Gerhard, Johann - Heilige Betrachtungen - Von der Frucht des Leidens des Herrn.

Gerhard, Johann - Heilige Betrachtungen - Von der Frucht des Leidens des Herrn.

Meine Hoffnung ist das Leiden Christi.

So oft ich über das Leiden des Herrn nachdenke, so oft freue ich mich auch der Liebe Gottes und der preiswürdigen Vergebung meiner Sünden. Er neigt das Haupt her zum Küssen, er breitet die Arme aus zum Umfangen, er öffnet die Hände zum Schenken, er öffnet, um das von Liebe brennende Herz anzuschauen: er wird erhöhet von der Erde Joh. 12, 32, um alle sich nachzuziehen; seine Wunden sind blaß von Schmerz, leuchtend von Liebe: darum sollen wir durch die Oeffnung der Wunde eindringen in das Heiligthum des Herzens. Ja bei ihm ist viel Erlösung Ps. 130,7, denn nicht etwa ein Tropfen, sondern ein Strom Blutes ist aus fünf Theilen seines Leibes reichlich geflossen. Wie die Weintraube, in die Kelter geworfen, von der Last, die auf sie gelegt ist, zerdrückt wird und allenthalben Saft ausströmt, so gießet das Fleisch Christi, von der Last des göttlichen Zornes und von der Schwere der Sünden gedrückt, den Saft seines Blutes allenthalben hin aus. Da Abraham seinen Sohn zum Opfer darbringen wollte, da sprach der Herr: Nun weiß ich, daß du mich lieb hast 1 Mos. 22,12. Erkenne auch du die über alles Denken große Liebe des ewigen Vaters, weil er seinen eingeborenen Sohn für uns in den Tod hat dahin geben wollen Joh. 3,16. Wir sind von ihm geliebt worden, da wir noch Feinde waren. Wird er unser vergessen, nun wir durch den Tod seines Sohnes versöhnet sind? Röm. 5,10. Wird vor ihm das so theure Blut seines Sohnes in Vergessenheit sein können, da er auch die Thränen und Schritte der frommen Menschen zählet? Ps. 56,9. Wird Christus derer in seinem Leben vergessen können, für die er hat wollen den Tod erleiden? Wird er derer in seiner Herrlichkeit vergessen können, für die er so große Qualen ausgestanden hat?

Betrachte, gläubige Seele, die vielfache Frucht des Leidens des Herrn. Christus hat für uns blutigen Schweiß vergossen, damit nicht der eiskalte Schweiß im Todeskampfe uns zunichte machte; er hat mit dem Tode ringen wollen, damit wir im Todeskampfe nicht unterlagen; die schwerste Angst und Betrübnis bis an den Tod hat er ausstehen wollen, daß wir der ewigen Freude im Himmel theilhaftig würden. Durch einen Kuß, der das Zeichen der Freundschaft und des Wohlwollens ist, hat er verrathen werden wollen, damit die Sünde, mit der der Satan die ersten Eltern unter dem Scheine besonderen Wohlwollens dem Verderben geweihet hat, getilgt würde. Von den Juden hat er sich wollen gefangen nehmen und binden lassen, damit er uns, die wir von den Fesseln der Sünde gebunden und werth sind, in die ewige Pein verwiesen zu werden, befreiete. In einem Garten wollte er sein Leiden seinen Anfang nehmen lassen, damit er die Sünde aufhübe, die in dem Garten des Paradieses ihren Ursprung genommen hatte. Von einem Engel wollte er sich stärken lassen, daß er uns zu Genossen der Engel im Himmel machte. Von seinen eigenen Jüngern wird er verlassen, damit er uns, die wir durch einen schändlichen Abfall von Gott vertrieben sind, an sich kette. Vor dem Rathe ist er von falschen Zeugen angeklagt worden, daß wir nicht vom Satan durch das Gesetz Gottes angeklagt wurden. Er ist verurtheilt worden auf Erden, daß wir im Himmel frei gesprochen würden. Er, der keine Sünde gethan hat, hat geschwiegen für die Sünde; damit wir um unserer Sünde willen vor Gottes Gericht gestellt nicht verstummen müssten. Er hat sich mit Backenstreichen schlagen lassen wollen, damit wir von den Stacheln des Gewissens und des Satans befreiet würden. Er hat sich verspotten lassen, damit wir den Bösewicht, den Teufel verspotten könnten. Sein Gesicht wird bedeckt, daß er von uns die Decke der Sünde nähme, welche in uns das Anschauen Gottes hindert und fluchwerthe Unwissenheit über uns bringt. Er hat seine Kleider sich ausziehen lassen wollen, damit das Kleid der Unschuld, das wir durch die Sünde verloren haben, uns wieder hergestellt wurde. Mit Dornen ist er verwundet worden, damit er die Sündenschmerzen unsers Herzens heilte. Die Last des Kreuzes hat er getragen, damit er die Last der ewigen Strafe von uns nähme. Er hat laut gerufen, daß er von Gott verlassen sei, damit er das ewige Beisammenwohnen mit Gott uns wieder erwürbe. Er hat gedurstet am Kreuze, damit er den Thau der göttlichen Gnade uns zuwendete und wir nicht vor ewigem Durste verloren gehen mußten. Von der Hitze des göttlichen Zornes hat er gefoltert werden wollen, damit er vor dem höllischen Feuer uns bewahrte. Er ist gerichtet worden, damit er uns von Gottes Gericht befreite. Als Schuldiger ist er getödtet worden, damit er uns, die Schuldigen, losspräche. Von gottlosen Händen ist er geschlagen worden, damit er vor den Schlagen des Teufels uns bewahrte. Vor Schmerz hat er geschrien, damit er von dem ewigen Heulen uns errettete. Thränen hat er vergossen, das mit er unsere Thränen trocknete. Er ist gestorben, damit wir das Leben hätten. Die Schmerzen der Hölle hat er ganz empfunden, damit wir dieselben niemals empfanden. Er hat sich erniedriget, damit unserm Stolze ein Heilmittel bereitet würde. Mit einer Dornenkrone ist er gekrönt worden, damit er die himmlische Krone uns bereitete. Von allen hat er sich Leiden gefallen lassen, damit er allen das Heil gewährte. Seine Augen sind im Tode erloschen, damit wir im Lichte der himmlischen Herrlichkeit lebten. Er hat Schmähungen und Beschimpfungen gehört, damit wir im Himmel die Loblieder der Engel höreten.

Verzweifle darum nicht, gläubige Seele. Das unbegrenzte Gut ist durch deine Sünden beleidigt, aber es ist auch ein unbegrenzter Preis gezahlt. Du mußt gerichtet werden wegen deiner Sünden, aber der Sohn Gottes ist für die Sünden der ganzen Welt, die er auf sich genommen hatte, bereits gerichtet. Deine Sünden müssen gestraft werden, aber Gott hat sie bereits gestraft in seinem Sohne. Die Wunden deiner Sünden sind groß, aber Christi Blut ist ein kostbarer Balsam. Verflucht nennt dich Mose, weil du nicht alles gehalten hast, was in dem Buche des Gesetzes geschrieben stehet 5 Mos. 27,26; aber Christus ist ein Fluch für dich geworden Gal. 3,13. In Gottes Gericht ist eine Handschrift wider dich geschrieben, aber die ist ausgelöscht durch Christi Blut Col. 2,14. Dein Leiden, o treuer Christus, ist darum meine letzte Zuflucht.

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