Gerok, Karl von – Andachten zum Psalter - Psalm 37.
(1) Ein Psalm Davids. Erzürne dich nicht über die Bösen, sei nicht neidisch über die Übeltäter. (2) Denn wie das Gras werden sie bald abgehauen, und wie das grüne Kraut werden sie verwelken. (3) Hoffe auf den Herrn, und tue Gutes; bleibe im Lande, und nähre dich redlich. (4) Habe deine Lust an dem Herrn; der wird dir geben, was dein Herz wünscht. (5) Befiehl dem Herrn deine Wege, und hoffe auf ihn; er wird es wohl machen, (6) Und wird deine Gerechtigkeit hervorbringen wie das Licht, und dein Recht wie den Mittag. (7) Sei stille dem Herrn, und warte auf ihn. Erzürne dich nicht über den, dem sein Mutwille glücklich fortgeht. (8) Stehe ab vom Zorn, und lass den Grimm; erzürne dich nicht, dass du auch übel tust. (9) Denn die Bösen werden ausgerottet; die aber des Herrn harren, werden das Land erben. (10) Es ist noch um ein Kleines, so ist der Gottlose nimmer; und wenn du nach seiner Stätte sehen wirst, wird er weg sein. (11) Aber die Elenden werden das Land erben, und Lust haben in großem Frieden. (12) Der Gottlose droht dem Gerechten, und beißt seine Zähne zusammen über ihn. (13) Aber der Herr lacht seiner; denn er sieht, dass sein Tag kommt. (14) Die Gottlosen ziehen das Schwert aus, und spannen ihren Bogen, dass sie fällen den Elenden und Armen, und schlachten die Frommen. (15) Aber ihr Schwert wird in ihr Herz gehen, und ihr Bogen wird zerbrechen. (16) Das Wenige, das ein Gerechter hat, ist besser, denn das große Gut vieler Gottlosen. (17) Denn der Gottlosen Arm wird zerbrechen; aber der Herr erhält die Gerechten. (18) Der Herr kennt die Tage der Frommen, und ihr Gut wird ewig bleiben. (19) Sie werden nicht zu Schanden in der bösen Zeit, und in der Teuerung werden sie genug haben. (20) Denn die Gottlosen werden umkommen, und die Feinde des Herrn, wenn sie gleich sind wie eine köstliche Aue, werden sie doch vergehen, wie der Rauch vergeht. (21) Der Gottlose borget und bezahlet nicht; der Gerechte aber ist barmherzig und milde. (22) Denn seine Gesegneten erben das Land, aber seine Verfluchten werden ausgerottet. (23) Von dem Herrn wird solches Mannes Gang gefördert, und hat Lust an seinem Wege. (24) Fällt er, so wird er nicht weggeworfen, denn der Herr erhält ihn bei der Hand. (25) Ich bin jung gewesen, und alt geworden, und habe noch nie gesehen den Gerechten verlassen, oder seinen Samen nach Brot gehen. (26) Er ist allezeit barmherzig, und leihet gerne, und sein Same wird gesegnet sein. (27) Lass vom Bösen, und tue Gutes, und bleibe immerdar. (28) Denn der Herr hat das Recht lieb, und verlässt seine Heiligen nicht, ewig werden sie bewahret; aber der Gottlosen Same wird ausgerottet. (29) Die Gerechten erben das Land, und bleiben ewig darinnen. (30) Der Mund des Gerechten redet die Weisheit, und seine Zunge lehrt das Recht. (31) Das Gesetz seines Gottes ist in seinem Herzen, seine Tritte gleiten nicht. (32) Der Gottlose lauert auf den Gerechten, und gedenkt ihn zu töten; (33) Aber der Herr lässt ihn nicht in seinen Händen, und verdammt ihn nicht, wenn er verurteilet wird. (34) Harre auf den Herrn, und halte seinen Weg, so wird er dich erhöhen, dass du das Land erbest; du wirst es sehen, dass die Gottlosen ausgerottet werden. (35) Ich habe gesehen einen Gottlosen, der war trotzig, und breitete sich aus, und grünte wie ein Lorbeerbaum. (36) Da man vorüberging, siehe, da war er dahin; ich fragte nach ihm, da ward er nirgend gefunden. (37) Bleibe fromm, und halte dich recht; denn solchem wird es zuletzt wohl gehen. (38) Die Übertreter aber werden vertilget miteinander; und die Gottlosen werden zuletzt ausgerottet. (39) Aber der Herr hilft den Gerechten, der ist ihre Stärke in der Not. (40) Und der Herr wird ihnen beistehen, und wird sie erretten; er wird sie von den Gottlosen erretten, und ihnen helfen, denn sie trauen auf ihn.
Wenn man diesen Psalm durchliest, wie wir ihn so eben gelesen haben, dann ist's als ginge man durch einen schönen weiten Garten, wo bald dieses, bald jenes liebliche Plätzchen uns einlädt zum Bleiben. Da steht eine schöne Blume, die uns mit ihrem Duft und Glanz erquickt; dort ist unter schattigen Bäumen eine behagliche Ruhebank errichtet; hier springt ein frisches Brünnlein silberhell aus Fels und Moos, und anderswo wieder tut sich uns eine reizende Aussicht auf weit hinaus in ein sonniges Land, in eine blaue duftige Ferne. Auch in diesem Psalm blüht manches goldene Wort wie eine unverwelkliche Blume, die mit ihrem Duft und Glanz uns Aug und Herz erquickt; in manchem Vers tut gleichsam ein schattiges Ruheplätzchen sich auf in der Last und Hitze der Anfechtung; mancher Spruch springt uns entgegen wie ein Brünnlein, an dem schon tausend und abertausend Seelen sich erquickt haben; wieder an einer andern Stelle eröffnen sich lachende Aussichten dem gläubigen Blick in selige, himmlische Fernen.
Kaum ein anderer Psalm ist soviel benützt und viel gebraucht; wieviel schöne Lieder sind darüber gemacht, wieviel Denksprüche sind daraus genommen, wieviel Hochzeitstexte und Leichenreden sind daraus geschöpft worden. Wahrlich, wenn in diesem Psalm nichts stände, als der fünfte Vers: „Befiehl dem Herrn deine Wege, und hoffe auf ihn; er wird es wohl machen,“ er wäre schon dadurch unschätzbar und unsterblich; und neben diesem einen, wie mancher andere Kernspruch und Goldspruch ist noch drin zu finden, über den sich stundenlang reden ließe.
Es ist ebendeswegen schwer, über diesen Psalm eine Betstunde halten, weil man gar zu gern verweilen würde bei einem Vers, bei einem Spruch, und soll doch das Ganze überschauen, das Ganze durchgehen. Wir wollen soviel jetzt davon mitnehmen, als in diesem kurzen Stündlein möglich ist; vielleicht manches unter uns wird in seinem Leben, an Freudentagen oder in Trauerstunden noch mehr als einmal zurückgeführt zu diesem Psalm und lernt ihn da aus Erfahrung erst recht verstehen und genießen. Das sind oft die kräftigsten Betstunden, die man einsam daheim hält in seinem Kämmerlein.
Der Psalm ist ein Lehrpsalm. Nicht in einer augenblicklichen Erregung von Freud und Leid hat David diesen Psalm gedichtet, sondern in ruhiger Betrachtung des menschlichen Lebens und des göttlichen Waltens. Nicht himmelan schwingt seine Seele sich diesmal über die Wolken wie ein Adler, sondern in ruhigem Flug schwebt sie wie eine Taube über dem Menschenleben und schaut hernieder auf den Weltlauf. Im Hinblick auf diesen Weltlauf, im Rückblick auf seinen eigenen Lebenslauf wird ihm die Wahrheit recht klar und groß und fest, die er in diesem Psalm ausspricht:
Dem Frommen muss es zuletzt wohlgehen; der Gottlose aber wird zu Schanden.
Dieser Doppelgedanke ist's, der sich durch den ganzen Psalm in immer neuen Wendungen hindurchzieht, wie oft in einem Musikstück derselbe Gedanke, derselbe Satz in immer neuen Wendungen oder Variationen wiederholt wird; das Glück des Frommen und das Verderben des Gottlosen, das sind gleichsam die zwei Fäden, - der eine golden hell, der andere dunkel schwarz, aus welchen der Psalm wie eine Schnur zusammengedreht ist; bald kommt der helle, bald der dunkle Faden zum Vorschein. Wir wollen für diese Stunde besonders dem einen Faden nachgehen, das Glück des Frommen betrachten, wie es in den schönsten Versen unseres Psalmes geschildert wird; daran wird sich dann von selber anknüpfen, was zu sagen ist über das Verderben des Gottlosen, wie der Schatten zum Lichte sich gesellt. Vom Glück des Frommen handelt gleich:
V. 3 ff. Nachdem David uns den Rat gegeben: „Erzürne dich nicht über die Bösen, sei nicht neidisch über die Übeltäter; denn wie das Gras werden sie bald abgehauen. und wie das grüne Kraut werden sie verwelken, wozu Luther in seiner Weise die treffende Bemerkung macht: Je höher das Gras wächst, je näher ihm die Sensen und Heugabeln sind; also je höher die Bösen, je näher ihr Unterliegen so hebt er nun an, den Weg des Heils uns zu zeigen:
V. 3: „Hoffe auf den Herrn und tue Gutes; bleibe im Lande und nähre dich redlich.“ Da haben wir schon ein paar treffliche Hausmittel: Hoffe auf den Herrn und tue Gutes, mit andern Worten: Bete und arbeite; tue deine Pflicht und das Übrige stelle Gott anheim; wahrlich mit diesem einen Sprüchlein kommt man durch die Welt. Beides gehört zusammen. Wer auf den Herrn allein hoffen wollte und nichts Gutes tun, die Hände in den Schoß legen, als müsste ihm das Glück im Schlafe kommen, der wäre ein Tor. Andererseits wer Gutes tun wollte und nicht auf den Herrn hoffen und meinen, mit seiner Kraft allein sei es getan, der würde bald zu Schanden werden und erfahren: Mit unserer Kraft ist nichts getan. Nein, beten und arbeiten, Gutes tun und das Beste von oben erwarten und erflehen das ist das Wahre. Die Hand ans Werk, die Herzen himmelan: So wird allein ein gutes Werk getan. Und wo man diese zwei Hausmittel fleißig gebraucht, da trifft dann auch das andere ein: Bleibe im Lande und nähre dich redlich. Wohl wird's in dieser bedrängten Zeit auch manchem frommen und fleißigen Hausvater schwer, sich und die Seinigen redlich zu nähren, und wir wollen den armen Auswanderern, die nicht im Leichtsinn, sondern aus Not dem heimatlichen Boden Abschied sagen, um überm Meer ihr Brot zu suchen, gewiss keinen Fluch, sondern die herzlichsten Segenswünsche nachsenden auf ihre ernste schwere Fahrt gegen diese ist unser Spruch nicht gerichtet und gedichtet; ist ja auch Abraham ausgewandert, Jakob ausgewandert, das Volk Israel ausgewandert; aber gegen den Leichtsinn ist unser Spruch gerichtet, der aus Übermut oder Arbeitsscheu oder Leichtsinn das Glück in der Ferne sucht. Und da hat's doch auch noch seine Wahrheit, das alte Wort: Bleibe im Lande und nähre dich redlich; wer sich's sauer werden lässt und dabei auf den Herrn hofft, dem steht auch daheim noch ein Weg zum Fortkommen offen, der kann auch im Vaterland noch den Weg zum Glück finden, zwar nicht zu einem kalifornischen Reichtum, aber zu einem bescheidenen Teil. Was das für ein Teil sei, worin das echte Glück des Frommen bestehe, das lehrt uns
V. 4: „Habe deine Lust an dem Herrn, der wird dir geben, was dein Herz wünscht.“ Wer freilich seine Lust hat am eitlen und ungöttlichen Wesen; wer ungenügsam und unvernünftig nach Glanz und Reichtum, nach Üppigkeit und Wohlleben jagt und rennt, der bekommt nie, was sein Herz wünscht, und würde er ein Millionär, der wird nie satt und zufrieden; aber wer seine Lust hat am Herrn, wer gottselig ist und lässt ihm genügen o der ist reich und satt, der ist froh und glücklich auch bei bescheidenem Teil, der darf von Geber aller guten Gaben von Tag zu Tag empfangen, was sein genügsames Herz sich wünscht. Und wenn ihm dann auch ein Kreuz oft auf den Schultern und ein Sorgenstein auf dem Herzen liegt, er hält's mit der goldenen Regel:
V. 5: „Befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf ihn; er wird's wohl machen.“ Was sollen wir sagen zu diesem Kern- und Goldspruch? Wie manchem Ehepaar ist er schon als Denkspruch mitgegeben worden auf seinen Lebensweg; wie manchem Pilger Gottes ist er schon zum Trostspruch geworden in trüben Stunden. Unser Gerhard hat aus jedem Wort dieses Spruchs einen Vers gemacht in seinem köstlichen Lied: Befiehl du deine Wege, und wahrlich wenn einmal in der Ewigkeit alle Christen, die jemals durch diesen Spruch oder durch dieses Lied erquickt, erbaut, gestärkt, getröstet, gerettet worden sind, einander ihre Geschichten und Erfahrungen erzählen werden über diesen Spruch das wird einen himmlischen Psalm, ein tausendstimmiges Loblied abgeben.
„Befiehl dem Herrn deine Wege!“ Ja es ist ein köstlich Ding, bei der Dunkelheit der Zukunft, bei der Ungewissheit menschlicher Dinge, bei der Hinfälligkeit eigener Kraft seine Wege dem Herrn befehlen, seine Sorgen auf den werfen, der den Weltkreis lenkt.
„Und hoffe auf ihn!“ Ja es ist ein selig Ding, in trüben Stunden hoffen auf bessere Tage, hoffen auf den, der durch Leid zur Freude und aus Nacht zum Lichte führt.
„Er wird's wohl machen!“ O das ist ein gründlicher Trost, wenn wir nichts machen können, wenn's die Menschen böse machen, auf den Herrn hoffen, auf den Allmächtigen, Alleinweisen, Ewigtreuen: Er wird's wohl machen. Eine christliche Hausfrau erzählte mir einmal in einer trüben Zeit, wo sie schwer niedergedrückt gewesen an Leib und Gemüt und so schwach am Geist, dass sie ihrer Haushaltung nicht mehr vorstehen konnte; da seien ihr in einer schlaflosen, sorgenvollen Nacht, wo sie sich mit dem Gedanken gequält: wie soll denn aber die Haushaltung fortgehen bei der Schwachheit, auf einmal die Worte aus unserem Liede eingefallen:
Bist du doch nicht Regente,
Der alles führen soll;
Gott sitzt im Regimente
Und führt alles wohl.
Und diese Worte haben ihr nun Tag und Nacht gar tröstlich ins Ohr geklungen, dass sie auf einmal ihrer Sorgen los gewesen. Er führt alles wohl! Ja halte dich dran, Volk des Herrn, auch in dieser dunklen schweren Zeit; halte dich dran, Christenherz, in jeder trüben Stunde, wo du nicht weißt, wo aus noch wo ein:
Bist du doch nicht Regente,
Der alles führen soll;
Gott sitzt im Regimente
Und führt alles wohl.
Drum vernimm weiter den Rat:
V. 7: „Sei stille dem Herrn und warte auf ihn. Erzürne dich nicht über den, dem sein Mutwille glücklich fortgeht.“ Sei stille dem Herrn klage nicht gleich, murre nicht gleich, sei still in Demut und Sanftmut, in Glauben und Hoffen; durch stille sein und hoffen würde euch geholfen:
Mit Sorgen und mit Grämen
Und mit selbsteigner Pein
Lässt Gott sich garnichts nehmen,
Es muss erbeten sein.
Sei stille, lass dich nicht gleich aus der Fassung bringen, auch nicht durch das scheinbare Glück der Gottlosen. Erzürne dich nicht über den, dem sein Mutwille glücklich fortgeht. Erzürne dich nicht; dein Zorn ist unrecht, er reißt dich fort zur Sünde, zum Murren wider den Herrn, oder zur Rachsucht wider deine Feinde, oder zum Abfall von Gottes Geboten er ist aber auch töricht, dein Zorn, denn über ein Kleines, so ist es mit dem Gottlosen aus; sein Reichtum zerstoben wie Spreu, sein Ruhm zerplatzt wie eine Seifenblase, sein Übermut gebrochen und seine Bosheit zurückgefallen auf sein eigenes Haupt. Das führt David aus
V. 8-15, wo er schließt mit den kräftigen Worten: „Aber ihr Schwert wird in ihr (eigen) Herz gehen und ihr Bogen wird zerbrechen.“ Dann kommt wieder der goldene Faden zum Vorschein; dann ist wieder die Rede vom Glück der Frommen. Wohl ist's ein bescheidenes Glück. Aber
V. 16: „Das Wenige, das ein Gerechter hat, ist besser, denn das große Gut vieler Gottlosen.“ Jawohl, beim ehrlich erworbenen Groschen des Redlichen ist mehr Segen als bei den Hunderttausenden, die der Gottlose mit Sünden gewinnt; beim spärlichen Mahle des Frommen ist mehr wahrer Genuss als bei der reichen Tafel des Prassers; in dem sandbestreuten Stüblein einer gottesfürchtigen Familie ist mehr Frieden als in manchem Palast, wo man auf Teppichen wandelt und auf Samt und Seide sitzt. O wenn wir das immer glauben wollten: „Das Wenige, das ein Gerechter hat, ist besser, denn das große Gut vieler Gottlosen,“ wieviel Neid und Missvergnügen wäre uns erspart, wieviel froher und zufriedener wären wir bei unserem bescheidenen Teil. Und wenn dann auch im Hause des Frommen das Hauskreuz oft einkehrt, es bleibt dennoch wahr:
V. 19: „Sie werden nicht zu Schanden in der bösen Zeit und in der Teuerung werden sie genug haben.“ Zum vierten Mal innerhalb fünf Wochen kehrt uns nun dieser Gedanke zurück in einem Psalm um den andern; ist's doch als wäre diese Wahrheit ausdrücklich für diese unsere Zeit ausgesucht; der Herr wolle es nicht nur uns, sondern recht viele allerorten erfahren lassen: „Sie werden nicht zu Schanden in der bösen Zeit und in der Teuerung werden sie genug haben.“ Und wenn's dann auch noch weiter kommt mit dem Frommen, er geht doch nicht zu Grund:
V. 24: „Fällt er, so wird er nicht weggeworfen, denn der Herr erhält ihn bei der Hand.“ Auch beim Frommen kann die Not weit kommen: er kann fallen, aber nicht untergehen. Ganz versinken, ganz verderben lässt Gott den Redlichen nicht. Das hat David an sich selber erfahren, das hat er an andern gesehen in einem vielbewegten Leben, wie er bezeugt:
V. 25: „Ich bin jung gewesen und alt geworden und habe noch nie gesehen den Gerechten verlassen oder seinen Samen nach Brot gehen.“ - Aber ist denn das wahr auch heute noch? Sieht man denn nicht heutzutage auch manchen Gerechten verlassen? sieht man denn nicht auch die Kinder manches braven Mannes, mancher frommen Mutter nach Brot gehen und an den Türen betteln? Nun Geliebte, in einer Zeit wie der unseren, da muss freilich auch der Unschuldige oft mit dem Schuldigen leiden; aber dennoch behält der alte David Recht, und es wird wohl so sein, wie ein Ausleger sagt zu unserem Vers: Betteln, ja das muss wohl vielleicht auch einmal ein rechtschaffener Mann in böser Zeit; aber zum Bettler werden - nimmermehr. In schwere Not und Bedrängnis mag er wohl geraten, aber ganz verlassen, nicht nur von Menschen, sondern auch von Gott verlassen - nein das ist er nicht. Das war auch der arme Lazarus nicht vor des reichen Mannes Tür. Wer seinen Gott noch hat, der hat noch nicht alles verloren, und jede Drangsalszeit ist reich an lieblichen Geschichten und seligen Erfahrungen über das Wort: Der Herr verlässt keinen, der sich auf ihn verlässt. Darum noch den Rat zum Schluss:
V. 37: „Bleibe fromm und halte dich recht, denn solchem wird es zuletzt wohl gehen.“ Ein schönes Sprüchlein zu Guter Letzt, in welchem alles noch einmal zusammengefasst ist, Gebot und Verheißung. Das Gebot zuerst: Bleibe fromm und halte dich recht. Bleibe fromm, habe Gott vor Augen und im Herzen. Bleibe fromm, ruft uns David zu, nicht erst werde fromm, denn ein Grund der Gottseligkeit ist ja hoffentlich bei uns allen schon gelegt. Dem Gott und Vater, zu dem du schon bisher aufgeschaut in Glauben und Gehorsam, dem Herrn und Heiland, dem du so oft schon Treue gelobt, dem Wort Gottes, das du weißest von Kind auf, dem Haus Gottes, das dir lieb ist seit lange, dem bleibe treu in alle Zukunft: bleibe fromm. Bleibe fromm, wieviel auch Versuchung kommen mag, wie auch Zweifel von innen oder böses Beispiel von außen, die Sorgen des Lebens und die Lüste der Welt dich mögen abziehen wollen von dem einen, was not ist, von dem Wege des Heils: bleibe treu, bleibe fromm und Halte dich recht. Sieh, das ist die Probe deiner Frömmigkeit, ob du dich auch recht hältst, deine Schuldigkeit tust gegen jedermann. Mit dem bloßen Herr Herr sagen ist's nicht getan; an deinen Früchten soll man dich erkennen. Halte dich recht, du Hausfrau gegen deinen Hausherrn, du Kind gegen deine Eltern, du Herrschaft gegen dein Gesinde, du Freund gegen deinen Freund, du Gewerbsmann gegen deine Kunden, du Nachbar gegen deine Nachbarn.
Bleibefromm und halte dich recht, denn solchen wird's zuletzt wohl gehen. Siehe da die Verheißung: Solchen wird's wohl gehen. Gewiss, wo die Furcht des Herrn im Hause wohnt, da ist auch der Segen des Herrn nicht ferne; wo man in Gottes Wegen geht, da geht man sicher, da geht man seinem Heil entgegen. Solchen wird's wohl gehen, zuletzt wohl gehen; freilich Kummer und Leid gehen auch an der Tür des Frommen nicht ganz vorüber; das sehen wir an Abraham und Jakob, an David und Hiob und allen Frommen bis auf diesen Tag; aber dem Gerechten muss das Licht doch immer wieder aufgehen und Freude dem frommen Herzen. Der Herr hilft doch den Seinen immer wieder hindurch und hinaus; während der Gottlose vielleicht eine Zeit lang trotzet und strotzet wie ein Lorbeerbaum, aber über ein Kleines ist er nicht mehr da wie gewonnen, so zerronnen: so heißt's beim Frommen: ehrlich währt am längsten; Ende gut, alles gut. Solchen wird's zuletzt wohl gehen. Ja wie wohl, wie ewig wohl wird es den Frommen zuletzt gehen, wenn sie nach allen Leiden dieser Zeit eingehen dürfen ins himmlische Vaterhaus, wo Freude die Fülle ist und liebliches Wesen zu seiner Rechten ewig. Dahin hilf, o treuer Gott, allen deinen redlichen Knechten, allen deinen frommen Pilgern.
Mach End, o Herr, mach Ende
An aller unsrer Not;
Stärk unsre Füß und Hände
Und lass bis in den Tod
Uns allzeit deiner Pflege
Und Treu befohlen sein,
So gehen unsre Wege
Gewiss zum Himmel ein!
Amen.