Christlieb, Alfred - Paulus und der Kerkermeister
Eine falsche und eine richtige Weise, die Seligkeit zu erlangen
Apg. 16,29-31: „Er forderte aber ein Licht und sprang hinein und ward zitternd und fiel Paulus und Silas zu den Füßen und führte sie heraus und sprach: Liebe Herren, was soll ich tun, daß ich selig werde? Sie sprachen: Glaube an den Herrn Jesus Christus, so wirst du und dein Haus selig.“
Röm. 1,16.17: „Denn ich schäme mich des Evangeliums von Christo nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die da selig macht alle, die daran glauben, die Juden vornehmlich und auch die Griechen. Sintemal darin offenbart wird die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben; wie denn geschrieben steht: Der Gerechte wird seines Glaubens leben.“
Köstlich und wichtig ist die Frage des Kerkermeisters: „Was soll ich tun, daß ich selig werde?“ Aber doch läßt diese Frage einen gewissen Irrtum erkennen, der Tausende von Suchenden Seelen oft lange Zeit gefangenhält. Seine Frage klingt so, als ob durch sein Tun die Seligkeit erlangt werden könne. Das ist die unrichtige Weise, die Seligkeit zu bekommen. Luther und unzählige andere haben sich damit vergeblich bemüht. Die rechte Art lautet: „Glaube an den Herrn Jesum Christum!“ Nicht, als ob menschliches Tun verächtlich hinweggetan werden sollte, es wird nur auf das richtige Fundament gestellt.
Wo kein Glaube an Christum ist, da bringt uns alles Tun keine Rettung. Erst als der Kerkermeister Jesum im Glauben annahm, konnte er von selbst das Richtige tun. Da wusch er die Striemen ab, bekannte sich durch Annahme der heiligen Taufe frei und offen zu dem Glauben an Christus und speiste die Apostel.
Diesen richtigen Weg zu zeigen, war Pauli Lebensaufgabe. Seit er selbst einmal zu Damaskus ähnlich wie der Kerkermeister am Boden gelegen und nach diesem Weg gefragt und ihn gefunden hatte, wurde er nicht müde, ihn andern zu weisen.
Wie der Kerkermeister zu seiner Frage kam
Apg. 16,26-30: „Schnell aber ward ein großes Erdbeben, also daß sich bewegten die Grundfesten des Gefängnisses. Und von Stund an wurden alle Türen aufgetan und aller Bande los. Als aber der Kerkermeister aus dem Schlaf fuhr und sah die Türen des Gefängnisses aufgetan, zog er das Schwert aus und wollte sich selbst erwürgen; denn er meinte, die Gefangenen wären entflohen, Paulus aber rief laut und sprach: Tu dir nichts Übles; denn wir sind alle hier. Er forderte aber ein Licht und sprang hinein und ward zitternd und fiel Paulus und Silas zu den Füßen, und führte sie heraus und sprach: Liebe Herren, was soll ich tun, daß ich selig werde.„
Was und wie Gott im Verborgenen an dem Herzen des Kerkermeisters gearbeitet hat, weiß niemand. Zwei Dinge aber wissen wir:
- In dem Erdbeben empfing er einen Eindruck von der furchtbaren Macht Gottes, die in einem Augenblick alle menschlichen Pläne vernichten kann.
- In der Freundlichkeit Pauli leuchtete ihm ein Strahl der göttlichen Liebe entgegen.
Beides zusammen ist wohl geeignet, ein hartes Herz zu schmelzen, ob er Paulus vorher predigen hörte, wissen wir nicht, gewiß aber ist, daß er die Behandlung, welche die Apostel erfuhren, und die Art, wie sie die Behandlung ertrugen, mit seinen Augen geschaut hat. Diese Predigt des Wandels hat er sicherlich beobachtet, selbst wenn er sich um die bisherige Missionstätigkeit dieser Männer nie bekümmert haben sollte. Als nun das Erdbeben die Bande löste und die Türen öffnete, da wird er eine höhere Hand gemerkt haben, die schützend für die Männer eingriff. Dies alles wirkte nicht vergeblich auf das Herz dieses Mannes ein. Ihn ergriff das Verlangen, innerlich das zu besitzen, was er an den beiden Gefangenen beobachtet hatte. So kam er dazu, daß er zitternd vor Schrecken und innerer Bewegung ihnen zu Füßen fiel und nach dem Weg zur Seligkeit fragte. Gott hat gar verschiedene Weisen, um Menschen zum Fragen nach der Seligkeit zu bringen. Doch pflegt er in seinem Wort und in seiner Führung die beiden Mittel des Ernstes und der Liebe zu gebrauchen, die er bei dem Kerkermeister anwandte (Röm. 11,22; 2. Mo. 19,4).
Der Kerkermeister kommt mit ganz schlichter Erkenntnis zur vollen Heilsgewißheit
Apg. 16,31-34: „Sie sprachen: Glaube an den Herrn Jesus Christus, so wirst du und dein Haus selig. Und sagten ihm das Wort des Herrn und allen, die in seinem Hause waren. Und er nahm sie zu sich in derselben Stunde der Nacht und wusch ihnen die Striemen ab; und er ließ sich taufen und alle die Seinen alsobald. Und führte sie in sein Haus und setzte ihnen einen Tisch und freute sich mit seinem ganzen Hause, daß er an Gott gläubig geworden war.“
Mat. 11,25: „Zu der Zeit antwortete Jesus und sprach: Ich preise dich, Vater und Herr Himmels und der Erde, daß du solches den Weisen und Klugen verborgen hast und hast es den Unmündigen offenbart.“
Der zum Glauben gekommene Kerkermeister zeigt uns, daß gewisse Dinge zur Erlangung der Heilsgewißheit nicht nötig sind, die von manchen irrtümlich für notwendig gehalten werden.
Zuerst hatte er keine vollständige, allseitige christliche Erkenntnis. Wenn wir die Kürze seines Unterrichts erwägen, so müssen wir sagen: Seine Einführung in die christlichen Heilswahrheiten war noch sehr einfach. Er wußte nur zweierlei:
- Seine Frage beweist, daß er die Notwendigkeit seiner Errettung erkannt hatte. („Was muß ich tun, daß ich gerettet werde?“, wörtlich.) Also sein verlorener Zustand war ihm klar geworden. Diese Erkenntnis war für das Himmelreich mehr wert als alle Schriftgelehrsamkeit der stolzen Pharisäer.
- Sodann war ihm aus Pauli Zeugnis Jesus der Retter und Heiland für solchen verlorenen Zustand bekannt geworden. Diese einfache Erkenntnis genügte, um zur klaren Heilsfreude zu gelangen. Dies Beispiel kann solchen Seelen Mut machen, die in ihrem Mangel an christlicher Erkenntnis und gründlicher biblischer Lehre ein Hindernis für Erlangung des vollen inneren Friedens sehen. Die schlichteste Kenntnis genügt, wenn der Heilige Geist sie lebendig macht.
Der Kerkermeister empfängt die Heilsgewissheit sogleich und nicht erst nach längerer Bewährung
Apg. 16,34: „Und führte sie in sein Haus und setzte ihnen einen Tisch und freute sich mit seinem ganzen Hause, daß er an Gott gläubig geworden war.“
Röm. 4,4.5: „Dem aber, der mit Werken umgeht, wird der Lohn nicht aus Gnade zugerechnet, sondern aus Pflicht, dem aber, der nicht mit Werken umgeht, glaubt aber an den, der die Gottlosen gerecht macht, dem wird sein Glaube gerechnet zur Gerechtigkeit.„
Ein zweites Stück, das der Kerkermeister bei der Erlangung der Heilsfreude noch nicht hatte, war eine gründliche, längere Bewährung seiner Sinnesänderung.
Als er in jener Nacht das Wort des Herrn gläubig aufnahm, dachte er nicht etwa, er müsse erst eine Zeitlang ernst und treu nach Gottes Willen leben, ehe er es wagen dürfe, die Gnade in Christo anzunehmen. Er ließ sich nicht durch die Tatsache zurückschrecken, daß er noch vor wenigen Stunden die Knechte Gottes rücksichtslos behandelt hatte, auch nicht durch den Umstand, daß er soeben noch zum Selbstmörder werden wollte. Hätte er mit dem Ergreifen des Heils so lange warten wollen, bis er eine Zeitlang in eigener Kraft ein Gott wohlgefälliges Leben geführt hätte, so ist es die Frage, ob er jemals ein Christ geworden wäre. Vielmehr nahm er als Sünder, als rauer Mensch und als Selbstmörder die gute Botschaft des Heils an und erhielt dadurch die Kraft, den Willen Gottes mit Freuden zu tun und Liebe zu üben, wo er früher lieblos gewesen war.