Girgensohn, Thomas - Zur Erbauung - Die Doppelwirkung des Evangeliums.
Wir sind Gott ein guter Geruch Christi, beides unter denen, die selig werden, und unter denen, die verloren werden; diesen ein Geruch des Todes zum Tode; jenen aber ein Geruch des Lebens zum Leben.
(2 Kor. 2, 15. 16.)
Was der Apostel in vorstehenden Worten von sich und seinen Mitarbeitern sagt, das gilt von ihnen als den Verkündigern des Evangeliums, also im letzten Grunde von diesem Evangelium selbst für alle Zeiten. Das Evangelium ist Gotte ein guter Geruch Christi, es strömt von dem Evangelium, wenn es lauter und rein gepredigt wird, Gott zur Ehre und zum Wohlgefallen, wie von einer ausgeschütteten Salbe, ein erquickender Duft der Erkenntnis Christi aus; ein Geruch aber wird das Evangelium nach seiner Wirkung genannt, weil diese eine sich leicht weit verbreitende, durchdringende und erregende ist, wie sie in ähnlicher Weise jedem starken Wohlgeruch eignet. Als Geruch äußert sich die Wirkung des Evangeliums unter allen Menschen, aber wie verschieden, wie entgegengesetzt gestaltet sich diese Wirkung je nach der inneren Beschaffenheit und Empfänglichkeit der Menschen, je nach ihrer Zugehörigkeit zu denen, die selig werden durch den Glauben, oder denen, die verloren werden, um ihres Unglaubens willen. Das Evangelium als ein guter Geruch Christi wird in der ganzen Welt ausgebreitet, kommt an alle Menschen heran zu seiner Zeit, dringt in ihr Inneres ein und schafft in ihnen die Kraft zum Glauben, gibt ihnen aber freilich damit auch die Freiheit, sich wider Gott aufzulehnen und seine Gnade und Wahrheit abzuweisen. Wo das nun tatsächlich geschieht, da ist das Evangelium für diese, die sich seiner Wirkungen erwehren, doch durchaus nicht wirkungslos, sondern ein Geruch des Todes zum Tode geworden; es hört dort nicht auf mit seiner erregenden Wirkung, aber es erregt den bösen Geist, den alten Menschen, das fündige Fleisch gerade dadurch, dass es sie bekämpft, richtet, verdammt. Das Evangelium ist denjenigen, welche nicht glauben wollen, den Eigenwillen in sich herrschen lassen, eine Todesmacht, etwas was sie in ihrem Trachten zunichte machen kann, und seine Wirkung daher ein Geruch des Todes, das Evangelium ist ihnen aber auch eine Macht, welche sie, die sich ihr widersetzen tatsächlich dem Tode, der gänzlichen Verstockung, der völligen Scheidung von Gott, der ewigen Verdammnis entgegentreibt, und seine Wirkung daher ein Geruch zum Tode. Ganz dem entgegengesetzt ist die Wirkung des Evangeliums bei denen, die durch dasselbe in sich den Glauben wecken lassen und zuletzt selig werden. Es ist ihnen die Offenbarung dessen, der sich selbst die Auferstehung und das Leben nennt: Christus und sein Evangelium ist für die Gläubigen die Lebensquelle, es gibt ihnen, was ihr Herz wünscht, er lenkt alle Dinge ihnen zum Besten, Christus ist ihr Leben, Sterben ihr Gewinn, wie sollte nun die Wirkung des Evangeliums, das ihn kennen lehrt, eine andere sein, als ein Geruch des Lebens, ein Geruch, der von dem Leben ausgeht, und, sofern er den Weg des Lebens zeigt, das ewige Leben gibt, in die volle Gemeinschaft mit Gott einführt, ein Geruch zum Leben. Eine Doppelwirkung hat das Evangelium; es will und soll eine Freudenbotschaft für die verlorene Sünderwelt werden; wenn es aber von so vielen abgewiesen, verachtet, verspottet und bekämpft wird, so soll uns das nicht an seiner göttlichen Herrlichkeit irre machen; auch darin beweist es sich als wirkungskräftig, als ein Wort, das ausrichtet, wozu der Herr es sendet, als ein guter Geruch Christi. Was für ein Geruch ist das Evangelium uns? O, dass wir unbeirrt von dem Gewirr der Stimmen in der Welt, die noch kein klares Zeugnis geben, was ihnen das Evangelium eigentlich ist, unbeirrt aber auch von der Feindschaft vieler Mächtigen und Klugen dieser Welt gegen das Evangelium, freudig bekennen könnten: ich schäme mich des Evangeliums von Christo nicht, denn es ist eine Kraft Gottes, die da selig macht alle, die daran glauben (Römer 1, 16).
R. K. 97. Nr. 6.