Hefentregers Gedenktafel in der Wildunger Kirche
von Pfarrer Lic. theol. Uckeley in Alt-Wildungen.
Am Nordausgange der Nieder-Wildunger Stadtkirche hängt eine Holztafel von 75 cm Höhe und 62 cm Breite. Die Inschrift, aus lateinischen Versen bestehend, umrahmen farbige Arabesken; jeder weitere Schmuck fehlt. Zweck dieser Tafel ist es, in der Gemeinde das Gedächtnis an den Mann wachzuhalten, der jetzt vor 370 Jahren den Vorfahren hier am Orte die Segnungen der Reformation übermittelte, Johann Hefentreger, oder in der nach damaliger Sitte ins Griechische umgebildeten Namensform „Trygophorus.“
Der Hinweis auf einige Daten aus seinem Leben ist für das Verständnis dieser Tafel unerlässlich1).
In dem benachbarten Fritzlar 1497 geboren, wurde er 1521 zum Seelsorger am Augustiner-Nonnenkloster seiner Vaterstadt berufen. Bald erkannte er die Wahrheit des in Luthers Schriften nach langer Verborgenheit wieder ans Licht gezogenen Evangeliums und trat kräftig als Zeuge desselben in Fritzlar auf. Doch die Feinde der „neuen Lehre“ setzten ihm dort hart zu in dem Maße, dass er am 13. August 1525 mit Weib und Kind (er hatte eine Augustiner-Nonne Elisabeth Sperbelitz geheiratet) die Stadt zu verlassen sich gezwungen sah. Einen neuen Wirkungskreis sich suchend, kam ihm unerwartet aber sehr willkommen eine Einladung des Grafen Philipp IV. von Waldeck, der ihm Aufenthalt und Tätigkeit an der Gemeinde der Stadt Waldeck zuwies, nachdem Hefentreger am 29. April (Sonntag Cantate) vor ihm zu Altwildungen eine Predigt gehalten, und der Graf sich von der biblischen Richtigkeit seiner Lehre überzeugt hatte.
Nach fünfjährigem Aufenthalt verließ er die Stadt, um einer Berufung als Pfarrer nach Wildungen Folge zu leisten (1531), und schon im darauffolgenden Jahre konnte er im Einvernehmen mit dem Grafen und dem Rate der Stadt eine „Kastenordnung“ geben. Damit war ohne bedeutende Hinderung seitens einer altgläubigen Partei aus Wildungen eine evangelische Stadt geworden. Als Pfarrer von Wildungen hat Hefentreger dann durch Schrift und Wort der Sache der Reformation in der Grafschaft tatkräftig und unermüdlich gedient, bis 1542 ihn, den längere Zeit schon Kränkelnden, am Trinitatissonnabend 3. Juni der Tod abrief. Eins seiner letzten Worte ist nach dem Briefe seines Bruders Reinhard an Justus Syringus das des 31. Psalms gewesen: Herr, in deine Hände befehle ich meinen Geist. Sein Kollege und Nachfolger Justus Abel ließ ihm die Gedenktafel, um deren Besprechung es sich hier handelt, anfertigen. Ihre Inschrift lautet:
Piissimo viro domino Johanni Trygophoro, ecclesiae Christi Jesu in Wildungen evangelico ministro fidelissimo, anno domini 1542 pridie Nonarum Junii ex hac misera vita ad sortem electorum Dei translato.
Non procul hinc locus est, lector, qui continet ipsum
corpus Johannis nomine Trygophori.
Te non offendat, si nusquam visitur alto et
insigni saxo condecoratus homo,
exul enim in mundo ut fuit hic, quo tempore vixit;
sic non ambivit splendidiora loca.
Sollicitus potius, quantumvis clinicus interdum
hic fuit, ut domini proveheretur opus.
Prorsus se civem coelestem praestitit, omni
qua poluit cura et sedulitate sua.
Quantum ipsi semper studium! ut reprehendit inertes
atque malam vitam! nonne sal ipse fuit?
Quo fervore arsit, quoties humiles relevavit !
quae pietas, quis amor. Luxne refulgida erat?
O quoties lachrymas fundentem vidimus ipsum,
hoc Christi repetens verba beata loco.
Viribus exhaustum, quin toto pectore anhelum,
fortem num testem vidimus usque dei?
Vix similes habuit, quos nostra viderat aetas,
queis contra mortem gratia tanta fuit.
Quo morbus vehementior, hoc Christi mage virtus
regnavit, superans mortis acerba juga.
Ultima vox homini, est ubi nunc victoria mortis,
cum Christus mortis vicerit imperium?
Haec dicens, animam Christo mox obtulit, atqui
corporis exuvias continet haecce domus.
Justus Abelius amore collegae sui posuit.
Gratia miserationeque Dei patris, et auspicio generosi comitis Philippi junioris a Waldek, purum Jesu Christi Evangelium annunciari coepit Wildungi, anno ab orbe redempto millesimo quingentesimo vicesimo nono ad ministerium verbi et ecclesiae huc vocato Johanne Trygophoro, qui reliquit haec anno 1540 ex animo supplicans Domino Jesu Christo, ut hanc ecclesiam pro sua semper agnoscat eamque veris pastoribus, ut coepit, curandam regendamque tradat. Amen.
Zu Deutsch:
Für den frommen Ern Johannes Trygophorus, treuen Diener am Wort in der Kirche Christi Jesu zu Wildungen, der im Jahre d. H. 1542 am 3. Juni aus diesem armen Leben in das Erbteil der Auserwählten Gottes2) versetzt ist.
Garnicht weit von hier befindet sich der Ort, Leser, der den Leichnam des Johannes Trygophorus birgt. Lass es dich nicht kränken, wenn man nirgends zu seiner Zier ein hohes, herrliches Grabmal erblickt. Ein Fremdling, der er sein Lebelang in der Welt gewesen, hat er nie nach glänzenden Stellungen gestrebt; nein, nur das hat ihm Sorge gemacht, wenn er manchmal auch noch so krank war, dass des Herrn Werk guten Fortgang nähme. Mit einem Worte, er hat sich stets als Himmelsbürger bewährt, so sorgsam und eifrig er nur konnte. Wie war sein Eifer stets so groß! Wie hat er die Trägen und die mit schlechtem Lebenswandel stets getadelt! War er nicht selbst ein Salz3)? Welche Glut beseelte ihn! Wie oft hat er Niedrigen wieder hoch geholfen! Seht seine Frömmigkeit an, seine Liebe! War er nicht ein scheinend Licht“4)? wie haben wir es oft gesehen, dass er Tränen vergoss, wenn er die seligen Worte Christi an diesem Platze5) wiederholte. An Kräften erschöpft, ja vollständig keuchend, hat man wohl je einen so unermüdlich wackeren Zeugen Gottes gesehen? Kaum hat er seines gleichen unter unsern Zeitgenossen, denen solche Gnade dem Tode gegenüber verliehen ward. Je heftiger die Krankheit wurde, desto mehr herrschte Christi Kraft6) und überwand des Todes herbe Last. Sein letztes Wort war: Wo ist jetzt der Sieg des Todes, da Christus des Todes Reich besiegt hat? (Tod, wo ist dein Stachel? Gott sei Dank, der uns den Sieg gegeben hat durch unsern Herrn Jesum Christum.)7) Mit diesen Worten hat er seine Seele Christo übergeben, doch sein Körperkleid birgt dies Gotteshaus.
Justus Abel hat dies in Liebe seinem Amtsbruder gestiftet.
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Durch Gottes des Vaters Gnade und Barmherzigkeit und unter der Herrschaft des edlen Grafen Philipp des Jüngeren von Waldeck fing im Jahre 1529 nach der Erlösung der Welt das reine Evangelium Jesu Christi an zu Wildungen verkündigt zu werden durch Johannes Trygophorus, der zum Dienst am Wort und an der Kirche hierher berufen war und dies 1540 verließ, indem es sein herzliches Gebet zu dem Herrn Jesus Christus war, dass Er diese Kirche stets als die Seine anerkenne und sie von rechten Hirten, wie nun begonnen, hegen und leiten lasse. Amen.
Viel zu erläutern ist an dem Inhalte dieser Gedächtnistafel nicht. Eine kleine Schwierigkeit dürfte jedoch dem aufmerksamen Leser kaum entgangen sein. Der Tod Hefentregers ist nämlich - auch durch andere Quellen steht das fest - auf den 3. Juni 1542 anzusetzen, und gegen Ende der Inschrift berichtet Abel, dass Hefentreger „dies“ d. i. den Dienst am Wort und Heiligtum 1540 „verlassen“ habe unter inniger Fürbitte für das Wohl seiner Gemeinde nach der Seite guter geistlicher Bedienung hin. Man kommt in Versuchung, dies „Verlassen“ auf den Abschied aus dem Leben zu beziehen, doch dann erhält man auf der Tafel chronologisch sich widersprechende Aussagen. Es wird daher an ein Zurücktreten von dienstlicher Tätigkeit zu denken sein, zu dem sich Hefentreger zwei Jahre vor seinem Ende gezwungen sah, und die Inschrift gibt mit ihrem Hinweis auf seine schwache Gesundheit deutlich genug den Grund an, der ihn zu solchem Schritt getrieben hat. Weiter steht fest, dass Justus Abel 1540 von Bringhausen nach Wildungen als Diakonus (Kaplan) berufen wurde. Nimmt man an, dass Hefentreger, sobald ihm diese kräftige Hilfe für die geistliche Bedienung der Wildunger Gemeinde beigegeben wurde, sich von der Ausübung der seelsorgerlichen Arbeit und vor allem wohl von der Predigttätigkeit zurückgezogen hat, so löst sich die angedeutete Schwierigkeit am einfachsten.
Dass der Leichnam Hefentregers in der Kirche bestattet sei, sagt die Tafel deutlich genug; leider ist die Kenntnis der Begräbnisstelle späteren Geschlechtern gänzlich abhanden gekommen. Das Fehlen eines eigentlichen Grabsteines trägt die Schuld daran.