahlt im Thal der Todesschatten, der Trost, der Uns jetzt erquickt in unsern Kümmernissen, der Friede, der uns emporrichtet im Druck der Welt, die Kraft, die uns von Oben herab zu Theil wird in aller Schwachheit, der Glaube, der uns stark macht in der Anfechtung, die Hoffnung, die unser Haupt mit einem Siegeskranz umzieht selbst im letzten Kampf: wo ist die letzte Quelle von allen diesen Segnungen zu suchen und zu finden? wo anders als in Bethlehem? wo anders, als in jener That der ewigen Liebe, kraft der sie arm wurde, um uns zu bereichern, niedrig, um uns zu erhöhen, verachtet, um uns zu Ehren zu bringen, ein Kind des Staubes und des Todes, um uns, zur Herrlichkeit und zum Leben emporzuführen. Ja, in jenem kleinen Städtlein ist ein Segensstrom entsprungen, der alle Jahrhunderte durchwandern, alle Herzensfluren bewässern, alle Durstende und Schmachtende laben kann und an dessen fruchtbarem Gestade wir friedlich uns anbauen dürfen, ohne jemals Mangel zu leiden an irgend einem Gute. Und darum ziemt es sich, daß wir heute, auf jene Segensstätte rückwärts blickend, in die Harfe des Dankes greifen und mit Paulus frohlocken: Gelobet, gelobet sey Gott, der Vater unsers HErrn Jesu Christi, der uns gesegnet hat mit allerhand geistlichem Segen in himmlischen Gütern durch Christum. -
2) Jedoch auch mit Bethlehem haben wir den letzten Punkt noch nicht erreicht, auf den unser heutiger Festtag uns. zurückweist. Wir müssen die Fernröhre des Glaubens noch einmal an unser Auge nehmen, und Von Paulus in unserem Texte in einen noch viel tieferen Hintergrund uns zurückweisen lassen. Die Menschwerdung Gottes in der Fülle der Zeit, das tiefe, gottselige Geheimniß: „Gott ist geoffenbaret im Fleisch,“ ist kein Einfall von gestern her, sondern ein Rathschluß von Ewigkeit. Darum fügt Paulus seinem Lobpsalme das tiefe und bedeutsame Wort bei: wie Er uns denn erwählt hat durch Christum vor Grundlegung der Welt. Ihr sehet, meine Lieben, wir haben über Bethlehem hinaus noch eine gute Strecke weiter rückwärts zu blicken, nämlich in die heiligen, unermeßlichen Räume der Ewigkeit. Das, was in Bethlehem geschah vor 1800 Jahren, das war nur die Ausführung dessen in der Zeit, was seit den ewigen Ewigkeiten im Plane der himmlischen Weisheit und Liebe gelegen. Ehe ein Stein von Bethlehem aufgerichtet war, ehe ein Abraham seine Heerden durch die Gaue Canaans trieb, ehe ein Adam geschaffen und gefallen war, selbst ehe die Fundamente der Erde und der Welt gelegt worden waren, ja ehe noch ein Seraph vor Gott stand: - damals schon war diese That der ewigen Liebe beschlossen, damals schon dieses Wunder der Herablassung des dreimal Heiligen zum Heile der Sünder verordnet, damals schon die Mitte der Zeiten ausersehen, in welcher das Leben erscheinen und heilend und verklärend die Menschheit durchdringen sollte. Unser Glaubensblick schaut deßwegen heute mit Staunen zurück in die Fernen der unendlichen Ewigkeit. Aber nicht leer und öde liegt sie vor uns; nicht in einer unterschiedslosen, nebelgrauen Weite verliert sich unser Auge. Nein! sie ist, wie der sternbesäete Himmel in den tausend und aber tausend Lichtern, die er angezündet, dem Auge immer wieder Ruhepunkte bietet, besäet und bevölkert mit lauter Friedensgedanken einer grundlosen Erbarmung und Liebe. Wie etwa ein liebendes Elternherz schon Tage und Wochen vor Weihnachten sich mit dem Gedanken beschäftigt, wie es seine Lieblinge überraschen und erfreuen wolle, wie es sich im Geiste schon weidet an der Freude, die es zu bereiten gedenkt: so beschäftigte sich - um menschlich davon zu reden - die ewige Vaterliebe unsers Gottes, ehe noch die Menschheit geschaffen war, mit dem Gedanken an die höchste und herrlichste Weihnachtsgabe, die Er der armen, tiefgefallenen Welt einst bescheeren wolle, mit der Dahingabe des Sohnes, als des thatsächlichen Pfandes Seiner unendlichen Huld und Gnade. Und darum hat wohl ein Johannes recht, wenn er trunken von den Lebensblicken, die er in die Tiefen der Gottheit thut, nur auszurufen vermag: Gott ist die Liebe. Darum hat wohl ein Paulus recht, wenn er, staunend über das Wunder der Liebe Gottes in Christo, den vollwichtigen Schluß zieht: welcher Seines eigenen Sohnes nicht hat verschonet, sondern hat Ihn für uns Alle dahingegeben, sollte der uns mit Ihm nicht Alles schenken? Und nun verstehen wir auch, warum der Heiland selber, ergriffen von einem heiligen Schauer der Bewunderung, ausrief: also, also hat Gott die Welt geliebt, daß Er ihr Seinen eingebornen Sohn gab. Ja in der That - beim Rückblick auf die Wunderthat der ewigen Liebe, die in Bethlehem sich ereignete, bei dem Rückblick auf den Rathschluß der himmlischen Weisheit und Gnade, die diese That seit Ewigkeit her verordnet hat, bleibt uns nichts übrig, als anbetend niederzufallen und zu sagen:
O ewiger Abgrund der seligen Liebe
In Jesu Christo aufgethan!
Wie brennen, wie flammen die feurigen Triebe,
Die kein Verstand begreifen kann!
Wen liebest Du? Sünders die schnöde Zucht.
Wen segnest Du? Kinder, die Dir geflucht.
O gutes, o seliges, o heiliges Wesen,
Du hast Dir was Schlechtes zur Kindschaft erlesen!
II.
1) In eine unabsehbare Weite heißt uns also unser heutiger Festtag zurückblicken; aber auch zu einer schwindelnden Höhe nöthigt Er uns hinabzuschauen. Auf den ersten Blick zwar scheint diese Zumuthung eine widersprechende und ungegründete. Denn der HErr selber, auf den ja vor Allem das Auge des Glaubens gerichtet seyn muß, erscheint uns am heutigen Festtag nicht als der HErr in der Höhe, sondern als das schwache Menschenkind im Staube. Heute sehen wir Ihn nicht vor uns, wie Ihn Jesajas (Jes. 6, 1. Joh. 12,41.) sah, mit Licht, und Klarheit umflossen und mit Himmelsglorie angethan; auch nicht wie die Jünger Ihn sahen auf dem Thabor oder auf dem Himmelfahrtsberge. O nein! Er liegt vor uns in der Krippe der Selbstentäußerung, im Schooße der Armuth, in den Windeln der Niedrigkeit. Wir sehen Ihn in einer Tiefe, vor der wir uns entsetzen müssen. Denn tiefer herab konnte der Ewige, der Schöpfer aller Dinge, nicht steigen, als daß Er ein lallendes, ein wimmerndes Kind wurde, das nicht einmal Aufnahme fand in seinem Eigenthum. Nein! wenn irgendwo, so erscheint hier der HErr auf der untersten Stufe Seiner Erniedrigung. Aber dagegen auf einer um so erstaunlicheren Himmelshöhe erblicken wir in Bethlehem unsere arme, schwache, sündige Menschennatur,. die nicht höher geehrt, nicht herrlicher geadelt werden konnte, als durch die Menschwerdung des eingebornen Sohnes Gottes. In dieser unbegreiflichen Herablassung haben wir den unzweideutigsten, mit einem ewigen Gottessiegel versehenen Adelsbrief vor uns, welcher der herabgekommenen, in Schmach und Verachtung versunkenen Menschenfamilie vom höchsten Herrscherstuhle aus wieder zugefertigt worden ist. Seitdem wir Ihn, den Sohn des Höchsten, zu unserem Geschlechte zählen dürfen, seitdem Er sich nicht geweigert hat, unser Fleisch und Blut an Sich zu nehmen und uns in Allem gleich zu werden, ausgenommen die Sünde: seitdem haben wir die in Adam verlorne Menschenwürde wieder erlangt; seitdem sind wir in alle Rechte und Ehren, die wir durch seine und unsere Schuld eingebüßt, wieder eingesetzt, und an unserem Menschennamen haftet vor Gott und allen heiligen Engeln kein Mackel und lein Flecken mehr. Wir haben ja an Ihm, wie Paulus in unserer Epistel sagt, die Erlösung durch Sein Blut, nämlich die Vergebung der Sünden. Seine sündlose Geburt heiligt unsere sündliche Geburt, Seine Kindheit unsere Kindheit, Sein Jünglingsalter unser Jünglingsalter, Sein Mannesalter unser Mannesalter, Sein Leben unser Leben, Sein Leiden unser Leiden, Sein Wandel unsern Wandel, Seine Arbeit unsere Arbeit, Sein Tod unsern Tod. Was wir in Adam verloren, ist in Christo erstattet; der Bann ist gelöst, der Fluch getilgt, dem Verderben gesteuert, Gerechtigkeit und Friede wiedergebracht. Hallelujah!
Am Christfeste feiert die Menschheit ihr Wiedergenesungsfest von einer langen und furchtbaren Krankheit. Das Gift der Sünde war ihr in das innerste Lebensmark gedrungen; der Aussatz der Uebertretung an allen ihren Poren und Gliedern herausgetreten; sie wurde eine Beute des Verderbens, ein Raub des Todes. Da half kein Gesetz und keine Drohung, keine Verheißung und kein Lohn, da half nur Eines - die Einpflanzung eines neuen Lebensreises in den alten verdorrten Stamm; und siehe! mit ihm begann das Alte sich wieder zu verjüngen, das Verdorrte sich wieder zu belauben und das Abgestorbene zu grünen und zu blühen; und jetzt steht er noch im Garten der Liebe Gottes, der Menschheitsbaum, um seine Frucht zu spenden zu seiner Zeit. O frohlocke, mein Herz, daß du auch ein Schoß bist an diesem erneuerten Stamm! freue dich, daß Der, der das Leben der Menschheit ist, auch in dich Sein Leben und Seinen Geist gegeben hat, dadurch du genesen und wiederhergestellt werden kannst zu unvergänglicher Jugendblüthe! Christus verwelket nicht, darum wirst auch du nicht verwelken! Laß auch verblühen deines Leibes Gestalt, laß auch zum Grabe sich neigen dein, verweslich Gebein, ja laß auch deines Geistes Kräfte sich verzehren und walten im irdischen Jammerthal: Christus ist dem Leben; darum wirst auch du leben und nicht sterben und die Frucht des Dankes und der Anbetung als heiliges Lobopfer Ihm einst noch zu Füßen legen.
2) So hoch hinan läßt uns das Christfest schauen. Aber glaubt ihr nun, meine Lieben, damit haben wir die Spitze dieser Höhe erreicht? Mit Nichten. Noch höher hinan heißt uns unser heutiger Festtag blicken. Nicht blos erstattet, nicht blos wiedergebracht ist uns durch die Menschwerdung des Sohnes Gottes, was wir durch unsern tiefen Fall verloren haben; noch weit mehr, noch überschwänglich Größeres hat die ewige Liebe an geistlichen Segnungen und an himmlischem Heil uns in den Schooß geschüttet. Nicht blos den alten Adel hat sie uns erneuert, aus dem wir herabgesunken waren; nein! sie hat uns gekrönet, königlich gekrönt mit Gnade und Barmherzigkeit. Davon ist das Herz des Apostels so voll, wenn er in unserer Epistel sagt: Er hat uns angenehm gemacht in dem Geliebten und hat uns verordnet zur Kindschaft gegen Sich selbst, auf daß wir sollten seyn heilig und unsträflich vor Ihm in der Liebe.
Ja, meine Lieben, durch den Sohn der ewigen Liebe, der sich heute mit unserer Menschheit vermählt hat und in eine innig nahe und unauflösliche Gemeinschaft mit ihr getreten ist, werden wir vor den Vater der Herrlichkeit gestellt nicht blos wie ein armer Sünder, der Gnade erlangt, nicht blos wie ein Verbrecher, gegen den das Todesurtheil aufgehoben wird, nicht blos wie ein Schuldner, dem seine Schuldenmasse getilgt, und bei dem das Gerichtsverfahren eingestellt wird; - nein! in dem Geliebten sind wir nun angenehm vor dem Vater) wie königliche Söhne, die der erstgeborene Bruder nach langer Verbannung vor das Angesicht des versöhnten Vaters zurückbringt, wie ebenbürtige Kinder, die wiederum eingesetzt werden in den Besitz aller Reichs- und aller Gnadenschätze, wie rechtmäßige Erben, die berufen sind mitzuherrschen und mitzuregieren. Das ist die herrliche Höhe, zu der die Menschwerdung des Sohnes Gottes uns führen will; wir sollen seyn Söhne Gottes und Erstlinge der Creaturen also daß selber die Engel Gottes uns beneiden müssen um das Diadem der Gnade, das unsere Stirne ziert, und um den Siegelring des väterlichen Wohlgefallens, dessen wir uns in Christo freuen, als theilhaftig geworden der göttlichen Natur. Und hier sind wir denn wirklich bei dem Gipfelpunkte, bei der Krone aller Wunder Gottes angelangt. Das ist die äußerste Gedankenhöhe, die ein Menschengeist in seliger Glaubens-Gewißheit ersteigen kann. Zu unsern Häuptern ist da ungetrübter und ewiger Sonnenschein; zu unsern Füßen liegt die Welt; wir selber aber sind Könige und Priester in Gottes Reich. Söhne des Staubes sollen Söhne Gottes, Kinder des Todes Herren der Schöpfung, Erben des Verderbens Erben der Herrlichkeit seyn. Armes Volk des HErrn, noch mit so manchem Elend der Sünde belastet, und meist mit gebeugtem Haupt im Thal der Todesschatten wandelnd, zu dieser heiligen Höhe blicke hinan, zu der du erkoren bist in Christo Jesu! Durch diesen Blick erhebe dich stets wieder aufs neue zum schönen Siegeslauf! Dann wird es dir nicht mehr so schwer werden, den Staub der Sünde, der dir immerdar anklebet und dich träge macht, von dir zu schütteln; und auch die Leiden dieser Zeit werden dir hinfort nicht zu gewichtig dünken, um sie mit hoffender Geduld zu tragen in diesem irdischen Prüfungsstande; sind sie doch nicht werth der Herrlichkeit, die an dir soll geoffenbaret werden. Ja auch der Tod wird nicht mehr blos als das Gespenst der Schrecken und des Grauens dir erscheinen, wenn du ihn im Spiegel der Erniedrigung Christi beschaust; du wirst in ihm die Pforte des Lebens erkennen, durch welche hindurch Jesus dich zum wahrhaftigen Leben und zu himmlischer Vollendung führt. Denn
In Ihm ist nun die Menschheit ausgesöhnet,
Die Reinigkeit der Seele wiederbracht;,
Sie ist als Braut der Gottheit nun gekrönet,
Da sie der Himmel selbst so herrlich macht,
Die Menschheit ist nun ganz erneut,
Und als ein reiner Thron der Gottheit eingeweiht.
III.
Zu einer unermeßlichen Höhe läßt die Geburt Christi uns hinanblicken; aber endlich auch noch hinaus in eine weite Ferne; und das sey das Letzte, worauf sich noch unsere Aufmerksamkeit lenkt.
1) Der große und anbetungswürdige Rathschluß der Erlösung und Versöhnung im menschgewordenen Gottes-Sohne ist bei weitem noch nicht vollendet. Nur erst einige Aeste und Zweige am großen Menschheitsbaume bringen ihre Blüthen und Früchte zum Preise Gottes; nur erst Anfange dazu sind gemacht, den Brachacker der Welt anzubauen und ihn zu einem Garten Gottes umzuwandeln. Die ersten Weihnachtsprediger, die lieben Engel, die den Heiland so festlich begrüßten, haben mit ihrer Predigt noch keinen allumfassenden Anklang gefunden. Sie sangen: „Ehre sei Gott in der Höhe!“ und siehe! in der Tiefe da unten wollen noch so wenig Menschenherzen mit Wort und That in diesen Lobpsalm einstimmen. Sie sangen: „Friede auf Erden“ und stehe! die Geißel des Kriegs wird noch über Nationen und Völker geschwungen und Zank und Streit entzweit noch Tausende von Gemüthern. Sie sangen: „an den Menschen ein Wohlgefallen“ und siehe! an wie Wenigen kann der Vater der Herrlichkeit ein wirkliches Wohlgefallen haben als an geheiligten Gefäßen Seiner Gnade, als an lebendigen Gliedern des Leibes Christi, als an blühenden Neben des heilbringenden Weinstocks! Ja ganze Länder und ganze Volksgebiete gibt es noch auf dem weiten Erdenrund, wo die Festglocke des heutigen Tags nicht ertönte, die Weihnachtskerze des Evangeliums noch nicht angezündet wurde, und der Tisch der himmlischen Bescheerung noch nicht sich gedeckt hat. Wird es so bleiben auf Erden? wird in alle Jahrtausende hinein Dunkelheit die Erde bedecken und Todesschatten die Völker? Auf diese Frage antwortet unser heutiger Festtag nicht mit Worten, sondern mit Thatbeweisen. Hebet eure Augen auf, spricht er zu uns, und sehet in das Feld; es ist schon weiß zur Erndte! Hat Gott einmal das größeste aller Wunder gethan, hat Er sich selber, als das wahrhaftige Leben, der Menschheit eingepflanzt und eingesenkt: - gewiß, dann kann Er es auch an dem daraus fließenden Wunder nicht fehlen lassen, einen neuen Schöpfungs-Odem über die Gefilde wehen zu lassen und das Erstorbene zum Leben zu rufen. So gewiß Christus Fleisch und Blut an sich genommen hat, und an Geberden als Mensch erfunden ward: so gewiß muß auch die Menschheit nun erneuert werden zum göttlichen Ebenbilde. Und wenn der HErr Anfangs auch nur erst einzelnen Zweigen und Reisern Seinen Geist und Sein Leben mitgetheilt hat: - Seine Kraft wird gewiß nach und nach auch auf die übrigen Menschheits-Aeste überströmen und endlich den ganzen Stamm durchdringen, bis der unausforschliche Reichthum Christi an den Menschenkindern offenbar wird, und Gottes mannigfaltige Weisheit und Güte an ihnen ihr Verklärungsfest feiert. Denn
Es kann nicht Friede werden
Bis Seine Liebe siegt,
Bis dieser Kreis der Erden
Zu seinen Füßen liegt,
Bis Er im neuen Leben
Die ausgesöhnte Welt,
Dem, der sie Ihm gegeben,
Vor's Angesicht gestellt.
Ja, meine Lieben, heute dürfen wir, gestellt auf den hohen und sichern Felsen der Verheißung, hinausschauen auf die Vollendung der Menschheit im Großen; unser Geist darf sich an der herrlichen Hoffnung laben, daß einst vom Aufgang bis zum Niedergang nur Eine Sprache gesprochen werden wird, die Sprache des Glaubens, und nur Ein Gesetzbuchs gelten wird, das Gesetz der Liebe, und nur Ein Name groß und herrlich seyn wird, der Name Dessen, welchem der Vater Alles in Seine Hand gegeben hat, und welchem die Ehre gebühret in Ewigkeit.
2) Aber auch hiemit haben wir das noch nicht erschöpft, was unserer Hoffnung heute vorgehalten wird. Nicht nur die Vollendung der Menschheit im Großen ist uns durch die Menschwerdung des Sohnes Gottes verbürgt: nein! der Gläubige sieht dadurch auch der Hoffnung auf seine eigene Vollendung ein unverbrüchliches Siegel beigedruckt. Niedrig und armselig geschieht stets die geistige Geburt des neuen Menschen. Wie lange oft muß der HErr an die Herzensthüre pochen, bis sie endlich sich öffnet! Und wenn Er dann endlich eine Stätte gefunden hat, wo Er wohnen kann, wie liegt da nicht ein vollkommener Gottesmensch, sondern vorerst nur ein wimmernder Säugling in der traurenden und bußfertigen Seele, hülflos und schwach, dessen Gliedmassen erst allmälig erstarken müssen, dessen Einsicht in das volle Licht der Wahrheit und Gnade in Christo nur nach und nach sich erweitern kann. Wie niedrig ist das Hüttendach, das. der HErr auch unter uns noch fort und fort zu Seiner Geburtsstätte erwählt, wie Seiner so unwürdig die Herzenskrippe, in der neben Ihm manche unedle Leidenschaft und Begierde stets noch ihre thierische Nahrung sucht! Und wie leicht wird nun bei solchen Erfahrungen vom inwohnenden Verderben und von dem noch immer sich regenden Gesetz der Sünde in ihren Gliedern der Muth des inwendigen Menschen niedergeschlagen, der freudige Glaube gelähmt und unser Fleiß im Werk der Heiligung in Trostlosigkeit verwandelt, weil wir, statt vorwärts, rückwärts zu schreiten meinen, weil unsere Erkenntniß so schwach, unsere innere Erfahrung so beschränkt, unser Wille zum Guten so wetterwendisch und ungelenk bleibt. Aber nur getrost! die Müden und Verzagten dürfen Muth fassen.
Denn wo Jesus ist geboren
Da erweiset sich gar bald
Seine göttliche Gestalt.
So gewiß das schwache und zarte Jesuskind wuchs und stark wurde, also daß Ihm Seine Krippe zu klein, der Stall zu eng ward und Sein Name wie eine ausgeschüttete Salbe ganz Judäa durchdrang: so gewiß will auch Christus in dir wachsen, und zwar eben dadurch, daß d u abnimmst. Entleere dich vor dir selbst, hat ein großer Kirchen-Lehrer gesagt, so wird Er dich füllen; schweige, so wird Er in dir reden; ruhe, so wird Er in dir wirken. Denn auch von dir soll gesagt werden können, was von der Gemeinde Christi im Großen gilt: siehe da! eine Hütte Gottes bei den Menschen; Er will in ihnen wohnen, sie sollen Sein Volk seyn und Er, Gott mit ihnen, wird ihr Gott seyn.
Darum freue dich, mein Geist, am heutigen Tage! Du hast ein Recht, den Hoffnungs-Anker aufs Neue in Christum zu senken und den großen Trost mit frischer Freude dir zuzueignen:
Was noch jetzo an dir klebet,
Wird nicht ewig an dir bleiben;
Jesus wird es schon vertreiben,
Wenn Er dich in Sich erhebet!
Es wird eine Zeit kommen, wo du nicht mehr sündigen, deinen HErrn nicht mehr betrüben, sondern in deinem Gewissen vollendet mit Ihm eins seyn wirst, wie der Vater und der Sohn eins sind in Ewigkeit. Ja auch dein verwesliches Gebein soll dann anziehen die Unverweslichkeit und so gewiß Christus die ganze menschliche Natur nach Leib, Seele und Geist in das himmlische Wesen verklärt hat: so gewiß wird auch dein nichtiger Leib Theil haben an der künftigen Verherrlichung; auch du wirst einst als vollkommener, zum Ebenbilde Gottes erneuerter Mensch dargestellt werden durch Christum vor dem Vater heilig und unsträflich in der Liebe.
Du sollst ein Kind des Höchsten seyn,
Ein reiner Glanz, ein Licht im großen Lichte!
Wie wird der Leib so stark, so hell und rein,
So herrlich seyn, so lieblich von Gesichte,
Dieweil dich da die wesentliche Pracht
So herrlich macht!
Da wird das Kind den Vater sehen,
Im Schauen wird es Ihn mit Lust empfinden;
Der lautre Strom wird es da ganz durchgehen,
Und es mit Gott zu Einem Geist verbinden.
Wer weiß, was da im Geiste wird gescheh'n?
Wer mag's versteh'n?
Amen.