Christoffel, Raget - Die Waldenser und ihre Brüder – 4. Landvogt Wirz sucht die Unterstützung der katholisch gesinnten Kantone, Beccaria diejenigen seiner evangelischen Glaubensgenossen in der deutschen Schweiz, wird aber auf Betreiben seiner Gegner aus Locarno verbannt.

Christoffel, Raget - Die Waldenser und ihre Brüder – 4. Landvogt Wirz sucht die Unterstützung der katholisch gesinnten Kantone, Beccaria diejenigen seiner evangelischen Glaubensgenossen in der deutschen Schweiz, wird aber auf Betreiben seiner Gegner aus Locarno verbannt.

Ach Herr wie sind meiner Feinde so viel, und setzen sich so Viele wider mich! Viele sagen von meiner Seele Sie hat keine Hilfe bei Gott; Aber du Herr bist der Schild für mich, und der mich zu Ehren setzt, und mein Haupt aufrichtet.
(Ps. 3, 3-5.)

Nach diesen Vorgängen entschloss sich der Landvogt nach Stanz hinaus zu reiten, wo gerade die Gesandten der fünf Orte versammelt waren, um ihnen seine Not zu klagen und um anzufragen, ob er auf den Schutz und die Unterstützung der Regierungen zählen könne, wenn er den Schulmeister nach Verdienen strafe. Vor seiner Abreise gab er dem Statthalter Bricio Befehl, nochmals mit Beccaria zu reden, um ihn zu bewegen, dass er schriftlich erkläre, die erwähnten Artikel oder Thesen anzunehmen; wofern er sich aber dessen weigere, solle er den Widerspenstigen aus Locarno verweisen. Beccaria aber entwich inzwischen nach Misocco und von da reiste er zunächst nach Glarus, um da sich bei seinem Beschützer Bäldi, der jetzt die Landammannstelle daselbst bekleidete, Rat zu erholen. Dieser empfahl ihn dem Rat von Zürich und der Pfarrer Valentin Tschudi, der Schüler Zwinglis, führte ihn durch folgendes Schreiben auf herzliche Weise bei Bullinger ein: „Seine fleißigen Bemühungen sind Dir zwar schon bekannt und jeder evangelische Christ schon als solcher bei Dir aufs beste empfohlen; jedoch glaubte er mit diesem Briefe die früher nie gesehene Stadt und eine ihm unbekannte Wohnung um so zuversichtlicher betreten zu dürfen. Du wirst ihm, hoffe ich, Deinen Beistand nicht versagen; denn er scheint ein frommer und gelehrter Mann zu sein.“ Um die gleiche Zeit, als Beccaria in Zürich anlangte, befand sich der Landvogt Wirz in Stanz bei den Gesandten der fünf Orte. Diese schrieben sofort im Namen aller sieben katholischen Kantone an den Rat von Locarno: „Er solle kurz und einfach erklären, ob sie, die Locarner, fortan ihrer Eidespflicht gemäß, dem Landvogte Schutz und Schirm gewähren wollen, dass er das Unrecht strafen möge; ja oder nein?“

So handelten die Häupter der katholischen Partei, rücksichtslos, an keine Billigkeit, noch gesetzliche Form sich bindend, sondern einzig auf ihre schon zum Voraus gesicherte Mehrheit der Stimme sich stützend, wenn es sich um die Unterdrückung und Ausrottung der verhassten evangelischen Lehre und ihrer Bekenner handelte; durch diese Rücksichtslosigkeit und durch ihr stets verbundenes Auftreten in geschlossener Linie ward ihnen der Sieg schon zum Voraus meistens gesichert. In diesem ihren Streben durften sie auch stets auf die Unterstützung der Geistlichkeit, sowie der von denselben beherrschten großen Menge des Volkes rechnen. - Ganz anders aber stand es bei den evangelischen Ständen, indem einige ihrer Glieder es an der nötigen Entschiedenheit fehlen ließen, wenn es galt für die teuer errungene Glaubensfreiheit und für bedrängte evangelische Glaubensgenossen einzustehen. Noch standen zwar in Zürich an der Spitze der Kirche und des Staates treffliche Männer, die für die Aufrechthaltung der reformatorischen Grundsätze gewissenhaft sorgten. „In Bullingern,“ hieß es, „sei Zwingli wie ein Phönix wieder auferstanden“ und der biedere Rudolf Lavater, sowie der treue und geschäftsgewandte Haab, die beiden Bürgermeister, waren ein Herz und eine Seele mit dem ehrwürdigen Vorsteher der Kirche. An der Festigkeit und evangelischen Lauterkeit dieser Männer scheiterten alle Versuche, Zürich von den Grundsätzen der Reformation abzuleiten. Als daher Heinrich II. von Frankreich im Frühjahr 1549 bei den Eidgenossen um Erneuerung des mit seinem Vater geschlossenen Bündnisses warb, beschloss der Rat von Zürich nach einem trefflichen Gutachten Bullingers beinahe einstimmig, „von nun an der Vereinigung mit Frankreich müßig zu gehen.“ Das Gleiche tat auch Bern im Einverständnisse mit dem trefflichen Vorsteher der Kirche daselbst Johannes Haller. In Basel und Schaffhausen dagegen übertönte der Klang der französischen Kronen die warnende Stimme der Pflicht gegen Vaterland und gegen die evangelische Kirche, sowie die Mahnungen der treuen Prediger. Dieser Abfall von den Grundsätzen der Reformation lockerte die Bande der Eintracht zwischen den evangelischen Ständen und schwächte bei den Betreffenden die Teilnahme für die Leiden der Glaubensgenossen. Wir werden bald Anlass haben die verderblichen Früchte, die daraus reiften, näher kennen zu lernen.

Beccaria hatte sich zunächst an Bullinger, den Freund und Fürsprecher aller bedrängten Glaubensgenossen gewendet. Am 19. August 1549 trat dieser mit seinem der deutschen Sprache unkundigen Schützling vor den Rat und meldete, was neulich in Locarno sich ereignet, indem er weiter bemerklich machte, „dass wenn den Landvögten gestattet würde, in Sachen der Religion die Untertanen nach Laune und Willkür zu behandeln, der ganze Flecken bald zur Einöde werden dürfte. Solches abzuwenden und damit sie ruhig in der Heimat bei den Ihrigen bleiben mögen, bitten die Bedrängten um Schutz und Beistand, auch dass ihnen, gleich anderen gemeinen Herrschaften der Eidgenossen, gestattet werde, eine Kirche zu haben und die Predigt des göttlichen Wortes zu hören.“ Der Rat von Zürich eröffnete hierauf den Bescheid: „Meine Herrn sind willig, dem Schulmeister und den frommen Leuten von Locarno zu helfen; doch soll er seinen Handel auch zu Bern, Basel und Schaffhausen vortragen und ersuchen, dass die Gesandten dieser Kantone mit der nötigen Vollmacht versehen gen Baden zur Tagsatzung kommen auf den 3. September; da wollen sie dann mit einander beratschlagen, wie ihnen zu helfen sei.“ Inzwischen ließ der Rat dem Beccaria vier Gulden Reisegeld verabfolgen und Bullinger versah ihn mit Empfehlungsschreiben, damit er unverzüglich nach Bern sich verfüge, da keine Zeit mehr zu verlieren war. Hier ging der Vorsteher dieser Kirche, Johannes Haller, der Schüler und Freund Bullingers, mit Beccaria vor den Rat und trug dessen Bittgesuch für ihn und für die Evangelischen zu Locarno in eindringlicher Weise vor. Der Entscheid stimmte mit dem von Zürich überein. Gleichen Erfolg erzielte Beccaria in Basel, wo der Antistes Oswald Myconius, an den er von Bullinger empfohlen war, sich seiner annahm, und sein Anliegen dem Rate vortrug. Auch der Rat von Schaffhausen hörte dies Mal auf die Bitten der Geistlichen und verhieß „seinen Gesandten in Baden Befehl geben, was zu Gottes Ehre und zum Nutzen der Locarner dienen könne.“ Nach dem Vorgange Zürichs verehrten auch die übrigen evangelischen Städte ihm Reisegeld. So kehrte nun Beccaria mit dankerfülltem Herzen und mit froher Hoffnung über die Berge zurück; doch wagte er sich einstweilen noch nicht in die Heimat, sondern blieb in Roveredo im Misorertale.

Auf der Tagsatzung zu Baden scheint die Religionsangelegenheit in den Hintergrund getreten zu sein, indem jener Auflauf zur Befreiung Beccarias vorzüglich als politisch bedenklich betrachtet wurde. Der Rat von Locarno hatte den katholisch gesinnten Girolamo Orello nach Baden gesandt, um sich und die Gemeinde diesfalls zu rechtfertigen. Derselbe erklärte, „dass unser Gemüt allweg gewesen ist und sein wird, bereit und treu Euren Herrlichkeiten und Ihren Amtleuten in allen Sachen, wo wir es können und dafür Leib und Gut einzusetzen.“ Da die meisten Gesandten ohne Vollmacht in dieser Sache zu handeln sich befanden, so erließ man an die Locarner ein Schreiben, welchem wir Folgendes entnehmen: „Die Herren und Oberen würden wenig Gefallens daran haben, so die Landvögte Einen um seine Missetat strafen und ihn ins Gefängnis legen wollen, dass dann Etliche sich unterstehen wollten, denselben mit Gewalt zu befreien. Man lebe aber der Zuversicht, sie werden sich fortan als getreue Untertanen ihrer Pflicht gemäß halten.“ Zu gleicher Zeit wurde dem Landvogt befohlen, die zurückgelassene Habe des Schulmeisters in Haft und Verbot liegen zu lassen und dessen Bürgen bis auf weiteren Bescheid der eingegangenen Verpflichtung nicht zu entledigen. Diese für die Evangelischen in Locarno so ungünstige Wendung vermochte sie keineswegs in ihrem Glauben zu erschüttern. So schrieben sie unmittelbar darauf (am 30. Sept. 1549) an die Prediger von Zürich: „Noch sind wir, Gott sei Dank, nicht entmutigt sondern freudig bereit noch weit Schwereres zu leiden. Eines nur quält uns, dass wir nur ein Leben aufzuopfern haben. Könnten und müssten wir hundertfachen Tod für ihn erdulden, weit lieber täten wir es, als ihn verleugnen. Mit dem wärmsten Danke anerkennen wir, was ihr für uns getan, namentlich Du, verehrungswürdigster Heinrich, der Du keine Kosten, keine Mühe sparen willst, uns zur freien Predigt der christlichen Wahrheit zu verhelfen. Wohlan denn, teuerste Brüder, legt, wir beschwören euch, die letzte Hand ans Werk und bändigt jene schlechten Menschen in unserer Bürgerschaft, damit die Christengemeinde nicht länger ihren Verleumdern preisgegeben sei Verschafft uns, dass wir einen Hirten haben dürfen, der die Herde mit der evangelischen Lehre erquicke und stärke, und sie schütze gegen die gierigen Wölfe, die blutdürftigen Löwen, welche rings auf sie lauern. Hilft uns der Herr nicht durch euch, so ist es um uns geschehen.“ In einem beigefügten Privatschreiben an Bullinger drückt Duno die Hoffnung aus: wenn ihnen freie Religionsübung gestattet werde, so dürfe in kurzer Zeit die ganze Bürgerschaft sich der evangelischen Lehre zuwenden. Groß sei bereits die Zahl der Gläubigen, aber einige freilich noch schwach und daher zarter Speise bedürftig. Sei die freie Religionsübung nicht erhältlich, so werde ihnen nichts Anderes übrig bleiben, als der Heimat Lebewohl zu sagen. Dieser freudige Glaubensmut tat jetzt den Evangelischen zu Locarno um so mehr not, da ihr bisheriger Lehrer und Seelsorger Beccaria, durch einen von der päpstlich gesinnten Mehrheit durchgesetzten Tagsatzungsbeschluss (1550) aus seiner Heimat für immer verbannt wurde, und auf der andern Seite über sie eine schwere Prüfungszeit hereinzubrechen drohte.

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autoren/c/christoffel/christoffel-waldenser/christoffel_-_waldenser_2_-_4.txt · Zuletzt geändert: von aj
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