Hamann, Johann Georg - Gedanken über meinen Lebenslauf (1759)

Hamann, Johann Georg - Gedanken über meinen Lebenslauf (1759)

Psalm: XCIV. 19.

In der Menge meiner Gedanken in mir (und über mich selbst) ergötzen deine Tröstungen meine Seele.

London, den 21. April 1758.

biß hieher hat mich der Herr geholfen.

Ich bin den 27. Aug. 1730. zu Königsberg in Preußen geboren; und den folgenden Tag, so viel ich weiß, durch die christliche Vorsorge meiner frommen und ehrlichen Eltern, zum Bad der heiligen Taufe gebracht worden. Gott hat mir die Ehre und Vortheile der Erstgeburt genüßen lassen, und ich bin meiner Mutter wie Jabez ein Sohn der Sorgen und Schmerzen gewesen. Sie hat meinem Vater noch einen Sohn an meinem jüngeren Bruder gegeben, und wir beyde sind der ganze Reichthum unserer Eltern gewesen, den Gott mit so viel Gnade erhalten als gegeben hat…

Ich bin frühe von meinen Eltern zur Schule gehalten worden. Sie waren beyde Feinde des Müssigganges und Freunde göttlicher und menschlicher Ordnung. Sie begnügten sich nicht mit dem bloßen Schein ihrer Pflichten, und dem Ceremoniel der Erziehung, was so viele Eltern Schande halber ihre Kinder genüßen lassen; sie hatten unser Bestes zu ihrem Augenmerk, und thaten so viel selbst, als ihre Umstände und Einsichten es erlaubten. Unsre Lehrmeister musten ihnen Rechenschaft von unserm Fleiß und Aufführung ablegen, wir fanden zu Hause eine Schule an der Aufsicht, ja an der strengen Aufsicht, und an dem Beyspiel unsrer Eltern. Lügen, umtreiben und Näscherey waren drey Hauptdinge, die uns nicht vergeben wurden, und denen wie niemals Erlaubnis hatten uns zu überlassen. Wir können uns eher einer Verschwendung in unserer Erziehung rühmen als über eine Sparsamkeit darin beschweren. Die rechte Haushaltung und Wirthschaft darinn ist die gröste Kunst; so wie der erste Fehler ein größer Lob der Eltern und einen schwereren Vorwurf der Kinder macht. Unser Haus war jederzeit eine Zuflucht junger Leute, die studireten und welche die Armuth sittsam machte. Sie waren jeder Zeit willkommen, und wurden bisweilen ausdrücklich für ihren Unterricht bezahlt; als Nebenstunden, als Wiederholung und Zubereitung der Schule, sie waren zugleich unsere Gesellschafter, Zeitvertreiber, Aufseher, und wurden mit älteren Jahren Vertraute und gute Freunde. Dergleichen Vortheile haben wir genossen so lange wir in unsers Vaters Haus gewesen, und als ich wieder in dasselbe zurückkam; hieher gehören Sprachen, Griechisch, Französisch, Italienisch, Music, Tanzen, Mahlen. So schlecht und recht wir in Kleidung und in andern Thorheiten kurz gehalten wurden, so viel Ausschweifung wurde uns hierinn verstattet und nachgesehn…

Ich habe in meiner Schulerziehung 3 Abwechselungen gehabt. Das erste war ein Zusammenfluß von Kindern jedes Geschlechts und jedes Alters unter einem abgesetzten Priester, dessen Nahme Hoffmann war. Dieser Mann hat den Grund gelegt und ich bin 7 Jahre sein Schüler gewesen, nach deren Verlauf er mich so weit gebracht zu haben glaubte, als ein Kind nöthig hatte, um auf ein mal ein Jüngling zu werden; oder vielleicht war dies bloß ein Geständnis seiner eignen Unfähigkeit mich länger zu führen. So dunkel die Erinnerung seines Unterrichts, so weiß ich so viel, daß selbiger außerordentlich war, daß er mir das Latein ohne Grammatic beyzubringen gesucht hatte. Von hier kam ich in die Hände eines Schulmannes, der ein öffentliches Amt hatte, und eine Winkelschule dabey hielt, die in 2 runden besetzten Tischen bestand. Sein Nahme war Röhl und er war Pro-Rector im Kneiphof, sein Stiefsohn war sein Gehülfe. Dieser Mann hatte viel Glück und Erfahrung, beyde aber beruhten auf bloße Pedanterey und den Schlendrian der Schulkünste. Ich wurde von dem kleinen Hügel, wo sein Vorgänger mich gesetzt, plötzlich verruckt und beschuldigt nichts zu wissen, weil ich seine Methode nicht kannte. Bey diesem Mann habe ich vom Donat angefangen und mit einem Muth, den er selbst bewunderte, einige der vornehmsten und schwersten lateinischen und römischen Schriftsteller unterschiedene mahl durchgepeitscht. (Er hat mich buchstabiren gelehrt und eine Weise dazu, die nicht zu verachten ist und die ich nachgeahmt habe.) Er schmeichelte mich und sich selbst einen großen Lateiner und Griechen erzogen zu haben; ich konnte einen Römer verdeutschen, ohne die Sprache noch den Sinn des Autors zu verstehen. So waren meine lateinischen und griechischen Zusammensetzungen Buchdruckerarbeit, Taschenspielerkünste, wo das Gedächtnis sich selbst überfrist und eine Schwindung der übrigen Seelenkräfte entsteht, weil es an einem gesunden und gehörigen Nahrungssaft fehlt. Sein Sohn brachte mich sehr weit in der Rechenkunst; alles dies geht verloren, wenn das Urtheil nicht bey Kindern gezogen wird, wenn sie ohne Aufmerksamkeit und Verstand fertig gemacht werden. Es ist eben so wie in der Music, wo die Finger nicht allein, sondern hauptsächlich die Ohren und das Gehör gelehrt und unterrichtet und geübt werden müssen. Wer noch so geschwind und richtig ohne Gefühl der Harmonie ein Stück oder hundert gelernt hat, spielt wie ein Tanzbär in Vergleichung des elendesten Geigers, der seine eignen Grillen auszudrücken weiß.

Ich will hier einige Anmerkungen hinzufügen. Die erste ist, daß ich glaube mein Gedächtnis und meinen Kopf sehr geschwächt zu haben durch diesen gehäuften und unnützen Schulfleiß und daß meine natürliche Lebhaftigkeit und Fähigkeit einigermaßen darunter gelitten. Ein noch größer Übel ist, daß diese Methode alle Ordnung, ich möchte sagen, allen Begriff und Faden und Lust an derselben in mir verdunkelt hat. Ich fand mich mit einer Menge Wörter und Sachen auf einmal überschüttet, deren Verstand, Grund, Zusammenhang, Gebrauch ich nicht kannte. Ich suchte immer mehr und mehr ohne Wahl, ohne Untersuchung und Ueberlegung auf einander zu schütten; und diese Seuche hat sich über alle meine Handlungen ausgebreitet, daß ich mich endlich in einem Labyrinth gesehn habe, von dem ich weder Aus noch Eingang noch Spur erkennen konnte. Unterdessen ich mich wirklich in einigen Dingen weiter befand, als ich es nöthig hatte, so war ich dafür in weit nützlichern und nöthigern ganz zurückgelassen; weder Historie, noch Geographie, noch den geringsten Begriff von der Schreibart, Dichtkunst. Ich habe den Mangel der beyden ersten niemals gehörig ersetzen können, den Geschmack an der letzteren zu spät erhalten, und finde mich in vieler Mühe meine Gedanken mündlich und schriftlich in Ordnung zu sammeln und mit Leichtigkeit auszudrücken…

Mein lieber redlicher Vater sah zum Theil die Mängel der Schulerziehung ein, die ich genoß. Er suchte einen von den vornehmsten zu ersetzen, indem er den Hofmeister einer Priesterwitwe ersuchte mir einen besondern Unterricht mit den Söhnen dieser gütigen Frau genüßen zu lassen. Anstatt mich an der lauteren Milch des Evangelii zu begnügen verfiel ich in einen andern Abweg meiner Neugierde und kindischen Vorwitzes in allen Ketzereyen und Irrthümern bewandert zu werden. So sucht der Feind unserer Seelen und alles Guten den göttlichen Weizen durch sein Unkraut zu ersticken. Ich füllte meinen Kopf mit den Namen und den abgeschmackten Streitigkeiten aller Thoren an, die Ketzer gewesen waren oder Ketzer gemacht hatten um sich unterscheiden zu können. Was für Mühe muß es Gott und seinem Geist geben um den Schutt bloß aus dem Wege zu räumen, worunter der Satan unsre Seelen vergräbt, wenn wir mit ihm an selbigen zu bauen gedenken.

In eben dem Hause hatte ich nebst meinem Bruder das Unglück von einem Kinde angesteckt zu werden, das mit einem giftigen Ausschlage geboren worden war, und von dem es nicht geheilt werden konnte, sondern jung starb. Die besetzten Hüte die wir hatten, dienten unschuldiger Weise dem Kinde zur Versuchung sich mit selbigen zu bedecken. Wir haben beyde sehr lange und zu großer Beschwerde und Kummer unserer seeligen Mutter, daran ausgehalten. Es wiederstand den stärksten Mitteln, wodurch selbst die Krankheiten der Lustseuche gehoben werden, wir wurden öfters viele Wochen von der Schule abgehalten. Gott ist so gnädig gewesen und hat uns beyde davon geheilt; ich wiederhole ihm meinen Dank, er wolle nicht aufhören mein Arzt zu seyn, so lange ich auf dieser ansteckenden Erde, das Gift der Sünde im Blut und Herzen, und unter dem unschlachtigen Geschlecht von Sündern, wallen soll. Ich trage ein Zeichen von meiner Genesung an diesem Aussatz an meinem kahlen Haupte, wo die Haare nach dem Rand, worinn der Hut dasselbe einschließt, völlig ausgefallen sind. Sie schwuren aus und die Wurzeln derselben waren voll Eiters, der Gestank unerträglich den sich meine seelige Mutter nicht verdrüßen ließ unsertwegen mit Thränen öfters über unsere Schmerzen und Unart auszustehen. Meine ausgefallnen Haare sind Gott lobt das einzige was ich bisher an meinem Leibe verloren habe und dies die einzige Krankheit, deren Dauer und Wichtigkeit in meinem bisherigen Leben Aufmerksamkeit verdient. Während derselben habe ich große Anfälle von Schwindel und Schwachheit des Hauptes gelitten, von denen ich Gott lob! in der Fremde fast nichts mehr empfunden. Vor dieser Heimsuchung Gottes hatte mein Vater einen Bösewicht zum Lehrjungen in Diensten, der mich lehrte es an meinem eignen Leibe zu werden. Er besuchte nachher unser Haus und gab vor in Schweden niedergelassen zu seyn. Gott! vergieb ihm und mir. Die traurige Erfahrung an meinem eigenen Beyspiel hat dieses Gute in mir gewürkt so streng und behutsam als möglich auf allen Umgang der Kinder mit Bedienten und Gesinde zu seyn, ich habe dies so viel ich gekonnt zu meinem Augenmerk in meinen beiden Hoffmeisterschaften zu machen gesucht. Ich erkenne jetzt, daß es eine Sittenlehre und Casuistic des Satans ist, die uns einige Sünden klein macht in Vergleichung anderer. Meine Vernunft fand immer die Hurerey als ein sehr menschlich und vergeblich Verbrechen, ich hatte Josephs Geschichte ohne Nutzen gelesen, ja ich hielte selbige für ein Mittel der Tugend um dem Unglück einer unglücklichen Ehe oder dem Meyneide des Ehebruchs zu entgehen. So wenig vernimmt der Mensch von dem das des Geistes Gottes ist. Ich bin in Riga dem Ehebruch sehr nahe gewesen, ich habe Versuchungen des Fleisches und Blutes sowohl als des Witzes und Herzens gehabt und Gott hat mich gnädig bisher selbst von den Schlingen der Huren, ich möchte sagen, durch ein Wunder behütet. Er wolle mir Gnade geben mich vor aller Befleckung des Geistes und Leibes zu hüten, und dieses irrdische Gefäße, das er durch seine Einwohnung heiligen wolle, zum Gliede Christi machen und von aller Unreinigkeit lauter und unversehrt erhalten! …

Mein Vater, mein redlicher Vater, nahm mich mit viel Sorge aus dieser Zucht, wo ihm zu gute Hoffnungen und vielleicht zu größere von meinem Fortgang im Lernen gemacht waren, als selbiger verdiente. Er entschloß sich endlich mich in eine öffentliche Schule zu thun und er that eine glückliche Wahl an der Kneiphöfschen. Ich hatte Schüler die unter mir gewesen waren, akademische Freyheit erhalten sehn und muste mich jetzt gefallen lassen auf der 2ten Klasse als der 6te dem Range nach vorlieb zu nehmen, wo ich lateinische Autores zu erklären bekam, die mir sehr geläufig waren, daß ich also keine Zubereitung nöthig hatte um andere zu übertreffen. Es war kurz vor der öffentlichen Prüfungszeit, daß ich zur Schule kam, dies war Ursache, daß der Rector derselben mit vieler Klugheit mich unter meinen Anspruch setzte. Ich hatte zugleich hier Gelegenheit einen Anfang in der Historie, Geographie und des Stylii zu machen. Der Rector dieser Schule war ein verdienter, gelehrter und frommer Mann, Dr. Salthenius, ein Mann von seltenen und außerordentlichen Gaben, der gleiche Treue, und Weisheit, und Redlichkeit in seinem Amte besaß. Nächst ihm habe ich zwey Lehrern vornämlich viel zu danken, die beyde jetzt Prediger, der eine bey der Altstadt, der andere auf dem Lande, geschickte liebreiche und fromme Zwillinge, die beyde in ihrer Art Muster und einzeln waren. Buchholtz und Herold. Bey der ersten Versetzung nach gehaltener Schulmusterung kam ich als der erste auf die erste Classe; eine Unterscheidung, die mir von meinen Mitschülern ohne Neid gegönnt wurde. Ich muste vor diese kleine Freude wegen meines Ausschlages eine gute Zeit aus der Schule bleiben. Hier bekam ich die ersten Begriffe von Philosophie und Mathematick; von Theologie und Hebräischem. Hier wurde mir ein neues Feld zu Ausschweifungen offen, und mein Gehirn wurde zu einer Jahrmarktsbude von ganz neuen Waaren. Ich brachte diesen Wirbel mit auf die hohe Schule, wohin er eigentlich gehörte, und wo ich als ein akademischer Bürger den 30. März 1746. eingeschrieben wurde. Ich bin ein Schüler des berühmten Knutzen in allen Theilen der Philosophie, der Mathematic und Privatvorlesungen über die Algebra gewesen, wie auch ein Mitglied einer physico-theologischen Gesellschaft die unter ihm aufgerichtet wurde aber nicht zu Stande kam. Mit wie wenig Treue, mit wie wenig Ordnung, und mit wie wenig Nutzen sind alle diese Gelegenheiten zu lernen und nutzbar zu werden von mir abgewartet worden – wie wenig habe ich daran gedacht, daß ich den sauren Schweiß meines Vaters durchbrächte und die süße Hoffnung vernichtete, Früchte von dem zu sehen, was er mit so viel Lust und Verleugnung seiner eignen Nothdurft anwendete. Höre Gott! und vergieb – Ersetze ihm das, worum ihn sein eigen Kind gebracht hat – und rechne es mir nicht zu, oder laß mir die Strafe, die ich dafür verdient, nicht zu schwer empfinden. Begnüge dich an der Reue und dem Schmerz, womit ich es erkenne – und laß es nicht zu spät erkannt seyn.

Die Erinnerung eines nicht so berühmten Lehrers ist mir angenehmer. Gott ließ ihn in unterdrückten kümmerlichen und dunkeln Umständen leben; er war eines besseren Schicksals werth, er besaß Eigenschaften, die die Welt nicht achtet und daher auch nicht belohnt. Sein Ende war wie sein Leben; unvermerkt, ich zweifle nicht, daß es seelig ist. Sein Nahme war Rappolt; ein Mann, der eine besondre Scharfsinnigkeit besaß natürliche Dinge zu beurtheilen mit der Andacht und Einfalt und Bescheidenheit eines christlichen Weltweisen, und eine ungemeine Stärke den Geist der römischen Schriftsteller und ihrer Sprache nachzuahmen. Laß GOtt! deinen Seegen und den Seegen ihres Vaters auf seinen Söhnen ruhen!

Unterdessen ich in den Vorhöfen der Wissenschaften umschweifte verlor ich den Beruf, den ich geglaubt hatte für die Gottesgelahrtheit gehabt zu haben. Ich fand ein Hindernis, in meiner Zunge, in meinem schwachen Gedächtnis und viele Heuchelhindernisse in meiner Denkungsart, den verdorbenen Sitten des geistlichen Standes und der Wichtigkeit, worinn ich die Pflichten desselben setze. Ich hatte freylich Recht wenn ich mich selbst als den Geber und Urheber desjenigen was dazu gehört, betrachtete. Ich vergaß der Quelle alles Guten, von der ich alles erwarten und mir versprechen konnte, was mir fehlte und mit dessen Beystand ich alles hatte überwinden können, was mir im Wege lag…

Ich komme auf die Folge meines Lebens zurück. Was mich vom Geschmack der Theologie und aller ernsthaften Wissenschaften entfernte war eine neue Neigung, die in mir aufgegangen war, zu Alterthümern, Critic – hierauf, zu den sogenannten schönen und zierlichen Wissenschaften, Poesie, Romanen, Philologie, den französischen Schriftstellern und ihrer Gabe zu dichten, zu mahlen, schildern, der Einbildungskraft zu gefallen ect.

Ich bekannte mich also zum Schein zur Rechtsgelehrsamkeit. Meine Thorheit ließ mich immer eine Art von Großmuth und Erhabenheit sehen nicht vor Brodt zu studiren, sondern nach Neigung, zum Zeitvertreib und aus Liebe zu den Wissenschaften selbst, daß es besser wäre ein Märtyrer denn ein Taglöhner und Miethling der Musen zu seyn. Was wie Unsinn läst sich in runden und vollautenden Worten ausdrücken. Ich hörte also über die Institutionen und Pandecten ohne Zubereitung und Wiederholung des Gehörten, ohne Ernst, ohne Treue ein Jurist zu werden; so wie ich keine gehabt hatte noch gewiesen hatte um ein Theolog zu seyn.

Unterdessen hatte mir immer im Sinn gelegen eine Hofmeisterstelle anzunehmen um Gelegenheit zu finden und in der Welt meine Freyheit zu versuchen. Das Haus meiner lieben Eltern schien mir einen Zwang in einigen Stücken zu thun und ich wollte Meister meines Geldes seyn, worinn ich zu meinem Besten theils ein wenig zu sparsam gehalten wurde, theils aber zu spät gelernt habe selbiges, als ich mein eigenes hatte besser zu rathe zu halten. Vielleicht war auch kein göttlicher Seegen bey meiner Einnahme, der das Wenige überflüßig macht. Unordnung, der allgemeine Grundfehler meiner Gemüthsart, eine falsche Grosmuth, eine zu blinde Liebe und Wohlgefallen für anderer Urtheile, und eine Sorglosigkeit, die aus Unerfahrenheit und Unwissenheit zum Theil entsprang, waren alle Schuld.

Der Zufall diente mir unvermuthet in meinen Absichten. Es kam ein Prediger aus Liefland, der mit unter die Hauslehrmeister gehörte und uns auf dem Claviere unterrichtet hatte, um seine Eltern und seine Freunde in Preußen zu besuchen. Er kam in unser Haus. Ich glaubte eine ungemeine Veränderung in seinem Betragen und Aufführung anzutreffen, da ich ohnedem ein sehr günstig Vorurtheil vor Liefland und die Lebensart der Liefländer wegen einiger Freunde, die ich unter denselben hatte, hegte. Er suchte unterschiedene ledige Stellen in Liefland zu besetzen. Unter andern war eine auf dem Gute, woselbst er Prediger war, die Bedingungen waren nicht vortheilhaft eben, ein einziger Sohn, ein sehr reiches Haus, seine Nachbarschaft und andere Dinge mehr bewegten mich diese anzunehmen. Ich entschloß mich ungeachtet der Vorstellungen meiner Eltern und der bösen Prophezeyungen die man mir von der Frau machte zu der ich kommen sollte…

Ich kehrte in Riga bey einem Landsmanne meines Vaters ein, der sehr lange in unserm Hause auf die vertrauteste Art aus und eingegangen war. Hierauf nahm ich meine Reise nach dem Gute, wo die Baronin Budberg lebte, 12 Meilen von Riga, Kegeln. Ich langte an einem Sonnabend auf Papendorf dem Pastorat dieses Gutes an und sah Sonntags darauf die Familie daselbst, wo ich zu Haus gehören sollte. Ein Kind von 9 Jahren, das sehr schüchtern, steif und zärtlich aussahe. Außer ihm hatte ich seine jüngere Schwester und eine Waise, die von der Baronin erzogen ward. Der Anfang den ich an diesem neuen Beruf machte, war gewiß schwer; ich hatte mich selbst, meinen Unmündigen und eine unschlachtige, rohe und unwissende Mutter zu ziehen. Ich ging wie ein muthig Roß im Pflug mit vielem Eyfer, mit redlichen Absichten, mit weniger Klugheit und mit zu vielem Vertrauen auf mich selbst und Zuversicht auf menschliche Thorheiten bey dem Guten das ich that oder thun wollte. Wir sind von Natur geneigt unsere Bemühungen zu überschätzen, die Wirkungen davon als eine unumgängliche Folge zu erwarten, anderer Pflichten nach unsern Vorurtheilen und Neigungen abzuwiegen und zu berechnen. Der Ackersmann kann sich keine hundertfältigen Früchte von der sorgfältigen Wirthschaftskunst allein versprechen, der Boden, die Witterung, die Eigenschaft des Saamens, ein kleines Ungeziefer, Dinge die unserer Aufmerksamkeit entgehen, haben ihren Antheil und über das alles das Gedeyen der göttlichen Vorsehung und Regierung. Meine Handlungen sollten von Menschen erkannt, bisweilen bewundert werden, ja sie sollten zu ihrer Beschämung gereichen. Dies sind alles unlautere Triebe, die den Gebrauch unsrer Kräfte verwirren und zu Schanden machen. Gott erwies mir unendlich viel Gnade, er gab mir mehr Gedult, als ich fähig war, mehr Klugheit, mehr Glück, das ich alles auf meine eigne Rechnung vielleicht schrieb, und vielleicht eine Wirkung des Gebets meiner frommen Eltern und eine Nachsicht seiner göttlichen Langmuth und Gnade war. Meine ungesellige oder wunderliche Lebensart, die theils Schein theils falsche Klugheit, theils eine Folge einer inneren Unruhe war, an der ich sehr lange in meinem Leben siech gewesen, eine Unzufriedenheit und Unvermögenheit mich selbst zu ertragen, eine Eitelkeit sich selbige zum Räthsel zu machen, -verdarben viel und machten mich anstößig. Ich schrieb 2 Briefe an die Baronin über die Erziehung ihres Kindes, die ihr das Gewissen aufwecken sollten; man verstand selbige nicht und ihre Aufnahme goß 0el ins Feuer. Ich wurde also unvermuthet abgeschafft ohne ein halbes Jahr im Hause gewesen zu seyn, mit einigen Demüthigungen meines Stolzes, für die ich durch die Zärtlichkeit des Kindes und die Schmeicheley unschuldig zugleich oder mit Bösem für Gutes vergolten zu seyn, einige Genugthuung hatte. Ich wickelte mich so weit ich konnte in den Mantel der Religion und Tugend ein um meine Blöße damit zu decken, schnaubte aber für Wuth mich zu rächen und mich zu rechtfertigen. Dies war eine Thorheit, die ich selbst mit der Zeit einsahe und daher verrauchte.

Ich brachte hierauf einige Monathe in Riga zu, verzehrte das wenige Geld das ich empfangen hatte und war über dies auf Rechnung meines Wirths, der eben derjenige Landsmann meines Vaters war, wo ich bey meiner Ankunft eingekehrt hatte. Diese Zeit wurde von mir zwischen einem wüsten misanthropischen Fleiß und Ausschweifungen der Lüste und des Müßigganges getheilt. Mein Geld schmolz bis auf den letzten Dukaten, den ich die Thorheit hatte für einige unnütze Bücher anzubrechen. Ich hatte theils sorglos gelebt theils vergebene Versuche gemacht eine neue Stelle zu bekommen. Gott erbarmte sich meiner und bediente sich des Schwagers selbst dieser Baronin um mir eine sehr vortheilhafte Gelegenheit und Thür in Kurland aufzuthun, da ich am Rand der Dürftigkeit war und schon viele schlaflose Nächte um selbige gehabt hatte…

Ich kam also 1753 in der schönsten Jahreszeit nach Kurland bey dem General Witten der eine geborne Gräfin von Lang zur Gemahlin und zwey Söhne hatte. Ich folgte hier zwei Hofmeistern, die zugleich gearbeitet hatten, davon der eine ein Windbeutel und roher Mensch und der andere ein seichter Kopf gewesen war. Ich fand hier 2 Kinder von einer sehr verschiedenen Gemüthsart, als ich an meinem Baron gehabt hatte, wo mehr Zucht, Ansehn und Schärfe nöthig und mehr zu hoffen war, weil der älteste große Fähigkeit besaß, mit dessen Neigungen ich aber niemals so zufrieden habe seyn können als meines ersten Zöglings mich gemacht haben. Gott erzeigte mir unsäglich viel Gnade gleichfalls in diesem Hause bey Kindern und Eltern, ja selbst bey allen Hausgenossen. Ich schrieb selbige gleichfalls zu viel auf meine Rechnung und machte zu große Gegenansprüche für meine Verdienste. Ich wurde unzufrieden, ungeduldig, heftig aufs äußerste gebracht – und hatte viel Mühe ein Jahr auszuhalten, wo ich mit vielem Gram, Verdruß, Unwillen, zum Theil Unglimpf - wiederum nach Riga ging…

Ich kam eben zu einer Zeit, wo man in Riga das Landleben auf den Höfchen genüst; und hatte das Glück eine Cur des Pyrmonter Brunnen mit der Berensschen Familie zu gebrauchen. Meine Gesundheit hatte theils durch die Schularbeit, durch einen unordentlichen Fleiß in Nebendingen, und durch den Tumult von Affekten, in dem mein Gemüth wie ein Nachen auf einer stürmigen See beständig hin und hergeworfen ward, sehr gelitten; daß mir also diese wohlthätige Gelegenheit sehr zu statten kam. Ich konnte ungeachtet alles Anlasses zufrieden zu seyn, mich der Freude in der Gesellschaft der edelsten, muntersten, gutherzigsten Menschen beydes Geschlechts nicht überlassen. Mein Gehirn sah einen Nebel von Begriffen um sich, die es nicht unterscheiden konnte, mein Herz fühlte Bewegungen, die ich nicht zu erklären wußte, nichts als Mistrauen gegen mich selbst und andere, nichts als Qual wie ich mich ihnen nähern oder entdecken sollte; und in diesem Zustande habe ich mich am meisten in demjenigen Hause befunden, wo ich der gröste Bewunderer, Verehrer und Freund aller derjenigen war, die zu selbigem gehörten. Wie ist es möglich, daß man mich hat für einen klugen, geschweige brauchbaren Menschen halten können, wo es mir niemals möglich gewesen mich was ich bin und seyn kann, zu entdecken. Dies ist ein Geheimnis, das ich niemals habe verstehn noch aufklären können. Ich habe also Ursache alle diese Dinge theils als Ahnungen anzusehn, theils als Wirkungen der Hand Gottes, die über mir schwer gewesen, daß ich mich selbst unter allem dem Guten, was mir von Menschen geschah, nicht erkennen sollte. Ich sehe alle meine Unruhe, unter der ich gelebt, als eine Folge davon an, und ich tröste mich, daß Gott diese Ruthe, unter der ich geseufzt ohne sie zu erkennen, jetzt von sich legen und mir seinen gnädigen Willen entdecken wird, dem ich mich ganz überlassen. Ich bin eine unzeitige Frucht in allem meinem Thun und Handlungen, in allen meinen Unternehmungen und Anschlägen gewesen, weil sie ohne Gott gewagt, angefangen und ein Loch bekommen anstatt ein Ende zu nehmen. Ich habe mich endlich wund und blutig gegen den Stachel gestoßen, den ich nicht habe erkennen wollen; und bitte nichts mehr, als daß der gnädige Gott, der seiner Verheißung, dem bußfertigen und gläubigen Sünder vergiebt und alles vergangene vergist, mein künftiges Leben neu und heilig seyn lassen wolle.

Ich lebte also in Riga und genoß viele zufriedene Stunden und viele Gefälligkeiten in meines Freundes Hause, wo ich als ein Bruder, ja beynahe als ein älterer Bruder angesehen war. Der Schulstaub war mir verhaßt geworden und ich wollte und sollte mich dem nützlichen Geschmack der Zeit bequemen, Handels und oekonomische und politische Dinge treiben. Diese Wissenschaften gefielen mir wegen der Neuigkeit und dem Einfluß in das menschliche Leben, ich hätte selbige zu Nebendingen mit mehr Füglichkeit wählen können als metaphysische oder romanhafte Systeme. Aber es war unüberlegt ein neu Gebäude anzufangen um mich mit einmal aus der Celle in Geschäfte zu versetzen, die Geläufigkeit und Ausübung und Anführung oder vielmehr Handleitung erfordern…

Ich wurde mit der Zeit schwermüthiger, weil ich keinen Weg vor mich sahe mich auf eine ehrliche Art fortzuhelfen und nach Wunsch und Neigung gebraucht zu werden. Gott nahm sich wieder meiner an auf eine sehr außerordentliche und augenscheinliche Art. Ich wurde in eben dasselbe Haus nach Kurland auf die dringendste Art zurückgerufen aus dem ich mit einiger Uebereilung nachtheiliger Reden ausgegangen war, und man erbot sich alle meine Forderungen sich gefallen zu lassen. Noth, Selbstgefälligkeit und zum Theil Vernunft und Klugheit riethen mich diesen Ruf zu hören. Ich kam also gegen das Ende desselben Jahres nach Kurland und Grünhof sehr willkommen zurück.

Mit dem Anfang des 1756. Jahres erhielte ich von meinem lieben Vater die betrübte Nachricht von meiner seeligen Mutter Unpäßlichkeit und nicht lange darauf den zärtlichen Befehl nach Hause zu kommen, falls ich sie noch sehn wollte und ihre Wünsche hierinn zu erfüllen. Dies setzte mich in neue Unruhe, die Vorstellung eine liebreiche Mutter zu verlieren und eine Ueberlegung über meine Verfassung und den wenigen Trost den sie daran haben würde mich wiederzusehn. Ich hatte ein reichlich Gehalt von 150 Albertusthlr. und keinen Rock dafür mir angeschafft, ja mich sogar in Schulden gesetzt, wozu eine thörichte gramvolle Reise nach Riga Anlaß gegeben hatte meinen Freund zu sehen, den ich unpäßlich fand und mehr im Wege und Vorwurf als zur Erleichterung war. Dies Geld hatte mir mein ehrlicher Bassa vorgeschossen, bey dem ich nachgehends noch tiefer eingerieth ohne daß ich im Stande war ihn vor meiner letzten Abreise zu bezahlen und ihn noch nicht habe Genüge thun können, woran ich ohne Wehmuth und Schmerzen nicht gedenken kann.

Mein Herz und meine Pflicht riefen mich gleichwohl nach Hause. Ich gab die Nachricht davon meinen Freunden nach Riga, die sich hierauf erklärten und mich in ihre Dienste, Geschäfte und Familie aufnahmen. Ich fand vielen Wiederstand dies einzugehen unterdessen war es ein Trost, worinn ich Gottes Vorsehung zu finden glaubte und mich so wohl selbst als meine Eltern damit zu schmeicheln meynte. Ich machte also den letztern auf meine Ankunft mit Johannis Hoffnung, gieng mit einem schweren und zweifelhaften Herzen die Bedingungen und ein Verbindnis mit der Berensschen Familie ein, auf deren Unkosten ich eine Reise thun sollte um mich aufzumuntern und mit mehr Ansehen und Geschick in ihr Haus zurückzukommen.

Gott gab außerordentlichen Seegen daß ich von dem Hause aus Kurland mit Scheingründen und ohne Aufrichtigkeit losgelassen wurde unter dem Versprechen wieder zu kommen, das eine offenbare Lüge und wider alle meine Absichten und Neigungen war. Ich langte den 4. Tag am Sonntage frühe mit vorzüglichem Glück in Trutenau an und wurde von meinem Vetter Zoepfel und meinem lieben Brüder der in Ohnmacht fiel mich wiederzusehn in einer Kutsche eingeholt. GOtt, mein liebreicher Gott hatte meine seelige Mutter über 20 Wochen auf mich warten lassen, ehe er sie zu sich nahm. Mein alter Vater lauerte weinend am Fenster auf mich und machte mir einen betrübten Willkommen. Ich sahe meine Mutter – meine seelige Mutter – die Gott durch so viel wiederholte Wunder vom Siech und Todbette hatte aufstehen lassen, ohne jemals mit rechtem Ernst von ihren Kindern wenigstens von mir, darum gebeten noch gedankt worden zu seyn. Sie empfing mich mit mehr Gleichgiltigkeit, als ich dachte, weil sie den Tag vorher eine schleunige Veränderung erlitten und Gott ihre Schritte zum Grabe verdoppelte. Sie gestand daß ihr nichts mehr auf der Welt erfreuen könnte – sie bestrafte mich mit den ersten Augenblicken, wegen des Tones, mit dem sie mich reden hörte, der ihr verändert, und nicht männlicher geworden zu seyn schien. Sie war ein Gerippe und ihre Züge durch ihr schmerzhaftes langwieriges Lager gänzlich verstellt, daß ich sie ohne ein natürliches Mitleiden nicht ansehen konnte. Ich gestehe es, daß mein Herz weit unter der Zärtlichkeit war, die ich ihr schuldig geblieben und daß ich im stande war mich ungeachtet der nahen Aussicht sie zu verlieren auf der Welt andern Zerstreuungen zu überlassen. Unterdessen hatte ich das Glück, daß sie meine Handreichung vor allen andern sich gefallen ließ, daß sie mich am liebsten rief um sie zu heben und im Bett zurecht zu legen. Der gnädige Gott forderte sie nach einigen Tagen ab, da ich kaum eine Woche ein Zeuge und Teilnehmer ihres Kreutzes und der Last meines alten redlichen Vaters gewesen war. Ich habe sie sterben gesehen - -unter vielen Bewegungen und Betrachtungen über den Tod – und den Tod eines Christen. Der Höchste gab ihr in ihrer Todespein ein säuberlich Geberde, ihr Herz wurde fein sanft gebrochen, und sie verging wie ein Licht ohn übrig Weh auf dein unschuldig Blut, das du für Sie vergossen. Ich wohnte ihrer Beerdigung mit unsäglicher Wehmuth und Betrübnis bey, worinn mein Herz zu zerschmelzen schien; wurde aber leider! durch die Welt und durch die Grillen meines Glückes bald wieder getröstet.

Hierauf machte ich mich von meinen Verbindlichkeiten in Kurland gänzlich los und erhielt Geld und Vollmacht zu meiner Reise, die ich nach langer Verzögerung und mit halber Schwermuth und Zufriedenheit einer falschen Hoffnung, woran es unser Fleisch und Blut und Welt und Satan niemals fehlen läst um uns desto mehr ins Bloße zu setzen und für unsere Leichtgläubigkeit hernach auszulachen. Ich stieg den 1. Oktober 1756. des Morgens frühe auf den Postwagen nach Danzig, und nahm von meinem Vater auf dem Bett Abschied, für den ich Gott allein anrufen kann, und den ich dem himmlischen Vater jetzt allein empfehlen kann.

Ich hielte mich in Danzig blos einen Posttag auf und von da nach Berlin. Unterwegens hielte ich den erschrecklichen Sturm aus, der so viel Schaden gethan und wo ich Gott lob! unbeschädigt wiewol mit großem Glück in Köslin ankam und ein paar Tage stille lag…

Ich kam hierauf den 14. Oct. in Berlin an wo ich eine außerordentlich gütige Aufnahme bey dem Geheimen Rat Ursinus fand meines alten Vaters wegen wie auch bey dem jungen Grafen von Fink. Außerdem wurden mir auf meines Freundes Empfehlung aus Riga viele Gefälligkeiten im Merkschen und Guzkowskyschen Hause erwiesen. Ich ließ mir diesen Ort als den ersten großen, den ich gesehn hatte, außerordentlich gefallen und fand daselbst einige alte gute Freunde, Rutzen, Pastor Reinbek, Reusch, die alle vergnügt waren mich zu sehen; ich lernte meinen Freund Sahme kennen; und unter Gelehrten den Juden Moses nebst einem andern seines Glaubens und seiner Fähigkeit oder Nacheyferung, den Prof. Sulzer, der mich in die Akademie führte, Ramler, einen jungen französischen Akademisten, der ein Schweitzer war, Merian, der mich zu Premontval führte. Ich konnte gleichwohl nichts genüßen, war allenthalben gezwungen und für mich selbst in Ängsten, tiefsinnig ohne zu denken, unstät und unzufrieden gleich einem Flüchtling eines bösen Gewissens.

Ich reisete den 23. Nov. von Berlin, wo ich mich für meinen Vorsatz viel zu lang und nach der Länge der Zeit viel zu unnütz aufgehalten hatte, und ging nach Hamburg, weil Herr Merk eine Summe Goldes daselbst abzusetzen wünschte, die mir viel Sorge machte, weil die erste Nacht das Schloß von meinem Koffer ging, die ich aber glücklich nach Hamburg überbrachte. Von da eilte ich nach Lübeck, wo ich den 28. des Morgens an einem Sonntage ankam und in meines gütigen Mutterbruders Haus abstieg.

Hier wollte ich auf Unkosten meiner Blutsfreunde über-wintern; ich kam unvermuthet und verursachte so viel Wunder als Freude. Alles sah mich Gott lob! gerne, und ich habe Ursache mich der Zärtlichkeit und Freundschaft zu rühmen, womit ich in meines Oheims Hause und bey den meisten meiner übrigen Anverwandten aufgenommen worden bin; meiner Eltern Andenken war allenthalben geseegnet und glücklich für mich. Ich fand im Roedschen Hause viele Gunst und mehr als mir gedient war, an Karstens einen geprüften Freund. Meine alte Muhme erinnerte mich besonders sehr öfters an meine seelige Mutter; sie waren sich sehr ähnlich und hatten sich schwesterlich einander jederzeit geliebt…

Ich reisete unter Thränen und tausend herzlichen Glückwünschungen den 24. Januar 1757. von Lübeck ab und wurde von meinem Vetter und einer Gesellschaft Freunde auf den halben Weg nach Hamburg begleitet, wo wir bey dem alten ehrwürdigen Präpositus Brandenburger, der sich in den Versuchen der niedersächsischen Poeten durch einige glückliche Gedichte bekannt gemacht und gleichfalls ein weitläuftiger Vetter von uns ist. Ich kam hierauf den 27. Jänner an und reisete bey gutem Winter den 5. Februar ab nach Bremen. Hier fiel ein starkes Thauwetter ein, fand aber dafür einen jungen Hamburger Reich zum Reisegefährten, der nach Amsterdam gehn wollte und mit dem ich Gesellschaft machte. Wir nahmen Extrapost um den kürzesten und sichersten Weg zu gehen. Wir reisten mit ungemeiner Gefahr die ersten Tage, weil alles überschwemmt und kein Weg zu sehen war. Den 9ten geschah unsre Abreise durch Delmenhorst, Wilshausen, Klappenburg, Löningen, Voßelohe, Lingen, Neuhus, Hartenberg, Zwolle, Amersfort, Amsterdam, wo wir den 17. anlangten… Ich erhielt endlich meinen Wunsch nach England zu gehen mit den freygebigsten Aufdringungen. Der letzte Ort meiner Bestimmung gab mir noch meine einzige und letzte Hoffnung ein; ein lächerlich Vorurtheil für dies Land unterstützte selbige, das ich immer als die Heimath oder den rechten Grund und Boden für meine ebentheuerliche Denkungs- und Lebensart angesehen hatte. Ich verließ am Gründonnerstage oder Charfreytage, den ich für unnöthig hielt zu heiligen, weil er in Holland und Engelland nicht als ein Fest angesehen wird, auf einer Treckschüyte Amsterdam, feyerte die ersten Ostertage in Leyden in der grösten Unordnung und Unterdrückung des Gemüths. Hierauf gieng nach Rotterdam, wo ich im Swienshoefd oder Schweinskopf einkehrte, dem besten Wirthshause und daselbst einen jungen Engländer fand, mit dem ich von Amsterdam nach Leyden gegangen war, der Gesellschaft suchte. Dies war mir sehr angenehm und ich machte mir bereits schmeichelhafte Einbildungen von seiner Bekanntschaft, die ein schlechtes Ende hatte. Wir bedungen uns eine Jagt nach Helvoetschluis; wo denselben Tag den 16.April das Paquetboot abging; es war Sonnabend, wir langten den folgenden Sonntag in einer ziemlich starken Gesellschaft, unter der auch ein junger Bremer war, der der Sprache wegen nach Engeland gieng und zu studiren gedachte, bey sehr gutem Winde in Harwich anlangten des Abends ohne daß ich einigen Anstoß der Seekrankheit gefühlt hatte, Schwindel und einige Übelkeit ausgenommen. Wir mietheten uns den Morgen darauf Montags eine Post, mein Engländer, dessen Namen Shepherd war ein Studirender, der auch auf Reisen in Holland ausgegangen und mit eben so viel Nutzen als ich, weil er keine andre Sprache als seine eigne verstand und ein Katholik war wo ich nicht irre. Ich fand ihn Morgens auf Knieen beten und wanderte mich theils, erbaute mich theils an seiner Andacht, daß ich daher mehr Vertrauen zu ihm faste. Er hatte sich angeboten mich für 2 Guinees nach London mit allen Unkosten des Zollhauses und anderer Ausgaben zu schaffen.

Ich gab ihm selbige; er gab mir aber ungefähr eine halbe Guinee auf dem halben Weg zurück mit vieler Angst und sagt, ich möchte das übrige selbst bezahlen. Ich hatte mit seiner Unruhe soviel Mitleiden und für seine Aufführung so viel Verachtung, daß ich nicht drang auf eine weitere Befriedigung. Er hatte es vielleicht aus Noth gethan, weil ich ihm selbst in London bey meiner Ankunft noch einen Schilling vorschießen muste, den ich so wenig als ihn selbst wieder gesehen.

Wir kamen denselben Abend sehr spät den 18. April 1757. in London an, wo ich mit meinem Bremer eine sehr unruhige Nacht in der Inn hatte, weil selbige als eine Mördergrube in unsern Augen vorkam und voller Gesindel zu seyn schien, unsre Stube so unsicher war, daß jeder ins Fenster einsteigen konnte, der uns nicht hätte durch die Thür aufwecken wollen. In London sind alle Fenster aufzuschieben. Ich schöpfte einige Tage Othem, ehe ich mich meiner Geschäfte annahm, hatte nebst meinem Bremern, der in Begleitung eines Führers und Freundes, der ein junger Kaufmann war und seine Schwester heirathen sollte, ein gutes Wirthshaus gefunden. Nachdem ich einen Miethslaquay angenommen hatte, war die erste Thorheit die ich beging einen Marktschreyer aufzusuchen, von dem ich gehört hatte, daß er alle Fehler der Sprache heilen könnte. Er lebte in Islington, ich erkundigte mich in einem deutschen Wirthshaus nach ihn, wo man ihn sehr wohl kannte und mir gestand daß er einige Kuren gethan hätte, die ihn berühmt gemacht, man könnte aber nicht die Ursache meiner Bedürfnis sehen. Ich ging und fand einen alten Mann, der mich untersuchte und nichts an meinen Werkzeugen der Sprache sehn konnte, der mir sein Haus und eine große Summe Geldes zur Bedingung seiner Kur machte, wo ich eine gewisse Zeit lang nichts reden, und endlich buchstabiren lernen sollte. Mehr konnte ich von seiner Methode nicht herausbringen. Ich muste also meine Geschäfte mit der alten Zunge und mit dem alten Herzen anfangen. Ich entdeckte selbige denjenigen an die ich gewiesen war; man erstaunte über die Wichtigkeit meiner Angelegenheit, noch mehr über die Art der Ausführung und vielleicht am meisten über die Wahl der Person, der man selbige anvertraut hatte. Nachdem man sich von der ersten Bewunderung erholt hatte, fieng man an zu lächeln – dreist seine Herzensmeinung zu entdecken – über diejenigen, die mich gesendet hätten, wozu ich gekommen war, und beklagte mich selbst. Alle diese Dinge beunruhigten mich und brachten mich zugleich auf. Ich arbeitete endlich an einem Memorial an den Russischen Abgesandten – das war alles was ich thun konnte. Er benahm mir alle Hoffnung etwas auszurichten, und gab mir desto mehr Versicherung von seinem Eyfer mir zu dienen, damit der letzte vielleicht angerechnet werden sollte, wenn die erste eintraf. Es giebt gewisse Stellen und gewisse Geschäfte, die man am besten und mit der größten Ehre verwalten kann, wenn man nichts oder so wenig als möglich thut. Sollten wir es uns einen Ernst seyn lassen alles mögliche in Acht zu nehmen, so würden wir erstlich unsre Bequemlichkeit und Ruhe sehr hintansetzen müssen, uns großer Gefahr und Verantwortung aussetzen, uns vielleicht Feinde machen, Opfer unsers guten Willens und Unvermögens werden. In diesen Umständen befindet sich ein Minister, der Hochverrath seiner Pflichten, der Ehre desjenigen, in dessen Namen er ist u.s.w. als Klugheit und Vorsichtigkeit ansieht, der das Interesse anderer unterdrückt seiner eignen Sicherheit wegen, der Schwierigkeiten für Unmöglichkeiten ansieht. Ich glaubte also daß ich nach eben den Regeln in meinen Geschäften verfahren müste, so wenig als möglich thun, um nicht die Unkosten zu häufen, mir durch übereilte Schritte blos zu geben und Schande zu machen, und dies Wenige muste ich als Alles was füglich und thunlich war, ansehn. Ich ging also unterdrückt und taumelnd hin und her, hatte keinen Menschen dem ich mich entdecken, und der mir rathen oder helfen konnte.

Ich war der Verzweiflung nahe und suchte in lauter Zerstreuungen selbige aufzuhalten und zu unterdrücken. Was Blindheit, was Raserey, ja Frevel war, kam mir als das einzige Rettungsmittel vor. Laß die Welt gehen, wie sie geht – mit der Lästerung eines Vertrauens auf die Vorsehung, die wunderlich hilft – nimm alles mit, was dir aufstößt, um dich selbst zu vergessen – dies war ein System, nach dem ich meine Aufführung einrichten wollte, und durch jeden unglücklichen Versuch niederfiel, das ich aber wieder aufbaute zu eben der Absicht. Mein Vorsatz war nichts als eine Gelegenheit – eine gute Gelegenheit – eine gute Gelegenheit – Gott weiß was ich nicht dafür angesehn hätte um meine Schuld bezahlen und wieder frey in einer neuen Tollheit anfangen zu können.

Ich gab also alles auf, die leeren Versuche, in die ich durch Briefe durch die Vorstellungen der Freundschaft und Erkenntlichkeit aufwachte, waren lauter Schein, faules Holz, Irrlichter, die Sumpf zu ihrer Mutter haben. Nichts als die Einbildung eines irrenden Ritters und die Schellen meiner Narrenkappe waren meine gute Laune und mein Heldenmuth. Ich hatte in Berlin die Thorheit gehabt eine Woche lang bey dem Lautenisten Baron Stunden zu nehmen; mein redlicher Vater hatte mich erinnert und deswegen gestraft, ich sollte an meinen Beruf und an meine Augen denken. Dies war umsonst gewesen; der Satan versuchte mich wieder mit der Laute, die mir in Berlin Verdruß gemacht hatte, weil ich eine geliehene unwissender Weise einem armen Studenten Viermetz, verdorben hatte, der sich von der Musik ernährte und dem ich keine Gutthuung dafür erwiesen sondern vielmehr durch seine sehr bescheidene und rührende Empfindlichkeit im Herzen beleidigt worden war. Ich fieng daher wieder an nach einer Laute zu fragen, als wenn mein ganzes Glück auf dieses Instrument, in dem ich so wenig musikalische Stärke besitze, ankäme. Es war nicht möglich eine zu finden und man sagte mir daß es nicht mehr als einen einzigen in London gäbe, der schweres Geld damit hätte verdienen können, jetzt aber als ein Junker lebte. Ich brannte, diesen Sohn der weißen Henne kennen zu lernen und hatte meinen Wunsch. Wie sehr bin ich durch denselben gestraft worden! Er wurde mein Vertrauter, ich gieng täglich aus und ein, verzog mich in seine Nachbarschaft, hatte sein eigen Haus, unterhielt eine Hure – Er bot mir alles an, so sehr mich mein Urtheil, mein erstes von ihm entfernt hatte, so viele Bedenklichkeiten ich über seinen Charakter in meinem Sinn hegte, so wurde alles von ihm eben gemacht. Ich glaubte jetzt gefunden zu haben, was ich wollte – du kannst durch ihn bekannt werden, du hast jetzt wenigstens einen Menschen, mit dem du umgehen kannst, du hast ein Haus, wo du dich zerstreuen kannst, du kannst dich auf der Laute üben, und an seine Stelle treten, du kannst so glücklich als er werden. – Ich danke dem lieben Gott, daß er mich lieber gehabt und daß er mich von einem Menschen los gemacht, an den ich mich wie ein Mühlensklave gekuppelt hatte um einen gleichen Gang der Sünde und Laster mit ihm zu thun.

Mein blindes Herz ließ mir gute Absichten bey meiner Vereinigung sehen, einem Menschen der ohne Erziehung und Grundsätze war, Geschmack und die letzteren einzuflößen. Ich Blinder wollte ein Wegweiser eines andern seyn, oder vielleicht ihn unterrichten zierlich zu sündigen, Vernunft zur Bosheit zu drehen. – Ich fraß umsonst, ich soff umsonst, ich buhlte umsonst, ich rann umsonst, Völlerey und Nachdenken, Lesen und Büberey, Fleiß und üppiger Müßiggang wurden umsonst abgewechselt; ich schweifte in beyden, umsonst in beyden, aus. Ich änderte in 3 Vierteljahren fast monatlich meinen Aufenthalt, ich fand nirgends Ruhe, alles war betrügerisch, niederträchtig, eigennützig Volk.

Endlich erhielt ich den letzten Stoß an der Entdeckung meines Freundes, der mir schon unendlich viele Merkmale des Verdachts gegeben hatte, die ich unterdrückte. Ich erfuhr, daß er auf eine schändliche Art von einem reichen Engländer unterhalten wurde. Er war unter dem Namen Senel bekannt, gab sich aber für einen deutschen Baron von Pournoaille aus, hatte eine Schwester in London, die auf eben solche Art vermuthlich von dem Russischen Abgesandten unterhalten ward und unter dem Namen einer Frau von Perl einen Sohn hatte. Ich erschrak über dies Gerüchte und wollte Gewisheit haben. Er hatte mir einen Pack Briefe längstens anvertraut, die er abzufordern vergessen hatte ungeachtet ihrer vorgegebenen Wichtigkeit und die ich ihm auch nicht ich weiß nicht aus welcher Ahndung zurückgegeben ohne daß es nur jemals eingefallen war sein Vertrauen zu misbrauchen. Sie waren sehr loos versiegelt, ich konnte jetzt der Versuchung nicht widerstehn aus selbigen Gewisheit zu haben. Ich erbrach solche daher und machte mir selbst die Entschuldigung, falls ich nichts hierinn in Ansehung des ihm beygelegten Verbrechens finden würde, sie ihm mit dem aufrichtigen Bekenntnis meines begangnen Vorwitzes wiederzugeben und ihm in Ansehung des übrigen alle mögliche Verschwiegenheit zu verschweren; zugleich aber ihm meine Freundschaft aufzusagen, wofern ich andre Geheimnisse entdeckt, die meinen Grundsätzen widersprochen hätten. Ich fand leyder! zu viel um mich von seiner Schande zu überzeugen. Es waren abscheuliche und lächerliche Liebesbriefe, deren Hand ich kannte, daß sie von seinem vorgegebenen guten Freunde waren.

Ich war sehr unruhig über meine Maßregeln, glaubte aber aus Klugheit genöthigt zu seyn einige Briefe zurück zu behalten, worinn die grösten Proben seines Verbrechens enthalten waren und den brauch davon der Zeit und den Umständen zu überlassen. Er hatte sich einige Zeit auf dem Lande bey dem Gesellen und Lohnherrn seiner Bosheit aufgehalten, als er zurückkam, forderte er mit vieler Behutsamkeit seine Briefe ab, die ich ihm mit einiger Unruhe einhändigte und die er mit eben so viel und mehr annahm. Ich wollte mich ihm entdecken und meine Vorstellungen deswegen machen, daher ließ ich mir gefallen auf den vorigen Fuß wiewohl ohne das Herz mehr mich wieder einzulassen. Es schien, er hatte mich bloß zu schonen gesucht um zu entdecken, ob ich von dem Geheimnisse der Bosheit etwas wüste. Wie ich ihn darüber schien ruhig gemacht zu haben, glaubte er sich meiner allmählich mit gutem Fug entziehn zu können. Ich kam ihm zuvor und hatte eine andre Entschlüßung gefaßt, an den Engländer den ich kannte, selbst zu schreiben, um ihm die Schändlichkeit und Gefahr seiner Verbindung mit seinem Nebenbösewicht vorzustellen. Ich that dies mit so viel Nachdruck, als ich fähig war, verfehlte aber meines Endzwecks, anstatt sie zu trennen, vereinigten sie sich um mir den Mund zu stopfen.

Unterdessen war ich auf ein Coffeehaus gezogen, weil ich keine Seele zum Umgange mehr hatte einige Aufmunterung an öffentlichen Gesellschaften zu haben und durch diesen Weg vielleicht bekannt zu werden und eine Brücke zum Glück zu bauen. Dies war immer die erste Absicht aller meiner Handlungen. Es war mir zu theuer und zu verführerisch länger auszuhalten; ich war bis auf einige Guineen geschmolzen und muste mich wieder verändern. Ich gieng voller Angst und Sorgen aus um ein neues Zimmer zu haben. Gott war so gnädig mir eines finden zu lassen, in dem ich noch bin, bey sehr ehrlichen und guten Leuten seit dem 8.Februar dieses 1758sten Jahres in Marborough-Street bey Mr.Collins. Es sind beydes junge Leute die sich eine Ehre daraus machen Jedermann zu bekennen daß sie Bediente gewesen, die einen kleinen Handel angefangen, den Gott sichtbar geseegnet und die dies mit Dank, anhaltendem Fleiß und Demuth erkennen. Es ist eine besondere Gunst der Vorsehung daß er mich dieses Haus hat finden lassen, in dem ich auf die billigste und zufriedenste Art lebe, weil ich nicht um einen Heller fürchten darf übersetzt zu werden, und die beste Aufwartung umsonst genüße. Ich habe gedacht, wozu mich Gott nicht eher dies Haus hat finden lassen, das mich hätte früher retten können. Er weiß allein die Zeit, die beste Zeit uns den Anfang seiner Hülfe zu zeigen. — Wir die nichts verdienen als Zorn und das Unglück, wornach wir ringen, murren mit Gott, warum er uns nicht eher helfen will, uns, die nicht wollen geholfen seyn.

Ich hatte im vorigen Coffeehause einen verstopften Leib auf 8 Tage lang bisweilen gehabt und einen erstaunlichen Hunger, der nicht zu ersättigen war. Ich hatte das hiesige starke Bier, als Wasser in mir gesoffen. Meine Gesundheit daher bey allen den Unordnungen der Lebensart und meines Gemüths ist ein göttliches Wunder, ja ohne Zweifel mein Leben selbst und die Erhaltung desselben. Ich habe in diesem Hause nicht mehr ungeachtet es beynahe 3 Monathe ist als höchstens 4mal ordentliche Speise ge-habt; meine ganze Nahrung ist Wassergrütze und einmal des Tages Coffee. Gott hat selbige außerordentlich ge-deyhen lassen und ich denke mit seinem Beystande so lange als möglich dabey auszuhalten. Die Noth ist der stärkste Bewegungsgrund zu dieser Diaet gewesen, diese aber vielleicht das einzige Mittel meinen Leib von den Folgen der Völlerey wieder herzustellen.

Ich habe 150 Pfund Sterl. hier durchgebracht und kann und will nicht weiter gehn. Meine Schulden in Liefland und Kurland belaufen sich also sämmtlich über 300Pf… Ich habe kein Geld mehr und meine Uhr meinem Wirth gegeben. Die Gesellschaft des gedachten Buben hat mir viele unnütze Ausgaben verursacht, mein öfteres Ausziehn und Umziehn hat mir gleichfalls viel gekostet; ich habe 2 Kleider, davon eines die Weste ziemlich reich besetzt und einen Haufen Bücher mir angeschafft. Ich wollte in diesem Hause mich alles Umganges entschlagen und mich mit nichts denn meinen Büchern zu trösten suchen, davon ein ziemlicher Theil noch ungelesen oder wenigstens ohne Nachdenken und rechte Anwendung ungenutzt gelesen worden. Gott hatte mir eingegeben mir gleichfalls eine Bibel anzuschaffen, nach der ich mit vieler Hitze herumlief, ehe ich eine nach meinem Sinn finden konnte und von der ich ein sehr gleichgiltiger Besitzer bisher gewesen. Meine Einsamkeit, die Aussicht eines völligen Mangels und des Bettlerstandes, – nach dem ich bisweilen aus Verzweiflung gerungen hatte, weil ich selbst dies als ein Mittel ansahe mich aufzumuntern zu einem kühnen Glücksstreich – ja ich wünschte mir die Armuth aus einer ruchloseren Absicht um den gnädigen Gott meines bisherigen Lebens, der mir allemal im letzten Nothfall beygestanden, von neuem und mit Vorsatz, mit sündlicher Keckheit zu versuchen – kurz die Dürre meiner Umstände und die Stärke meines Kummers entzogen mir den Geschmack meiner Bücher. Sie waren mir leidige Tröster, diese Freunde, die ich nicht glaubte entbehren zu können, für deren Gesellschaft ich so eingenommen war, daß ich sie als die einzige Stütze und Zierde des menschlichen Schicksals ansahe.

Unter dem Getümmel aller meiner Leidenschaften, die mich überschütteten, daß ich öfters nicht Othem schöpfen konnte, bat ich immer Gott um einen Freund, um einen weisen redlichen Freund, dessen Bild ich nicht mehr kannte; ich hatte an statt dessen die Galle der falschen Freundschaft und die Unhinlänglichkeit der Besserung gekostet, genug gekostet. Ein Freund, der mir einen Schlüssel zu meinem Herzen geben konnte, den Leitfaden von meinem Labyrinth – war öfters ein Wunsch den ich that ohne den Inhalt desselben recht zu verstehn und einzusehn.

Gott Lob! ich fand diesen Freund in meinem Herzen, der sich in selbiges schlich, da ich die Leere und das Dunkle und das Wüste desselben am meisten fühlte. Ich hatte das alte Testament einmal zu Ende gelesen und das neue zweymal wo ich nicht irre, in der Zeit. Weil ich also von neuem den Anfang machen wollte, so schien es, als wenn ich meine Decke über meine Vernunft und Herz gewahr würde, die mir dies Buch das erstemal verschlossen hätte. Ich nahm mir daher vor mit mehr Aufmerksamkeit und in mehr Ordnung und mit mehr Hunger dasselbe zu lesen; und meine Gedanken, die mir einfallen würden, dabey aufzusetzen.

Dieser Anfang, wo ich noch sehr unvollkommene und un-lautere Begriffe von Gottes Worte zur Lesung desselben mitbrachte, wurde gleich mit mehr Aufrichtigkeit als ehmals den 13.März von mir gemacht. Je weiter ich kam, je neu , er wurde es mir, je göttlicher- erfuhr ich den Inhalt und die Würkung desselben. Ich vergaß alle meine Bücher darüber, ich schämte mich selbige gegen das Buch Gottes jemals verglichen, jemals sie demselben zur Seite gesetzt, Ja jemals ein anderes demselben vorgezogen zu haben. Ich fand die Einheit des göttlichen Willens in der Erlösung Jesu Christi, daß alle Geschichte, alle Wunder, alle Gebote und Werke Gottes auf diesen Mittelpunkt zusammenliefen die Seele des Menschen aus der Sclaverey, Knechtschaft, Blindheit, Thorheit und dem Tode der Sünden zum grösten Glück, zur höchsten Seeligkeit und zu einer Annehmung solcher Güter zu bewegen, über deren Größe wir noch mehr als über unsre Unwürdigkeit oder die Möglichkeit uns derselben würdig zu machen, erschrecken müssen, wenn sich uns selbige offenbaren. Ich erkannte meine eigenen Verbrechen in der Geschichte des jüdischen Volks, ich las meinen eignen Lebenslauf, und dankte Gott für seine Langmuth mit diesem seinem Volk, weil nichts als ein solches Beispiel mich zu einer gleichen Hoffnung berechtigen konnte. Vor allen andern fand ich in den Büchern Moses eine seltne Entdeckung, daß die Israeliten, so ein ungeschlachtet Volk sie uns vorkommen, in einigen Fällen nichts als dasjenige von Gott ersuchten, was Gott willens war für sie zu thun, daß sie eben so lebhaft ihren Ungehor-sam als je ein reuender Sünder erkannten, und ihre Buße doch gleichwohl eben so geschwind vergaßen, in der Angst derselben aber, um nichts als einen Erlöser, einen Fürsprecher, einen Mittler anriefen, ohne den sie unmöglich Gott weder recht fürchten noch recht lieben konnten. Mit diesen Betrachtungen, die mir sehr geheimnisvoll vor-kamen, las ich den 31.März des Abends das V.Capitel des V. Buchs Moses, verfiel in ein tiefes Nachdenken, dachte an Abel, von dem Gott sagte: die Erde hat ihren Mund aufgethan um das Blut deines Bruders zu empfangen - Ich fühlte mein Herz klopfen, ich hörte eine Stimme in der Tiefe desselben seufzen und jammern, als die Stimme des Bluts, als die Stimme eines erschlagenen Bruders, der sein Blut rächen wollte, wenn ich selbiges beyzeiten nicht hörte und fortführe mein Ohr gegen selbiges zu verstopfen, — daß eben dies Kain unstätig und flüchtig machte. Ich fühlte auf einmal mein Herz quillen, es ergoß sich in Thränen und ich konnte es nicht länger – ich konnte es nicht länger meinem Gott verheelen, daß ich der Bruder-mörder, der Brudermörder seines eingeborenen Sohnes war.

Der Geist Gottes fuhr fort, ungeachtet meiner großen Schwachheit, ungeachtet des langen Widerstandes, den ich bisher gegen sein Zeugnis, und seine Rührung angewandt hatte, mir das Geheimnis der göttlichen Liebe und die Wohlthat des Glaubens an unsern gnädigen und eintzigen Heiland immer mehr und mehr zu offenbaren.

Ich fuhr unter Seufzern, die vor Gott vertreten wurden durch einen Ausleger, der ihm theuer und werth ist, in Lesung des göttlichen Wortes fort und genoß eben des Beystandes, unter dem dasselbe geschrieben worden, als des einzigen Weg den Verstand dieser Schrift zu empfahen, und brachte meine Arbeit mit göttlicher Hülfe, mit außerordentlich reichem Trost und Erquickung ununterbrochen den 2 1. April zu Ende.

Ich fühle Gott Lob! jetzt mein Herz ruhiger als ich es jemals in meinem Leben gehabt. In den Augenblicken, worinn die Schwermuth hat aufsteigen wollen, bin ich mit einem Trost überschwemmt worden, dessen Quelle ich mir selbst nicht zuschreiben kann und den kein Mensch im Stande ist so überschwenglich seinem Nächsten einzuflößen. Ich bin erschrocken über den Ueberfluß desselben er verschlang alle Furcht, alle Traurigkeit, alles Mistrauen daß ich keine Spur davon in meinem Gemüth mehr finden konnte. Ich bitte Gott, er wolle das Werk seegnen das er in mir angefangen, meinen schwachen Glauben durch sein Wort und den Geist, den gnädigen, den überschwenglichen Geist desselben, den Geist des Friedens, der über alle Vernunft ist, und nicht so ein Friede als der, den die Welt giebt, den Geist der Liebe, ohne den wir nichts als Feinde Gottes und der diesen Wohlthäter haßt, wie kann der zeitlich lieben? den Geist der Hoffnung, die nicht zu Schande werden läst wie das Schattenspiel fleischlicher Einbildung…

Ich schlüße, mit einem Beweise meiner eignen Erfahrung in einem herzlichen und aufrichtigen Dank Gottes für Sein seelig machendes Wort, das ich geprüft gefunden als das einzige Licht nicht nur zu Gott zu kommen, sondern auch uns selbst zu kennen, als das theuerste Geschenk der göttlichen Gnade, das die ganze Natur und alle ihre Schätze so weit übertrifft als unser unsterblicher Geist den Leim des Fleisches und Blutes, als die erstaunlichste und verehrungswürdigste Offenbarung der tiefsten, erhabensten, wunderbarsten Geheimnisse der Gottheit, im Himmel, auf der Erde und in der Hölle, von Gottes Natur, Eigenschaften, großem überschwenglichem Willen, hauptsächlich gegen uns elende Menschen, voller der wichtigsten Entdeckungen durch den Lauf aller Zeiten bis in die Ewigkeit, als das einzige Brodt und Manna unserer Seelen, dessen ein Christ weniger entbehren kann als der irrdische Mensch seiner täglichen Nothdurft und Unterhalts – ja ich bekenne, daß dieses Wort Gottes eben so große Wunder an der Seele eines frommen Christen, er mag einfältig oder gelehrt seyn, thut als diejenigen die in demselben erzählt werden, daß also der Verstand dieses Buches und der Glaube an den Inhalt desselben durch nichts anders zu erreichen ist als durch denselben Geist, der die Verfasser desselben getrieben, daß seine unaussprechlichen Seufzer die er in unserm Herzen schafft mit den unausdrücklichen Bildern einer Natur sind, die in der heiligen Schrift mit einem größern Reichthum als aller Saamen der ganzen Natur und ihrer Reiche, aufgeschüttet sind.

Das zweyte ist das Geständniß meines Herzens und meiner besten Vernunft; daß es ohne Glauben an Jesum Christum unmöglich ist Gott zu erkennen, was für ein liebreiches, unaussprechlich gütiges und wohlthätiges Wesen er ist, dessen Weisheit, Allmacht und alle übrigen Eigenschaften nur gleichsam Werkzeuge seiner Menschenliebe zu seyn scheinen; daß dieser Vorzug der Menschen, der Insecten der Schöpfung unter die grösten Tiefen der göttlichen Offenbarung gehört, daß Jesus Christus sich nicht nur begnügt ein Mensch sondern ein armer und der elendeste geworden zu seyn daß der heilige Geist uns ein Buch für sein Wort ausgegeben, worinn er wie ein Alberner und Wahnsinniger, ja wie ein unheiliger und unreiner Geist unsrer stolzen Vernunft Mährlein, kleine verächtliche Begebenheiten zur Geschichte des Himmels und Gottes gemacht. I. Cor. 1,25 – daß dieser Glaube uns alle unsere eigenen Handlungen und die edelsten Früchte der menschlichen Tugend nicht anders als die Risse der feinsten Feder unter einem Vergrößerungs Glas entdeckt oder die zarteste Haut unter gleichem Anblick; daß es daher unmöglich ist ohne Glauben an Gott, den sein Geist würkt und das Verdienst des einigen Mittlers, uns selbst zu lieben, und unsern Nächsten; kurz man muß ein wahrer Christ seyn um ein rechtschaffener Vater, ein rechtschaffenes Kind, ein guter Bürger, ein rechter Patriot, ein guter Unterthan, ja ein guter Herr und Knecht zu seyn; und daß im strengsten Wortverstand, jedes Gute ohne Gott unmöglich ist, ja daß er der einzige Urheber desselben.

Mit freundlicher Genehmigung durch Andre Rudolph,http://www.hamann-kolloquium.de/werk

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