Härter, Franz Heinrich - Die Nachfolge Christi
Text: Ev. Matth. 16,21-26
Wenn wir im Glauben so weit vorangeschritten sind, dass wir in Jesus Christus den Herrn der Herrlichkeit erkennen, so fängt Er auch an uns in das Geheimnis seiner Leiden einzuführen; denn in der Erkenntnis des Christen darf kein Stillstand sein, bis sie durchgedrungen ist auf den inneren Grund der Seelen, um von dort aus heiligend auf den ganzen Menschen zu wirken, und ihn zu vollenden im göttlichen Leben nach dem Ebenbild des Gottmenschen, der als zweiter Adam das Urbild der wiedergeborenen Menschheit ist.
Petrus hatte, auf die Frage des Herrn: „Was sagt denn ihr, dass ich sei?“ im Namen aller Apostel geantwortet: „Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn!“1) In diesem Wort liegt der Grundartikel des ganzen Christenglaubens, denn es spricht die Wahrheit aus, dass Er der Messias sei, auf welchen Israel wartete, und als Sohn Gottes das ewige Leben habe und gebe. Darum nannte der Herr seinen Simon einen Petrus, d. h. Felsenmann, weil sein Bekenntnis der Fels ist, auf welchen die Gemeinde Christi unüberwindlich fest gegründet wurde.
Allein von der Zeit an begann auch Jesus seinen Jüngern zu zeigen, wie Er musste hin gen Jerusalem gehen, und viel leiden, und getötet werden, und am dritten Tage auferstehen. Dass der Messias leiden müsste, war im Alten Testament deutlich geweissagt2); aber die Juden hatten dies in ihren stolzen Erwartungen, die sie auf die Aussprüche der Propheten gründeten, beinahe außer Acht gelassen, und auch den Jüngern Jesu war der Gedanke daran unerträglich. Petrus, der im Namen Aller das Wort zu führen pflegte, vergaß darüber ganz sein Verhältnis als Schüler, und als ob er den Herrn zurecht weisen müsste, nahm er ihn besonders, fuhr ihn an und sprach: Herr, schone deiner selbst; das widerfahre dir nur nicht!
Da wandte sich Jesus um, sah seine Jünger an3), die dem Petrus beifällig zuwinkten, und sprach zu diesem: „Hebe dich, Satan, von mir, du bist mir ärgerlich; denn du meinst nicht was göttlich, sondern was menschlich ist!“ Die scharfe Rüge war nötig, um den Jünger auf seinen rechten Standpunkt zurück zu weisen, und ihm die Quelle anzudeuten, aus welcher der wohlgemeinte Rat geflossen war. Es war ein Teufelsrat, der, wenn er wäre befolgt worden, das ganze Erlösungswerk zernichtet hätte; denn nur durch das Leiden und Sterben des Gottessohnes konnte die Schuld der Menschheit getilgt und der Weg gebahnt werden, der zum neuen Leben der Auferstehung und zum Thron der ewigen Herrlichkeit führt.
Solches fassten jedoch die Jünger noch nicht; sie waren zwar gläubige Verehrer ihres Herrn, aber was zu seiner eigentlichen Nachfolge gehört, hatten sie nicht begriffen; deswegen knüpft Jesus an seine strenge Zurechtweisung eine Belehrung an, welche den Grundartikel des ganzen Christenlebens im Prüfungsstand enthält, indem er also spricht: „Will mir Jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst, und nehme sein Kreuz auf sich, und folge mir.“
Mit diesem Worte öffnet der Heiland seinen Jüngern die Aussicht auf den Weg, den wir gehen müssen, wenn wir in seine Gemeinschaft eintreten und darin zur Vollendung voranschreiten wollen. Es ist sein Weg4), den er uns zubereitet und mit seinem Blut bezeichnet und geheiligt hat, und heißt:
Die Nachfolge Christi.
Dies soll nun auch der Gegenstand unserer Betrachtung sein; doch müssen wir gleich zum Voraus uns gestehen, dass wir darüber bloß einige Andeutungen geben können, denn der Gegenstand ist zu ausgedehnt, als dass es möglich wäre, eine Übersicht darzubieten. Wie man einem Wanderer, der nach dem Wege fragt, den Anfang desselben zu zeigen pflegt, soweit das Auge reicht, und dann von dem weit größeren Teil, der sich in der Ferne verhüllt, nur noch so viel sagt als nötig ist, damit der Pilger die gehörige Richtung nicht verliere, so wollen wir auch unsere Betrachtung mehr auf das Zunächstliegende beschränken, und das Übrige kurz zusammenfassen, gewiss, dass wer mit erleuchtetem Blick und aufrichtigem Herzen den im Wort Gottes angezeigten Weg einschlägt, sich auch in der Fortsetzung desselben immer zurecht finden werde, weil in der Schrift, die unser Wanderbuch ist, alle Fälle vorausgesehen sind, und der Heilige Geist jedem ernstlichen Beter dieselbe öffnet und auslegt.
In der Nachfolge Christi sind zwei Stücke zu merken, welche unser Herr deutlich ausspricht, wenn er sagt: „Will mir jemand nachfolgen, 1tens. der verleugne sich selbst, 2tens. und nehme sein Kreuz auf sich.“
1.
Die Selbstverleugnung ist also das erste Stück in der Nachfolge Christi, und geht der Kreuzes-Übernahme voraus. Das ist ein wichtiger Punkt, auf welchen wir vor allem unsre Aufmerksamkeit zu lenken haben, denn keiner kommt zum Kreuz, der nicht zuvor gelernt hat sich selbst verleugnen. Merken wir also gleich beim Antritt des Weges, dass das Wort Kreuz sehr oft missbraucht wird; denn das hochmütige Menschenherz, welches stets falschen Trost sucht, und sogar in dem, was es zu leiden hat, sich selbstgefällig spiegelt, pflegt Alles, was ihm schmerzlich ist, sogleich ein Kreuz zu nennen, weil das Kreuztragen etwas Ehrenvolles ist; allein weit, weit gefehlt! Das Kreuz, das wahre heiligende Kreuz, wird erst denen dargeboten, die sich in der Selbstverleugnungsschule geübt und bewährt haben. Was Manche vorher mit diesem schönen Namen sich selbst täuschend ausdrücken wollen, ist meist nur eine unausbleibliche Folge ihrer eigenen Torheit, oder eine besondere Zucht und Strafe Gottes wegen ihren Sünden, aber kein Kreuz.
Also, willst du, als Nachfolger Jesu Christi, einst einer seiner Kreuzträger werden, so fange damit an, dass du dich selbst verleugnest.
Was Selbstverleugnung sei, ist nicht schwer zu sagen, aber desto schwerer zu tun. Wer sich selbst verleugnet, der sagt zu sich selbst: Ich kenne dich nicht! ich glaube dir nicht! ich folge dir nicht! Daraus erhellt nun deutlich, dass die Selbstverleugnung nicht anders als bei der Herzenserneuerung möglich wird, und dass in der Seele schon das große Werk des Heiligen Geistes, welches man die Wiedergeburt zu nennen pflegt, muss angefangen haben; denn der natürliche Mensch steht noch ganz in der Eigenheit, und hat auch nicht einen Gedanken daran, dass er etwas tun möchte gegen seinen Eigenwillen, seine fleischliche Vernunft, und seine sinnlichen Triebe. Man wende nicht ein, dass die Kinder der Welt doch oft große Selbstverleugnung üben, wie z. B. mancher Kriegsmann um der Ehre willen, mancher Kaufmann um des Gewinnes willen, mancher Verliebte um seiner Leidenschaft willen; dies ist keine Selbstverleugnung, sondern beweist nur, welch große Opfer der alte Mensch zu bringen fähig ist, um sein Ich, seinen Abgott zu befriedigen und ihm zu frönen; und darin liegt eben die Schmach unseres sündlichen Herzens, dass es im Dienst der Eigenheit so viel überwinden kann, und für den Dienst Gottes unseres Heilandes, für sein Werk und sein Reich zu nichts Lust bezeugt.
Die wahre Selbstverleugnung ist also eine Verleugnung unserer Eigenheit, eine Entsagung, die darin ihren Grund hat, dass der Mensch sich als Eigentum Gottes betrachtet, und deswegen bereit ist Alles das herzugeben, was ihn noch von dem lebendigen Gott abziehen und in der Macht des Fürsten dieser Welt gebunden halten könnte. Wenn nämlich ein Mensch, der von Christo Jesu ergriffen ist, im Glauben an den Sohn des lebendigen Gottes anfängt zu merken, dass unsre große Lebensaufgabe darin bestehe, Ihm zu leben, der für uns gestorben und auferstanden ist, so bekommt sein Erdendasein eine ganz andere Bedeutung, und nun erst sieht er ein, wie er bisher so gebunden war in seiner Eigenheit; denn während er sich bestrebt sich Dem hinzugeben, der sich so liebevoll für ihn zum Opfer brachte, fühlt er in sich einen furchtbaren Widerstand, und erkennt mit Schrecken, dass dieser Widerstand von seinem alten Ich herkommt. Ist es ihm aber dennoch ein rechter Ernst in die Nachfolge Christi einzugehen, und nach dem hohen Kleinode des Glaubens, nach der ewigen Seligkeit zu ringen, so muss er die Selbstverleugnungsschule antreten.
Drei Stricke sind es, die den Menschen in seiner Eigenheit gebunden halten: der eigene Besitz, das eigene Recht, das eigene Leben; sie sind mannigfaltig verwickelt und zusammen gedreht, und so lange man nicht allen dreien absagt, kommt man nicht zur Freiheit der Kinder Gottes in der Nachfolge Christi.
Der eigene Besitz umfasst alles, was der Mensch meint, erworben zu haben, um damit zu schalten nach Belieben, und um vor der Welt etwas zu gelten; dazu gehören vorzüglich Reichtum, Macht, Gelehrsamkeit. Wie bläht sich die Seele im stolzen Selbstgefühl, wenn sie sagt oder denkt: das habe ich das vermag ich! das weiß ich! und das Ich dünkt sich auf diesem Besitze zu ruhen, wie auf einem Felsenthron. Zwar lehrt die Bibel deutlich genug, dass Alles dieses eitel ist, und die Geschichte bestätigt viel tausendfältig diese Lehre; allein der natürliche Mensch will nicht darauf merken, ja er kann nicht einmal, denn sein Sinn ist wie bezaubert.
Sobald aber die Gnade Gottes ein Herz ergreift und zur Buße rührt, schwindet auch der Zauber; doch die Seele ist darum noch nicht los. O wie hängt ihr noch an euerm Mammon, ihr armen Seelen, die ihr so deutlich versteht, was das einzig wahre ewige Gut ist, und könnt euch doch nicht davon los machen, wie jener Jüngling, den der Herr zu seiner Nachfolge aufforderte, und der traurig von dannen ging, denn er hatte viele Güter5). O wie hängt ihr noch an euerm Ansehen vor der Welt, ihr armen Seelen, die ihr so deutlich versteht, dass nur die Ehre vor Gott etwas gilt, und könnt euch doch nicht entschließen euern Heiland entschieden vor den Menschen zu bekennen, damit er auch euch bekenne vor seinem himmlischen Vater!6). O wie hängt ihr noch an euerm Wissen, an euerer eingebildeten Weisheit, ihr armen Seelen, die ihr so deutlich verstehet, was das heißt: in Christo liegen verborgen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis7) und könnt euch doch nicht überwinden mit dem Apostel auszurufen: „Es sei ferne von mir rühmen, denn allein von dem Kreuz Christi, durch welchen mir die Welt gekreuzigt ist, und ich der Welt!“8)
Daher kommt es, dass so viele lahme Halbchristen ihre Gnadenzeit in beklagenswerter Gebundenheit zubringen, weil sie nicht nach ihrer besseren Überzeugung tun, was der Herr fordert, wenn er sagt: Wer mir will nachfolgen, der verleugne sich selbst! Zur Selbstverleugnung gehört zuerst, dass sich die Seele von dem eigenen Besitze innerlich losmache, denn von bloß äußerlichem Hergeben ist nicht die Rede; für das äußerliche sorgt von selbst das Gesetz des Todes, welches über den Gütern dieser Welt zerstörend waltet, und welches die Welt pflegt Schicksal zu nennen. Das innere Ablösen ist aber ein mächtiger Kampf, der durch den heiligen Geist gewirkt wird, welcher den neuen Menschen stärkt zu einer gründlichen Willigkeit Alles zu verlassen und Christo nachzufolgen, und alles, was dem alten Menschen Gewinn war, um Christi willen für Schaden zu achten.9)
Was nun von dem eigenen Besitze gilt, das gilt ebenfalls von dem eigenen Recht. Das eigene Recht pflegt man auch die eigene Gerechtigkeit zu nennen; dies Recht besteht darin, dass der Mensch behauptet, er nehme nichts aus Gnade, sondern er dürfe gesetzmäßig fordern, was er begehrt. Kraft solches eigenen Rechtes stellt sich der natürliche Mensch kühn vor die Andern, und handelt mit denselben nach der Strenge des Gesetzes10); ja er stellt sich wohl gar gegen Gott, und behauptet trotzig, dass er ihm die selige Unsterblichkeit schuldig sei.
Freilich hört das prahlerische Wesen so ziemlich auf, wenn einmal die Wahrheit des Evangeliums eine Seele erweckt hat aus ihren hochmütigen Träumen der Selbstgerechtigkeit; allein dadurch ist sie noch nicht von diesem Übel befreit. Wie Manche kennen den Artikel von der Rechtfertigung durch den Glauben, und gestehen es ein, dass der Mensch durch des Gesetzes Werke nicht gerecht wird, wie die Schrift sagt11). Doch sind sie weit entfernt von ihrem eigenen Rechte etwas nachzugeben, und sind deswegen unbarmherzig scharf gegen alle Schuldiger und Beleidiger. Warum wallst du so heftig auf, armes Herz, wenn du hörst, dass lieblose Urteile oder gar Spott über dich ergehen? Warum loderst du in Zornesflammen auf? Warum sinnst du auf gerechte Wiedervergeltung? Ist es nicht deswegen, weil du dein eigenes Recht verteidigen willst, und dich sogar überredest, dass du darin noch eine Pflicht übst? O wie ferne bist du von der Nachfolge dessen, der nicht wieder schalt, da er gescholten ward, nicht drohte da er litt12), und am Kreuz noch für seine Mörder betete13)!
Doch das eigene Recht ist mit dem Wesen des Menschen so verwoben, dass er es nur mit seinem Leben aufgibt. Es ist gar nicht denkbar, dass wir von der Selbstgerechtigkeit loskommen können, wenn wir nicht auch den dritten Strick lösen, der uns gebunden hält, indem wir das eigene Leben verleugnen. Das eigene Leben, oder das Leben der Eigenheit, ist der Zustand einer Seele ohne Gott14). Abgerissen von der Wurzel des ewigen Lebens, will der natürliche Mensch selbstständig ein Leben führen, das frei und ungebunden kein Gesetz anerkennt als den eigenen Willen. Weil aber diesem Leben Gott, der Grund des Friedens, fehlt, so stürzt es sich in das Meer der Kreaturen, und hascht darin, einem Raubfisch gleich, nach allerlei Dingen, bei denen es eine Befriedigung zu finden hofft. Daher ist der Mensch, in seinem eigenen Leben, stets ein Spielzeug seiner Lüste und Begierden, und die kurzen Zeiträume ausgenommen, wo er durch sündliche Genüsse übersättigt ist, quält er sich und andere durch seine Eigenheit.
Man muss sich jedoch diese Quälereien des eigenen Lebens und Wirkens nicht bloß als grobe Versündigung en und in die Augen fallende Vergehungen denken; o nein; eben darum, weil es das Leben, nämlich die verborgene Ursache des menschlichen Tuns und Treibens ist, kommt man dem Grunde des vorhandenen Übels oft gar lange nicht auf die Spur, und gemeiniglich klagt derjenige, der durch Eigenheiten sich und Andern viele Not verursacht, gar nicht oder nur wenig sich selber an, und sucht die Schuld der Qual stets außer sich, in Umständen und Verhältnissen, die er deswegen zu ändern strebt, und dadurch das Übel stets nur ärger macht, weil er in jede neue Lage, darein er kommt, das alte böse eigene Leben überträgt.
Wenn nun eine Seele von der Gnade Gottes erleuchtet wird, fängt sie wohl an, in sich dieses gottentfremdete Ichleben zu merken; allein es merken und es töten ist gar gewaltig verschieden; denn obgleich man es bemerkt und darin die Ursache schwerer innerer Kämpfe ahnt, welche man sich bereitet hat, so ist man doch meistens im Augenblick der Versuchung viel zu sehr in sich selbst befangen, um mit klarem Bewusstsein die rechte Selbstverleugnung zu üben, und daher kommt es, dass bei weitem die meisten Anfänger im Christentum bei ihrem Tun stets den Wahrheiten widersprechen, die sie erkennen und bekennen15).
Soll uns geholfen werden, sollten wir aufhören mit unserm Leben den evangelischen Glauben, den wir so feierlich bezeugen, den Lästerungen der Feinde Christi preis zu geben, so müssen wir, als seine Freunde, mit dem eigenen Besitz und dem eigenen Recht zugleich dem eigenen Leben entsagen. - Aber wie vermögen wir das? - Wir vermögen es, wenn wir uns Christo so völlig übergeben zu seinem Eigentum, das Er in uns unumschränkt wirken kann, durch seinen heiligen Geist, der mit einer scharfen Zucht den bösen Geist der Eigenheit bekämpft und austreibt, und den alten Menschen tötet samt seinen Lüsten und Begierden. Wer in diese völlige Übergabe nicht einwilligt, kann nie Christi Nachfolger, und mithin auch nicht ein Erbe der ewigen Herrlichkeit werden, in welche Christus nur diejenigen einführt, die es gläubig wagen, mit ihm einzutreten in die Gemeinschaft seiner Leiden und seines Todes16).
Hierin besteht das Sterben diesseits des Grabes, wovon der Apostel Paulus zu den wahren Jüngern Christi redet17): „Ihr seid gestorben, und euer Leben ist verborgen mit Christo in Gott.“ Zu diesem verborgenen Leben mit Christo in Gott kommen wir nur dann, wenn wir dem eigenen Leben absagen; wie denn Jesus spricht: „Wer sein Leben erhalten will, der wird es verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird es finden.“
Hat nun ein Christ in innerer gründlicher Willigkeit die Selbstverleugnung bis dahin gebracht, dass er sagen kann: Ich lebe; doch nicht mehr mein ich, sondern Christus lebt in mir; dann ist er auch in den schmalen Weg der eigentlichen Nachfolge Jesu Christi eingetreten, und von da an wird ihm erst sein Kreuz angeboten, als das Zeichen der wahrhaftigen Jünger Jesu, damit er es auf sich nehme, und dem großen Kreuzträger nachgehe auf dem Kreuzesweg, dem Königsweg zur himmlischen Herrlichkeit. Wer auf diesem Weg stille vorwärtsgeht, bedarf keiner umständlichen Weisung mehr, denn der Herr, der Heilige Geist, lehrt die gottgeweihte Seele Alles was sie braucht, um selig bis zum Ziel durchzudringen; darum wollen wir nur so viel davon sagen als nötig ist, wegen denen, die etwa zaudern möchten diesen Weg zu betreten, indem wir ihnen zeigen, dass es keinen bessern, keinen seligeren Weg gebe, und dass sie nicht nötig haben sich davor zu fürchten.
2.
Die Kreuzes-Übernahme ist eine notwendige Ergänzung, welche zur Selbstverleugnung hinzu: kommen muss, damit die Nachfolge Christi vor Abirrungen bewahrt bleibe. Das Kreuz ist die heilsame Last, welche einem jeden treuen Jünger Jesu aufgelegt werden muss, damit sein Gang auf dem schmalen Weg recht stet und sicher werde; denn wie ein Schiff auf dem Meere eine Beschwerung18) braucht, damit es nicht schwanke und umschlage, so jeder Christ sein Kreuz.
Wir dürfen es nicht unberührt lassen, dass unser Herr sagt: will mir jemand nachfolgen der nehme sein Kreuz auf sich. Er sagt nicht, mein Kreuz, sondern sein eigenes, nämlich das ihm zugewogene und seinen Kräften angemessene, denn das Kreuz Jesu konnten wir nicht ertragen, dazu würde es uns bei weitem an Kraft gebrechen; aber wir bekommen in der Nachfolge Christi ein jeglicher sein besonderes Kreuz, das nie schwerer ist, als wir zu tragen im Stande sind19).
Nun müssen wir aber genau achtgeben, dass wir nicht eine selbstgemachte Last für ein Kreuz halten; denn wie schon gesagt: weder die vielen unnützen Sorgen, welche die Menschen bei der Verwaltung ihres eigenen Besitzes sich machen, noch die bitteren Empfindungen, womit ihr Herz erfüllt ist bei der Verteidigung ihres eigenen Rechtes, noch die mancherlei Not in die sie kommen durch die Torheiten des eigenen Lebens, darf man mit dem bedeutsamen Worte Kreuz bezeichnen. Kreuz ist ein reines Leiden, worein keine Gerichtsangst sich mischt und welches der Mensch um Christi willen aufnimmt und willig trägt.
Es ist nicht möglich und auch nicht nötig, dass wir hierüber ins Einzelne eingehen; es gibt der Kreuze gar vielerlei; wir wollen nur überhaupt bemerken, dass man unterscheiden kann: äußeres Kreuz und inneres Kreuz. Das äußere Kreuz kommt von außen ohne unser Zutun, aus der Masse von Leiden, welche auf dieser Erde auch denjenigen befallen, der nicht im Sündendienst steht. Der Jünger Jesu hat mit dem Kind der Welt die leiblichen Bedürfnisse und Gebrechlichkeiten gemein; aber er murrt nicht und verzagt nicht, wenn er Mangel leidet, wenn ihn Krankheit befällt, oder sonst ein Weh der Erde ihn niederdrückt; er trägt sein Kreuz mit Geduld, im Blick auf das stille Gotteslamm.
Zu den unvermeidlichen Schmerzen des irdischen Zustandes gesellen sich aber für den Nachfolger Christi noch andre Leiden, welche nur diejenigen treffen, die ihren Heiland treu bekennen; solche Leiden sind Spott, Hass und Verfolgung von Seiten der Welt. Der Herr hat dies seinen Jüngern öfters voraus gesagt20), aber ihnen auch zugerufen: seid dabei fröhlich und getrost21)! Und wie die Apostel und ersten Christen dieses Kreuz aufgenommen haben, lehrt uns manche rührende Geschichte der früheren Zeit. O selige Seelen, die in der Nachfolge Christi Kraft und Freudigkeit finden, die schwersten Verhältnisse in barmherziger Liebe zu tragen mit himmlischer Gottgelassenheit.
Aber mehr noch; damit man nicht meine, alle äußeren Leiden seien leicht zu verschmerzen, wenn man im Innern selig ist, so müssen wir ausdrücklich sagen, dass es auch inneres Kreuz gibt, das den Nachfolger Jesu noch viel mehr niederbeugt als aller Druck von außen. Es ist das fortdauernde Bewusstsein seiner Sündhaftigkeit, es sind die mancherlei Unarten, die er noch an sich bemerkt und worüber er täglich Buße tut. Man denke nur nicht, dass ein treuer Nachfolger Jesu schon durch und durch geheiligt und geläutert sei; ach, wäre er das, so würde er nicht mehr wandern, sondern stünde lobend und dankend am Ziel. Allein weil er noch auf dem Wege ist, hat er auch immerwährend an sich selbst bald Dies bald Jenes zu tadeln, und wenn er es nicht gleich bemerkt, so straft ihn der Geist Gottes darüber. Dies nötigt ihn zu immer größerer Strenge gegen sich selbst, was auch den Apostel Paulus bewog zu sagen: „Ich betäube meinen Leib und bezähme ihn, dass ich nicht Andern predige und selbst verwerflich werde!22)“ Doch lässt sich auch darin nichts plötzlich mit Gewalt erzwingen, sondern die Regel: „Leide dich als ein guter Streiter Christi23)“ gilt vom Anfang bis an's Ende des Kreuzesweges, der aber bei aller äußeren und inneren Last der seligste Weg ist, den ein Jünger Jesu wandeln mag; denn er ist der Weg, auf welchem sein Heiland gegangen, und auf welchem dieser treue Seelenfreund in jedem schweren Augenblick den Seinen beisteht; ja, man kann sagen: je schwerer das Kreuz, desto näher der Herr, desto überschwänglicher seine Kraft in den Schwachen, und desto tiefer der wunderbare Friede, der auch, beim lebhaftesten Gefühl des eigenen Elendes, doch nicht aus den begnadigten Herzen weicht. Da erfährt man erst, was das Wort Jesu zu bedeuten hat: „Ich bin gekommen, dass meine Schafe das Leben und volle Genüge haben sollen; denn sie hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir, und ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird sie mir aus meiner Hand reißen.24)“
Das Kreuz, welches die Nachfolger Christi tragen, ist ihnen bei allem Schmerz doch kein Schrecken, sondern es ist ihnen lieb um Jesu willen; sie verlangen es gar nicht besser, als es ihr Herr gehabt, und sind darum unter ihrer Last viel getroster als die Kreuzflüchtigen welche sich in der Welt gütlich tun; denn sie wissen, dass dadurch ihre Seele bewahrt und vollendet wird im inneren Leben.
„Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne, und nähme doch Schaden an seiner Seele? oder was kann der Mensch geben, damit er seine Seele wieder löse?“ Diese Frage, welche die Weltkinder kaum achten, ist dem Nachfolger Jesu gleich einem Donner, der hinter ihm das Gericht über die Welt ankündigt, und ihn treibt, vorwärtszuschreiten und sich auf ewig zu retten in die liebe Heimat. Je näher der Kreuzträger dem Ziel kommt, desto deutlicher fühlt er, dass in seinem Kreuz ein mächtiger Zug nach oben liegt, ja er erkennt endlich mit Verwunderung, dass nicht er das Kreuz, sondern dass das Kreuz ihn trägt. Da klammert er sich an dasselbe mit Dank noch fester an, und wird, wie im kurzen Schlummer ein friedliches Kind, ins Vaterhaus übergetragen.
Und nun welch Erstaunen, da er erwachend sich unter den Seligvollendeten befindet, welche auf eben demselben Weg schon heimgegangen waren! Und siehe, das dunkle Pilgerkleid hat sich verwandelt in ein glänzendes Auferstehungsgewand; und sein Kreuz ist zur Himmelspalme geworden! Da treibt es ihn sich beizugesellen der strahlenden Schar; er schwingt seine Palme, und ruft mit lauter Stimme: Hosianna, Hell se dem, der auf dem Stuhle sitzt, unserm Gott und dem Lamm.25)
Ja du Lamm, das erwürgt ist, Jesus Christus, der du deinen Nachfolgern durch dein Leiden den königlichen Kreuzesweg zum Thron Gottes eröffnet hast: du bist würdig zu nehmen Kraft, und Reichtum, und Weisheit, und Stärke, und Ehre, und Preis, und Lob von Ewigkeit zu Ewigkeit!26) Amen.
Gebet um die Nachfolge Christi.
Holdseliger Freund unsrer Seelen, Jesus Christus, du sanftmütiges, demütiges, geduldiges Gotteslamm! du hast uns ein Vorbild gelassen, dass wir sollen nachfolgen deinen Fußstapfen. Dein heiliges Leben ist ein unbefleckter Spiegel aller göttlichen Vollkommenheiten; aber ach, wie ungleich ist mein sündliches Leben der Regel, die dein Beispiel mir vor Augen stellt! Ich sollte als eine neue Kreatur nach dem Geist leben, und lebe, leider, immer noch nach dem Fleisch, obschon ich weiß, dass die Schrift sagt: wo ihr nach dem Fleisch lebt, so werdet ihr sterben. O mein Heiland, vergib mir meine Sünden, verwirf mich nicht von deinem Angesicht, verstoße mich nicht aus deiner segnenden Nähe. Du, meine einzige Zuversicht, lass deine Gnade in meiner Schwachheit mächtig werden, und treibe mich durch deinen guten Geist als ein rechtes Gotteskind, in deine Nachfolge. Du ewiger Weg, leite mich; du ewige Wahrheit, lehre mich; du ewiges Leben, durchdringe mich; erneuere an mir Geist, Seele und Leib täglich nach deinem Bild, dass ich der Welt absterbe, und durch deine Kraft ein göttliches Leben führe.
Nimm Alles von mir, was mich scheidet von dir;
Gib Alles mir, was mich fördert zu dir;
Nimm mich ganz mir, und gib mich ganz dir!
Amen.