Göbel, Karl - Der Gott der Herrlichkeit.

Göbel, Karl - Der Gott der Herrlichkeit.

Wir haben in der letzten Predigt gehört, wie Stephanus sich gegen die Anklage, er lästere Gott und Moses, dadurch verteidigt, dass er die Geschichte der Führungen Gottes mit den Vätern und dem Volk des Alten Testaments als seine Schutzzeugin aufführt, die dartun soll, dass er, Stephanus, vollkommen Recht habe, die Juden aufzufordern, um Moses willen an Jesum zu glauben und sie zu warnen, nicht in dasselbige Exempel der Verkehrtheit gegen Gott und der Harthörigkeit gegen den von Gott gesendeten Erlöser zu fallen, wie ihre Vorfahren. Durch die Zeugenaussage der alttestamentlichen Geschichte sollten die Richter veranlasst werden, namentlich zwei Tatsachen als erwiesen anzuerkennen und dadurch sich zu überzeugen, dass Stephanus nicht lästere, nämlich 1) dass Gott derselbe sei damals wie jetzt und in alle Ewigkeit, und 2) dass das Volk dasselbe geblieben sei in seinem verkehrten Verhalten gegen Gott und seinen Heiland damals wie jetzt. Mit seiner Berufung auf die zwei ebengenannten geschichtlichen Tatsachen ist Stephanus aber noch nicht zu Ende gekommen und fährt daher in dem Abschnitt seiner Rede, der uns heute vorliegt, damit fort.

Und über vierzig Jahre erschien ihm in der Wüste auf dem Berg Sinai der Engel des Herrn, in einer Feuerflamme im Busch. Da es aber Moses sah, wunderte er sich des Gesichts. Als er aber hinzuging, zu schauen, geschah die Stimme des Herrn zu ihm: „Ich bin der Gott deiner Väter, der Gott Abrahams, und der Gott Isaaks, und der Gott Jakobs.“ Moses aber ward zitternd, und durfte nicht anschauen. Aber der Herr sprach zu ihm: „Zeuch die Schuhe aus von deinen Füßen; denn die Stätte, da du stehst, ist heiliges Land. Ich habe wohl gesehen das Leiden meines Volks, das in Ägypten ist, und habe ihr Seufzen gehört, und bin herabgekommen, sie zu erretten. Und nun komm her, ich will dich in Ägypten senden.“ Diesen Moses, welchen sie verleugneten, und sprachen: „Wer hat dich zum Obersten oder Richter gesetzt?“ den sandte Gott zu einem Obersten und Erlöser, durch die Hand des Engels, der ihm erschien im Busch. Dieser führte sie aus, und tat Wunder und Zeichen in Ägypten, im roten Meer, und in der Wüste, vierzig Jahre.
Apostelgesch. 7,34-36.

Wir haben gesehen, wie im vorigen Abschnitt, der von der Drangsal Israels, von der Kindheit Mosis und von seinem ersten Erlösungsversuch handelt, Gott sich in seinen Führungen als den treuen Bundesgott offenbart, der seine Verheißung zur Erfüllung bringt, aber auf wunderliche, dem natürlichen Menschenverstand befremdliche Weise. Unser heutiger Text führt den begonnenen Gedanken um einen Schritt weiter und weist nach, wie sich Gott nicht bloß in einfachen Führungen, sondern auch in Erscheinungen, Worten und Wundern offenbart. Im vorigen Abschnitt haben wir die Veranstaltungen Gottes so menschlich, so natürlich gefunden, so entkleidet von allem Wunderbaren; heute dagegen werden wir den Bundesgott eben in seinen Erscheinungen, Worten und Wundern erkennen als den Gott der Herrlichkeit.

Als den „Gott der Herrlichkeit“ bezeichnet Stephanus den Herrn gleich im Anfang seiner Rede; es ist das Erste, was er von Gott aussagt, der Gott der Herrlichkeit sei dem Abraham erschienen. Derselbe Gott, der vor vierhundert Jahren dem Abraham erschien, erscheint jetzt dem Moses und zwar in einer Weise, dass Moses sein Angesicht verhüllen musste und zitterte. Was Stephanus eigentlich damit sagen will, dass er Gott den Gott der Herrlichkeit nennt, wird uns im Verlauf der Betrachtung klar werden, wenn wir sehen werden, wie der Herr sich als den Gott der Herrlichkeit dem Mose und durch Moses dem Volk in dreifacher Weise offenbart, und zwar

  1. Als den Heiligen in Israel.
  2. Als den lebendigen Gott, den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs.
  3. Als den erlösenden Gott.

I. Als den Heiligen in Israel.

Der erste Rettungsversuch, den Moses gemacht hatte, war misslungen, weil das durch den Druck der Knechtschaft abgestumpfte Volk nicht vernahm, dass Gott durch Mosis Hand ihnen Heil geben wollte; aber Gott lässt sich durch die erste Verkehrtheit des Volkes nicht abhalten, eine zweite Rettung einzuleiten, weshalb der Text sagt: Und über vierzig Jahre (V. 30). Die vierzig Jahre scheinbaren Stillstandes seines Werkes benutzte Gott, um den Moses und auch das Volk für die kommende Erlösung zuzubereiten. Eine sonderbare Zubereitung für Moses! Vierzig Jahre lang Schafe hüten in der Abgeschiedenheit der Wüste, um tüchtig zu werden zum Gesandten Gottes an den verstockten Pharao und zur Ausführung des Volkes aus dessen Knechtschaft! Dort bei den Schafen schienen alle Talente, Erfahrungen und Einsichten, ja die ganze Frucht seiner früheren königlichen Erziehung in der Langeweile der Wüste zu Grabe getragen werden zu müssen. Aber so macht es der Gott der Herrlichkeit, er bereitet seine Werkzeuge in der Stille zu, damit sie ein Gefühl der eigenen Ohnmacht bekommen und Misstrauen gegen sich selbst, sowie die lebhafte Überzeugung der Unzulänglichkeit der eigenen Kraft.

Nach Ablauf der vierzig Jahre erschien dem Moses in der Wüste des Berges Sinai der Engel des Herrn in einer Feuerflamme im Busch (V. 30). Auf die Wüste als Ort der Erscheinung Gottes legt Stephanus Gewicht und verweilt dabei mit seinen Gedanken, als wollte er sagen: Ich soll Lästerworte wider die heilige Stätte, wider den Tempel geredet haben, weil ich von seiner möglichen Zerstörung geredet? und ihr seht doch selbst aus dieser Geschichte, dass die heilige Stadt und der Tempel zu Jerusalem keineswegs die einzigen Offenbarungsstätten sind, denn, wenn es Gott gefällt, kann er auch in der Wüste, also außerhalb des heiligen Landes sich offenbaren und dadurch die Wüste zu heiligem Lande machen. Ferner ist Gottes Wohnen nicht an das Allerheiligste gebunden, sondern, wenn er will, kann er in einem Busch, in einem niedrigen, unansehnlichen Wüstenbusch wohnen und daselbst in einer Feuerflamme sich offenbaren, wie er dort auf die Bundeslade sich in einer Wolkensäule niederließ und ein anderesmal sein Haus voll Rauch machte1). - Durch das Erscheinen in einer Feuerflamme im Busch offenbarte Gott sich als den Heiligen und insbesondere als den Heiligen in Israel. Feuer ist das Bild der Heiligkeit und Herrlichkeit Gottes und dass dem so sei, ersehen wir aus den die Erscheinung begleitenden Worten: Ziehe die Schuhe aus von deinen Füßen; denn die Stätte, da du stehst, ist heiliges Land (V. 33). Auch an dem Eindruck, den diese Worte auf Moses machten, sehen wir, dass das Feuer die Heiligkeit Gottes darstellen wollte, denn Moses ward zitternd und durfte nicht anschauen (V. 32). Die erscheinende Heiligkeit Gottes war gleichwohl keine schreckliche, sondern eine gnädige, wie denn auch Moses am Ziel seines Lebens, in seinem Segen noch von der Gnade dessen, der im Busch wohnt, redet. Wäre die Heiligkeit ein verzehrendes Feuer gewesen, so würde der Busch verbrannt sein, was aber wunderbarer Weise nicht geschah.

Der Gott der Herrlichkeit offenbart sich aber nicht bloß im Allgemeinen als der Heilige, sondern insbesondere als der Heilige in Israel. Das zeigt er an durch den Ort seines Wohnens, den Buchs. Der Busch ist ein Bild des Volkes Israel. Gott, der als der Heilige unendlich hoch und erhaben über der Welt ist, will dennoch unter seinem Volk wohnen und bei ihm sein. Freilich war das Volk zur Zeit des Moses und in den folgenden Zeiten nicht bloß ein niedriger, unansehnlicher Busch, sondern oft sogar wie ein Dornbusch hart und stachelig, aber das hielt Gott nicht ab, sich als den Engel, der im Busch wohnt, d. h. also als den Heiligen in Israel zu offenbaren um deswillen, was er den Vätern geschworen hatte. Als den Heiligen in Israel erwies sich Gott, indem er den Kindern Israel den Moses zum Heiland sendet und sich darum noch nicht von ihnen abwendet, dass sie ihn zum erstenmal verworfen hatten. Sie hatten keinen Heiland gewollt, der unter den Ägyptern erzogen sei, darum verleugnen sie ihn und treiben ihn in die Flucht; aber sie sollten gleichwohl keinen andern bekommen, als eben diesen von ihnen verworfenen Moses. Einmal kam er vom ägyptischen Hof zu ihnen, und sie stießen ihn von sich; zum zweitenmal kam er aus Midian, und es blieb ihnen nichts anderes übrig, als ihn anzunehmen, wenn sie überhaupt erlöst sein wollten. Wie Gott aus Steinen ihm Kinder erwecken kann, so kann er aus Midian, aus der Wüste, von den Schafherden einen Heiland senden.

Als den Heiligen in Israel erweist sich Gott auch in der Sendung Jesu, der der rechte Nachfolger Mosis in der Erlösung seines Volkes war. Als die Zeit erfüllt war, ist die Herrlichkeit Gottes erschienen, nicht in einem eigentlichen, natürlichen Busch, wohl aber in dem Dornbusch der menschlichen Natur, in welcher sie leibhaftig und in ihrer ganzen Fülle gewohnt hat. Jesus Christus, der Sohn Gottes, unser Heiland, ist die Herrlichkeit Gottes, wie denn Johannes von ihm sagt: Er wohnte unter uns und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit des eingebornen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit. Christus ist die Herrlichkeit Gottes, weil er das Ebenbild seines Wesens und der Abglanz seiner Herrlichkeit ist, sowie das Angesicht des verborgenen Gottes. Wer Christum sieht, der sieht die Herrlichkeit Gottes, denn wer ihn sieht, der sieht den Vater. Wie es keinen anderen Namen gibt, in welchem der Vater gebeten werden will, als den Namen des Sohnes, so gibt es auch keine andere Herrlichkeit Gottes, in welcher der Vater geschaut werden will, als in Christo. Der Heilige in Israel hat seinen eingeborenen Sohn zum Erlöser gesendet, aber das Volk hat sich halsstarrig bewiesen und seinen Heiland verleugnet und von sich gestoßen. Er ist darauf zwar hingegangen zum Vater; hat jedoch seinen Geist herab gesendet und ist von neuem als Erlöser ins Mittel getreten, nicht in den Flammen des feurigen Busches, aber in den feurigen Zungen des Pfingstfestes; und lässt nun das Heil in seinem Namen durch den Mund seiner Apostel und Zeugen verkündigen und durch Wunder und große Zeichen bekräftigen; indes das Volk wiederum im Begriff ist, ihn von sich zu stoßen, indem es sich gegen die Predigt seines Wortes verhärtet und dessen Verkündiger, wie den Stephanus, als Lästerer vor Gericht stellt.

II. Der Gott der Herrlichkeit,

der sich als den Heiligen in Israel offenbart hatte, gibt sich ferner kund als den Lebendigen, indem er sich dem Moses als den Gott seiner Väter, als den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs ankündigt (V. 32).

Es ist bekannt, dass Christus diese letztere Benennung, die Gott sich gegeben, den Sadduzäern gegenüber zum Beweis braucht, dass die Patriarchen, obwohl sie gestorben seien, doch vor ihm leben, denn der lebendige Gott sei auch ein Gott der Lebendigen und nicht der Toten. Indem Stephanus dieses Beinamens Gottes Erwähnung tut, denkt er zunächst nicht an das ewige Leben der entschlafenen Patriarchen bei Gott, sondern an alle Heimsuchungen Gottes, welche die Erzväter während ihrer Pilgerlaufbahn erfahren haben, mit einem Wort, an das Mitsein und Mitleben des lebendigen Gottes unter seinem auserwählten Haus und Volk. „Ich bin mit euch,“ hatte er zu den Vätern gesagt, Ich bin mit dir, sagte er im feurigen Busch zu Moses; Ich bin mit euch, wollte er zum Volk sagen, als er sich ankündigte als den Gott der Patriarchen, ihrer Väter. Wie wenn ein Freund zu dem anderen sagt: Was haben wir nicht Alles mit einander durchlebt, deine Geschichte ist meine Geschichte! so sollte das Volk erkennen, dass seine Geschichte zugleich seines Gottes Geschichte sei und umgekehrt. Die Geschichte der Heidenvölker war nicht die Geschichte des lebendigen Gottes, denn die Heiden hatte er ihre eigenen Wege gehen lassen; dagegen die Schicksale seines Volkes hatte er selbst in die Hand genommen, und ihre Geschicke und Geschichte nicht gehen lassen, wie sie gehen wollten, sondern nach seinem vorbedachten Plan eigens geleitet und geordnet.

Stephanus will hier dem Volk alle Wunder seiner Geschichte vor Augen halten; wie er den Abraham geführt durch alle Lagerstätten seines Pilgerlaufes; wie er den Isaak getragen in seiner Schwachheit und Hilflosigkeit - Isaak war bekanntlich dreiundfünfzig Jahre blind - wie er endlich mit Jakob gewesen, der fünfzig Jahre mit lahmer Hüfte durchs Leben hinken musste. Stephanus will bezeugen, dass Gott auch derselbe geblieben gegen Jakobs Volk im Segen der Vermehrung wie im Druck Ägyptens, in der Erwählung und Zubereitung eines Heilandes, wie in den Wundern des Auszugs, bis er es mit Adlers Flügeln an die heilige Stätte des Sinai gebracht habe. Dieser Gnadenheimsuchungen Gottes soll das Volk gedenken, in denen Er sich erwiesen als tragenden, helfenden, errettenden Gott, der derselbe geblieben bei den Kindern wie bei den Vätern, der seine Barmherzigkeit alle Tage neu werden ließ auch bei abtrünnigen Kindern und bei einem ungehorsamen Volk.

Wie würde Stephanus diesen Gedanken, dass Gott der Lebendige, der Gott der Väter sei, ausdrücken, wenn er uns gegenüber stände? Er würde sagen: Der alte Gott lebt noch! Glaubst du das, mein Zuhörer, oder leugnest du es? Im letzteren Falle müsstest du sagen: Er ist gestorben. Das kann aber nicht einmal ein Narr behaupten. Es ist traurig, dass vielen in Beziehung auf diese einfache Wahrheit, „der alte Gott lebt noch,“ der lebendige Glaube fehlt. Sie wagen es nicht, die Tatsache zu leugnen, aber sie vermögen auch nicht, sich daran zu erquicken und zu stärken, oder, wie das Sprichwort sagt, Häuser drauf zu bauen. Und doch bezeugt Gott diese köstliche Wahrheit den Hörern seines Wortes auf die eindringlichste Weise, so z.B. wenn der Prophet spricht: „Hört mir zu, ihr vom Hause Jakob, und alle Übrigen vom Hause Israel, die ihr mir aufgeladen seid aus Mutterleib und von mir getragen wurdet vom Mutterschoß. Und ich bin derselbe bis ins Alter und will euch tragen bis ihr grau werdet. Ich habe es getan und will heben und will tragen und erretten“2). - Wenn freilich Stephanus wüsste, dass es unter uns Leute gibt, die zwar die Redensart, der alte Gott lebt noch, der Bibel entwendet haben3) und häufig im Mund führen; aber dennoch von dem Gott, wie er sich in der Bibel offenbart hat, nichts wissen wollen; so würde er sagen: Der alte Gott, der uns zum Trost noch lebt, ist kein anderer, als der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, und der Vater unseres Herrn Jesu Christi. Wer letzteren nicht kennt und nicht liebt, hat keinen Teil am „alten Gott.“

III. Der Gott der Herrlichkeit erwies sich endlich als den Erlösenden,

darum sprach er zu Mose: „Ich habe wohl gesehen das Leiden meines Volkes, das in Ägypten ist, und habe ihr Seufzen gehört, und bin herab gekommen, sie zu erretten“ (V. 34). Der Herr sieht die Leiden, denn der das Auge gemacht hat, sollte der nicht sehen? Der Herr hört das Seufzen, denn der das Ohr gemacht hat, sollte der nicht hören? Aber beim Sehen und Hören bleibt der Herr nicht stehen; denn er ist nicht bloß allwissend, sondern auch helfend und herablassend, darum sagt er von sich: „ich bin herab gekommen, sie zu erretten.“ Das Herabfahren Gottes, von welchem im Alten Bund öfter die Rede ist, soll die sich herablassende, heimsuchende Gnade versinnbildlichen, die allewege nicht fern ist, ja sogar dem Gefühl, den Sinnen, der empfindlichen Wahrnehmung des Leidenden sich bemerkbar machen will. Der Zweck des Herabfahrens ist, zu erretten. Wenn die Not am größten, ist die Hilfe am nächsten, oder biblisch zu reden: Wenn die Ziegelsteine verdoppelt werden, dann kommt Moses. Was würde, so fragen wir heut noch einmal, Stephanus zu uns von Gott, dem Erlöser sagen, wenn er vor uns stände und an uns eine hoffentlich nicht halsstarrige, sondern heilsbegierige Zuhörerschaft hätte? Er würde uns darauf hinweisen, dass im Neuen Bund die Herablassung Gottes unvergleichlich viel größer war als im Alten Bund, und so auch die Errettung. Ihr, würde etwa Stephanus zu uns sagen, seid nicht durch äußere Zeichen und Wunder errettet, sondern erzogen durch die heilsame Gnade, das ungöttliche Wesen zu verleugnen und züchtig, gerecht und gottselig zu leben in dieser Welt, und im Blick auf die Zukunft zu warten, nicht etwa auf eine Engelserscheinung im feurigen Busch, sondern auf die selige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unseres Heilandes Jesu Christi4). Euch ist nicht ein Gesicht erschienen, vor dem ihr wie Moses zittern müsstet, sondern euch erschien die Freundlichkeit und Leutseligkeit Gottes unseres Heilandes, um euch selig zu machen, nicht durch die Taufe unter der Wolke und im roten Meer, sondern durch das Bad der Wiedergeburt und Erneuerung des heiligen Geistes, welchen er ausgegossen über uns reichlich durch Jesum Christum unseren Heiland5). Israel ist nur durch Mosen erlöst worden, Ihr durch Christus, Israel aus der leiblichen Knechtschaft, Ihr aus der geistlichen, Israel durch das Blut des Passahlammes, Ihr durch das Blut Christi. Euer Elend, würde Stephanus sagen, ist freilich auch viel größer, als die leibliche Knechtschaft in Ägypten, denn der Feind, der euch ängstigt, ist die Sünde und der Frondienst unter ihrer Herrschaft ist schändlicher und schmerzlicher als der unter Pharao. Hätte Stephanus Recht, wenn er so spräche? Ja freilich; denn wir sind, uns selbst überlassen, geistlich viel wehrloser, als Israel leiblich war. Israel war sehr ohnmächtig dem gewaltigen Pharao gegenüber, aber ein sündiges Menschenkind ist dem Teufel gegenüber noch viel ohnmächtiger, denn:

Groß Macht und viel List
Sein grausam Rüstung ist.
Auf Erden ist nicht seins Gleichen.

Aber dennoch soll geholfen werden durch den Erlöser, der gekommen ist, dass er die Werke des Teufels zerstöre. Darum soll niemand verzagen wegen seiner Wehrlosigkeit und eigenen Ohnmacht. Christus ist von Gott gesendet „zu einem Obersten und Erlöser“ und Er ist mehr als Moses. Will Christus etwa den Starken helfen? Will Christus etwa die Vermögenden retten? Will Christus etwa die Freien frei machen? Nein, sondern die Schwachen, die Unvermögenden, die Gebundenen. Die Macht der Sünde und die Ohnmacht des Menschen benutzt der Gott der Herrlichkeit, um sich zu verherrlichen als den Erlöser. Wir sollen erst zu Nichts werden, damit die Gnade in uns Etwas werde.

Aber wenn nun Gott aus der Höhe und aus dem Heiligtum herniedersieht auf sein zu errettendes Volk, was wird er finden? Sieht er bloß unsere Leiden, oder hört er zugleich unser Schreien und Seufzen? Ein betend Volk wird allzeit erhört, ein nicht betendes hat keine Verheißung. Nur, wer den Namen des Herrn anrufen wird, soll errettet werden, das bezeugen wie mit einem Munde Joel und Petrus. Was wird der Herr unter uns finden? Wird er Blinde unter uns finden, die diesen Moses des neuen Bundes, welchen Gott uns sendet, verkennen und von sich stoßen? Wird er Halsstarrige finden, die das Heil nicht in der Gestalt wollen, wie Gott es ihnen bietet, sondern in einer Weise, wie sie es sich selbst ausgedacht haben? Es gilt, unseren Augen die Wege Gottes wohlgefallen lassen und unsere Vernunft gefangen nehmen unter den Gehorsam des Glaubens, wenn Gott Anstalt macht, uns auszuführen durch seine hohe Hand. Die rettende Hand des Erlösers zu erkennen, werden wir befähigt, nicht durch Eigenwillen, nicht durch Vorwitz, sondern dadurch, dass wir die Schuhe ausziehen, weil die Stätte, darauf wir stehen, heiliges Land ist (V. 33). Ziehe die Schuhe aus, hieß es zu Moses; entblößt eure Häupter, würde es zu uns heißen (als Gebärde der tiefsten Ehrfurcht und betender Andacht), sobald ihr inne werdet, dass sich ein Werk der rettenden Hand Gottes vorbereitet, dass der Herr seine Nähe fühlbar macht und das Wehen seines Geistes zu spüren ist.

Hier ist heiliges Land. Alle Stätten, wo eine Offenbarung Gottes statt findet, sind heiliges Land. Kennst du solche Stätten, die dir heiliges Land sind? Ist dein Kämmerlein dir heiliges Land, oder der Feigenbaum, unter dem du die Knie deines Herzens vor Gott beugst, wie Nathanael? Brannte dort dein Herz in dir, weil Christus in dir war, wie der Busch in der Wüste brannte, weil der Engel des Herrn in ihm war? Nicht bloß der Ort des öffentlichen Gottesdienstes, nicht bloß das Kirchengebäude soll uns heiliges Land sein. Der prächtigste Dom kann zur Mördergrube werden, wenn ungöttliches Wesen ihn entheiligt; und das Strohdach des Armen zu heiligem Land, wenn der Erlöser daselbst seine Nähe offenbart und man die Schuhe irdischen Sinnes ausgezogen und die Knie des Herzens gebeugt hat. Überall, wo die Spuren göttlichen Wirkens und Waltens sichtbar sind, ist heiliges Land. Wo zwei oder drei versammelt sind in Christi Namen zur Erbauung, zum Gebet, oder zum Liebesdienst, da ist heiliges Land, weil der Herr mitten unter ihnen ist. Nicht bloß auf sogenanntem kirchlichen Gebiet, wo Gottes Wort gepredigt und die Sakramente verwaltet werden, ist heiliges Land, sondern auch die Wüste, wo einer gefunden, oder die Herberge, wo einer gepflegt wird, der unter die Mörder gefallen war. Ein Ort, wo die Nackenden gekleidet werden, oder die Hungrigen gespeist, ein Gefängnis, wo die Gefangenen besucht werden, ein Rettungshaus, wo die Kinder aufgenommen werden, ist heiliges Land; denn das sind Stätten der errettenden, erlösenden Gnade. O dass wir viel heiliges Land in unserem Land hätten, d. h. viele Stätten, wo die Gnade dessen, der im Busch wohnt, sich mächtig erwiese und auf die Häupter der Einwohner käme.

Die Gnade dessen, der im Busch wohnt, und uns den Herrn Jesum Christum zum „Obersten und Erlöser“ gesetzt hat, komme auf unser aller Haupt, sie träufle herab auf uns wie der Tau auf Hermon, sie feuchte uns von Oben her, sie fließe herab wie der Balsam vom Haupt Aarons in sein ganzes Gewand, sie salbe uns mit Geist und taufe uns mit Feuer, sie mache unser Herz fröhlich und stärke die schwachen Hände und die müden Knie, bis Gott uns mit Adlersflügeln an die Stätte führen wird, wo kein Leid, noch Geschrei noch Schmerz mehr sein wird, sondern Palmen und Kronen und Harfen, zu denen man singt das Lied Mosis. Dieser Moses, dessen Lied man in der Ewigkeit singen wird, führte sie aus und tat Wunder und Zeichen in Ägypten, im roten Meer und in der Wüste vierzig Jahre (V. 36). Aber wie unvollständig und unzureichend war gleichwohl die damalige Ausführung durch diesen Moses. Zwar stand Israel gerettet am roten Meer und sah die Leichen der ertrunkenen Ägypter am Ufer liegen, zwar sangen sie mit Moses und Mirjam dem Herrn dies Lied mit Pauken und Reigen: „Der Herr hat eine herrliche Tat getan, Mann und Ross hat er ins Meer gestürzt;“ aber, wenn die Kinder Israel gewusst hätten, was ihrer in Zukunft noch wartete, und wie sie fernerhin aus einer Not in die andere zu gehen hatten, wahrlich sie hätten ihre Pauken gedämpft und ihren Reigen eingestellt. Wenn dagegen einst in der Ewigkeit das Lied Mosis gesungen werden wird, zugleich mit dem Lied des Lammes, d. h. wenn zu dem Lobgesang für alle alttestamentlichen Errettungen, die Danklieder der Gemeinde Christi hinzukommen für den Endsieg über das Tier und sein Bild und sein Malzeichen; dann ist die Ausführung und Erlösung eine völlige und ewige, dann geht es nicht mehr vierzig Jahre in die wasserlose Wüste, sondern die Sieger stehen am gläsernen Meer und haben Gottes Harfen6); oder sie stehen vor dem Thron Gottes - wie Johannes sie in einem anderen Gesicht gesehen hat - und der Ältesten einer spricht: „Diese sind es, die gekommen sind aus großer Trübsal und haben ihre Kleider gewaschen und haben ihre Kleider hell gemacht im Blut des Lammes. Darum sind sie vor dem Thron Gottes und dienen ihm Tag und Nacht in seinem Tempel. Und der auf dem Thron sitzt, wird über ihnen wohnen. Sie wird nicht mehr hungern noch dürsten; es wird auch nicht auf sie fallen die Sonne noch irgend eine Hitze, denn das Lamm mitten im Thron wird sie weiden und leiten zu den lebendigen Wasserbrunnen; und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen.“ Amen.

1)
Jes. 6,4
2)
Jes. 46,3.4
3)
5. Mos. 33,27
4)
Tit. 2,3
5)
Tit. 3,5
6)
Offb. Joh. 15,2-4; 7,15-17
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