Girgensohn, Thomas - Zur Erbauung - Allein aus Gnaden.
Denn aus Gnaden seid ihr selig geworden durch den Glauben; und dasselbige nicht aus euch, Gottes Gabe ist es.
(Ephes. 2, 8.)
Selig sind die Menschen, zu denen Gott redet in der Weise eines rechten Vaters, die Gottes Wort hören und die wiederum zu Gott reden in dem Ton: Abba, lieber Vater; hier auf Erden haben wir den Anfang der Seligkeit, wir sind wohl selig, doch in der Hoffnung, dort im Himmel werden wir die vollkommene Seligkeit haben. Es wird uns nun durch das vorstehende Schriftwort in Erinnerung gebracht das Hauptstück unseres evangelischen Bekenntnisses: aus Gnaden seid ihr selig geworden; die uns zugeeignete, sündenvergebende Gnade Gottes ist die alleinige Ursache unserer Seligkeit. Damit man nur nicht glaube, dass nebenbei der Mensch doch auch etwas leisten müsste zu seiner Seligkeit, fügt der Apostel zu den Anfangsworten noch eine ausdrückliche Verneinung alles menschlichen Verdienstes hinzu, indem er schreibt: und desselbige nicht aus euch; es ist Gottes Gabe. Seligkeit ist beschlossen in der großen Weihnachtsgabe; Gott hat seinen Sohn, unseren Heiland, uns gegeben; wer ihn hat, an ihm hängt, mit ihm in Gemeinschaft steht, der hat Vergebung, hat Gott selbst, ist selig und wird selig. Wie kann doch dieses Evangelium nimmer zu oft verkündigt werden, den leichtfertigen Sündern als ein Mahnruf: Mensch, du hast einen Heiland und stürzt dich selbst ins Verderben; den verzagten Gemütern als ein Trostruf: was quälst du dich ab, siehe zu deiner Seligkeit ist schon alles vollbracht! Der Überzeugung von der Wahrheit dieses Evangeliums steht nun scheinbar entgegen die Überzeugung, die auch durch Gottes Wort durchaus bestätigt wird, dass der Mensch ein freies Wesen sei, dass er auch zur Gemeinschaft mit Gott nur in Freiheit gelangen könne, dass er also doch seinerseits irgendwie seine Freiheit betätigen, irgend etwas tun müsse, wenn er selig werden soll. Auch das obige Bibelwort bestätigt diese letztere Überzeugung, indem Paulus schreibt „durch den Glauben“, das Seligwerden vom Glauben abhängig macht; nun scheint aber doch dieser Glaube eine Leistung, ein inneres Herzenswerk des Menschen zu sein und gerade indem er von Paulus unter die Grundbedingungen der Seligkeit gerechnet wird, jenes „aus Gnaden“ einzuschränken. Dies letztere ist aber eben nur ein Schein; sagt's doch die Schrift (2. Thess. 3, 2) und bestätigt es doch die Erfahrung, dass der Glaube nicht Jedermanns Ding sei, dass es also gar nicht ohne Weiteres in die Freiheit des Menschen gestellt sei, zu glauben oder nicht. Es muss doch zuerst die Gnade Gottes ein Herz erfassen, es muss Christus ihm sich in seiner Herrlichkeit offenbaren, es muss die Kraft des heiligen Geistes in das Herz gegeben werden, ehe dasselbe Vertrauen fasst, den Heiland ergreift, schmeckt und fühlt, wie freundlich der Herr ist, ehe es zum Glauben gelangt.
Zunächst also wird dieses „durch den Glauben“ nur ausdrücken, wie Gottes Gnade nicht allein für uns den eingeborenen Sohn dahingegeben hat, sondern durch denselben auch in uns schafft, wessen es zur Seligkeit bedarf: und somit wird es besiegeln und bestätigen die Verkündigung: aus Gnaden seid ihr selig geworden. Aber freilich andererseits fühlen wir mit Recht, dass im Glauben auch eine Äußerung der menschlichen Freiheit liegt, und das eben erwähnte Wort aus dem Thessalonicherbrief deutet darauf hin, dass es doch in der verschiedenen, selbstgewirkten Beschaffenheit der Menschenherzen begründet sein muss, wenn die einen zum Glauben kommen, die anderen nicht. Auch der natürliche, sündige, dem Verderben verfallene Mensch hat doch als einen Rest des göttlichen Ebenbildes eine Sehnsucht im Herzen behalten nach dem lebendigen Gott, die bald deutlicher hervortritt, bald verhüllt in dem Verlangen, zum Frieden des Gewissens zu kommen, nach dem ins Herz geschriebenen Gesetz zu tun, zu leben; und dieses Trachten findet im Christenstande selbstverständlich nicht sein Ende, wo die Losung in sittlicher und religiöser Beziehung erst recht zur Geltung kommt: näher mein Gott zu dir, näher zu dir. Hier bildet nun die Freiheit der Entscheidung den tiefgreifenden Unterschied unter den Menschen, dass die einen jenes Verlangen ihrer Seele in leichtsinnigem oder hochmütigem, selbstgerechtem Sündendienst ertöten, die anderen demselben nachgeben, die Fragen des Gewissens, die Fragen nach Gut und Böse im Herzen bewegen, ein Streben nach Gerechtigkeit irgendwie betätigen. Diese letzteren erwerben freilich mit ihrem Streben, ihren Werken keinen Ruhm vor Gott, sie bleiben in Hinsicht ihrer Leistungen verdammlich, wie sie waren, sie können ihre Seligkeit nicht verdienen, aber wenn nun Gott einmal seinen wunderbaren Gnadenratschluss in Christo Jesu gefasst hat, so kann der Keim des Glaubens nur in solche Seelen gesenkt werden und weiterhin gedeihen, entsprechend dem Wort Jesu, Joh. 7, 17. Nur solche, die, wenn auch in noch so verborgener Weise, im Herzen das Wollen tragen, des Vaters Willen zu tun, können zur Erkenntnis ihrer Sünden gebracht werden, nur für solche haben Worte wie „Gnade, Seligkeit, Himmelreich“ einen Sinn und einen Wert; darum wendet sich die Predigt des Gesetzes mit der Forderung an die Menschen: tut Buße, darum ergeht auch an die Gläubigen die Mahnung: schafft eure Seligkeit mit Furcht und Zittern, darum treibt das Wort Gottes zum Heiligungskampf, obwohl die Heiligung ganz und gar ein Werk der Gottesgnade ist. Kämpfe den guten Kampf des Glaubens; aber all' dieses Trachten und Ringen soll nimmermehr die Gewissheit erschüttern, vielmehr dieselbe immer tiefer ins Herz senken; aus Gnaden allein, aus Gnaden seid ihr selig geworden.
R. K. 93. Nr. 28.