Hofacker, Ludwig - Predigt am Christtage
Text: Luc. 2,1-14.
Es begab sich aber zu der Zeit, daß ein Gebot vom Kaiser Augustus ausgieng, daß alle Welt geschätzet würde. Und diese Schätzung war die allererste, und geschah zu der Zeit, da Cyrenius Landpfleger in Syrien war. Und Jedermann gieng, daß er sich schätzen ließe, ein Jeglicher in seine Stadt. Da machte sich auch auf Joseph von Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land, zur Stadt Davids, die da heißet Bethlehem; darum, daß er von dem Hause und Geschlechte Davids war, auf daß er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe, die schwanger war. Und als sie daselbst waren, kam die Zeit, daß sie gebären sollte. Und sie gebar ihren ersten Sohn, und wickelte ihn in Windeln, und legte ihn in eine Krippe, denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge. Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bey den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Heerde. Und siehe, des HErrn Engel trat zu ihnen, und die Klarheit des HErrn leuchtete um sie, und sie fürchteten sich sehr. Und der Engel sprach zu ihnen: „fürchtet euch nicht, siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der HErr, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen: ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt, und in einer Krippe liegen.“ Und alsbald war da bey dem Engel die Menge der himmlischen Heerschaaren, die lobeten Gott und sprachen: „Ehre sey Gott in der Höhe, und Friede auf Erden, und den Menschen ein Wohlgefallen!“
Heute feyern wir das Geburtsfest unseres hochgelobten Erlösers. Es ist dieses Fest der Grund aller übrigen christlichen Feste; wenn wir diesen Tag nicht feyern dürften, so würden alle andern christlichen Feste ungefeyert bleiben; ja, was sage ich? wäre Christus nicht geboren, ich achte, die Welt würde nicht mehr seyn; der rächende Eifer des Allmächtigen hätte sie schon lange in ihren Sünden verzehrt. Aber, Gott Lob! der HErr ist geboren. Ehre sey Gott in der Höhe! der Heiland ist geboren.
In unsern Gegenden paßt die Bedeutung dieses Festes und die Zeit, in der es gefeyert wird, recht gut zusammen. Wir haben gegenwärtig die kürzesten Tage, viel Nacht, wenig Tag. So sah es aus, als Christus auf Erden erschien; so sieht es noch jetzt allenthalben und in jedem Herzen aus, wo noch nichts von der Menschwerdung Gottes gehört und erfahren worden ist. Finsterniß decket eben das Erdreich und Dunkel die Völker und die Herzen; es ist Winter im Herzen, bevor die Sonne der Gerechtigkeit darin aufgeht. Aber die Sonne des Lebens hat sich dem armen Menschengeschlechte zugewendet. Wie gegenwärtig die Sonne anfängt, sich der Erde wieder zu nähern, wenn man so sagen darf; denn der kürzeste Tag ist schon vorüber: so hat sich in Christo die Sonne der Geister der Welt zugewendet und genähert, die Alles belebende, erleuchtende, erwärmende Sonne, ohne welche Alles todt und erstarrt in Sünden ist und bleibt.
O liebe Zuhörer! was für eine Wohlthat ist uns widerfahren in dem, daß der Sohn Gottes Mensch wurde!
Wär' uns dieß Kindlein nicht geboren,
Wir wären allzumal verloren.
Welche Zeit wird lang genug seyn, um die Größe dieser Wohlthat, dieser ewig unaussprechlichen, dieser herablassendsten Barmherzigkeit Gottes hinlänglich zu fassen und zu erwägen? Wo werden die Geister der vollendeten Gerechten Worte hernehmen, um Gott für Sein in Christo offenbar gewordenes ewiges Erbarmen zu preisen? Auch wir sind zu diesem seligen Geschäfte berufen. Wir haben Ursache dazu, so gut als die, welche schon Sein Angesicht schauen. Darüber wollen wir weiter nachdenken, indem wir von der Botschaft, die der Engel nach unserem Evangelium den Hirten gebracht hat, die Worte betrachten:
Fürchtet euch nicht, siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volke widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren!
O hochgelobter Heiland! heute feyert die Christenheit Dein Geburtsfest; heute mußt Du uns auch einen rechten Christtags-Segen geben. Siehe an unsere Armuth. Siehe an, wie kalt und winterlich es in unsern Herzen aussieht. Wir bedürfen wohl einer Auffrischung und Erneuerung im Geiste, das weißest Du. Ach, HErr, schenke uns, was wir bedürfen, aus Gnaden und um Deiner heiligen Geburt und Menschwerdung willen! Amen.
„Fürchtet euch nicht“, - so begann die Rede des Engels an die erschrockenen Hirten - „fürchtet euch nicht!“ Der Grund, warum sich die Hirten fürchteten, war sehr natürlich; denn kurz zuvor hieß es: „siehe, des HErrn Engel trat zu ihnen, und die Klarheit des HErrn umleuchtete sie.“ Wir müssen uns in die Lage der Hirten hineindenken. Sie hüteten ihre Heerde auf dem Felde in aller Ruhe. Schon viele Nächte hatten sie auf dem Felde zugebracht, ohne daß ihnen etwas Besonderes begegnet wäre. Nun verbreitet sich auf einmal ein himmlischer Glanz um sie; es wird sonnenhelle in der finsteren Nacht; die Klarheit des HErrn umleuchtet sie, und ein himmlischer Bote tritt zu ihnen. Da fürchteten sie sich, wie es geschrieben stehet, mit einer großen Furcht. Durch die Sünde sind wir in das Fleisch gesunken, und dieses Fleisch kann sich nun nur entsetzen, wenn etwas aus einer höheren Welt, das nicht Fleisch an sich hat, sich ihm nähert. So entsetzten sich die Hirten bey'm Anblick der himmlischen Erscheinung, daher die Worte des Engels: „fürchtet euch nicht!“
Aber es ist doch sehr merkwürdig, daß die Botschaft, die den Eintritt des HErrn in die Welt verkündigte, ihr Evangelium mit den Worten anfieng: „fürchtet euch nicht!“ Denn wie das Nachfolgende in den Worten: „euch ist heute der Heiland geboren!“ einen tieferen allgemeineren Sinn hat, und sich eigentlich nicht bloß auf die Hirten, sondern auf die ganze Menschheit bezieht; wie, wenn ich mich so ausdrücken darf, die Hirten bey den Worten: „euch ist heute der Heiland geboren“, nur die Repräsentanten der ganzen Menschheit waren, so auch hier bey dem Worte: „fürchtet euch nicht!“ Dieses Wort ist der ganzen Menschheit gesagt; es ist, wie wenn der Engel des HErrn uns und allen Menschen am heutigen Tage zuriefe: Ihr Menschenkinder, fürchtet euch nicht!
Liebe Zuhörer! Seid Adam von Gott abfiel, und sein Geschlecht den Namen der Sünder führt, seitdem lebt der Mensch, der die Versöhnung durch Christum nicht empfangen hat, in lauter Furcht und Angst; er ängstet sich und fürchtet sich vor Gott, wie sich ein Missethäter vor dem Richter und Scharfrichter fürchtet; er fürchtet sich vor dem Tode, was die tägliche Erfahrung zeigt, und auch die Schrift bestätigt (Hebr. 2,15.); er fürchtet sich vor dem Gerichte und der Offenbarung seines Inwendigen; es ist in jedem Menschen, auch in dem rohesten, ein heimliches Warten, ein heimliches Abängsten und Unwohlseyn auf den Tag des Gerichts und des Feuereifers, der die Widerwärtigen verzehren wird. Dazu kommt noch viel Angst und Furcht, die aus dem Aeußerlichen entsteht, durch die Feindseligkeit und den Schrecken der Elemente, durch andere Menschen, durch Glücksumstände und dergleichen, so daß es ein erprobtes Wort ist, was die Bibel sagt: „des Menschen Leben ist lauter Furcht, Sorge, Hoffnung.“ Dieser Zustand des Menschen hat seinen wahren Grund im bösen Gewissen. Vor dem Falle fürchtete sich der Mensch vor nichts; denn er stand in der innersten Gemeinschaft mit seinem Schöpfer, und „ist Gott für uns, wer mag wider uns seyn?“ Nach dem Falle fürchtet er sich vor Allem, denn er hat ein böses Gewissen; weil er ein Sünder ist, so traut er seinem Gott keine Friedensgedanken, sondern lauter Gedanken des Zorns und der Rache über ihn zu. Sehet unsere ersten Eltern im Paradiese. Als sie in die Sünde gewilligt hatten, da hörte das vertrauliche Verhältniß zwischen ihnen und dem HErrn auf; sie verkrochen sich vor Ihm, als sie Seine Nähe merkten; und Adam gab als Grund davon an: „ich hörte Deine Stimme im Garten, und fürchtete mich.“ Sehet, das ist unser Zustand; so ist's geschrieben in unserem Inwendigen; so lange eine Seele die Versöhnung unter dem kreuze Christi nicht geschmecket hat: so lange stehet sie in einer knechtischen, unerträglichen Furcht vor dem HErrn; es ist kein Zutrauen zu Ihm vorhanden, auch nicht das mindeste.
Ich weiß wohl: unsere, wie sie meint, aufgeklärte Christenheit läugnet diese Wahrheiten in unsern Tagen. Man spricht viel von einem guten Vater, der so gutmüthig sey, daß er seinen ungezogenen und mißrathenen Söhnen kein finsteres Gesicht machen könne, der aus sich machen lasse, was seine boshaftigen Buben nur wollen; man spricht auch viel von gutgearteten Kindern, die freilich ihre Schwachheiten an sich haben, mit welchen sie es indessen nicht so genau zu nehmen brauchen, weil der herzgute Vater es nicht so genau damit nimmt; man muß, wenn man die Neueren hört, darüber erstaunen, was die gebornen Sünder und Kinder des Zorns und des Teufels für eine Liebe zu Gott haben, in welch' gutem Einverständniß sie mit Ihm leben müssen. Liebe Zuhörer! alle diese Lügen sind nichts als Versuche, welche die Kinder der Verdammniß anstellen, um die inwendige Angst ihrer Seele und das laute Schreyen nach Erlösung und nach Vergebung der Sünden, das in jedem Menschen ist, er mag's glauben oder nicht, zum Schweigen zu bringen; um die Stimme der Wahrheit im Herzen zu übertäuben. Und das nennen sie Weisheit. Aber überfirnisset nur euer Inwendiges; leget nur eure, wie ihr meinet, heilenden Pflaster auf euren bösen Schaden; stellet euch nur, wenn ihr diese Pflaster aufgelegt habt, wie wenn ihr rein und gesund wäret; fahret fort in eurem Wahne, so lange ihr könnet; siehe, es kommt ein Tag, ein Tag der Wahrheit, ein Tag der Offenbarung, da wird die Schminke herunterstäuben von eurem Todtengesichte, und ihr werdet offenbar werden als das, was ihr seyd, als Leute des Verderbens, als Verfluchte, die dem andern Tode verfallen sind.
Liebe Zuhörer! Zu der Nachricht, daß der lebendige Gott Mensch geworden, und auf dieser Erde erschienen sey, gehört das Wort: „fürchtet euch nicht!“ Wenn uns Sündern die Botschaft gebracht würde: der allmächtige Gott ist auf diese Welt gekommen, und es würde nicht noch etwas Tröstliches zu dieser Botschaft hinzugesetzt, was würde wohl der erste Gedanke unsers Herzens dabey seyn? Gewiß würde Jeder, der bey sich selber ist, der nicht gerade im Träume, im Sünden-Träume, läuft, ein jeder denkende und gottesfürchtige Mensch würde sich grausam entsetzen; er würde denken: der HErr ist zum Gerichte gekommen; Er will unsere Sünden, meine alten Sündenschulden will Er heimsuchen. Aber nun höret den Engel: „fürchtet euch nicht!“ Dieß ist sein erstes Wort; dieß steht vornen an der Nachricht von der Menschwerdung Gottes. Fürchtet euch nicht, ihr armen Hirten; fürchte dich nicht, du Volk Israel, das durch lange Zeiträume hindurch den Zorn des HErrn auf sich geladen hat, und zu Seinen Gerichten heranreift; fürchtet euch nicht, ihr Sünder, ihr großen Sünder, ihr alten Sünder, ihr schrecklich verschuldeten Sünder, ihr Leute, die ihr den Fluch angezogen hattet wie ein Hemd, ihr Seelen, denen Moses schon den Stab gebrochen hat, fürchtet euch nicht.
Der Geburtstat unseres HErrn ist nicht ein Tag der Furcht, sondern ein Tag der Freude. „Siehe, ich verkündige euch große Freude!“ Merket auf, will der Engel sagen, nichts Schreckliches, nicht, davor ihr euch entsetzen müßt, nichts, das eure geängsteten Seelen noch mehr ängstet, so etwas verkündige ich euch nicht, eine andere Botschaft habe ich euch zu bringen, eine herrliche Freudenbotschaft. Doch nicht nur euch geht sie an; sie geht alles Volk an; sie geht das Volk Israel an; sie geht die Heiden an; sie soll geprediget werden an allen Enden der Erde; sie soll hindurchdringen auch nach Deutschland, auch nach Würtemberg, auch nach Rielingshausen. Und nicht nur wir sollen dieser Freude Theil nehmen, nein! Alles, was Mensch heißt, soll sie genießen; das Feuer dieser Freude soll sich verbreiten über alle Inseln und Meere, über die fernen Inseln; die Erde, von einem Ende zum andern, soll ein einziger, großer, zusammenhängender Freudenplatz werden.
Ach, was ist diese arme Erde ohne dieses Wort von der großen Freude! Wahrlich nichts als ein Schauplatz des Jammers und des Elendes, ein Ort der Zerrüttung, eine Stätte, die der HErr verflucht hat, und da man nichts thun könnte als weinen, weil wir so gar verstoßen und elend sind. Gibt es ein Plätzchen auf der bewohnten Erde, gibt es ein Dörfchen, gibt es eine Familie, wo nicht diese oder jene Art von Elend und Zerrüttung wäre, wo nichts zu beseufzen, nichts zu wünschen übrig bliebe? Auf dem Staube der vorangegangenen Geschlechter stehen wir, und wollen unser Glück darauf hinbauen; unsere Nachkommen werden auf unserem Staube stehen, und vielleicht das Nämliche begehren, wenn sie sich von Gott nicht weiser machen lasen als ihre Väter; ein Geschlecht um das andere muß hindurch durch die Angst dieses Lebens, durch die Angst des Todes. In der That, man muß ein rechter Wollüstling seyn, wenn man, wie die Neueren, dieses arme, jämmerliche Leben ein Leben im Paradiese heißen will. Wo sind denn die Glücklichen, von welchen man so Vieles redet? Ich habe deren noch keinen gesehen; aber eine große Menge habe ich gesehen von Solchen, die ihren Nächsten um ein Glück beneidet haben, das er nicht hatte; die sich einen Zustand vorgestellt und gewünscht haben, der nirgends anzutreffen ist. Das sind Träume! es gibt kein Glück in dieser Welt als den Frieden Gottes durch JEsum Christum. Sehet die Leute an, die Christum nicht haben, und doch aussehen, wie wenn sie vergnügt und glücklich wären. Was macht's, daß sie so fröhlich und aufgeräumt sind? Sie haben etwa eine gute Mahlzeit zu sich genommen; oder sie haben hinaufgesteigert durch Wein und andere Getränke; oder sie haben es zu einer Fertigkeit gebracht, daß sie allen Ernst und alle Wahrheit in sich dämpfen können; oder sie haben andere Mittel angewendet, um des Gedankens an ihr Elend, an ihre Sorgen, an ihren rechten Zustand sich erwehren; - alle Freude außer Christo ist nichts als ein augenblickliches Vergessen des eigenen Zustandes; gelingt aber das nicht, so ist alle Freude verdorben. Wenn aber auch die Erde ein Paradies und kein Elend darin wäre; - die Ewigkeit, liebe Zuhörer! die ernste Ewigkeit, und die Ahnung derselben in des Menschen Brust, und die Furcht des Sünders davor, - wahrhaftig, dieß wäre hinlänglich, um das Lachen der Freude aus dem Angesicht ganz hinwegzutreiben. Ach, was wäre dieses Leben ohne einen Heiland! Aber sehet, höret, liebe Brüder! in diese arme Welt herein, zu diesen armen Geschöpfen, die Menschen genannt werden, zu uns ruft der Engel in unserem heutigen Evangelium! „Fürchtet euch nicht! siehe, ich verkündige euch große Freude.“
In wie fern aber so große Freude? Ist irgend etwas Irdisches im Spiele, daß die Freude so groß seyn soll? Soll unserer Armuth abgeholfen werden? Oder soll eine gute Erbschaft uns zufallen? Oder sind wir zu einem fröhlichen Gastmahle geladen, wo wir nicht bezahlen dürfen? oder soll irgend ein irdischer Wunsch uns befriedigt werden? Nein! von dem Allem nichts, - „euch ist heute der Heiland geboren!“ Sollte es auch der Mühe werth seyn, liebe Zuhörer! sich über diese Nachricht zu freuen, da sie keinen Bezug hat weder auf Geld und Gut, noch auf Ehre und Ansehen, noch auf die Wollüste des Lebens; da sie nur Bezug auf die Seligkeit des Geistes hat? Sollte es auch der Mühe werth seyn, diese Nachricht ein Wort der großen Freude zu nennen? - Ja leider! man muß so fragen. Wie Manchen in der sogenannten Christenheit ist diese große Botschaft so gleichgültig, wie wenn ihnen berichtet würde, daß dem Kaiser von Japan ein Sohn geboren sey! Wie Viele sind unter uns - ach, ich vermuthe, es möchten sehr Viele seyn - die, wenn ihnen heute ein Engel erscheinen und sagen würde: „es ist dir ein Heiland geboren!“ in ihrem Inwendigen dächten: so ist's nur das, sonst nichts? Wenn's nur das ist, so hätte der Engel zu Hause bleiben können. Aber nicht wahr? wenn uns durch eine solche Erscheinung angekündigt würde: da oder dort sey ein Schatz zu erheben, wodurch wir reich werden könnten - da könnten wir nicht mehr schlafen vor Freude und Erwartung der Dinge, die da kommen sollen. Ist's nicht so? Ich frage: ist eine einzige Seele unter uns, die durch die Ankündigung eines zu erhebenden Schatzes nicht in die lebhafteste Freude versetzt würde, - und wie Viele sind da, denen es wirklich eine Freudenbotschaft ist, daß ein Heiland geboren ist? O mein Heiland! wir sind sehr irdisch, und Du bist sehr wenig gekannt unter dem Volke, das sich nach Deinem Namen nennt.
Ich will euch eine Geschichte erzählen, eine sehr merkwürdige Geschichte, die merkwürdigste Geschichte, die geschehen ist sei Erschaffung der Welt. Doch ich merke aus eurer ungewöhnlichen Aufmerksamkeit, zu der ihr euch anschicket, daß ihr auf eine Fabel wartet: aber es ist dem nicht also; die Geschichte, die ich erzählen werde, ist wahr, ganz wahr; ehe wird Himmel und Erde vergehen, als daß von der Wahrheit derselbigen sollte etwas können abgedungen werden. Höret also: Vor 1826 Jahren ist zu Bethlehem, im jüdischen Lande, der Schöpfer aller Dinge von einer Jungfrau als ein armes Menschenkind geboren worden. Er wurde mit den Jahren ein Knabe, ein Jüngling, ein Mann; Er lebte als ein Gast und Fremdling hienieden; Er gieng endlich hin und litt den bittersten Tod. Und das Alles um unsertwillen, um uns zu erlösen, nicht zunächst vom leiblichen Elende, - denn das hört ja ohnedies selber auf, - sondern von der Herrschaft der Sünde, des Teufels, der Hölle und des Todes. Das ist unser HErr, der uns, der mich verlornen und verdammten Sünder erkauft, gewonnen und erworben hat, nicht mit Silber oder Gold, sondern mit Seinem eigenen teuren Blut, auf daß ich Sein eigen sey, und in Seinem Reich unter Ihm lebe, und Ihm diene in ewiger Gerechtigkeit, Unschuld und Seligkeit. Wer Ohren hat zu hören, der höre!
Diese große Freude verkündige ich euch. - Euch geht es an, ihr bekümmerten und verlegenen Seelen! die ihr zwar wohl bis jetzt etwas von eurem Elende, aber noch nichts, oder noch wenig von einem Heilande im Herzen erfahren habt. Heute sollt ihr die Worte des Engels tief zu Herzen fassen, und es einmal wagen, euch auch darüber zu freuen, daß ihr einen Heiland habt, da ja des Klagens wohl schon lange genug ist. Euch geht es an, ihr begnadigten Geister; heute sollt ihr euch eures Erbarmers auf's Neue freuen; der Geburtstag eures Königs und Erlösers soll ein besonderer Fest- und Gnaden-Tag eures Herzens werden. Euch geht es an, ihr jungen Leute, du armes, du unter die Sünde verkauftes Volk, du arme Jugend, die du einen unsinnigen Tanz, eine viehische Befriedigung deiner Lüste für dein höchstes Lebensglück hältst, höre es doch! ein Heiland ist dir geboren, ein Mann, der dich aus den Stricken des Teufels in einem Augenblicke losmachen kann, ja, der dich aus der Hölle, der du so blind entgegenläufst, erretten kann, und zwar heute noch. O Sünder! o Mitsünder! lasset uns im Staube anbeten, denn uns ist heute ein Heiland geboren. - Ein Heiland! Wenn Einer im tiefen Kerker schmachtete, und hätte keine Hoffnung auf Erledigung, und es würde ihm von einem Manne gepredigt, der ihn erlösen könne und wolle, würde er sich denn nicht freuen, und mit beyden Händen zugreifen? Wenn Einer in einem großen Wasser schwämme, und wäre am Versinken, und es zeigte sich eine helfende Hand, würde er sie denn von sich stoßen? Gewiß nicht. - Aber wir, wir sind die Leute im Kerker, wir sind die Männer des Todes, welchen das Wasser an die Seele geht, sie zu ersäufen und dem ewigen Tode zu übergeben; JEsus ist der Heiland, ist der Erretter, wollen wir Ihn von uns stoßen? Soll es verloren seyn an uns, daß der große Gott, der Schöpfer aller Dinge, ein armes Menschenkind geworden ist, und im Fleische die Wiederherstellung der gefallenen Kreatur hinausgeführt hat? Soll an uns allein das Seine Kraft nicht beweisen, was nach dem Vorsatze Gottes als heilende Arzney für die ganze todtkranke Menschheit bestimmt ist? Mein Gott! welche Verantwortung! Nein! liebe Brüder! es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen, also auch uns; JEsus ist gekommen, die Sünder selig zu machen, also auch uns.
Wohlan denn, wer es gut mit sich meint, der greife zu! Sieh', Seele, hier ist dein Heiland, dein Erbarmer! Er hat sich in unser Fleisch und Blut verwandelt, ob Er gleich der Eingeborne des Vaters ist; Er ist ein armes Kindlein geworden, ob Er gleich der HErr aller Herren ist; sehr verachtet und niedrig ist Er geworden; in einem Stalle ward Er geboren, in einer Krippe lag Er; in ärmliche Windeln ward Der gewickelt, der Herrlichkeit bey dem Vater hatte, ehe der Welt Grund gelegt ward. O wie groß ist die Liebe Gottes gegen ein fluchwürdiges Sündergeschlecht! Wie groß muß unser Schade seyn, da es eines solchen Weges des Sohnes Gottes bedurfte, um ihn zu heilen! Glaubest du das? Wenn du es noch nicht glauben kannst, so bitte nur Ihn um den Glauben; denn Er allein kann dir ihn schenken. Dränge dich hin zu Ihm, du seyest, wie du seyest.
Ihr dürft, so wie ihr seyd, zum Heiland kommen
Und kommt ihr nur, so wird't ihr angenommen.
Ihr mögt so sündig seyn, so voller Schanden,
So ist ein dürstend Herz nach euch vorhanden.
Wer nur ein Sünder ist in seinem Wesen,
Und sucht aus eig'ner Kraft nicht zu genesen,
Und liegt zu JEsu Füßen als erstorben,
Von solchen ist kein Einz'ger noch verdorben.
O Du ewige Liebe! Du ewiges Leben, das sich in unser Elend aus Liebe hereingegeben hat, was für ein Trieb hat Dich doch bewegen müssen? Was konntest Du mehr thun, was konntest Du mehr an uns wenden, als Du an uns gewendet hast, nämlich Dich selbst? Aber siehe, es rührt uns nicht: es nimmt unser Herz nicht in Anspruch, daß Du uns so geliebet hast; wir bleiben kalt und fühllos dagegen; es ist unverantwortlich; es ist entsetzlich, was wir für ein finsteres, todtes, kaltes Herz gegen Dich haben. Sollte denn nicht jeglicher Pulsschlag ein Dank, ein jeglicher Odem ein Lobgesang werden? Sollte nicht dieses arme Herz unaufhörlich mit dem allermächtigsten Liebestreiben zu Dir hingezogen werden? Aber es ist nicht so. Wir feyern alle Jahre Deine Feste, das Fest Deiner Geburt, das Fest Deines Todes, Deiner Auferstehung und Himmelfahrt, aber wahrlich! Du bist doch sehr vergessen unter uns, ja sehr vergessen, wohl gar oft verachtet mit Deiner großen Liebe. O laß den Donner Deines Gerichtes noch nicht über uns hereinbrechen, Du Löwe aus Juda, da Dich die Herzen als das Lamm Gottes nicht annehmen wollen. Habe vielmehr Geduld mit uns, und sende und gieße aus Deinen Heiligen Geist über uns; räume weg alle Hindernisse; mache selbst Bahn in uns; brich durch, Du Durchbrecher aller Bande, bis Alles, Alles zu Deinem durchgrabenen Füßen liegt, und alle Zungen Dir zuschwören: „Im HErrn habe ich Gerechtigkeit und Stärke!“ Amen.