Girgensohn, Thomas - Zur Erbauung - Rechtes Beten.
Des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist.
(Jak. 5, 16.)
Dies Wort soll uns in Erinnerung bringen unser kostbares Christenvorrecht, nicht nur mit Wirken und Arbeiten, sondern auch mit Beten viel zu erreichen. Das Gebet vermag viel - das gibt uns einen neuen Sporn, den Mahnungen des Wortes Gottes zum Beten zu folgen, das fasst die zahlreichen Beispiele der heiligen Geschichte von rechtem, erhörlichen Beten in eins zusammen, das bestätigt sich in den Erfahrungen der Christenheit aller Zeiten. Und dennoch meinen viele, die Christen heißen, für ihre Person diese Erfahrung nicht gemacht zu haben und daran zweifeln zu dürfen, dass das Gebet eine Macht im Menschenleben sei. Das würde anders werden, wenn man überall, wo man noch betet, das obige Schriftwort genauer ins Auge fassen und in seinem vollen Umfange auf sich anwenden wollte. Des Gerechten Gebet vermag viel, schreibt der Apostel; es kommt also darauf an, ein Gerechter zu sein, um die Macht des Gebets erfahren zu können. Um eine Gerechtigkeit aber handelt es sich hierbei, Gott sei Dank, die nicht durch Werke erworben wird, so dass nur große Heilige, gerechte Fromme, bewährte Täter des Wortes recht beten können, sondern um eine Gerechtigkeit, die allen armen Sündern aus Gnaden um Christi willen geschenkt und durch den Glauben empfangen wird, so dass jeder, welcher danach verlangt, es an sich selbst erproben kann, welches die Macht des Gebetes sei. Trachten wir nur zuerst nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, bitten wir Morgens und Abends und besonders in aller Not nur vor Allem um Vergebung unserer Sünden, durch welche wir der Rechtfertigung immer wieder gewiss gemacht werden, bringen wir all' unser Anliegen als die Gerechten, als die Kinder vor unseren Vater im Himmel; gewiss, es wird unser eigenes Erfahrungsbekenntnis werden: Der Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist. „Wenn es ernstlich ist,“ das ist freilich die unerlässliche Bedingung für jedes einzelne Gebet, soll es was vermögen, so wie die Gerechtigkeit für das Gebet überhaupt. Ernstlich beten heißt aber ernstlich meinen das, was man im Gebet vor Gott redet, keine Phrasen und Worte machen, und, wo man bittet, ernstlich wünschen das, warum man bittet. In diesem letzteren Stücke wird sich das ernstliche Beten bewähren müssen durch ein tatsächliches Streben nach Erfüllung des Wunsches, den wir im Gebet aussprechen. So ist allerdings rechtes Beten immer mit einem Tun verbunden, nicht als ob man durch das Tun ein Verdienst geltend mache vor Gott, sondern indem das Tun das Siegel für die Ernstlichkeit der Bitte bildet. Jede besondere Bitte muss auch ein besonderes Tun bei sich haben; wer da bittet ums tägliche Brot, der arbeite im Schweiße seines Angesichts; wer bittet um Errettung aus dieser oder jener Not, der trachte auch sich selbst daraus zu helfen und begebe sich nicht in Gefahr, tiefer ins Elend hineinzugeraten; wer da bittet für seine Mitmenschen, der verleugne sich selbst und diene oder helfe ihnen; wer um Vergebung der Sünden bittet, der lasse die Sünde und kämpfe gegen sie; sonst ist's kein ernstlich Gebet und vermag nichts. Und wenn wir unter schwerer Last und in größter Schwachheit oder einer Not gegenüber, der Menschentun in keiner Weise abhelfen kann, vermeinen nichts tun zu können, so belehrt uns des Herrn Wort Matth. 1, 29 und 30 eines Besseren, wenn er spricht: „nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir;“ sanftmütig und demütig sein Kreuz tragen, das ist auch ein Tun, das auf das Ziel unserer Gebete, Ruhe für die Seelen, hinführt; dann wird das Gebet ernstlich sein und viel vermögen, nämlich das, dass das Joch sanft und die Last leicht wird. Wer es also ernstlich nimmt mit dem Gebet und es lernt im Glauben, als ein Gerechter, zu rufen: Abba, lieber Vater! dessen Gebet wird eine Macht in seinem Leben und an dem erfüllt sich die Verheißung: bittet, so wird euch gegeben.
R. K. 92. Nr. 37.