Heliand - 61 - Sein Blut über Euch.
Da ward das gewahr der Wüthigen Meister,
Satanas selber, als ihm die Seele kam
Des Judas, in den Grund der grimmigen Hölle:
Das wust er in Wahrheit, daß es der waltende Christ war,
Des Herrn Geborner, der da gebunden stünde;
Und wust auch in Wahrheit, er wolle die Welt,
Am Kreuze hangend vom Höllenzwang
Die Leute erlösen zum Lichte des Herrn.
Das schuf dem Satanas Schmerz in der Seele,
Viel Harms im Herzen. Zu helfen gedacht er da,
Daß der Leute Kinder ihm das Leben nicht nähmen,
Ihn am Kreuz nicht quälten. Der Christ sollte leben,
Daß der Hölle ledig nicht würden die Leute,
Von Sünden frei. Hin fuhr da Satanas,
Wo er des Herzogs Haushalt wuste
In der hohen Veste. Der Frau erschien
Der Ungeheure, die Ehegattin
Bewog er durch ein Wunder, daß ihr Wort dem Christ
Hülfe leiste, daß er das Leben behielte,
Der Herr der Sterblichen, dem der Tod schon bestimmt war.
Er wust in Wahrheit, so nähm er ihm die Gewalt,
Daß er so mächtig nicht mehr über diesen Mittelkreiß wäre,
Ueber die weite Welt. Das Weib war in Furchten,
In schweren Sorgen, als das Gesicht ihr erschien
Durch des Teufels Trug, den bei Tageslicht
Der Hehlhelm hüllte. Ihrem Herren sandte sie
Alsbald einen Boten, und gebot ihm, dem Herzog
Selber zu sagen, welch Gesicht ihr gekommen sei
Um den heiligen Mann: ihm zu helfen bat sie,
Daß er das Leben nicht ließe. „Ich lag und sah
Viel Wunderbares, und weiß, die Sünde soll
Allen auf Erden gar übel gedeihen,
Die frech ihm das Leben zu kürzen verlangen.“
Der Gesandte säumte nicht, bis er sitzen fand
Den Herzog mitten im Haufen der Männer
An dem Steinwege, wo die Straße war
Von Felsen gefügt. Zu dem Fürsten gieng er da
Und sagt' ihm des Weibes Worte.
Bewegt ward wieder
Das Herz dem Herzog: heftig wandt es sich
Ihm in blöder Brust. Ihm that beides weh,
Wenn sie ihn erschlügen, den sündelosen,
Und daß er es vor den Leuten doch nicht laßen durfte
Ihrer Worte wegen. Doch wendete zuletzt
Sein Herz sich hin zu den Häuptern der Juden,
Ihren Willen zu gewähren. Nur wollt er sich wahren
Vor der schweren Sünde, die er so begieng.
Klaren Bronnen gebot er herbei zu bringen,
Waßer in der Wanne, wo er gewaltend saß.
Da wusch vor den Degen sich des Kaisers Diener,
Der schwache Herzog und sprach vor der Versammlung,
So von der Sünde woll er sich selber
Säubern, von Schandthat: „Keine Schuld will ich haben
An dem heiligen Mann; behaltet für euch den Lohn
Der Worte und Werke und was ihr wider ihn thut.“
Einstimmig riefen da die Juden alle,
Die mächtige Menge: „Den Mann verschulden Wir
Und die böse That. Sein Blut über uns,
Und sein qualvoller Tod, und über unsre Kinder
Und Kindeskinder! Es komm über uns,
Daß wir ihn erschlugen, wenn daran Sünde geschieht!“