Girgensohn, Thomas - Wahre Genügsamkeit.

Girgensohn, Thomas - Wahre Genügsamkeit.

Er hat zu mir gesagt: lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.
(2. Kor. 12, 9.)

Was der Herr in diesen Worten dem Apostel gesagt hat, das lässt er allein seinen Jüngern in der Predigt von seiner Gnade verkündigen; wo nur immer das Evangelium von dem Einen, was not tut, an die Menschen ergeht, da klingt's immer auch mit: lass dir an meiner Gnade genügen. In diesem Worte wird uns das höchste Ziel, das wir auf unserer Erdenwallfahrt erreichen können, dargestellt, denn in solcher Genügsamkeit sind wir bereit einzugehen in die himmlische Welt, hinzugeben alles, was wir haben, zu sterben in der Gewissheit: wenn mir gleich Leib und Seele verschmachten, so bist du doch, Gott, meines Herzens Trost und mein Teil. Aus solcher Genügsamkeit fließt auch die Kraft, sich genügen lassen an dem, was das irdische Leben uns bietet, ganz zufrieden zu sein mit dem, was Gott fügt. Ohne den Besitz der Gnade, an der man sich genügen lässt, kann es nur geben eine nie zur Ruhe kommende Ungenügsamkeit, weil nichts das Dürsten der Seele zu stillen vermag, oder eine falsche, stumpfsinnige Genügsamkeit, die mit dem Wahlspruch vorlieb nimmt: lasst uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot. Haben wir nun aber die wahre Genügsamkeit, oder müssen wir immer wieder sprechen: meine Seele ist aus dem Frieden vertrieben? Suchen wir in dem Angesichte Jesu Christi, wie es uns in der Schrift erscheint, die Gnade in ihrer Größe und Herrlichkeit zu erkennen, nehmen wir mit treuem anhaltendem Gebet aus der Fülle Christi Gnade um Gnade, um in ihr zu ruhen, um uns an ihr genügen zu lassen? Fragen wir in der Freude und im Glück nach der Quelle des Segens, der Gnade, und sind wir zufrieden mit dem, was Gott uns beschert, in der dankbaren Erkenntnis: Deine Barmherzigkeit hat noch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu? (Klagel. Jer. 3, 17.) Halten wir uns in des Lebens Mangel und Widerwärtigkeit an die Gnade in der Zuversicht: Deine Gnade müsse mein Trost sein, die du deinem Knechte zugesagt hast? (Psalm 119, 76.) Fliehen wir in Kampf und Anfechtung zu der Gnade, weil wir gewiss sind, dass sie allein zum Siege führen kann, und dass im Besitz der Gnade alles Andrängen der Mächte der Finsternis von außen und alle Regungen der Sünde im Innern uns nicht zu schaden vermögen? Schöpfen wir die Kraft zur Erfüllung unserer Lebensaufgaben aus der Gnade und stillen wir unser Herz bei aller Missstimmung der Arbeit gegenüber, bei allen Missgriffen und Misserfolgen mit der Hoffnung: wenn nur die Gnade mit uns ist, so kann unser Wirken nicht vergeblich sein? Wenn wir nach diesen Fragen unser Wesen und Wandeln aufrichtig prüfen, so werden wir es erkennen und empfinden, dass solche wahre Genügsamkeit das höchste Ziel ist, über das wir in dem Leibe der Sünde und des Todes nicht hinauskommen, und dass wir noch weit von diesem Ziele entfernt sind. Wir werden es mit unserer Kraft auch nicht erreichen, sondern, damit wir es erreichen, müssen wir gerade schwach werden; der Apostel Paulus befand sich in großer Bedrängnis und Anfechtung, als der Herr zu ihm sagte: jetzt gerade lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Darum führt der Herr auch uns in die Leidensschule, auf dass wir schwach würden, die Gnade aber mächtig würde. So lässt er uns erfahren viele und große Angst über vergangene Sünden und über die Sündenmacht, die noch gegenwärtig von innen und außen uns bedrängt, so hat jeder von uns sein besonderes Kreuz, das ihn drückt, seinen Pfahl im Fleisch, der ihn niederbeugt, ihn seine Schwachheit und Ohnmacht fühlen lässt. So nimmt uns Gott, was uns teuer und lieb ist, und macht uns arm und bedürftig; so lässt er uns wandern im finsteren Tale, dass wir die Fügungen des Lebens nicht verstehen, dass wir uns blind und ratlos erscheinen. Aber das alles geschieht, damit wir erkennen und fühlen, dass wir elend und jämmerlich, arm, blind und bloß sind, und in der Zeit der Heimsuchung gedächten, was zu unserem Frieden dienet, suchen und ergreifen möchten die Gnade und es erlernten, an ihr uns genügen zu lassen, um dann zuletzt, wenn alles dahinsinkt, freudig bekennen zu dürfen: Ich liege und schlafe ganz mit Frieden, denn du allein, Herr, hilfst mir, dass ich sicher wohne (Ps. 4, 9).

R. K. 94. Nr. 42.

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autoren/g/girgensohn_thomas/zur_erbauung/girgensohn_-_wahre_genuegsamkeit.txt · Zuletzt geändert: von aj
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