Gossner, Johannes Evangelista - II. Das wahre Christenthum in kurzen Betrachtungen auf alle Tage im Monat.

Gossner, Johannes Evangelista - II. Das wahre Christenthum in kurzen Betrachtungen auf alle Tage im Monat.

(Stärkere Speise für die, welche wachsen wollen in der Erkenntniß und Liebe Christi.)

1.

Gott schuf den Menschen rein und unbefleckt, daß man Gottes Bild in ihm sah, nicht nur wie einen todten Schatten im Spiegel, sondern ein wahrhaftiges, lebendiges Gleichniß des unsichtbaren Gottes, seiner Weisheit, Güte und Liebe, Gerechtigkeit und Heiligkeit.

Der Mensch sollte nicht Gott selbst - sondern nur Gottes Abdruck und Bild seyn, in welchem sich Gott wollte schauen lassen, in welchem er leben, wohnen und wirken wollte.

Durch Adams Fall hat sich der Mensch von Gott abgewendet, und selbst Gott werden wollen; dadurch ist er des heiligen Bildes Gottes beraubt, ein Feind Gottes und des Satans Bild, ein Werkzeug alles Bösen, aller Bosheit des Satans fähig geworden.

Dieser Greuel wird durch fleischliche Geburt auf alle Menschen fortgepflanzt und fortgeerbt, wodurch der Mensch von Natur geistlich todt und erstorben, ein Kind des Zorns und der Verdammniß ist.

Darum sollst du den Fall Adams für keine geringe und schlechte Sünde achten, als wäre er nur ein bloßer Apfelbiß; sondern er ist die greulichste und abscheulichste Sünde, wodurch er sich zuerst in seinem Gemüthe von Gott abgekehrt, sich über Gott erhoben hat, und Gottes Feind geworden ist, so daß, wenn es möglich wäre, er Gott vertilgt hätte. Dies ist durch den Apfelbiß hernach herausgebrochen und offenbar worden; da er Gottes Wort und Gebot mit Füßen tritt, und klüger als Gott seyn wollte.

Wie in einem kleinen Saamenkörnchen ein großer Baum mit allen Zweigen, Blättern, Blüthen und Früchten, und alle künftige Bäume verborgen liegen, so lag auch in dem giftigen Samen, den die Schlange in Adam legte, in dem Ungehorsam und der Eigenliebe desselben, ein solcher giftiger Baum mit so unzähligen bösen Früchten verborgen, die sich in jedem Kinde Adams gleich nach der Geburt offenbaren, durch Eigenwille und Ungehorsam, hernach durch Stolz, Rache, Lügen, Zorn, Haß, Neid, endlich durch Unzucht, Geiz, Völlerey, Schalkheit u. s. w.

2.

Wie nun der Mensch vor dem Falle das Bild des Himmlischen trug, d. i. ganz himmlisch, geistlich, göttlich war; so trägt er nach dem Falle das Bild des Irdischen, d. i. er ist ganz irdisch, fleischlich, thierisch und teuflischer Bosheit fähig.

Der Mensch soll aber nicht des Teufels Bild, nicht Kind des Zornes bleiben, sondern wiederum Gottes Bild und Ehre, und deswegen wiedergeboren, ganz erneuert, erleuchtet und geheiliget werden.

Darum sandte Gott seinen Sohn Jesum Christum in die Welt, die menschliche Natur an sich zu nehmen, damit wir durch Sie der Wiedergeburt der göttlichen Natur theilhaftig, und Christo, dem wahren Ebenbilde Gottes, gleichförmig würden. Wie wir in Adam gestorben sind, also müssen wir in Christo wieder lebendig werden. Wie uns durch das Fleisch Adams Hoffart, Geiz, Wollust, und alle Ungerechtigkeit und Bosheit angeboren wird, so muß durch den heiligen Geist Christi unsere Natur umgekehrt werden, und wir einen neuen Geist, ein neues Herz, einen neuen Sinn und Muth bekommen, so daß wir in Christo leben, und Christus in uns. Das heißt dann eine neue Kreatur werden.

3.

Dies geschieht durch Buße und Glauben an Christum.

Die Buße besteht nicht nur darin, daß man grobe, äußerliche Sünden und Laster ablegt, sondern daß man in sich selbst geht, den innersten Grund seines Herzens ändert, und sich von seiner Eigenliebe zu Gottes Liebe, von der Welt und allen weltlichen Lüsten zum geistlichen innern Leben wende, daß wir der Welt gekreuziget werden, und die Welt uns ein Kreuz und Greuel wird.

Das ist die rechte Buße und Bekehrung, wenn das Herz innerlich durch Reue und Leid zerbrochen, zerrissen, zerschlagen wird, daß es der Hoffart, dem Geiz, der Wollust abstirbt, sich selbst verleugnet, der Welt absagt und sich unbedingt Gott ergibt.

Buße ohne Glauben an Christus hilft und thut's nicht. Der Glaube aber ist eine herzliche Zuversicht und unzweifelhaftes Vertrauen auf Gottes Gnade in Christo, der für uns gestorben und uns Gnade und ewiges Leben erworben hat. Dieser Glaube muß durch das Wort Gottes und den heiligen Geist in uns erweckt und belebt werden, so daß wir Christum und alle Gnade, Licht und Leben in ihm ergreifen mit einem zerknirschten und zuversichtlichen Herzen, und Gnade und Vergebung der Sünden erlangen umsonst, ohne unser Verdienst, aus lauter Gnade. Eph. 2, 8.

4.

Durch diese herzliche Zuversicht gibt der Mensch Gott sein Herz ganz und gar, hängt an ihm, überläßt sich ihm und vereinigt sich mit Gott, wird theilhaftig alles deß, was Gottes und Christi ist, wird ein Geist mit Gott, empfängt von ihm neue Kräfte, neues Leben, Trost, Friede, Freude, Gerechtigkeit und Heiligkeit des Sinnes, und so wird denn der Mensch aus Gott geboren und eine neue Kreatur.

Denn wo der wahre Glaube ist, da ist Christus mit all seiner Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung. Der Glaube wird so lebendig und kräftig im Herzen, daß er das Herz ganz erneuert, umändert, alle Angst und Furcht vor Fluch, Tod und Gericht wegnimmt, und Ruhe, Friede und Freude in Gott in das Herz ausgießet, ihm Kräfte der andern Welt mittheilt, daß man Sünde, Welt und Teufel überwindet und mit Füßen tritt. 1 Joh. 5, 4. Röm. 8, 38.

5.

Darum können dich die Werke nicht gerecht machen, sondern dieser Glaube muß dich gerecht machen, damit du gerechte Werke machen und thun kannst. Die Früchte machen nicht den Baum, sondern der Baum macht die Früchte. Pflanze zuerst den Baum des lebendigen, Christum, die Gerechtigkeit, ergreifenden Glaubens, so kommen die Früchte guter Werke von selbst.

Darum kommt die Gerechtigkeit allein durch den Glauben, und nicht aus den Werken; sondern die Werke kommen aus der Gerechtigkeit, oder aus dem Glauben, der die Quelle der Gerechtigkeit, Christum ergreift.

6.

Dieser Glaube aber, das merke dir wohl, ist kein Wahn- und Maulglaube, kein bloßer Beifall und Ja, Ja, oder Herr, Herr sagen; sondern Gottes Kraft und des heiligen Geistes Werk, der Christum mit allem, was er ist und hat, lebendig ergreift, festhält und im Herzen wohnen und wirken läßt.

Wohnet Christus durch den Glauben in deinem Herzen, so ist seine Einwohnung kein todtes Werk, sondern lebendig und kräftig. Denn der Glaube versetzt Christum in dein Herz, versetzt dich in Christum, daß Christus dein eigen ist. Zweytens, erneuert er dich in Christo, daß du in ihm wächst, blühest und lebest, wie eine Rebe am Weinstock. Nimm also Christum, die Gerechtigkeit, durch Glauben auf in dein Herz, so macht er dich gerecht, und du machst dann durch ihn gerechte Werke, die dich nicht erst gerecht machen, sondern nur beweisen, daß Christus die wahre Gerechtigkeit in dir ist, und du durch ihn gerecht gemacht bist, und es immer mehr wirst.

7.

Durch den Glauben, der Christum ins Herz aufnimmt, muß die ganze Bibel, das Wort Gottes im Menschen lebendig werden; d. i. was äusserlich im Wort der Schrift verfaßt ist, das muß innerlich im Menschen geistlich geschehen. Ist Gottes Wort der göttliche Saame in uns, so muß er ja wachsen zur geistlichen Frucht, oder. er ist ein todter Saame. Die Schrift muß nicht äusserlich auf dem Papier ein todter Buchstabe bleiben, sie muß in dir lebendig, und du ein ganz innerlicher, neuer, schriftmäßiger Mensch werden; oder die Schrift ist dir nichts nutze. D. i. Christus muß in dir geistlich empfangen und geboren werden, in dir geistlich wachsen und zunehmen, in dir leben und wandeln, in Demuth und Verschmähung der Welt, in Geduld, Sanftmuth und Liebe, wie es von ihm geschrieben steht, du mußt mit ihm um der Wahrheit willen verspottet, verachtet, verfolgt werden, zum Zeugniß, daß er in dir, und du in ihm bist.

Das heißt Christum anziehen, seinem Bilde ähnlich werden. Du mußt täglich mit Christo sterben und dein Fleisch kreuzigen, sonst hast du ihm nicht in dir, und außer dir wird er dir nichts helfen. Christus hat Andern geholfen, er muß auch dir helfen. Er hat Blinde sehend, Lahme gehend, Tode lebendig rc. gemacht; du bist geistlich blind, lahm, todt rc., er muß auch dich geistlich sehend, gehend, lebendig machen. Kurz, der Glaube gibt dir Christum ganz und gar, und macht alles, was die Schrift von Christo äusserlich sagt, in dir innerlich geistlich wahr und lebendig.

8.

Wenn nun die Heiden keine Entschuldigung haben, die von Natur wissen, daß ein Gott ist, und wider ihr Gewissen Gott nicht gesucht haben, Röm. 2., wie viel weniger werden die Christen sich entschuldigen können, denen Gott sein Wort geoffenbaret und Christum, seinen Sohn, zur Gerechtigkeit geschenket hat, daß sie sich von ihrer Gottlosigkeit abwenden und Christo theilhaftig werden sollten. Darum wird jeder Mensch, der Christi Namen und Wort kennt, an jenem Tage zwey Zeugen und Ankläger gegen sich haben: 1) Sein Herz und Gewissen, und 2) Gottes Wort, das ihn richten wird. Sodom und Gomorrha wird es erträglicher gehen an jenem Tage, als einem Christen, der Gottes Wort nicht in sich lebendig werden läßt, und nicht in seinem Leben darstellt.

Wenn Gott die Heiden in einen verkehrten Sinn dahin gegeben hat, weil sie das Gesetz der Natur, das Gewissen, als Gottes Stimme und Gerechtigkeit in ihr Herz geschrieben, nicht achteten, sondern ihm widerstrebten, wenn er sie deswegen in die allergreulichsten Sünden zur Strafe verfallen ließ. Röm. 1, 28-30. So wird Gott die, welche Christen seyn wollen und beide, das innere und äußere Wort und Zeugniß Gottes, verwerfen, nicht Buße thun, dem Geist Gottes widerstreben, und Gott lästern, so wird er sie in einen noch verkehrtern Sinn dahin geben, daß sie ärger werden, als Heiden und Türken. 2 Thess. 2, 11. 12.

Daher solche schändliche Laster unter den Christen, Hoffart, Pracht, Stolz, Geiz, Wollust, Unzucht rc., weil sie Christum in seinem armen, demüthigen Leben nicht wollen, sondern sich an ihm ärgern, sich seines heiligen Lebens schämen, die Finsterniß mehr lieben, als dieses Licht Christi, so gibt sie Gott dahin, das sie dem Satan folgen und sein teuflisch Leben annehmen. Hebr. 10, 26.26.

9.

Christus ist gekommen in die Welt, die Sünder zu rufen - zur Buße, daß sie der Sünde absterben und der Gerechtigkeit leben. Wer die Sünde nicht lassen will, dem ist Christus mit allen seinen Verdiensten nichts nütze; so wie die allerköstlichste Arzney dem Kranken nicht hilft, wenn er nicht lassen will, was ihm schädlich ist. Was soll dir Christi Blut helfen, wenn du die Sünde wie Wasser hinein trinkst?

Wer ohne wahre Buße, ohne herzliche Reue ist, wer kein zerbrochenes Herz hat, vor Gottes Zorn nicht erschrickt, nicht fliehen will die weltlichen Lüste, nicht lassen will das Trachten nach eitler Ehre, Reichthum und Wollust, der fühlt sich nicht krank, verlangt also nicht nach dem Arzte Christus, und darum ist ihm Christus und sein Blut nicht nur nichts nütze, sondern er kreuziget Christum aufs neue, hält ihn für einen Spott, und tritt sein Blut mit Füßen.

Die Sünde kann nicht vergeben werden, so lange sie einem nicht leid ist, so lange man noch immer freiwillige Lust zu ihr hegt und nicht von ihr ablassen will. Wer sich das Verdienst Christi zurechnet, und die Sünde, Geiz, Zorn, Haß, Neid, Lust rc. noch liebt, für die Christus so viel gelitten hat, der ist ein betrogner falscher Christ.

Der rechte Glaube und die wahre Buße tödten die Sünde im Menschen und erwecken die Gerechtigkeit, das gerechte heilige Leben in ihm. Was hilft es, den Balsam auf einen Stein gießen? Was hilft es, Christum im Abendmahle mit einem unbußfertigen, Sünde liebenden, steinernen Herzen empfangen?

Wer aber mit dem verlornen Sohn umkehrt, seine Sünden bereuet und beweinet, meidet und sich bessert, um Gnade bittet und im Glauben auf Christum und Christi Wunden sieht, wie Israel auf die Schlange, dem wird alles vergeben und vergessen; er wird geheilt, geheiligt und eine neue Kreatur, sollte er auch die Sünden aller Welt begangen haben. Gott vergibt alle Sünden dem bußfertigen Glauben aus lauter Gnade um Christi willen.

10.

Wer sich einen Christen nennt, und nicht christlich lebt und handelt, verleugnet Christum, verspottet und lästert ihn. Wo Christi Leben nicht ist, da ist Christus nicht; so viel man vom Glauben und Christi Lehren rühmt. Der christliche Glaube ohne christliches Leben ist ein Baum ohne Früchte. Solcher kahler unfruchtbarer Bäume ist nun die Welt voll. Wer Christo in seinem Leben nicht folgt, der hat Christum ausgerottet aus seinem Herzen. Christus wird nicht nur mit dem Munde, sondern vielmehr mit unchristlichem Leben und mit bösen Thaten verleugnet, wenn man ihm und seinem Geiste widerstrebt.

Das Leben der jetzigen Christen ist meistens wider Christum. Denn ihr Leben ist lauter Weltliebe, Eigenliebe, Ehrsucht und Geiz - und das ist wider das Christenthum.

Wer in Unbußfertigkeit, in Hoffart, Geiz, Wollust, Neid u. dgl. lebt, der lebt im Teufel, und ist des Teufels Kind und Sklave. Er schmücke sich von außen so schön, als er wolle; er bleibt doch im Herzen ein Teufel. Es ist schrecklich, aber doch wahr. Christus, die Liebe, Johannes, der Jünger der Liebe, sagen es: Joh. 8, 44. 1. Joh. 3, 8.

11.

Da die menschliche Natur so verderbt ist, so konnte sie nur durch das höchste Gut verbessert und erneuert werden. Gott selbst mußte Mensch werden, um uns mit ihm wieder zu vereinigen und des höchsten Gutes theilhaftig zu machen.

Wie nun Gott in Christo persönlich ist, so muß er durch den Glauben persönlich in uns leben, und wir in ihm. Christus, die Arzney, muß in unsre Natur und Wesen hinein. Je mehr Christus in uns je mehr unsre Natur gebessert wird.

So sollen wir nun durch Buße und Glauben beständig darnach trachten, daß Christus, und nicht der Satan, in uns lebe und sein Reich und Wesen in uns habe. Eph. 2, 5. 1. Joh. 3, 9.

Je mehr die Welt, Sünde und Satan, Augenlust, Fleischeslust und Hoffart des Lebens aus dem Menschen ausgeht, desto mehr geht Gott, Christus und der heilige Geist in den Menschen ein. Je mehr Natur, Fleisch, Welt und Finsterniß im Menschen, desto weniger Gnade, Geist, Licht, Gott und Christus im Menschen. So viel du dir selbst stirbst, so viel lebt Christus in dir.

Ein fleischlicher Mensch, der noch nicht weiß, was Christus ist, trachtet nach Ehre, will etwas seyn; Reichthum, gute Tage, Wollust ist ihm das höchste Gut; das freie, sichere, üppige Leben ist ihm große Weisheit; dagegen ist ihm das Leben Christi eine große Thorheit; er weiß aber nicht, daß er im Teufel lebt. Denn Geiz, Hoffart, Wollust, Zorn, Lästerung rc. das ist des Teufels Leben.

12.

Selig ist der Mensch, der sagen kann: Christus ist mein Leben. Wenn Geiz, Hoffart, Lust rc. in dir stirbt, dann lebt Christus in dir. Wo viel Begierden der Welt sind, da ist keine Ruhe und kein Friede, kein Christus. So lange du mit deinem Herzen fest an der Welt hängst, kannst du Christum in deinem Herzen nicht schmecken. So lange der Fuchs Herodes in dir lebt mit seiner irdischen Weltlist, so lange kommt Christus, das Lamm Gottes nicht in dein Herz. Viele verbergen ihre bösen Lüste nur, wie Saul den Ugag, ohne sie zu tödten. 1 Sam. 15,8. Wie Ahab den König von Syrien; darum mußte er seine Seele dafür geben.

Wenn Christus hier nicht dein Leben ist, so wird er dort nicht deine Seligkeit seyn.

Die Welt ist um des Menschen willen, nicht der Mensch um der Welt willen geschaffen.

Der Mensch ist nicht um Essens und Trinkens willen, nicht um des Reichthums, der Städte und Länder, der Aecker und Wiesen willen, nicht um der Kleidung, des Geldes, Goldes oder Silbers willen da, denn er muß wieder aus der Welt heraus und alles dieses zurücklassen, wenn er gleich davon noch so viel hat.

Der Mensch ist zu einem viel höhern Leben und bessern Wohnung geschaffen. Sollte daher der Mensch sein Herz an diese Welt hängen, da seine Seele viel edler und besser ist, als die ganze Welt, da sie, wenn sie verloren ist, um eine ganze Welt nicht wieder erlöset werden kann.

Sollte dich der liebe Gott nicht mehr erfreuen können als die verdorbene Kreatur? Solltest du deine Seele, die Christus so theuer erlöset hat, für eine Handvoll Gold und Silber hingeben, für den Reichthum, die Ehre und Lust der Welt?

13.

Nichts in der Welt ist dem Menschen schädlicher, als seine Eigenliebe. Wer sich selbst liebt, so daß er an sich selbst Gefallen hat, macht sich selbst zum Gott. Was der Mensch liebt, daran hängt sein Herz, das nimmt ihn gefangen und macht ihn zum Knecht und Sklaven, daß er Gott nicht dienen noch lieben kann.

Wer Gott ganz haben will, muß sich selbst ihm ganz geben. In der Eigenliebe ist keine Ruhe und kein Friede. Wenn aber das Herz allein in Gott und seiner Liebe ruht, hat es ewigen Frieden. Verlaß alle Dinge um Gottes willen, so findest du in Gott alle Dinge. Wer sich selbst und die Welt liebt, kann Gott nie finden.

14.

Niemand kann Gott lieben, er muß sich selbst hassen. Je mehr er Gott liebt, je mehr haßt er sich selbst, und kreuziget sein eigen Fleisch samt den Lüsten und Begierden. So viel ein Mensch von sich selbst ausgeht, so viel geht er in Gott und seine Liebe ein. Wer nichts Äußerliches begehrt, hat inwendig Friede. Wer inwendig alles verläßt und an keiner Kreatur hängt, findet und besitzt Gott. Wer sich selbst verleugnen will, muß nicht sich selbst, sondern Christo folgen; der ist der Weg, die Wahrheit und das Leben. Joh. 14,6.

15.

Viele wollen Christen seyn, aber Christi Leben wollen sie nicht. Er hat erwählt durch Schmach und Leiden in die Herrlichkeit einzugehen; aber dieser Weg steht ihnen nicht an; sie erwählen lieber durch große Pracht und Ehre in die Hölle zu fahren.

Eigenliebe ist die Wurzel der Unbußfertigkeit und des ewigen Verderbens. Denn wer sich selbst liebt und sucht, bereuet und beweinet selbst die Sünde nur um des eignen Schadens, nicht um Gottes willen. Darum erlangt die Eigenliebe keine Vergebung der Sünden, obwohl sie dieselbe mit Thränen sucht, wie Esau den Segen.

Christus kam vom Himmel, nicht um sich selbst zu suchen und zu lieben, sondern dich. Warum suchst du auch nicht den allein, der sich selbst vergessen hat, um dich zu suchen?

Die Seele ist allein eine rechte Braut Christi, die nur ihm, dem Bräutigam, gefallen will, die sonst nichts liebt, als ihn. Die Liebe, die nicht Christum allein liebt und sucht in allen Dingen, ist eine Ehebrecherin. Die Liebe der Christen soll eine Jungfrau seyn.

16.

Wir tragen den alten Menschen am Halse, wir sind selbst der alte Mensch. Seine, oder unsre Natur ist, uns selbst suchen und lieben, eigne Ehre und eignen Nutzen, dem Fleische seine Lust verschaffen. Fleisch und Blut läßt das nicht, es liebt, ehrt, rühmt, sucht sich selbst in allen Dingen erzürnt, haßt, neidet, rächt sich, wenn es sich selbst nicht findet. Dies thust du, dies bist du; denn dies kommt aus deinem Herzen, das ist dein eigenes Leben, der alte Mensch. Darum mußt du dich selbst und dein eigen Leben hassen, wenn du Christi Jünger seyn willst. Wer sich selbst liebt, liebt seinen eignen Geist, Hoffart, Zorn, Haß, Lügen, Falschheit, böse Lüste.

Wenn der alte Mensch in dir stirbt, so wird der neue lebendig. Wenn du die Demuth Christi haben willst, muß deine Hoffart sterben; willst du die Schmach Christi tragen, so muß die Ehrsucht in dir sterben. Willst du die Sanftmuth Christi haben, so muß die Rachsucht und der Zorn in dir sterben. Soll Christi Liebe dich erfüllen, so muß der Welt Liebe untergehen. Alles, was uns von Adam angeboren wird, das muß in Christo sterben.

17.

In jedem wahren Christen sind zwey Menschen, ein innerlicher und ein äußerlicher. Diese zwey sind bey einander, aber wider einander. Das Leben des einen ist des andern Tod. Lebt der äußere, so stirbt der innere. Lebt der innere, so stirbt der äußere. 2. Kor. 4,16. Geist und Fleisch streiten gegen einander. Gal. 5,17. Siegt der Geist, so bist du geistlich; überwindet dich das Fleisch, so bist du fleischlich, und gehörst ins Reich der Finsterniß, des Teufels. Von deiner Herrschaft in dir hast du den Namen, Geist oder Fleisch.

So lange der Streit im Menschen währt, so lange herrscht die Sünde, das Fleisch, nicht im Menschen. Denn wo Streit im Lande ist, ist es noch unentschieden, wer überwindet wer Herr und Herrscher ist. Wen du noch bestreitest, der kann noch nicht herrschen, und dich nicht verdammen. Wer aber gegen die Sünde und das Fleisch nicht streitet, der ist überwunden, wird beherrscht, ist Knecht der Sünde und des Todes, ist verdammt, so lange er die Sünde herrschen läßt. Der Streit beweiset den Christen, den neuen Menschen; wirst du auch überwunden, so raffe dich wieder auf, rufe Christum an, greife den Feind wieder an; durch Christum kannst du wieder überwinden und der Geist kann die Herrschaft bekommen. Wer aber die Sünde unbekümmert in sich herrschen läßt, und sich doch das Verdienst Christi zurechnet, der schmäht den Geist der Gnade. Was hilft dir Christi Blut, wenn du es mit Füßen trittst, und dem Teufel dienst.

18.

Wer in seinem Herzen alle Hoffart, Geiz, Wollust, Zorn, Rachsucht getödtet hat und täglich tödtet, der ist der Welt gestorben, und die Welt ihm; der fängt an, in Christo zu leben und Christus in ihm. Zu den andern spricht der Herr: Ich kenne euch nicht.

Alles, was Gott geschaffen und dem Menschen gegeben hat in der Welt, ist blos zu seiner leiblichen Nothdurft und Unterhalt. Was darüber ist, Gold, Silber, köstliche Speise, Kleider, hohe Gaben, Ehre, Genuß, ist nicht zur Wollust und Ergötzung, sondern blos zur Prüfung und Probe da, um zu sehen, wie sich die Menschen dagegen verhalten, ob sie die Wollust, Reichthum und Ehre mehr lieben als Gott, welches die höchste Verachtung Gottes ist. Das alles ist der verbotene Baum mit seinen Früchten, davon wir nicht essen, uns nicht gelüsten lassen sollen. Gott allein soll unsre Lust und Freude seyn. Was ein Mensch mit Lust anrührt ohne Furcht Gottes, ist ein Gift und Tod der Seele. Dein Herz ist wie ein Spiegel; wohin du denselben wendest, das siehst du darin. Wendest du ihn gen Himmel, so siehst du den Himmel in ihm; wendest du ihn gegen die Erde, so siehst du die Erde darin. Wohin du dein Herz wendest, gen Himmel oder zur Erde, zu Gott oder zu Belial, so zeigt sich dessen Bild in deinem Herzen.

Was der Mensch hier in seinem Herzen hat, das wird dort offenbar werden; denn das geht mit ihm in die Ewigkeit, es sey Gott oder die Welt.

Die Liebe ist das ganze Herz des Menschen. Was du liebst, das besiegt dein Herz. Warum liebst du die Welt, die Kreaturen, die dich nicht wieder lieben können? Das zeitliche todte Ding hat keine Liebe. Liebe Gott, der dich ewig liebt, und darum zu seinem Bilde geschaffen hat, daß du ihn liebest.

19.

Der Elendeste in seinem Herzen ist bei Gott der Liebste. Jes. 66,2. Soll dich Gott gnädig ansehen, so mußt du in deinem Herzen elend seyn, dich für nichts halten, und allein im Glauben auf Christum sehen. Wer sich noch für etwas hält, ist nicht elend, und den sieht Gott nicht an. Gal. 6,3. Ein Mensch, der etwas seyn will, ist die Materie, woraus Gott nichts, oder Narren macht. Ein Mensch, der sich für nichts hält, ist die Materie, woraus Gott etwas zum Lobe seiner Herrlichkeit macht. Der Geringste in seinen Augen ist der Größte bei Gott. Der größte Sünder in sich, ist der größte Heilige vor Gott. Sieh an David, 2 Sam. 6, 22., den Jacob, 1 Mos. 32,10., Maria, Luc. 1,48. Ein Mensch hat nichts, was sein ist, als Sünde und Elend. Alles andere ist Gottes. Die Gnade Gottes bleibt bei keinem Menschen, der sich für etwas hält, oder eines Dinges würdig achtet. Ein Mensch ist nicht darum elend, weil er arm und verachtet ist, sondern weil er ein Sünder und Nichts ist. Er ist keines Guten, wohl aber aller Strafe werth. Was darf er also rühmen oder klagen? Nichts. Das Beste, was ein Mensch sagen kann, sind die zwey Worte: Peccavi! et: miserere! Ich habe gesündigt - Herr, erbarme dich mein!

20.

Ein wohlgezogenes Kind sieht auf den Vater, wenn es etwas reden oder thun will; so thut und redet ein Kind Gottes nichts, ohne Gottes Furcht, ohne auf Gott zu sehen. Zwey Dinge sind, die den Christen nie weltlichlustig und nie weltlichtraurig seyn lassen. Der Gedanke an die ewige Pein der Verdammten verwehret ihm alle weltliche Freude; der Gedanke an die Freuden des ewigen Lebens läßt ihn durch kein Unglück der Welt traurig werden. Laß dich nichts betrüben in aller Welt, als daß du ein Christ heißt, und nicht christlich lebst; daß du Christi Namen hast, aber nicht Christi Werke. Wer an der Welt-Freude hängt, kann des Himmels Freude nicht genießen. Gottes Freude und der Welt Freude können nicht in einem Herzen seyn. Wer sich selbst recht ansieht, findet mehr Ursache zu trauern, als sich zu freuen; und wer Andrer Leben recht betrachtet, findet mehr Ursache, über sie zu weinen, als sie zu neiden. Betrübe dich nicht um des Zeitlichen willen; es ist die ganze Welt nicht so viel werth als deine Seele, für die Christus gestorben ist. Lerne die Welt verlassen, ehe sie dich verläßt; sonst wird sie dich schrecklich betrüben.

21.

Der wahre Gottesdienst besteht im Herzen in der Erkenntniß Gottes, in wahrer Buße, dadurch das Fleisch getödtet, und der Geist zum Bilde Gottes, durch Vergebung der Sünden, erneuert wird. Dadurch wird der Mensch zum Tempel Gottes, in dem der innerliche Gottesdienst durch den heiligen Geist verrichtet wird, Glaube, Liebe, Hoffnung, Geduld, Gebet, Dank, Lob. Wer kann aber Gott und Christum, seine Allmacht, Liebe, Gnade rc. recht erkennen, wenn er sie nicht geschmecket und erfahren hat? Die rechte Erkenntniß Gottes kommt aus der Erfahrung und dem lebendigen Glauben, der Gottes Kraft und Licht ist, woraus Buße, Besserung des Lebens und Vergebung der Sünden erfolgt.

Nicht der Name, sondern das Leben beweist einen Christen. Niemand kann Christ seyn, es lebe denn Christus in ihm. Ein Christ muß sich täglich erneuern, Eph. 4, 23., als ob er erst heute ein Christ geworden wäre. Wie ein Mensch zu sterben wünscht, so muß er leben. Willst du nicht sterben wie ein Gottloser, sondern als Christ, so lebe nicht wie ein Gottloser, sondern wie ein Christ, der so lebt, als wenn er heute sterben müßte.

22.

Fliehe die Welt und ihre Gesellschaft, so viel du kannst. Jede Kreatur ruhet nirgends besser, als in dem, woraus sie entsprungen ist; der Fisch im Wasser, der Vogel in der Lust, der Baum im Erdreich; die Seele in Gott. Kinder und Jungfrauen läßt man nicht viel spazieren gehen; so laß du deinen Glauben und Worte nicht viel unter die Leute, daß sie nicht geärgert werden. In den Vorhöfen unsers Gottes grünen die Pflanzen des Herrn, wie die Zedern Libanons. Ps. 92. Die innerlichen geistlichen Feiertage des Herzens, der innere geistige Sabbath sind die Vorhöfe des Herrn, die Einsamkeit des Geistes ist der blühende Libanon. Was nicht Ruhe und Besserung des Herzens mit sich bringt, das soll nicht gehört, geredet, gesehen, gelesen, gedacht werden. Die Pflanzen des Herrn sollen immer wachsen und zunehmen. Niemand ist sicherer, als der daheim ist, und auch seine Gedanken, Worte und Sinn daheim - im Hause seines Herzens leben.

23.

Lerne wohl schweigen, damit du wohl reden lernest. Viel plaudern heißt nicht wohl reden. Willst du Friede im Herzen bewahren, so bewahre den Mund. Die Taube Noahs findet nirgends Ruhe, als in der Arche - die Seele in Christo. Christus ist die Arche, die nur ein Fenster oder nur eine Thüre hat, das ist Buße. Wie dem Meer nicht zu trauen ist, so auch der Welt nicht. Die äußere Ruhe und Freude der Welt kann bald in Ungestüm und Sturm verwandelt werden. Mancher würde Trost, Andacht, Besserung in sich selbst finden, die er bei andern verliert. Der Baum wächst in seinem Boden, der innere Mensch im Grunde des Herzens, wo Christus ist. Gott ist ein verborgener Gott. Willst du mit ihm reden, so verbirg dich, scheide dich von der Welt, wie Jacob von seinen Kindern, da er Gott überwand und ihm Engel begegneten. 1 Mos. 32. Gott läßt die Seele nicht allein, wenn sie sich absondert von allem andern.

24.

Die Summe aller Gebote ist Liebe von reinem Herzen, gutem Gewissen und unbeflecktem Glauben. 1 Timoth. 1, 5. Gott gefällt nichts von uns, was er nicht selbst in uns wirket. Was aber nicht aus Liebe und in Liebe geschieht, ist nicht aus Gott, denn Gott ist die Liebe. Der Glaube soll alles durch Liebe wirken, wie die Seele alles durch den Leib. Liebe von reinem Herzen ist frei von aller Weltliebe. Wer Gott liebt, liebt alles, was Gott liebt, als Gerechtigkeit, Wahrheit, Sanftmuth, Demuth, Keuschheit rc. So haßt er auch alles, was Gott haßt, als Lügen, Falschheit, und alle Laster. Wer die Laster liebt, ist ein Kind des Teufels. Bitte Gott täglich um die göttliche Liebe. Die Liebe kann nicht wohnen im bösen Gewissen, bei einem Menschenfeind, oder in einem feindseligen, unreinen, zornigen Herzen. Leib und Seele machen einen Menschen; Glaube und Liebe einen Christen. Wer des Nächsten Feind ist, ist auch Gottes Feind. Wo die Liebe weicht, weicht Gott. Erschrick davor, thue Buße, versöhne dich, so kommt Gott wieder. Außer der Liebe ist alles teuflisch am Menschen. Denn der Satan kann nichts Gutes thun, weil er ohne Liebe und grundböse ist. Wenn wir den nächsten nicht lieben, ihm nicht vergeben, sondern ihn hassen, ist das ganze Verdienst Christi an uns verloren. Gott will nicht von uns geliebt seyn, wenn wir den Nächsten nicht lieben. Hassest du deinen Bruder, so hassest du Gott. Es ist unmöglich, mit feindseligem Herzen des Blutes Christi theilhaftig werden, welches aus Liebe vergossen ist. Wer die Brüder nicht liebt, trennt sich vom Leibe Christi, und verliert Christum ganz und gar.

25.

Es gibt auch eine falsche, unreine Liebe, die in allen Dingen, Worten, Werken und Gaben nur ihren eignen Nutzen, Ruhm und Lust sucht; sie hat den Schein, als wenn sie Gott und Menschen diente, ist aber im Grunde lauter Eigenliebe, die alle gute Werke und Gaben verderbet, weil sie nicht aus Gott, sondern aus dem Teufel ist. Es gibt Blumen, die schöne Farben und guten Geruch haben, aber dennoch giftig sind und tödten. So magst du englische Gaben haben, wenn du aber voll Hoffart und Eigenliebe bist, nützen sie nichts, sondern schaden vielmehr. Was nicht aus Gott kommt und in Gott endet, ist nicht gut. Von Natur kann der Mensch nichts anders, als sich selbst lieben, rühmen und ehren. Darum muß seine Natur durch Christum erneuert, wiedergeboren werden, die Eigenliebe in uns sterben, und wir ein neues Herz und einen neuen Geist von Christo bekommen. In Christo ist keine Eigenliebe, eigne Ehre, Nutzen und Ruhm gewesen, sondern reine lautre Demuth und Liebe. Nach seinem Vorbilde müssen wir umgeschaffen werden. Er ist uns ein lebendiges Vorbild und Beispiel, das selbst in uns leben will.

26.

Christi Blut wirket wie eine Arznei; uneingenommen nützt sie nichts - und wenn man sie einnimmt, aber dabey nicht läßt, was der Seele schadet, hilft sie auch nicht. Christi Verdienst und Blut kann nur den bußfertigen Gläubigen zugerechnet werden. Ein unbußfertiges Herz ist des Verdienstes Christi nicht fähig. Gottes Wort muß ins Leben verwandelt werden, sonst ist es nichts nütze, wie eine Speise dem Leibe nichts hilft, wenn sie nicht in Fleisch und Blut verwandelt wird. Wenn du die ganze heilige Schrift auswendig weißt und mit Engelzungen reden kannst, so hilft dir doch Gottes Wort und Sakrament nichts, wenn du es nicht in ein heiliges Leben verwandelst, wenn nicht ein bekehrter, neugeborner, heiliger Mensch daraus wird. Die Seele schmeckt die Kraft des Wortes oder Himmelbrodes nicht, wenn sie es nicht ißt. d. i. ganz in sich verwandelt, ins Leben führt. Wenn der Magen die Speise nicht einnimmt, empfängt der Leib keine Kraft von ihr.

27.

Gott ist ein Licht, lauter Wahrheit, Liebe, Güte und Treue. Der Satan ist das Gegentheil, also lauter Finsterniß. Wer sich von Gott abwendet, wendet sich vom Lichte, fällt in die Finsterniß und wendet sich zum Teufel. Wer in Unbußfertigkeit, in Sünden wandelt, kann unmöglich zur wahren Erkenntniß Gottes gelangen. 2 Kor. 6,14. Wenn sie sich aber bekehren, so fällt die Decke weg. 2 Kor. 3,16. Der Hoffärtige, Geizige, Neidische, Wollüstige, Zornige kann Christum nicht erkennen. Willst du Christum recht erkennen, so mußt du ein Herz haben wie er; mußt seine Demuth, Sanftmuth, Geduld in deinem Herzen schmecken, dann weißt du, wie Christus ist. 1 Joh. 1,6.7. Es kann niemand wissen, was Liebe, was Gott ist, als der die Liebe hat und übt. Wer in der Sünde, in der Finsterniß lebt, kann vom Lichte Christus nicht erleuchtet werden. Eph. 5,14. Wer Christo im Glauben und Leben nicht folgt, der liebt die Finsterniß und bleibt in ihr. Wer nun erlöset seyn will von seiner Blindheit und vom Teufel, der folge Christo im Glauben und Leben. Se näher Christo, je näher dem Lichte. Se näher der Sünde, je näher dem Teufel und der Finsterniß. Ohne Uebung des lebendigen Glaubens, ohne wahre Bekehrung, ohne Abkehr von Sünde und Welt, ohne Einkehr in sein Herz, ohne den inwendigen stillen Sabbath der Seele kann kein Mensch Christi Licht in sich empfinden. Se mehr Fleisch, Welt und Satan im Menschen sind, desto mehr Finsterniß ist in ihm, desto weniger Gnade, Christus, Licht und Geist. Christus ist für alle Sünden gestorben, hat vollkommen bezahlt; wenn wir aber in der Sünde verharren und nicht Buße thun, so ist uns sein Verdienst nichts nütze. Und wenn du schon die Vergebung der Sünden empfangen hast, kehrst aber wieder zur Sünde zurück, und willst von deinem Zorn, Geiz, Wucher, Unzucht und Hoffart nicht ablassen, so hast du vergessen die Reinigung deiner vorigen Sünden, und mußt alle deine Sünden selbst büßen in der Hölle. Wo wahre Bekehrung ist, da ist der wahre Glaube, Vergebung der Sünden, Gnade und Christus. Wo Christus ist, da ist auch sein Verdienst, Bezahlung der Schuld, Gerechtigkeit, Friede und Freude, und der heilige Geist. Ist aber keine wahre Buße, Reue und Besserung da, so ist keine Gnade, kein Christus, kein Verdienst Christi, keine Vergebung, keine Gerechtigkeit, kein Friede, so ist nichts als Finsterniß, Gericht, Teufel und Hölle da.

28.

Was hilft uns Christi Lehre, wenn wir in unserm Leben dawider handeln? Was hilft uns das Licht des Evangeliums, wenn wir in der Finsterniß wandeln? Was hilft uns Christi Verdienst und Gnade, wenn wir im Teufel, in Hoffart, Geiz und Wollust versunken bleiben? Reine Lehre und unreines Leben können nicht beisammen seyn. Wer die reine Lehre haben will, muß das gottlose Leben daran geben und Christo glauben und folgen. Wer nicht in die Fußtapfen des Lichts, Christi, tritt, in seine Demuth, Liebe, Sanftmuth rc. eingeht, kann nicht zum Lichte, zur Wahrheit und rechten Erkenntniß kommen, weil er den Weg nicht geht, der dahin führet. Wenn wir allen Fleiß anwendeten, in Christo zu leben, in der Liebe zu wandeln, das Fleisch zu tödten, uns selbst zu überwinden, so wäre keine falsche Lehre, keine Ketzerey, kein Irrthum, sondern lauter Licht und Wahrheit in der Welt. Wer Christi Lehre predigt oder bekennet, Christi Leben nicht lebt, der prediget, bekennet Christum nur halb; ja, er verleugnet und lästert mit dem Leben, was er mit dem Munde predigt und bekennet. Lehre ohne Leben ist ein Baum ohne Früchte. Ohne ein heiliges Leben kann man auch die Wahrheit, die reine Lehre nicht haben, nicht erhalten und bewahren. Die reine Lehre ist der heilige Geist, und der geht nicht in unreine Herzen ein; die Welt kann ihn nicht empfangen.

Wer die Sünde und der Sünde Werke inwendig durch den heiligen Geist nicht tödtet, ist ein Heuchler, er mag äusserlich vor der Welt so heilig scheinen, als er wolle. Zum Himmelreich ist jeder untüchtig, der nicht sich selbst stirbt, und wieder erneuert wird nach dem Bilde Gottes durch den heiligen Geist.

29.

Jeder nun, der von der Sünde, dem Satan und der Hölle ernstlich erlöset werden will, darf und soll sich das Verdienst Christi und die Vergebung der Sünden durch wahre Buße und lebendigen Glauben zueignen; 1) weil es Gott mit einem Eide allen und jedem zugeschworen hat. Ezech. 33,11. rc. Jes. 45,22.23.; 2) weil Christus für alle gestorben und für alle genug gethan hat; 3) weil Christus befohlen hat, allen Kreaturen Buße und Vergebung zu predigen; 4) weil dich das innere Zeugniß des heiligen Geistes treibet, zu seufzen nach Gerechtigkeit, oder dich strafet und zur Buße ermahnet und ruft: ein Beweis, daß Gott dich selig machen will; 5) weil Christus wirklich alle Sünder angenommen hat und noch annimmt, die zu ihm kommen, weil alle aus Gnaden, umsonst gerecht und selig werden, indem sie von Natur alle Kinder des Zornes sind; 6) weil Christi Verdienst nicht nur genugthuend, sondern überschwenglich, für alle Menschen mehr als genug ist. Er hat unendlich mehr bezahlt, als alle Welt schuldig ist.

Ein wahrer Christ wird nicht nur durch den Glauben an Christum gerecht, sondern auch eine Wohnung und Tempel Christi und des heiligen Geistes; dazu wird das Herz gereinigt durch den Glauben. Darum mußt du, wenn du dir Christum und sein Verdienst zugeeignet hast, ihn auch in dir leben lassen. Die Sünde hat uns von Gott geschieden; Christus muß uns mit Gott wieder vereinigen; ist aber Christus nicht in uns, so bleiben wir außer Gott, ohne Gott, ohne Leben, ohne Seligkeit. Wir können auch nichts Gutes thun, wenn Christus nicht in uns wohnet und wirket. Joh. 15,5.

30.

Alles dieses kann man nicht erlangen ohne Gebet, welches nicht nur mündlich, sondern auch innerlich eine Erhebung des Gemüths und aller Seelenkräfte ist. Ohne Gebet findest du Gott und Christum nicht. Das mündliche Gebet, oder Gespräch des Mundes mit Gott, führt zum innerlichen, welches den Geist zu Gott erhebt, und ein gläubiges Gespräch des Herzens mit Gott ist. Dies geschieht bei geübten Christen ohne Unterlaß im Glauben, Geist und Gemüthe. Ps. 77,7. u. 119,15. Durch dieses innerliche steigt man zum übernatürlichen Gebet, welches, wie Tauler sagt, die wahre Vereinigung mit Gott durch den Glauben ist; da unser erschaffener Geist ganz versenket wird in den unerschaffenen Geist Gottes. Um soviel größer tausend Tonnen Goldes gegen einen Heller sind, um so viel besser ist dieses Gebet gegen das äußerliche; denn dadurch wird die Seele mit der Fülle Gottes erfüllt, daß sie nichts andres denken kann, als Gott. Da kann die Zunge nicht mehr reden, die Seele nur sehr wenig seufzen. Ps. 42,3. Sie fühlt unaussprechliches. Da wird die Verheißung erfüllt: Joh. 14,21. u. 23. Das beste Gebetbüchlein ist der Spiegel des demüthigen Leidens Christi, seine Armuth, Schmach, Schmerz und Tod. Wenn du darein siehst mit innigem, brünstigem Verlangen, so wirst du mit dem rechten Geiste des Gebets und der Liebe erfüllt werden. Durch den Blick auf den Gekreuzigten wird das Gebet erweckt, das Herz gereiniget, und der heilige Geist darin ausgegossen. Je heftiger du dabei angefochten wirst, desto heftiger bete wie Christus. Luc. 22,44. Das Gebet mußt du nie unterlassen, am allerwenigsten, wenn du vom Geiste des Gebets verlassen scheinst, und dürre, trocken, betrübt und angefochten bist. Das klägliche Winseln eines kranken Kindes geht einem natürlichen Vater tiefer zu Herzen, als die Stimme eines gesunden. So hört Gott auch lieber das Seufzen einer armen, trostlosen Seele, als das Gebet eines Starkgläubigen, der in Freude schwimmt. Nicht beten ist eine eben so große Sünde, als Gott lästern und fluchen, wo nicht noch größer, als sich selber tödten. Wird das Gebet nicht ohne Unterlaß geübt, so nimmt der Glaube ab, und verliert alle Kraft, ohne die wir Sünde, Tod und Teufel nicht überwinden können. Gebet ist Nahrung des Glaubens, der die Welt überwindet. Christus weicht von allen, die nicht beten; so werden sie blind, tappen im Finstern oder im falschen Lichte, erkennen weder sich selbst, noch Gott und seinen Willen; daraus folget ein sicheres, freches Leben in Sünden und Lastern, oft bei vielem Geschwätz vom Christenthum. Ein Nichtbetender fühlet nicht, wie tief er sinket; er öffnet dem Satan Thür und Thor, ohne es zu merken.

31.

Gott beweiset seine Liebe vorzüglich dadurch gegen uns, 1) daß Christus Mensch ward, 2) daß er für uns Sünder starb, 3) daß er in uns wohnen will. 1 Joh. 4,9. u. Joh. 15,13. Nachdem Moses das Heiligthum fertig hatte, weihete und heiligte er es mit Blut, dann kam die Herrlichkeit Gottes vom Himmel und erfüllte die Wohnung und Hütte des Stifts. Nachdem Christus für unsre Sünden gestorben, und uns mit seinem Blute besprengt und geheiligt hat, kommt er mit dem Vater und macht Wohnung in uns. Joh. 14,23. Wen man lieb hat, bei dem ist man gern. Gott hat die Menschen sehr lieb, darum ist er gern bei den Menschen. Jes. 37, 15. Ps. 16,3. Aber läßt er nicht solche Menschen gewöhnlich in viel Noth, Kreuz und Trübsal kommen? Ja, damit er sie durchs Kreuz herrlich und klein mache, damit er desto inniger in ihnen wohnen könne, denn er liebt die zerbrochenen Herzen. Jes. 66,2. Ps. 34,19. Wenn Gott im Geist und in der Wahrheit erkannt werden soll, so muß die Seele seine Güte, Freundlichkeit und Liebe im Herzen schmecken und empfinden. Weil aber der Mensch durch die Sünde Gott verloren und den Teufel zum Einwohner bekommen hat, der sein Werk und Wesen, Hoffart, Geiz, Wollust, Neid und Zorn im Menschen treibt, so muß der Mensch durch den Glauben, den Gott wirket, Kol. 2,12., wieder zu Gott bekehrt und vom, Teufel zu Christo gebracht werden. Der Satan muß mit allen seinen Werken hinaus. Denn so lange der Satan im Menschen ist, wirket Gott nicht in ihm, daß die Seele nicht empfinden kann; wie freundlich der Herr ist. Darum kennen wenige Christen Gott recht, weil Satan und seine Werke noch in ihnen herrschen. Die Meisten hängen an der Welt und an ihnen selbst. Wer den Herrn recht erkennen will, muß ihm anhangen und Ein Geist mit ihm werden. 1 Kor. 6,17. Je mehr das geschieht, je mehr sich Gott in der Seele offenbaret; je mehr das Herz von der Welt abgewendet wird, desto mehr vereinigt sich Gott mit ihm. Alle Welt- und Selbstliebe muß ausgehen, soll Gott und Gottes Liebe eingehen. 1 Joh. 2,15. Ist eine Seele leer von der Welt, so erfüllt sie Gott mit dem Himmel, mit ihm selber und aller seiner Güte. Wer wahrhaftig wissen will, was Gott ist, der muß seine Güte im Herzen schmecken. Die Schrift zeuget davon äußerlich, aber das Herz muß es innerlich empfinden und das lebendige Wort schmecken. Hebr. 6,5. Daß Gott freundlich, gütig, liebevoll sey, kannst du nicht besser erkennen und verstehen, als wenn du seine Freundlichkeit, Güte und Liebe inwendig in deiner Seele schmeckest und genießest. Es kann dich niemand besser lehren, was Gott ist, als er selbst. Wem sich Gott, Christus, nicht selbst offenbaret im Herzen, der wird nie erkennen lernen, was Gott, was Christus ist. Wer Gott also erkennet und erfährt, der spricht, wie Ps. 73,25. steht. So tilget die lebendige Erkenntniß Gottes die Weltliebe aus; so fängt der Mensch an, die Welt zu verschmähen, und wird voll Liebe Gottes, von Friede, Freude und Gerechtigkeit. Amen!

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