Calvin, Jean - Der Prophet Jesaja - Kapitel 44.

Calvin, Jean - Der Prophet Jesaja - Kapitel 44.

V. 1. So höre nun. Wenn Jesaja bisher die Schandtaten des Volks ans Licht gezogen und verkündet hatte, sie seien alle gleicherweise des ewigen Verderbens würdig, weil Fürsten und Volk alles mit ihren Schandtaten befleckt hätten: so mildert er jetzt diese strenge in Aussicht stehende Strafdrohung und tröstet das Volk. Denn das „so höre nun“ führt einen Gegensatz ein: wenn dir auch schwere Drangsale drohen, so höre doch jetzt, was ich deinetwegen tun will. Der Herr wird sein Volk niemals ganz untergehen lassen, wenn es auch hart gedemütigt wird. Daraus lerne: Gott zürnt über seine Gemeinde nie so, dass nicht noch Raum für sein Erbarmen bliebe. Das haben wir schon oft gesehen. Darum fügen auch die Propheten, so oft sie Drohungen aussprechen, immer irgendein Trostwort hinzu, wie man eine lindernde Salbe auf eine Wunde legt.

Damit der Mensch aber nicht glaube, er habe das durch seine Leistungen verdient, heißt es: Israel, den ich erwählet habe. Wir dienen Gott nicht, weil wir würdig wären, oder weil wir uns um ihm verdient gemacht hätten, sondern weil er uns durch seine freie Gnade zu diesem Dienste fähig macht. „Knecht“ und „Erwählt“ stehen hier also gleichbedeutend, nur mit dem Unterschied, dass die Erwählung der Ordnung nach vorausgeht. In gleichem Sinn nennt sich David Gottes Knecht, ehe er geboren war, weil er schon von Mutterleibe an in Gottes Hausgemeinschaft aufgenommen war (Ps. 116, 16; 71, 6).

V. 2. So spricht der Herr, der dich gemacht usw. Er hat die Juden so hart angefasst, um sie alles verkehrten Selbstvertrauens zu entkleiden und sie in aller Demut zu Gottes Gnade fliehen zu lassen. Nun liebkost er sie mit freundlichen, sanften, schmeichelnden Worten. Sie sollen es wissen, dass sie kein Opfer bringen, wenn sie sich selbst entsagen. – Beachte den leise angedeuteten Gegensatz: Du, Jakob, bist gar nichts, aber Gott, der dich bereitet hat, verachtet sein Werk nicht. Du besitzest keinen Geburtsadel, der dich vom Untergang retten könnte; aber die Kindschaft, die dir dein himmlischer Vater geschenkt hat, ist genug und übergenug, dich loszukaufen. Man muss festhalten, was ich schon oft gesagt habe: der Prophet redet nicht von der ersten Erschaffung, durch die wir als Menschen geboren werden, sondern von der Wiedergeburt, welche das ausschließliche Eigentum der Auserwählten ist, durch die sie einen Platz in der Gemeinde Gottes bekommen. Die Menschen sollen sich ja nicht einbilden: sie und ihre Leistungen seien die Ursache, dass Gott seine Wohltaten über sie ausgegossen habe. Darum heißt es: der dich von Mutterleibe an bereitet hat. Damit stellt Gott ihnen den Erbvertrag vor Augen, demzufolge er die noch nicht einmal Geborenen sich zum Eigentum ausgesondert hatte. Gott ist seinem Volk gegenüber von Anfang an wohlwollend und freigebig gewesen und ist jedem Verdienst zuvorgekommen. Denn er hat den Menschen aus freiem Willen bereitet und ihm hernach alle Wohltaten umsonst erzeigt.

Der dir beisteht. Derselbe, der des Volkes Schöpfer ist, wird auch bereit sein, ihnen zu helfen, wenn Zeiten der Not kommen. Jesurun heißt Geliebter. Diesen Namen gibt auch Mose in seinem Lied dem Volke (5. Mose 32, 15): „Da aber Jesurun fett ward, ward er übermütig.“ Er will dadurch die Juden an die früher empfangenen Wohltaten erinnern und zu der Hoffnung ermutigen, auch künftig solche zu erwarten. Das muss ja für alle Frommen als Regel gelten: Wer Gottes Wohltaten schon an sich selbst verspürt hat, der soll sie auch fernerhin gewärtigen. Sonst ist man undankbar und zeigt nur, dass man nicht auf den Verheißungen Gottes ruht. Denn stehen diese in den Herzen geschrieben, so rufen sie ein Bewusstsein von Ruhe und Sicherheit hervor. Nicht als ob wir von jedem Furchtgefühl frei würden; aber wir sollen alle Furcht und jedes Misstrauen überwinden. Darum prägt es der Herr aufs Neue ein: Fürchte dich nicht, Jakob. Ebenso tröstet Christus (Lukas 12, 32): „Fürchte dich nicht, du kleine Herde; denn es ist eures Vaters Wohlgefallen, euch das Reich zu geben.“ Und sicherlich gibt es unter den Zufällen, die uns von allen Seiten mit dem Tode bedrohen, kein anderes Mittel, die Furcht zum Schweigen zu bringen, als die Überzeugung: Gott hat uns für wert erachtet, uns mit seiner Huld zu umfassen und in Ewigkeit zu bewahren.

V. 3. Denn ich will Wasser gießen usw. So wird sich die verheißene Hilfe zeigen. Man muss sich aber stets gegenwärtig halten, dass diese Weissagungen auf jene traurige, unglückliche Zeit gehen, von der schon zuvor die Rede war. Das Volk konnte bei dem überaus beklagenswerten Zustand der Dinge glauben, es sei ganz dem Untergang geweiht, alle göttlichen Verheißungen seien eitel. Diesen Zweifeln begegnet Jesaja. Er vergleicht das Volk mit trockenem, durstigen Boden, dem jede Feuchtigkeit entzogen ist. Auch David spricht unter demselben Bild von seinem Elend (Ps. 143, 6): „Meine Seele dürstet nach dir wie ein dürres Land.“ Wenn also Menschen vom Unglück gleichsam ausgesogen werden, dass ihnen die belebende Feuchtigkeit fehlt, sollen sie doch in der äußersten Not nicht verzagen – das ist die Meinung des Propheten. Und wenn wir in die äußerste Gefahr geraten und nur noch den Tod vor Augen sehen, so dürfen wir zu jenen Verheißungen ohne Unterschied unsere Zuflucht nehmen. Dadurch halten wir uns gegen alle Versuchungen aufrecht. Indes müssen wir unsere Dürre und Not fühlen und verstehen, damit die durstigen Seelen diese Bewässerung aufzunehmen vermögen.

Was unter Wasser und Strömen verstanden wird, sagt gleich das folgende: „Ich will meinen Geist auf deinen Samen gießen.“ Auch sonst wird Gottes Geist „Wasser“ genannt, allerdings mit besonderer Berücksichtigung seiner Eigenschaften. Wenn Hesekiel den heiligen Geist unter dem Bilde des Wasser darstellt (36, 25), so spricht er dabei von reinem Wasser im Blick auf seine Reinigungskraft. Auch später werden wir bei Jesaja (58, 11) den Geist als „Wasser“ bezeichnet finden, aber in dem etwas abweichenden Sinne, dass er durch seine geheime Lebenskraft die Seelen nährt. Hier sind die prophetischen Worte umfassender: es handelt sich nicht bloß um den Geist der Wiedergeburt, sondern wir empfangen einen Hinweis auf die allen angebotene Gnade, die sich über alle Geschöpfe ergießt, von der es im Psalm (104, 30) heißt: „Du lässest aus deinen Odem, so werden sie geschaffen, und erneuerst die Gestalt der Erde.“ Wie David rühmt, alle Weltteile würden belebt, soweit Gott ihnen seine geheime Kraft mitteile, und lehrt, Gott erneuere auf einmal durch seine Macht und Kraft den alten Zustand Himmels und der Erde, so oft dieser zu Grunde gerichtet scheine, - so beschreibt auch hier Jesaja unter dem Bilde des Wassers eine plötzliche Erneuerung der Gemeinde. Nach Gottes Urteil ist die Erneuerung der Gemeinde nichts anderes als die Befruchtung eines unfruchtbaren, ausgedörrten Landstrichs durch Tau und Regen. Der Geist wird also mit dem Wasser verglichen einmal, weil ohne ihn alles durch Trockenheit leidet und zu Grunde geht, durch seine geheime Kraft dagegen alle Welt belebt wird, - und dann, weil die Unfruchtbarkeit, diese Folge von Trockenheit und Dürre, so geheilt wird, dass eine ganz neue Gestalt erscheint. Das wird noch deutlicher durch das Folgende: „meinen Segen“.

V. 4. Dass sie wachsen sollen. Der göttliche Geist gibt der ganzen Welt ein neues Gesicht. Was zuvor verdorrt und versengt war, das grünt und blüht, wie ja auch das Kraut nach dem Regen wächst. Durch diese Bilder zeigt Gott klar und deutlich, wie es für ihn ebenso leicht ist, die verwaiste, durch ihre traurige Vereinsamung entstellte Gemeinde mit neuen Schößlingen zu segnen, wie in den Erdboden Keimkräfte zu legen. Obwohl von der Wiedergeburt nicht ausdrücklich die Rede ist, so kann man doch diese Stelle darauf beziehen. Spricht sie doch von der Aufrichtung der Gemeinde, wobei in erster Linie die Wiederherstellung in Betracht kommt, durch welche der Herr sein Bild in den Auserwählten erneuert.

V. 5. Dieser wird sagen: „Ich bin des Herrn“ usw. Bisher hat der Prophet in Bildern geredet. Jetzt nennt er die Sache bei ihrem Namen. Er zeigt, welcher Art die Pflanzen und Sprösslinge sind. Der Herr sammelt die Seinen aus allen Völkern und führt die, welche früher nichts von ihm wussten, zu seiner Gemeinde. Und diese baut und breitet er aus, während sie zuvor gar nicht vorhanden gewesen zu sein schien. Von allen Seiten werden sie zu ihr kommen, in dem Wunsche, unter die Schar der Frommen gerechnet zu werden, wie es im Psalm (87, 4) heißt: „Siehe, die Philister und Tyrer samt den Mohren, diese sind daselbst geboren.“ Dieses Wort beleuchtet aufs schönste die Meinung des Propheten. Wir wissen ja, dass nur ein kleiner Teil des Volkes aus dem Exil zurückkehrte und die Gläubigen bei ihrer kleinen Anzahl geschreckt und eingeschüchtert werden konnten. Darum ergriffen sie mit den Armen der Hoffnung die herrliche, köstliche Gnade der Erlösung, die von den Propheten gepriesen worden war. Das Psalmwort gibt also die Verheißung: die Babylonier und Ägypter werden einmal Hausgenossen der Gemeinde werden. Die Mohren und Tyrer und alle damals heidnischen Völker werden kommen und sich dem Gottesvolk anschließen. Jetzt, heißt es, liegt Jerusalem wüste. Aber Gott wird nicht allein dereinst die Zerstreuten sammeln, sondern von allen Seiten herbeiholen und die zu einer Gemeinschaft verbinden, die jetzt noch ganz uneins sind. Und sie werden sich rühmen, Bürger Jerusalems zu sein, und ebenso zu dem Leibe des erwählten Volkes gehören, wie wenn sie in dessen Mitte geboren wären. Denselben Sinn verbindet der Prophet mit unserer Stelle, aus welcher ohne Zweifel der Psalmdichter seinen Gedanken entnommen hat. Es werden also unendlich viele Menschen zusammenströmen, welche, im Glauben eins, dem einen wahren Gott gehorchen werden.

Bei Aufstellung der Bürgerlisten gab jeder seinen Namen an oder schrieb ihn selbst nieder. An diese Sitte denkt der Prophet, wenn er die Worte gebraucht: und dieser wird sich zuschreiben mit seiner Hand: „dem Herrn“ und wird mit dem Zunamen „Israel“ genannt werden. Das bringt etwas Neues, Ungewohntes zum Ausdruck: der wird sich rühmen, von Gott an Kindesstatt angenommen zu sein, der früher nichts mit ihm gemein hatte. Wir drücken heute in unserer Umgangssprache den Gedanken des Propheten so aus: man beruft sich auf jemand. So hieß es auch im 4. Kapitel: „Lass uns nur nach deinem Namen heißen“ (V. 1. ), wo von den Weibern die Rede war, für welche der Name ihrer Männer nicht mehr wert war als ein Schatten. Aber wenn auch Jesaja hier einen Unterschied unter denen macht, welche nicht Worte genug hatten, um ihre Zugehörigkeit zum Volke Gottes zu bekennen, und auf Grund des Namens Jakob eingeschrieben werden wollten, so bezieht er doch beide Aussagen auf dieselben Leute. Denn Gotteskind und Israelit ist untrennbar verbunden. Gott hat für alle seine Kinder die Gemeinde als Mutter bestimmt. Aber wohl gemerkt: nur solche sind rechtmäßige Glieder der Gemeinde, die sich unter Gottes Herrschaft beugen. Hätte der Prophet Gottes Namen übergangen und nur Jakob und Israel genannt, so hätte man doch auf den Anfang zurückgehen müssen, von dem jede Verwandtschaft im Himmel und auf Erden ausgeht. Um allen Zweideutigkeiten vorzubeugen, bringt er es zweimal zum Ausdruck: nur wer sich Gott zugeschrieben habe, werde unter den Samen Jakobs gezählt. Der Prophet will also darlegen, wie die Gemeinde verdorrt, wenn sie des göttlichen Segens bar ist, und allmählich ins Grab sinkt. Wo aber der Geist Gottes ausgegossen ist, da lebt es, und die Kräfte sammeln sich nicht allein zur Wiederherstellung des alten Zustandes, sondern sie rufen ein alle Hoffnungen übertreffendes, wunderbares Wachstum hervor. – Wir erinnern uns, dass der Prophet nicht von der natürlichen Ordnung redet, wie wenn die Kinder der Gemeindeglieder schon durch ihre Geburt innerhalb der Gemeinde wiedergeboren wären. Er meint vielmehr: wo die früher Ungläubigen im Glauben erneuert seien, verleugneten sie sicherlich ihre Gotteskindschaft nicht. Diese Veränderung geht über die Kraft der Natur und über das Verständnis aller menschlichen Sinne, dass aus dem verdammten Geschlecht Adams ein geistliches Israel ersteht! Scharenweise werden sich die verschiedensten Völker aus der Zerstreuung zu einer Gemeinde zusammentun. Denn Gott wird die Ungläubigen unter sein Zepter beugen und es zu Wege bringen, dass ihr Zeugnis: „Wir gehören zu seinem Volk“ keine leere Prahlerei ist. Achte darauf: der wahre Glaube kann nicht bestehen, ohne dass er zum Bekenntnis wird. Das drücken die vier Redewendungen aus: genannt werden mit dem Namen Jakob, sich zuschreiben, mit dem Namen Israel genannt werden, sagen: ich bin des Herrn. Denn wer Gott wahrhaft ehrt, der kann nicht stumm sein. Was in der Seele lebt, das setzt sich um in Taten und Worte. Er bekennt sich als Knecht Gottes und rühmt sich seines Namens, solange er lebt.

V. 6. So spricht der Herr usw. Der Prophet bestätigt hier nur seine bisherigen Ausführungen. Das war sehr nötig, denn die Menschenseele, schon an sich zum Unglauben geneigt, wird gar leicht im Unglück zu Boden geworfen und lässt sich durch keinerlei Zureden aufrichten. So war es nicht überflüssig, wiederholt zu bestätigen und zu bekräftigen. Man gibt ja Gott nie, was ihm gebührt, sondern verliert sich in den verschiedensten Erwägungen und bleibt immer an dem Stand der Dinge hängen, wie er vor Augen ist. Der Prophet gebraucht den unaussprechlichen Namen Gottes: „Jehovah.“ Dann nennt er ihn König und Erlöser . Denn es genügt nicht, allein die Macht Gottes zu begreifen, wenn wir nicht zugleich auch seines Wohlwollens gegen uns sicher sind. Er erwähnt also seine, nicht nur um das Ansehen der göttlichen Verheißungen in unseren Augen zu heben, sondern auch seine Güte, um uns zu überzeugen, dass sie uns zukommen solle. Es könnte lächerlich erscheinen, dass er sich König nennt, da er fast kein Volk besitzt. Doch dürfen sich die Frommen auf diese Verheißung verlassen. Sehen sie auch mit den Augen von seinem Königreich so gut wie nichts, so können sie es doch im Glauben ergreifen und fernerhin erhoffen. Ganz gewiss hätte diese Lehre niemals Eingang gefunden in die Herzen, die von höchster Not umstrickt, ja fast von Verzweiflung überwältigt waren, wenn diese Verheißung sich nicht selbst die Türen geöffnet hätte. Aber wo Gott uns mit freundlichem Wort erklärt, er sei mit uns verbunden, da erhebt sich, angelockt von solch gewinnender Einladung, der Glaube selbst aus der Not.

Ich bin der Erste. Dieses Wort stellt uns nicht Gott in seiner Ewigkeit vor Augen, sondern zeigt, wie er sich immer gleichbleibt, um die Hoffnung zu erwecken, dass er sich uns so bezeigen werde, wie wir es schon früher erfahren haben. Wozu das? mag man fragen. Gott redet ja die Gläubigen an. Und denen war es doch hinreichend bekannt? Ich antworte: die Menschen glauben an Gott; aber sie erkennen ihn nicht, wie er ist, und zollen bisweilen dem Geschöpf mehr Anerkennung als dem Schöpfer. Er will unsre Seelen rein und losgelöst von allen Einbildungen zum Himmel führen. Es handelt sich hier ja darum, das Volk, das so jämmerlich gequält ward, gegen heftige Angriffe zu festigen, damit es unentwegt vorwärts schreite.

V. 7. Und wer ist mir gleich? Hier wie anderwärts vergleicht sich der Herr mit den Götzen. Wenn die siegreichen Babylonier die Juden schamlos beschimpften, sollten sie doch nicht verzweifeln und sich nicht für betrogen halten. Denn hart und kränkend sind die Rufe, die ihnen die Gottlosen entgegenschleudern: Wo ist ihr Gott? Warum hilft er euch nicht? Solche Lästerungen sind imstande, die Herzen der Gläubigen ins Wanken zu bringen und so zu verwirren, dass sie alle Hoffnung und alles Vertrauen wegwerfen. Darum beharrt der Prophet zur Stärkung der Frommen so fest bei dieser Ermahnung. Jene klägliche Niederlage des Judenvolks glich dichtem Wolkendunkel, welches den Gläubigen Gottes Angesicht verbarg. Indessen führten die Ungläubigen wilde Siegestänze auf, als strahlte die Macht ihrer Götter in der ganzen Fülle ihres Glanzes. Um die Nacht jenes Irrtums zu zerstreuen, zeigt der Prophet, dass doch gewisse Anzeichen und Kennzeichen der Herrlichkeit Gottes ihn von den Götzen unterscheiden: er verkündige in dieser Zeit schon, was kommen soll, auf dass die Juden an den Geißelhieben den gerechten Richter erkennen möchten und dennoch die Hoffnung auf seine Gnade und Erhörung nicht aufgäben.

Dass Gott rufe, kann man entweder auf sein Vorherwissen oder auf sein Wirken beziehen. Gott ordnet alles durch seine Vorsehung und weiß auch alles, was künftig sein wird, und gibt öffentlich Kunde von seinem Vorherwissen. Es kommt aber nicht so sehr darauf an, ob man dies „rufen“ in dieser oder jener Bedeutung nimmt: denn offenbar weist der Prophet das Vorherwissen wie die Anordnung aller Dinge dem Herrn zu. Ich glaube das Zweite betonen zu müssen: Findet sich etwa unter den Göttern der Heiden einer, der da rufen, d. h. auf den Plan stellen könnte, einen Erlöser, der da verkündigen und zurichten könnte? Zeigt es sich daran nicht klar, dass ich allein Gott bin? Er verspottet also die Götzen, denen die Menschen vergeblich irgendwelche Macht zutrauen. Das „verkündigen “ deutet auf die besondere Gnade, dass Gott seinen Ratschluss seinem auserwählten Volke durch die Propheten offenbaren ließ.

Als ich das Volk der Urzeit gründete. Einige verstehen dies so: Sobald der Herr die Völker in die Welt gesetzt, habe er die einen von den andern geschieden und die Ordnung festgesetzt, die künftighin bestehen sollte. Wenn ich aber genauer darüber nachdenke, so muss ich mich für eine andere Deutung entscheiden: der Herr redet von seinem Volk und zwar in dem Sinn, dass es allen anderen vorgezogen ist. Gewiss: andere Völker, z. B. die Ägypter, gehen ihrem Ursprung nach in ältere Zeit zurück. Und Abraham ist aus Mesopotamien geführt worden, als das Reich der Chaldäer in der höchsten Blüte stand. Das Alter Israels ist also nicht nach der Zahl der Jahre, noch nach den äußeren Erscheinungen zu werten, sondern nach der Erwählung durch Gott. Ehe die Götzen von den Menschen gemacht wurden, hatte Gott – das ist der Gedanke – beschlossen, sich eine Gemeinde zu gründen, die ewig bleiben sollte. Dieses Volk ist das allerälteste und allerhervorragendste. Wie alles um des Menschen willen geschaffen ist, so sind alle Menschen zu Nutzen der Gemeinde bestimmt. Die Gemeinde ist der Leib Christi. Älteres und Größeres als das gibt es nicht. Das Volk der Wahl steht allen heidnischen Völkern der Ordnung nach voran, um desto früher zu Gott zu kommen, der die Quelle der Ewigkeit ist.

Lasset sie das Künftige verkündigen. Dies zeigt, wie die Menschen vergeblich eine Offenbarung von ihren Götzen erwarten, die, wenn sie etwas kundtun, mit Gaukeleien und zweideutigen Rätselsprüchen die zum Besten haben, welche sich bei ihnen Rat holen wollen.

V. 8. Fürchtet euch nicht. Der Prophet hat zuvor von der Macht Gottes geredet, um des Volkes Glauben zu kräftigen. Er folgert: Wenn der Herr so mächtig ist und alles durch seine Winke lenkt, so braucht sich das Volk, das unter seinem Schutze steht, nicht zu fürchten. Dann wiederholt er, was er schon früher ausführte, Gott habe nicht nur im Verborgenen den Juden geholfen und sei plötzlich wie ein Blitz aus heiterem Himmel erschienen, wo man ihn am wenigsten erwartete; er habe vielmehr ihren Glauben durch viele offene Kundgebungen genährt. Kurz: er habe gewichtige Beweise seiner väterlichen Huld gegeben und seine Gottheit nicht verschleiert. Die Allwissenheit und Allmacht Gottes hätte ja keinen Wert für uns, wenn er uns nicht auch offenbart hätte, wie viel ihm an unsrem Heile liegt. Trotzdem bleibt uns nach seinem Willen vieles verborgen. Aber er teilt alles mit, was uns zu wissen nütze ist.

Ihr seid meine Zeugen. Das Volk kann nicht Unkenntnis vorschützen. Der eine Gott hat sich ihm ja reichlich offenbart, so dass es von ihm zeugen kann. Denn dahin zielt die Kundgebung der Herrlichkeit Gottes, dass wir seine Wahrheit vor den Menschen bekennen, damit nicht das Licht erlöschen soll, das uns durch seinen Geist aufgegangen ist. Wir können aber nur Gottes Zeugen sei, wenn wir durch seine Wahrheit gefestigt sind. Ein Zeugnis aus zweifelndem Herzen hätte keinen Wert. Gottes Wort muss uns lehren, eine feste, unzweifelhafte Hoffnung des Heils zu besitzen. – Gott heißt ein Hort , weil es nicht genügt, zu erkennen, dass Gott ewig ist. Man muss auch seine Stärke anerkennen.

V. 9. Die Götzenmacher sind allzumal eitel. Der Herr zeigt, wie jämmerlich die Götzendiener sind, die an ihrer Hände Werk kleben, statt sich in der ewigen Wahrheit Gottes zu gründen. Sie haben weder Witz noch gesunden Verstand. Wie er früher mit Recht des Volkes Undankbarkeit verurteilt hat, dass es sich nicht durch die Gnadenerweisungen Gottes zum Glauben führen lasse, so wappnet er sich jetzt gegen jeden abergläubischen Gottesdienst der Völker. Die Ungläubigen überwiegen an Menge, Stärke und Macht. Darum wird uns eingeprägt, dass sie allzumal eitel sind, und dann: ihr ganzes glanzvolles Auftreten sei nichts als Trug. Als ihr Köstliches werden nicht bloß die Götzen bezeichnet, sondern ich ganzer Dienst mit aller Ausschmückung und Ehre und dem Gehorsam, den sich die Leute in ihrer Torheit aufbürden. Wenn es die wichtigste Lebensaufgabe ist, Gott zu erkennen und zu verehren, - das unterscheidet uns ja vor allem von dem Vieh! – so muss man diese über alle anderen, auch die schönsten Aufgaben stellen. All unsere Wünsche, kurz unser ganzes Denken muss sich auf Gott richten. Mit vollem Bewusstsein gebraucht die Schrift den Ausdruck „köstlich“, oder, genauer übersetzt, „erwünscht, ersehnt“, wo es sich um Gottesdienst handelt. Doch hier ist die Rede von verkehrtem Dienst, von törichten Verlangen nach Götzen, wodurch die Menschen von der Wahrheit abgelenkt und ins Ungemessene mit fortgerissen werden. Darum heißt es: was sie auch wünschen, oder eifrigst erstreben, ist eitel und unnütz. Oft wird dieses Verlangen auch mit buhlerischer Liebe verglichen. Durch sie verstrickt und verblendet sehen die Menschen ihre Schändlichkeit nicht und gehorchen der Stimme der Vernunft nicht (vgl. zu 1, 21).

Sie sind ihre Zeugen und sehen nichts. Das bezieht sich auf die Götzendiener, welche sich der Eitelkeit ihres Tuns bewusst sind. Sie wissen ja, dass jene Götzen nichts sehen, noch verstehen. Das Volk Gottes gibt ein glänzendes Zeugnis für die Herrlichkeit Gottes durch Werke, Verheißungen und Weissagungen. Die Götzendiener aber müssen schweigen, wenn sie nicht falsche eitle Erdichtungen verbreiten wollen. Denn sie haben nichts, was gewiss ist. Sie treiben zwar mit großem Stolz ihren Dienst und preisen ihn überall mit lauter Stimme an. Aber ihr Gewissen bezeugt die Ungewissheit und Eitelkeit ihres Treibens. Sie zittern immer. Nirgends finden sie Ruhe. Ihre Hartnäckigkeit treibt sie von einem Ort zum andern. Sie sind also selbst Zeugen gegen ihre Götzen. Sie sehen, wie diese aus Stein, Holz und anderen Stoffen gemacht sind und nichts fühlen, noch verstehen können. Aber die Gläubigen geben allein ihrem Gott wahrhaftiges Zeugnis, dass er alles weiß, ordnet und lenkt. Die andern werden zuletzt zuschanden, wenn sie auch jetzt noch mit stürmischem Eifer für ihren Trug eintreten.

V. 10. Wer sind die, die einen Gott machen usw. Der Prophet lächelt über den Wahnsinn der Menschen, die es wagen, Götzen zu bilden. Denn es ist entsetzlich und grauenhaft zu sagen, dass nur Menschen sich anmaßen, Gott zu schaffen. Es wird in der Tat niemand geben, der nicht solche Torheit von Grund aus verabscheute. Und doch fühlen sich die Menschen durch wahnsinnige Lust getrieben, Götter zu machen, ohne irgendeiner Warnung Gehör zu geben. Stein und Holz bekleiden sie mit göttlicher Würde. Zu ihnen nehmen sie ihre Zuflucht. An sie richten sie ihre Gebete. Vor ihnen fallen sie nieder. Kurz, sie erweisen ihnen all die Ehren, die, wie sie wissen, allein Gott gebühren.

Der nichts nütze ist. Alle Bilder, durch die Gott dargestellt wird, werden als eitel und unnütz verurteilt. Daraus folgt nicht allein, dass Gott geschmäht wird, so oft seine Herrlichkeit in sterblichen Gebilden Darstellung findet, sondern wer sich Götzen macht, vergeudet seine Kraft und zieht ein Strafgericht auf sich herab.

V. 11. Siehe, alle ihre Genossen werden zuschanden. Nicht nur die Künstler werden ihre Kühnheit büßen müssen. Nein, alle die sich ihrem Gottesdienst hingegeben haben. Denn es ist billig, dass gleiche Schuld gleiche Strafe treffe. Sie können auch keinen Entschuldigungsgrund vorbringen. Denn sie sehen, dass die Götzen, die aus Menschenhand hervorgegangen sind, eitel und stumm sind. Wie können sie da Götter sein!

Wenn sie gleich alle zusammentreten. Wie sich auch die Gottlosen zusammenschließen mögen, sie müssen doch vor dem Richterstuhl Gottes zuschanden werden. Und nicht ohne Grund droht ihnen der Prophet mit Furcht und Schande. Denn die Gottlosen gehen mit hocherhobenem Haupte einher und verachten alle anderen. Sie rühmen sich ihrer großen Zahl. Sie erheben sich wider Gott und sein Wort. Da wendet sich denn hier Jesaja an ihr Gewissen: sie sind voll von Hartnäckigkeit und Verblendung, aber bisweilen kommt doch ein Zittern über sie, wenn sie sich prüfen über ihrem Tun und sich Rechenschaft geben über ihr Treiben. Kühn sind sie, wenn sie ihr ungestümes Jagen mit fortreißt. Wenn sie aber zu sich selber kommen und sich Zeit zum Nachdenken nehmen, da übermannt sie die Furcht. So ist also kein Grund vorhanden, dass uns ihr Eifer, ihr Stolz und ihre Menge erschrecken müsste. Gar schnell wird das verwehen!

V. 12. Es schmiedet einer das Eisen usw. Nicht umsonst gibt hier der Prophet eine umständliche Beschreibung, um die Stumpfheit und den Wahnsinn der Götzendienerei zu brandmarken und die Juden dadurch wenigstens von ähnlicher Unsinnigkeit abzuhalten. Auch sie waren ja weit und breit von unzähligen Dienern falscher Götter umgeben. An den Einzelheiten, die der Prophet aufzählt, kann man am deutlichsten ihre Torheit und Sinnlosigkeit sehen. Er hätte ja mit einem oder wenigen Worten ihr Vergehen aburteilen können. Aber er zeigt gleichsam mit dem Finger auf die Meister und misst sie mit seinen Blicken, während er von ihren Werkzeugen, ihrer Arbeit, ihrem Fleiß und Eifer redet. Wir stehen geradezu mitten in der Werkstatt drin. Solch lebendige Darstellung macht mehr Eindruck auf die Menschen, die schon von Natur in diesen Irrtümern befangen sind. Sie müssen aus ihrer Schläfrigkeit aufgerüttelt werden. Man muss ihnen alles einzeln vorlegen, in winzige Stückchen zerteilen, zerkauen und wie kleinen Kindern in den Mund schieben, damit sie eine Lehre begreifen, die ihnen sonst neu und ungewohnt deucht.

Leidet auch Hunger. Das malt den brennenden Eifer, mit dem die Götzendiener ihre Götzen anfertigen. Sie glühen und brennen so, dass sie weder Maß noch Ziel halten können. In ihrer Leidenschaft rennen sie wie rasend dahin und überstürzen sich so, dass man ihren Eifer mit Recht der buhlerischen Liebe vergleichen kann, wie schon oben gesagt wurde (zu V. 9). Alle Kräfte Leibes und der Seele verwenden sie auf dieses Geschäft; mit ihrer ganzen Armeskraft arbeiten sie daran. Sie verkümmern sich den Lebensgenuss und nehmen kaum die nötigste Nahrung zu sich. Kurz, sie scheuen keine Mühe, keine Kosten, die Götter zu machen, nach denen ihr Herz verlangt. – Es heißt: der Hunger halte sie nicht ab, sie ertrügen lieber Hunger und Durst, als dass sie die Arbeit stehen ließen. Damit wird beschrieben, wie unausgesetzt sie arbeiten. Aber man kann dieses Wort auch auf alle Bestrebungen unbedachten Eifers anwenden. Wir sehen ja, wie diese unglaubliche Aufopferung – so nennen sie es – der Folter gleicht. Aber ihre Vielgeschäftigkeit, die nur zum eigenen Verderben führt, stellt uns die ganze Schande und Schmach unserer Lässigkeit vor Augen, die wir zeigen, wo es sich um den wahren Gottesdienst handelt! – An dem Endergebnis des Ganzen zeigt dann der Prophet, wie töricht ein solcher Eifer ist: es kommt bei aller Mühe nichts anderes heraus, als dass ein Götze im Hause wohne (V. 13). Müßig und regungslos steht er an seinem Ort, wie wenn ein Nichtstuer am Herde faulenzt oder im Bett liegt.

V. 14. Er gehet frisch dran. Nicht allein den Eifer und das feurige Ungestüm der Götzendiener malt der Prophet, sondern auch ihre Hartnäckigkeit und Verbohrtheit. Denn wenn er sagt: „er gehet frisch dran, dass er Zedern abhaue“ usw. – so zeigt er damit, wie sie auf lang hinaus ihren Wahnwitz treiben und nicht bloß in plötzlichem Einfall dahinstürmten, Götzen zu bilden. Sie wählen nicht nur Bäume aus, welche schon ausgewachsen sind, sondern pflanzen sie auch, bewässern sie, pflegen sie und warten, bis sie zur rechten Größe gediehen sind, die sie für ein Götzenbild geeignet sein lässt. In dem Hinweis auf diesen schrecklichen Wahnsinn hebt Gott seinen Finger warnend auf, um uns in wahrer Frömmigkeit zu erhalten. Es gilt bei Zeiten Halt zu machen, auf dass nicht ein längeres Zögern die Krankheit unheilbar werden lasse. Denn immer ist die Furcht begründet, wir könnten in dem Strudel verschlungen werden, wenn uns einmal erst törichte Lust zum Dienst der Gottlosigkeit erfasst hat. Wir alle tragen ein Samenkörnlein dieses Feuereifers in uns, das durchaus nicht ausgerottet werden kann. Ja, es wächst beständig und breitet sich aus, wenn wir es nicht durch den Geist des Herrn ausrotten. Die Götzendiener glühen vor Eifer im Dienst ihrer Götzen – müssen wir uns nicht schämen, dass wir so lässig, so kalt, ach so eiskalt sind? Jene geben ohne Besinnen Leib und Leben dahin, Gut und Blut, wenn ihr Gottesdienst auf dem Spiele steht. Und wir löschen gar manchmal das Fünklein von Eifer aus, das der Herr in unserem Herzen angefacht hat. Darum lasst uns ebenso standhaft für die Wahrheit eintreten, wie jene für ihren eitlen Dienst!

V. 15. Und die den Leuten Brennholz gibt. Der Prophet zeiht die Götzendiener des Unverstandes, weil sie sich durch den groben Augenschein nicht belehren lassen, dass ein Holzklotz kein Gott ist. Er tadelt auch die Undankbarkeit, dass sie den wahren Gott um seine Ehre bringen, dessen Kraft auch in den Bäumen sich widerspiegelt. So oft im Ofen Brot gebacken oder Fleisch gebraten oder sonstige Speise auf glühenden Kohlen zubereitet wird; so oft wir uns wärmen oder sonst Holz zu unserer Bequemlichkeit gebrauchen, kurz bei der verschiedenartigsten Verwendung des Holzes können unsere Augen die Güte Gottes nicht übersehen. Wenn wir nicht bedenken, wie freundlich Gott für uns gesorgt hat, damit wir keinen Mangel hätten, so ist das eine ganz unentschuldbare Stumpfheit.

V. 16. Mit den Worten: „Hoja, ich bin warm worden,“ kommt die Freude derer zum Ausdruck, die, frei von aller Unbequemlichkeit und Beschwerde, gleichsam einen Triumph feiern. Was aber ist unwürdiger und verkehrter, als wenn Menschen die Wohltaten Gottes mit Wonne genießen und sich gegenseitig beglückwünschen, aber dem Geber dieser Gaben nicht danken, ja im Gegenteil noch die reiche Fülle zur Verletzung seiner Ehre missbrauchen? Bei der Speisebereitung und anderen Bequemlichkeiten erkennen die Menschen, dass das Holz ihnen zur Verfügung steht: wie kommt es, dass man sich vor Menschengestalten aus Holz niederwirft? Wird Gott nicht so seines Rechtes beraubt? Wenn sie aber Trugbilder anbeten, entziehen sie dann nicht Gott das Opfer, das er am meisten fordert? Auch weltliche Schriftsteller haben einst über die Torheit gespottet, dass man aus vergänglichen Stoffen, die man zuvor unbeachtet ließ, nach eigenem Gutdünken Götter zu bilden wagte. So sagt der Dichter Horaz1):

„Ein Feigenklotz, ein wenig nützes Holz War ich, als einst der Zimmermann, unschlüssig, Was aus mir werden sollte, ein Schemel oder sonst Ein Ding, zum Gott mich lieber machen wollte.“

Dennoch kannten sie die wahre Quelle der Gottlosigkeit nicht. Denn sie achteten nicht auf die Güte und Macht des Einen Gottes, wie sie sich in allen Geschöpfen ausspricht. Wenn aber der Prophet so gegen die Götzenverehrer vorgeht und ihre Stumpfheit und ihren Wahnsinn an den Pranger stellt, so werden sie selbst ohne Zweifel sich beklagt haben, dass man mit Unrecht über sie spotte. Sie hatten ihren Irrtum mit prächtigen Farben übertüncht, erkannten an, dass die Götter im Himmel seien, sprachen es auch in ihren Schriften aus, dass sie gar nicht eigentlich Holz und Stein als einen Gott ansehen wollten. Der Prophet aber hält sich gar nicht bei dem bloßen Dasein Gottes auf: Gott wäre ein hohles Gespenst, wenn man ihm nichts anderes ließe. Nein, alles, was ihm eigen ist, soll unvermindert bleiben: seine Vorsehung, seine Macht und Leitung, seine Gerechtigkeit, sein Heil und alles Andere. Wenn die Gottlosen jetzt Bildsäulen oder Trugbilder verachten und bei diesen in ihren Nöten Zuflucht suchen, und wenn sie glauben, von Gott erhört zu werden, so oft sie diese Dinge vor sich haben und mit ihnen reden, binden sie sich da nicht ganz und gar mit ihrem Heil an jene Götzen? Diese Stumpfsinnigkeit hat ihren Grund in der Unkenntnis des Wesens Gottes. Während dieses einfach und geistlich ist, machen sie es grob und fleischlich. Sie denken zu schlecht von ihm, werfen seine Herrlichkeit in den Staub und besudeln sie, indem sie ihn mit irdischen, hinfälligen Dingen auf eine Stufe stellen. Nichts entspricht der Hoheit Gottes weniger als Trugbilder. Wer solche verehrt, der bemüht sich, Gott in sie einzumauern und nach seinem Geschmack zu behandeln. Mit Recht erhebt also der Prophet seine warnende Stimme vor solcher Verführung und geißelt mit Ernst den wütenden Eifer des Aberglaubens. Dieser ist ja das Allerschändlichste, was man ausdenken und aussprechen kann.

V. 18. Sie wissen nichts und verstehen nichts. Vernunftbegabte Menschen können sich solchen Trugbildern nur hingeben, wenn sie ganz blind und von Sinnen sind. Wenn sie auch nur noch einen Schimmer von Vernunft besäßen, so würden sie durchschauen, wie lächerlich und unsinnig es ist, die eine Hälfte des Holzes anzubeten, dessen andere sie selbst mit Feuer verbrannt und mit eigenen Augen in Rauch und Asche hatten aufgehen sehen. Merken sie aber nichts, und sind sie für keine Vernunftgründe zugänglich, so zeigen sie in der Tat, dass sie auf die Stufe des Herdenviehs herabgesunken sind. Sind sie auch einmal sehr scharfsinnig und klug gewesen, so ist doch in diesem Stück ihre ganze fade Abgeschmacktheit mehr als genug aufgedeckt. Die verdunkelte Vernunft kann ihre Schuld nicht mindern. Sie ist vielmehr ein Anzeichen ihrer Verabscheuungswürdigkeit. Denn nie wäre der Mensch so unsinnig geworden, wenn nicht die himmlische Strafe so seine Sinne umnebelt hätte. Gott hat ihn nach seinem gerechten Urteil verblendet. Die Schrift redet oft davon, wie Gott Verblendung herbeiführt und die Sinne trübt, indem er das Licht seines Geistes wegnimmt und der menschlichen Lust die Zügel schießen lässt, sodass keine Vernunft mehr Halt gebieten kann. Auch den Teufel rüstet er mit kräftigen Irrtümern aus, so dass Leute, welche der Wahrheit nicht folgen wollen, sich gegen seine Nachstellungen nicht schützen können und seinen Trügereien verfallen. Was bleibt dann noch in uns übrig als rabenschwarze Nacht und gröbste Unwissenheit, so dass jener Machthaber, der Vater der Lüge und der Finsternis, nach seiner Lust innen und außen schalten kann? In uns findet sich ja kein Schimmer von Licht, der die Nebel des Irrtums zerrisse, sondern, gejagt vom Geist der Verwirrung, den Gott über die Verworfenen sendet, tanzen wir auf den Wink des Teufels den Todesreigen. Die Schuld dieser Verblendung trägt nicht Gott. Er ist stets gerecht, auch wenn wir es manchmal nicht begreifen. Warum sollen wir auch ängstlich grübeln und in seinen geheimen Rat einzudringen suchen? Wir würden uns nur strafbar machen durch unsere Vermessenheit. Aber des öfteren liegen die Ursachen klar am Tage: Undankbarkeit des Menschen und Widerspruch gegen Gott, wie Paulus deutlich lehrt (Röm. 1, 28), dass die gerechte Strafe dafür die Verstockung ist. Auch die Unwissenheit ist kein Entschuldigungsgrund, denn niemals wäre jemand in so groben Irrtum gefallen, wenn er nicht vom Herrn wegen seiner Schandtaten mit Blindheit geschlagen worden wäre. Die Schuld haftet allein an dem Menschen, der sich selbst die Verblendung zugezogen hat. Das meint auch der Prophet: die Menschen, von Natur mit Urteilskraft begabt, bestimmt, von Gott geleitet zu werden, sind von dem Vater der Lichter verlassen, so dass sie vom Teufel geknechtet sind.

V. 19. Und gehen nicht in ihr Herz. Damit sind alle Entschuldigungsgründe abgeschnitten. Denn die Ungläubigen pflegen ihre Unwissenheit. Die natürlichen Menschen gehen ganz in ihren irdischen Geschäften auf. Sie haben alle Hände voll zu tun, auf ihren Nutzen aus zu sein. Der Prophet klagt hier über Vernachlässigung der Frömmigkeit, weil die Ungläubigen auch nach langen Irrgängen sich nicht fragen, ob sie auf dem rechten Wege seien, oder ob sie sich vergeblich abmühen in ihren verkehrten Gedanken. Trägheit verdient keine Entschuldigung. Würden sie nur ein wenig nachdenken, so müssten sie ganz leicht jene grobe Stumpfsinnigkeit merken. Wenn sie nicht sehen, so folgt daraus nur, dass sie selbst getäuscht sein wollen und sich in ihrem Irrtum gefallen. „In sein Herz gehen“ heißt: über sich nachdenken und aufmerken. Kein Kind ist so unverständig, dass es nicht richten könnte über solch großartige Torheit. Die Abergläubischen sehen sich gar zu leichtherzig durch die Finger, und es ist durchaus nicht bloße Unwissenheit, die sie zu Fall bringt. Dieses Laster ist nicht allein auf den Fall des ersten Menschen, sondern auch auf hartnäckigen Widerspruchsgeist zurückzuführen.

V. 20. Er hat Lust an Asche. Durch diesen Vers wird das seither Gesagte bekräftigt. Die Menschen sind zwar stolz und aufgeblasen, aber nichtsdestoweniger hohl und eitel. Denn Trügerei ist der schwache, unbeständige Boden, auf dem sie stehen. Sie werden eher vor Hochmut vergehen, als dass sie Überdruss daran bekämen. Von schmeichlerischer Trügerei gefangen, sehen sie nichts. Freiwillig stürzen sie sich in die Schlingen der Eitelkeit. Darauf legt der Prophet das Hauptgewicht, zu zeigen, dass die Menschen einzig und allein durch ihr Herz zu verkehrtem, gottlosem Dienst getrieben werden. Dieses Laster darf man keinem Anderen aufbürden. Es hat eben seine Quelle in der Tiefe des Menschenherzens und wird da gar eifrig gehegt und gepflegt. Staunenswerte Anmaßung Gott gegenüber zeichnet die Gottlosen aus. Sie strotzen von falscher Einbildung in ihrem Aberglauben. Sie platzen und bersten vor Hochmut. Wir aber wollen uns an der Wahrheit nähren und uns durch keine Gaukeleien verführen lassen. Sie gehen noch bei so ernsten Dingen mit Schmeicheleien um. Aber wer verzeiht eine Nachlässigkeit, wo es sich um das Heil handelt? Wir sehen, wie eifrig sich manche auf dem abwärts führenden Weg mühen. Was ist da, wo das ewige Seelenheil auf dem Spiel steht, weniger zu ertragen, als wenn die regungslos dabeistehen, welche dieses Heil durch ihre Unermüdlichkeit erringen könnten? Seine Seele errettet, wer sich besinnt und losmacht von den Stricken des Teufels. Andere tun diesen Liebesdienst, wenn sie durch Ermahnung zur Heiligung den Irrenden auf den rechten Weg weisen. Was ist also daran schuld, dass die Götzendiener kopfüber in ihr Verderben stürzen? Sie eilen in rasendem Lauf dahin, verstocken ihre Herzen und lassen sich kein Halt zurufen. – Der Schluss des Verses gibt kurz den Weg an, auf dem die Menschen sich vom Verderben erretten können: Verzichte auf dein Tun! Schmeichele dir nicht! Wer sich also in seinem Irrtum gefällt und nicht fragt, ob sein Lebensweg der rechte ist, der wird nie seine Seele erretten. Wir müssen nach Gottes Willen forschen und nicht alles ohne weiteres gutheißen. Alles muss an dem Maßstab, den er uns gegeben hat, gemessen werden. Dann werden wir ohne Mühe dem Verderben entgehen, es sei denn, wir wollten aus freien Stücken zu Grunde gehen, uns in keiner Weise warnen oder auf den Lebensweg führen lassen. Dann aber ist es unsere eigene Schuld.

V. 21. Daran denke, Jakob. Nun wendet der Prophet auf das Volk an, was er schon oft über den Aberglauben und die Trügereien der Heiden gesagt hatte, wodurch die falsch unterrichteten Menschen beim Gottesdienst sich täuschen lassen. Das schreibt er nicht bloß für seine Zeitgenossen, sondern auch für die weit später Geborenen, die nach ihrer Abführung nach Babel durch den täglichen Anblick der Lebensgewohnheiten der Chaldäer verführt und dem wahren Gottesdienst entfremdet werden konnten. Darum legt ihnen Gott selbst diesen Zügel an. Der Prophet warnt also davor, in der Gefangenschaft diese Mahnung zu vergessen und in den schweren Zeitläufen diese Herzensstärkung zu missachten.

Denn du bist mein Knecht. Das ist der Grund, weshalb sie dieser Verheißung gedenken und sich vor Berührung und Vermengung mit andern hüten sollten. Wäre es doch ein ganz unleidlicher Gedanke, dass das erwählte Volk, das Gott mit den Schranken seines Gesetzes umgeben hatte, um es von anderen abzusondern, sich mit den Heiden in ihrer Unreinigkeit ohne Besinnen vermischt und vermengt hätte. Wenn die Chaldäer in ihrem Irrtum beharrten – will der Prophet sagen – so ist das kein Wunder. Aber du, Jakob, darfst ihnen nicht gleichen, denn ich habe dich bereitet, dass du mein Knecht seist; ich habe dich wiedergeboren und geheiligt, um dich zum Erben ewigen Lebens zu machen. Von dieser Neuschaffung der Seele ist schon öfters die Rede gewesen. Auch sonst gibt die Schrift häufig diesen Gedanken Ausdruck: zur Heiligung, nicht zur Unreinigkeit seid ihr berufen (1. Thess. 4, 7); wandelt als die Kinder des Lichts (Eph. 5, 9) inmitten dieser verkehrten, argen Welt usw. Doppelter Strafe wert ist demnach, wer das Licht, mit dem uns der Herr erleuchtet, durch Gleichgültigkeit und Schlaffheit auslöscht. Ein weit schlimmeres Gericht wartet seiner, als dessen, der solche Gnade nicht erfahren hat. Auch die ungöttlichen Menschen werden ihre Strafe finden, und Unwissenheit ist kein Schutzbrief für sie: aber wer Gottes Gnade missbraucht, wird weit schwerer büßen müssen.

Vergiss mein nicht! Wer einmal auf dem rechten Weg wandelt, kann nicht davon abkommen, solange er Gott nicht vergisst. Niemals vermögen Irrtümer und Fälschereien das Übergewicht zu bekommen, solange das Andenken an Gott in unseren Seelen haftet. Wer sich also von Gott abwendet und sich in den Dienst von Aberglauben und Gottlosigkeit stellt, der hat das seiner Bosheit zuzuschreiben. Die Ursache des Abfalls ist somit Gottvergessenheit, die uns allmählich vom rechten Weg ablenkt, bis wir ganz in der Irre tappen. Ein Mittel zur Sicherstellung gegen solchen Abfall ist beständige Übung in der Selbstbesinnung. Gar leicht setzen unsere Seelen, wenn sie lässig sind, sozusagen Rost an, der jede Kenntnis Gottes vergiftet und verdirbt, bis sie ganz vernichtet ist.

V. 22. Ich vertilge deine Missetaten wie eine Wolke. Gott verheißt seinem Volk zuletzt Befreiung. Wir können im Blick auf Gott nicht wahrhaft aufgerichtet werden, wenn wir nicht seine Gnade fühlen. Um sein Volk, das er sich einmal verpflichtet hat, zu bewahren, gibt er die tröstende Verheißung: die Gefangenschaft soll nicht ewig dauern. Gott bessert als ein nachsichtiger Vater seine Kinder so, dass er ihnen stets vergibt. Wenn es heißt: „Ich vertilge deine Missetaten“, so bezieht sich das eigentlich auf die Gefangenen, die für ihre Schandtaten büßten. Folgerichtig mussten sie, sobald Gott versöhnt war, frei werden. Ursache und Wirkung gehen da zusammen: die Schuld ist erlassen, also ist ebenso die Strafe erlassen. Denn die Juden waren von der Strafe, die sie wegen ihrer Schuld getroffen hatte, befreit, sobald sie mit Gott ausgesöhnt waren. Darin liegt eine stillschweigende Aufforderung zur Buße. Wir sollen nicht bloß unter dem harten Joch der Züchtigung seufzen, sondern auch daran denken, dass die Strafe für unsere Schandtaten, die Gottes Zorn entflammt haben, gerecht sei. Und so oft Gott uns rauer anfasst, sollen wir nicht einfach Befreiung von Beschwerde und Schmerz wünschen, sondern auf die Schuld zurückgehen, damit Gott uns nicht mehr die Sünde zurechne. Das redet deutlich gegen die Klüglinge, die wohl eine Vergebung der Schuld anerkennen, aber Vergebung der Strafe leugnen. Die Vergleichung mit einer Wolke will sagen: Wenn der Himmel wieder heiter ist, so weichen und schwinden die Nebel, welche der Erde das Sonnenlicht entzogen haben. So will auch der Herr seine Kinder nicht mehr mit seinem Gericht verfolgen und sie büßen lassen. Ist ihre Schuld vergeben, so sind sie selbst versöhnt.

Kehre dich zu mir. Dies kann so verstanden werden, dass der Herr sein Volk zur Buße ermahnt, oder aber, dass er die Hoffnung auf Erlösung anregen will. Beides scheint trefflich zu passen. Gewöhnlich mahnt die Schrift, wenn sie von Erlösung redet, zur Buße, denn der Herr will uns in einer solchen Weise zu sich rufen, die uns für seine Wohltaten empfänglich macht. Da aber das Volk durch seinen Unglauben weit von der Heilshoffnung abgeirrt war, so kann man den Zuruf auch als Stärkung für ihr Glaubensleben verstehen: Kehrt zu mir zurück! d. h. ihr werdet gewisslich wiederkehren. Es ist, als wollte Gott sagen: Obwohl du meinst, dass ich fern von dir sei, sollst du doch wissen, dass ich für dich sorgen werde. Dieses Verständnis gefällt mir am besten. Denn dem Propheten ist am meisten darum zu tun, Gottes Verheißungen zu bekräftigen und sie tief in die Herzen einzugraben. Die Juden sollen zu ihm zurückkehren, die in der Verbannung ein Hindernis sahen für die Hoffnung auf das Kommen des Erlösers. Obwohl ich euch fremd geworden zu sein scheine, - das ist der Sinn – so glaubt doch! Denn ich habe beschlossen: ihr sollt zurückkehren.

V. 23. Jauchzet. Nun fordert der Herr die Juden zum Dank für seine Gnade auf. Sie sollen seine Wohltaten bezeugen und in ihrer Hoffnung auf Erlösung befestigt werden. Die Gläubigen sehen sich schon in die Zeit versetzt, da sie durch den Herrn befreit sind. Solche Worte beleben unsere Seele mehr als das schlichte Angebot von Verheißungen. – Die Gläubigen könnten an ihrem Heil zweifeln, weil sie oft in ihrem Elend vergehen und fast dem Tode anheimfallen. Da muntert sie denn der Prophet auf: Jubellieder sollen sie anstimmen, dadurch ihre Gelübde zu bezahlen, und Gottes Werk anschauen, das so gewaltig und neu ist, dass es Himmel und Erde und die stummen Geschöpfe erregt.

Rufet, ihr Niederungen der Erde usw. Vielleicht könnte man einfach den „Himmel“ und „die Erde hienieden“ einander gegenüberstellen. Da aber alsbald die Berge genannt werden, stehen ihnen die „Niederungen der Erde“ gegenüber, d. h. die tiefer liegenden Gegenden, die Ebenen und Täler. So wird jeglicher Ort zum Lobpreis des Namens Gottes aufgerufen. Es wird auch das Werk genannt, das alles zur Bewunderung fortreißen soll: der Herr hat Jakob erlöset. Es wird geschehen, dass in diesem Erlösungswerk Gottes Ehre herrlich leuchtet. Übrigens muss man festhalten, was schon sonst ausgeführt ist: dass nicht allein die Rückkehr des Volkes in die Heimat verherrlicht, sondern dass die ganze letzte Zeit umspannt wird. Denn die Juden sollten aus der babylonischen Gefangenschaft erlöst werden, damit Gott endlich eine Gemeinde unter einem Haupte auf dem ganzen Erdkreis versammle.

V. 24. So spricht der Herr usw. In seiner Art beschreibt der Prophet die Kraft Gottes und seine Macht. Die bloßen Verheißungen würden wenig Nachdruck und Glaubwürdigkeit besitzen, wenn nicht Gottes Macht dazu käme, die jeden Zweifel aus unserm Herzen bannt. Durch unser Misstrauen und unsere Hartnäckigkeit vermindern wir gewöhnlich die Kraft und Güte Gottes, d. h. wir gestehen ihr weniger zu, als es sich gebührt. Darum will der Prophet durch hervorragende Zeichen, auf die wir bald zu reden kommen, die Frommen anfeuern, ihre Hoffnungen steigern zu lernen. Er beginnt mit dem Preis der Güte und väterlichen Huld, mit der Gott seine Gemeinde umfasst hat und bis ans Ende umfassen will. Denn das Rühmen seiner Macht und Kraft würde wenig Wirkung bei uns haben, wenn er nicht selbst zu uns käme, uns seines Wohlwollens zu versichern. Man muss also nicht mit seiner Hoheit anfangen. So hoch darf man nicht steigen: man könnte sonst herabstürzen! Vielmehr muss man seine Güte, in der er uns freundlich zu sich lädt, umklammern. –„Dein Erlöser“ deutet hier auf die Vergangenheit. Die Juden, die durch ein großes Wunder einmal aus Ägypten wie aus dem Abgrund errettet wurden, sollten durch die Erinnerung an jene Erlösung gestärkt werden, auf steten Fortschritt zu hoffen.

Der dich bereitet hat. Dieser Ausdruck, dem wir schon früher begegneten, deutet darauf hin, dass Gott durch seinen Geist die, welche er als Kinder annimmt, vermittelst der Wiedergeburt zu neuen Geschöpfen macht. An diese früheren Wohltaten erinnert der Prophet, damit die Kinder Israel daraus entnähmen, wie Gott zu seinen Verheißungen steht und stehen wird. – Von Mutterleibe an: daran soll das Volk erkennen, dass alle Wohltaten, die es von Gott empfangen hat, Gaben freier Gnade waren. Seine Barmherzigkeit kam ihnen zuvor, ehe sie auch nur bitten konnten. Damit tröstet sich David in der größten Not (Ps. 22, 10 f.): „Du hast mich aus meiner Mutter Leibe gezogen. Du warst meine Zuversicht, als ich noch an meiner Mutter Brüsten war. Auf dich bin ich geworfen von Mutterleibe an. Du bist mein Gott von meiner Mutter Schoß an.“ Gleichwohl ist hier nicht die Rede von der allgemeinen Gnade, in der Gott jeden Menschen ans Licht bringt, sondern er weist auf seinen Bund, durch den er Abrahams Samen in tausend Gliedern zu Kindern angenommen hat. Man darf ja nicht zweifeln, dass er sein Werk auch bis ans Ende schützen will. – Es reihen sich Zeichen der Kraft Gottes an: Himmel und Erde hat er nach seinem Willen ausgebreitet. Dass er die Erde weit macht, deutet darauf hin, dass er die Lenkung der ganzen Welt in Händen hat und alles ihm unterworfen ist. So müssen Gottes Macht und Wort verbunden bleiben, ohne je geschieden zu werden.

V. 25. Der die Zeichen der Wahrsager zunichtemacht. Davon redet der Prophet besonders, weil Babel nicht nur durch Waffengewalt, Macht und Mittel alle anderen Völker übertraf, sondern auch durch seine einzigartige Weisheit, die in den Himmel dringen zu können schien. Was konnte denn noch Unvermutetes sich ereignen für Leute, die weit in die Zukunft schauen und allen drohenden Gefahren leicht ausweichen konnten, wie man gemeinhin glaubte? Denn die Sternkundigen, die in Babel großen Ruf genossen, weissagten all das und waren deshalb in aller Welt bekannt. Da man überall viel auf sie und ihre Kunst gab, erklärt der Herr: er werde sie und ihr Treiben zunichtemachen. Unter den „Zeichen“ versteht man Stand, Lauf und verschiedenartige Erscheinung der Gestirne, worüber sich die Sternkundigen ihre Gedanken machen. Hernach heißt es, dass Gott ihre Kunst zur Torheit macht. Auf die Frage: Ist hier die chaldäische Sterndeuterei im Allgemeinen verurteilt, oder nur ihr Missbrauch? antworte ich: Hier finden einfach jene Zeichen ihre Verurteilung, aus denen die Chaldäer weissagten und sich einbildeten, sie könnten in die Zukunft schauen. Darin sieht der Herr eitel Torheit. Nicht ohne Grund verbietet er dem Volk, die chaldäischen Sterndeuter, Wahrsager, Weissager und sonstigen Seher zu befragen. Auch im Volke Israel durfte keiner geduldet werden, der diese Kunst ausübte (5. Mose 18, 10 ff.). Könnte man irgendetwas Sicheres aus der Stellung oder der Erscheinung der Gestirne ableiten, so hätte der Herr zweifellos über diese Wissenschaft kein solches Urteil gefällt. Mit dem unbeschränkten Verbot zeigt er also, dass ihr ganzer Inhalt Lug und Trug ist, wovor alle Frommen zurückschrecken sollen. Freilich machen die Vertreter dieser falsch berühmten Kunst geltend, die Gestirne und Sternbilder seien vom Herrn als Zeichen gegeben. Ich gebe das zu. Aber ich frage: Zeichen wofür? Wir verurteilen nicht die Sternkunde, welche sich mit dem Lauf der Gestirne beschäftigt, die uns zur Bewunderung der Hoheit Gottes ermuntern sollen. Unser Urteil trifft nur die neugierigen Leute, die aus den Sternen lesen wollen, wie lange einer auf dem Throne sitzen, was diesem Staat und jenem Volke und diesem einzelnen Menschen zustoßen werde. Sie gehen über jede Schranke hinaus und missbrauchen jene Zeichen. Sie sind uns nicht als Gucklöcher für die Zukunft gegeben! Gewiss werden wir durch Zeichen am Himmel bisweilen erinnert, dass wir Gottes Zorn gegen uns erregt haben und dass seine Geißel über unserem Haupte droht. Aber wir sollen uns nicht erkühnen, daraus Einzelheiten bestimmen und erschließen zu wollen. Es ist ganz unerlaubt, so in die Geheimnisse und Verborgenheiten einzudringen und sie zu ergründen. In der Gottlosigkeit liegt Grund und Quelle zu diesem Tun. Sobald der Irrtum, das menschliche Leben werde durch die Sterne gelenkt, Platz gegriffen hat, stürzt man Gott von seinem Thron und verwirft den Gedanken, dass er der Welt Richter sei, der da straft, und dass seine Barmherzigkeit den Verlorenen zum Leben helfe. Denn wer glaubt, die Gestirne in ihrem ungestörten Laufe beeinflussen das menschliche Leben, gehorcht einem blinden Geschick und hat für Gott nichts mehr übrig. So begräbt man Gott als Richter, der Frömmigkeitsfunke erlischt und jeder Gebetstrieb hört auf. – Von „Weisen“ und „Kunst“ redet der Prophet nur mit einem gewissen Spott. Sie rühmen sich ihrer Weisheit in hohem Maße, wenn sie die Ergebnisse ihrer Sterndeuterei vortragen, als hätten sie selbst im Rat Gottes gesessen. Der eitle Schein von Weisheit aber wird für den Herrn kein Hindernis sein, ihre ganze Wissenschaft umzustürzen. Denn all ihre Ratschläge und Listen sollen zunichtewerden.

V. 26. Bestätiget aber das Wort seines Knechts. Was der Prophet zuvor gesagt hat, passt er jetzt seiner besonderen Absicht an. Er verliert ja bei aller Allgemeinheit sein Ziel nie aus den Augen, nämlich für die Gegenwart und ihre besonderen Anforderungen zu sprechen. Das Volk sollte nicht durch jene falsche chaldäische Weisheit verwirrt werden, noch zweifeln, dass Gott es dereinst erlösen werde. Er stellt darum die falschen Weissagungen und Gottes Verheißungen einander gegenüber, um dem Volk den Glauben zu nehmen, als ob jenes Reich von jeder Gefährdung verschont bliebe. Das war die Verheißung: Babel fällt, mein Volk aber wird frei. Darüber lachten die Chaldäer: Als ob wir nicht aus den Sternen lesen könnten, was die Zukunft uns bringt! Darum sagt der Herr: Er werde seine Verheißungen bestätigen, d. h. dem Wort die Tat folgen lassen und das verwirklichen, was jene in ihrer Weisheit weder vorherwissen, noch ahnen konnten. Die prophetischen Verkündigungen waren doch dem Urteil der Gottlosen nichts weiter als leerer Schall, der bald verklinge. Demgegenüber sagt der Prophet: Der Glaube stützt sich auf Worte. Als Gottes „Knechte“ werden alle Propheten bezeichnet. Doch kann man Jesaja besonders so nennen, da er vor anderen ein gewaltiger Bote und Zeuge der Erlösung war. Aber man braucht nicht diese Beschränkung zu machen. Alle heißen gemeinhin Gottes Gesandte oder Boten. Hat er doch mehrere ausgesandt, um den Glauben des Volkes durch ihr einmütiges Zeugnis zu festigen.

Unter „Rat“ versteht man zwar Gottes Befehle, aber nicht jeden beliebigen. Denn es ist ein Unrecht, über seinen geheimen Rat, den er seinen Knechten kund tut, nachzuforschen. Aber wo er uns seine künftigen Taten offenbart, haben wir die Botschaft der Propheten ebenso ehrfurchtsvoll hinzunehmen, als wenn uns Gott in die innersten Himmelsgemächer blicken ließe. Der Mensch darf nicht nach seinem Belieben forschen und grübeln, wenn Gott durch seine Propheten geredet hat. Diese Worte sollen uns also die Gewichtigkeit des Wortes ans Herz legen, das uns durch den Dienst von Menschen gepredigt wird. In ihm wird uns der ewige Rat Gottes geoffenbart.

Der zu Jerusalem spricht. Um dem Volke eine Frucht aus seinen Reden zu sichern, geht der Prophet auf ihre nächsten Anliegen ein: Jerusalem soll wiederhergestellt werden! Schaut die Macht Gottes an, der seine Gemeinde wunderbar beschirmt und, so oft die Umstände es erfordern, den Ruf ergehen lässt: vom Tode zum Leben! Ist unser Glaube der, dass Gott wahrhaftig und mächtig sei, so dürfen wir nicht zweifeln, dass es stets eine Gemeinde geben wird, und wenn wir nur traurige Verwüstung sehen, dürfen wir nie die Hoffnung aufgeben, dass ein gutes Ende kommen wird. Denn was hier von Jerusalem im Besonderen gesagt ist, das gilt von der ganzen Gemeinde. Sehen wir sie heute zerstreut und ihre Städte verstört, treffen unsere Blicke nur schreckliche Verwüstung und Verödung – lasst uns der Verheißung trauen: Es wird einst alles aufgerichtet und gebaut werden!

V. 27. Der ich spreche zu der Tiefe: Versiege! Manche beziehen das auf Babel. Ich sehe darin lieber die Andeutung einer unverhofften Umwälzung. Es musste – das ist wohl der Sinn des Wortes – eine große Veränderung der Verhältnisse eintreten, als müsste man das Volk aus der Tiefe des Meeres emporziehen. Aber Gott ist allen im Weg stehenden Hindernissen wohl gewachsen. Er kann leicht die Tiefen versiegen und die Ströme vertrocknen lassen. Darin liegt vermutlich eine Anspielung auf die Errettung, als der Herr sein Volk aus Ägypten durchs rote Meer heraufführte. Euren Vätern – will der Herr sagen – habe ich mich so erzeigt, hofft auch ihr das von mir. Glaubt: die Rückkehr in die Heimat wird euch nicht verschlossen sein!

V. 28. Der ich spreche von Kores usw. Eine wichtige Stelle! Kann man doch daran die wunderbare Fürsorge Gottes und die Glaubwürdigkeit und Sicherheit der Weissagungen klar und deutlich schauen. Denn hier ist Kyrus genannt noch lange, ehe er das Licht der Welt erblickte. Zwischen Manasses Tod, unter dem Jesaja getötet ward, und der Geburt des Kyrus liegt mehr als ein Jahrhundert. Aber auch dann, wenn Kyrus schon geboren gewesen wäre, - wer hätte ahnen können, dass er aus dem entfernten persischen Bergland nach Babel kommen würde? Daran sieht man also unverkennbar, dass Jesaja nicht aus menschlichem Geist geredet hat. Niemand hätte an einen Kyrus geglaubt, der aus den abgelegensten, ganz in Barbarei versunkenen Gebieten zur Erlösung des Volkes Gottes heraneilen würde. Wenn sich die Gottlosen darüber lustig machen und behaupten, die Juden hätten diese Bemerkung nach ihrer Erfüllung einschmuggeln können, so ist das so töricht und sinnlos, dass es keiner Widerlegung bedarf. Die Juden haben sich an diese Weissagung in der Zeit der Gefangenschaft erinnert, um die Hoffnung auf Erlösung in ihren Herzen zu beleben. Sie wären ganz und gar zusammengebrochen, hätte sie nicht der Herr durch solche Verheißungen aufgerichtet. So beharrten die Frommen im Hoffen und Glauben. Und ich bin nicht im Zweifel darüber, dass Kyrus in Erstaunen geriet, als er erfuhr, dass er zum Führer und Hirten Israels von Gott bestimmt sei, um das Volk in seine Heimat zu bringen. Darum war er wohl so freundlich gegen das Volk und sorgte ihm für Lebensmittel und alles, was es nötig hatte. Der Herr bestimmt also selbst den, durch dessen Hand er sein Volk zurückbringen lassen wollte, damit dieses nicht ratlos bald dahin, bald dorthin schaue.

Dass man saget zu Jerusalem: Sei gebauet! Schließlich wird das bisher Gesagte noch durch die Aufforderung bekräftigt: Glaubt ohne Wanken! Jerusalem wird gebaut werden. Die Kinder Israel sollen erkennen, wie teuer und wertvoll sie dem Herrn sind, wenn sie den Übergang der Herrschaft über den Osten an die Perser sehen werden. Auch der Zweck für die Wiederherstellung Jerusalems ist angegeben: die Erneuerung des reinen Gottesdienstes. Unter Aufbau ist nicht verheißen, damit die Leute sich ihrer Ruhe und Bequemlichkeiten des Lebens hingeben, sondern damit sie ungehindert daheim den Herrn rein und lauter anrufen könnten. Das ist wohl zu beherzigen. Denn viele legen mehr Gewicht auf ihren Vorteil und ihre äußere Ruhe, als auf die Ehre und den Dienst Gottes. Darüber klagt auch Haggai bitter (1, 4); auf den Bau ihrer Häuser sind sie alle aus, aber den Tempel lassen sie fast alle liegen. Aber der Herr wollte, dass man vor allem auf ihn achte. Daran denkt der Prophet, wenn er sagt: und zum Tempel: Sei gegründet! Uns liegt heute wenig an hölzernen und steinernen Tempeln, umso mehr an lebendigen Tempeln Gottes, die wir selbst sind. Denn der Herr will in uns selber Wohnung machen. Diese Tempel sollen wir sorgsam durch die Lehre des Wortes bauen, auf dass wir heilig und unschuldig leben und dem Herrn, wie es sich gebührt, dienen. In diesem Sinne will der Herr eine Gemeinde auf der Erde haben, damit seines Namens Gedächtnis nicht erlösche!

1)
Römischer Dichter des 1. Jahrh. v. Chr., Satiren I, 8
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