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Calvin, Jean – Hiob 11, 1 – 6.

Calvin, Jean – Hiob 11, 1 – 6.

1) Da nahm Zophar aus Naema das Wort: 2) Soll denn ein Schwätzer ohne Antwort bleiben, und soll ein Maulheld Recht behalten? 3) Ja, dein Gerede macht die Männer stumm, und wenn du höhnst, wird keiner dich beschämen. 4) Du hast gesagt: „Meine Weise ist richtig, und ich bin rein in deiner Gegenwart.“ 5) Ach, ich wollte, Gott redete mit dir und täte seine Lippen wider dich auf 6) und offenbarte dir die Geheimnisse der Weisheit. Denn sein Gericht ist doppelt gerecht, und Gott hat dich, was deine Sünde betrifft, in Vergessenheit gebracht.

Wie kann der Mensch vor Gott bestehen? Bei dieser Frage ziemt es sich nicht, unser Geschwätz vorzubringen, als könnten wir vermöge eines leeren Wortschwalls Recht behalten; man kann nur so darüber sprechen, dass man die Majestät Gottes anerkennt und sich davon zu Boden werfen lässt. Deshalb sollen wir einsehen: Es ist unmöglich, die uns unbegreifliche Weisheit zu erforschen, sondern die ganze Welt muss sich unter sie demütigen. Ja, würde diese Lehre immer richtig behandelt und besprochen, so würde heute nicht soviel Zank und Streit die Welt beherrschen in der Frage: Wie kann der Mensch vor Gott gerecht und selig werden? Die da meinen, man könne durch etliches Verdienst sich Gottes Gnade erwerben, und die Behauptung aufstellen, der Mensch könne gar durch eigene Kraft sich selig machen, die haben keine Ahnung von Gottes Majestät, sondern sie reden davon, als handle es sich um ganz belanglose Sachen. Wenn sie darüber reden, wie es kommt, dass Gott uns lieb hat, dass er uns gnädig ist, und wie wir es machen sollen, um vor seiner Majestät Gnade zu finden, so haben sie von der Gerechtigkeit, vom Gericht und von allem, was sonst hier zu nennen wäre, keine Ahnung.

Soll denn ein Schwätzer ohne Antwort bleiben und soll ein Maulheld Recht behalten? Das ist ein Schlag auf der Menschen schwatzendes Maul und ihren selbstgefälligen, armseligen Wortschwall. Da sieht man, wie die Menschen sich täuschen, die sich ein Vergnügen daraus machen, die Leute zu rechtfertigen und Engel aus ihnen zu machen, und es ist doch nichts als lauter Armseligkeit und Schmutz an ihnen. Gewiss, sie haben einige einleuchtende Gründe zur Hand, denen die Leute Beifall zollen; denn in der Frage nach der Gerechtigkeit wird die menschliche Vernunft immer sagen: Der Mensch muss ohne Tadel leben, muss seine Pflicht tun, muss jedermann sein Recht geben; das hält man für Gerechtigkeit. Sagt man aber: Der Mensch ist vor Gott gerechtfertigt, obwohl er ein armer Sünder ist, seine Sünden sind ihm vergeben – das dünkt sie eine wunderliche Rede, die ihrem fleischlichen Verstande nicht eingeht. „Ich soll als gerecht erklärt werden, und dabei soll die Gerechtigkeit außer mir sein? Ich soll sie anderswoher entlehnen müssen? Gott weiß, dass ich ein armer Sünder bin, und trotzdem soll er mich selig machen? Wie soll das zugehen?“ Wenn also die Sophisten und Heuchler die Verdienste der Menschen preisen und uns glauben machen wollen, wir könnten uns mit unsern Tugenden das Paradies erwerben, so sieht das wunderschön aus, und den meisten Menschen geht es gar glatt ein. Darum werden sie auch in ihrer Meinung immer verstockter und giftiger. Denn wenn man alles gut und schön findet, was sie sagen, so meinen sie, auch Gott müsse mit ihnen zufrieden sein. Aber wenn Gott auch für eine Weile sich unser Geschwätz gefallen lässt und wir scheinbar im Recht bleiben, - unsere Sache gewinnen wir damit doch nicht, und am Ende müssen wir ganz klein werden.

Wenn Gott auf seinem Richterstuhl erscheint, dann muss wohl alles Geschwätz verstummen, in dem die Menschen sich gefallen und grosstun. Handelt es sich also darum, wie wir vor Gott bestehen mögen, so dürfen wir keine Gründe anführen, die unserer Vernunft glaubhaft erscheinen und denen die Welt Beifall zollt, sondern da muss ein jeder in sich schlagen und in sein Gewissen hineinhorchen; das muss das erste sein.

Die menschliche Vernunft wird immer sagen: Ja, man muss gerecht leben. Gewiss, im eigentlichen Sinne bedeutet Gerechtigkeit, dass das Leben der Menschen ist, wie es sein soll, dass nichts daran zu tadeln ist, weil sie Gottes Gesetz vollkommen erfüllen. Aber darüber hinaus müssen wir zu einer andern Gerechtigkeit kommen, weil eben jene andere Gerechtigkeit uns mangelt. Wenn nun aber die Leute so viel wissen, dass man seine Pflicht tun und nach Gott und seinem Wort wandeln muss, dann kommt ihnen sofort der Gedanke: Ja, das Gesetz Gottes muss ich erfüllen – und dabei meinen sie, das werde ihnen schon gelingen, und können doch keinen Finger dazu rühren! Es ist seltsam: sie reden sich vor, sie könnten Berge tragen, und können doch nicht einen Strohhalm bewegen. Gleichwohl sind sie vermessen genug, sich zu rühmen, sie könnten Gottes Gesetz erfüllen, sie brauchten nur zu wollen. Und am Ende lehrt sie die Erfahrung, wie schwach sie sind. Gewiss, eine Zeitlang gehen sie in ihrer vermessenen Aufgeblasenheit einher. Ja, der schlimmste Fehler besteht in ihrer Einbildung, sie könnten sich ganz gut gerecht machen, auch wenn sie Gottes Gesetz nicht hielten, und zwar durch ihre törichten Andachtsübungen. Um Heiligkeit und Gerechtigkeit zu erlangen, geben sie sich gar keine Mühe, ihr Leben nach den Geboten Gottes einzurichten. Jeder nimmt sich irgendein Andachtswerk vor, er hat seine Zeremonien, eine Masse von Aberglauben, die er Gottesdienst nennt. Wenn sie nur alle Tage die Messe hören, zahlreiche Gebete herplappern und fasten, dann meinen diese bigotten Narren, sie hätten ihre Pflicht gegen Gott aufs beste erfüllt, ja, sie hätten sich ihn zu Dank verpflichtet. Eine Zeitlang sind sie ganz ruhig dabei; zeigt man ihnen aber, dass alles verlorne Mühe ist, so ärgern sie sich und werden voll Gifts. Es dünkt sie, Gott tue ihnen groß Unrecht, wenn er all den Krimskrams, womit sie sich betrügen, nicht annimmt und gut findet.

Wenn die Leute aber durch ihr Gewissen überführt sind, so suchen sie mit allerlei Mittelchen sich selbst zu helfen und erfinden allerlei „genugtuende Leistungen“ und die „überverdienstlichen Werke“, also solche, die Gott angeblich mehr geben, als man ihm schuldig ist. An die kommende Abrechnung vor dem Richter denken sie nicht: „Wir tun doch alles, was wir können; warum geben wir uns denn so viel Mühe? Doch nur darum, Gott zu dienen! Und das alles sollte er verwerfen für nichts achten? Gewiss, wir sind schwache Menschen, wir haben Fehler und Unvollkommenheiten genug, aber wenn wir uns Mühe geben, unsere Sünden wieder gut zu machen, so muss Gott das doch gelten lassen.“ So schwatzen die Menschen und halten sich für mehr als freigesprochen, und jeden Tadel weisen sie mit Gift und Galle ab.

Nun spricht Zophar zu Hiob: Du hast gesagt: Meine Weise ist richtig, und ich bin rein in deiner Gegenwart. Das ist also das Geschwätz, das Zophar verdammt. Wer die menschlichen Kräfte erhebt und den Menschen einredet, sie seien vor Gott vollkommen gerecht, der ist bei allem frommen Schein doch nur ein Schwätzer. Es gibt keine andere wohlbegründete Lehre, die vor Gott bestehen könnte, als die, die die Menschen zunichte macht und ihnen zeigt, dass sie keinerlei Grund zum Rühmen haben, kurzum, die sie so beschämt, dass sie keine andere Zuflucht mehr wissen als zu Gottes lauterer Güte und Barmherzigkeit.

Dann fährt er fort: Ach, ich wollte, Gott redete mit dir und täte seine Lippen wider dich auf. Ja, dann ist es mit der Menschen Klugheit und Würde vorbei, wenn Gott den Mund wider sie auftut. Dann fallen alle unsere Gedanken, die wir so fest und gesichert glaubten, zu Boden, alles zerfließt uns unter den Händen, und alle unsere Reden werden zu Schaum. All die großen Blasen zerplatzen, und nichts bleibt davon übrig. Gott muss reden, wenn die Menschen schweigen sollen. Wie redet denn Gott mit uns? Schon in der Heiligen Schrift hat er zur Genüge ausgesprochen, was uns demütigen muss. Sie zeigt uns alle Menschen als verdammt und in Adam verflucht. Weiter aber muss auch jeder für sich völlig zu Schanden werden, wenn Gott uns zeigt, wie fluchwürdig unsere Sünden sind, so dass wirklich kein Mensch mehr an sich Gefallen haben kann. Auch wer Unmut und Abscheu vor sich selber hat, kennt noch nicht den hundertsten Teil des Bösen, das in ihm ist. Im dritten Kapitel des Römerbriefs deckt der hl. Paulus der ganzen Menschheit derart ihre Schande auf, dass uns die Haare zu Berge stehen müssten, wenn wir´s lesen; denn dort werden wir alles Bösen überführt, und wenn einer auch nicht aller bösen Taten schuldig ist, so tragen wir doch alle den Samen dazu in uns. Da könnten wir wohl stumm und klein werden. Aber die Menschen sind so hoffärtig, dass sie sich in dies Verdammungsurteil der Schrift gar nicht schicken können; es hat sie niemals an der Meinung irregemacht, der Mensch könne sich vor Gott rechtfertigen. Weil jedoch der Mensch alle Gerechtigkeit verloren und in sich nichts hat als Fluch, so muss er seine Zuflucht nehmen zu der lauteren Gnade Gottes und in unserm Herrn Jesus Christus suchen, was er in seiner eigenen Person nicht hat.

Aber alles, was die Schrift uns über unsere Sünden sagt, macht uns noch nicht klein und befreit uns noch nicht von der Hoffart und Vermessenheit unseres Fleisches. Darum muss Gott noch anders zu uns reden, muss uns das in der Schrift Gesagte durch die Erfahrung unseres Lebens bestätigen, damit wir merken: Die Schrift meint uns, und Gott reißt uns die Decke der Heuchelei von den Augen. Denn wenn wir in der Schrift lesen: Es gibt keinen, der Gott sucht, sie sind alle dem Bösen ergeben, alle Menschen sind in ihrem Sündenverderben vergiftet, in den Menschen ist lauter Eitelkeit, und all ihre Weisheit ist lauter Torheit, alle ihre Gedanken und Begehrungen sind böse, sind Feindschaft gegen Gott und gegen alles Recht – wenn wir das hören, so denken wir: Ach, das gilt von den Gottlosen, und zu denen gehöre ich doch nicht – da hält sich jeder für eine Ausnahme. Und dann meinen wir, wir wären wer weiß wie gut, und wenn wir auch nur einen Tropfen Gutes haben, so dehnen wir den in die Länge und Breite aus, so dass es uns endlich dünkt, damit könne Gott wohl zufrieden sein. Deshalb ist es gar nötig, dass Gott kommt und uns die Decke hinweg zieht, und dass es mit der Einbildung ein Ende nimmt, wir wären oder gälten etwas; wir müssen wissen, dass sich alle in der Schrift enthaltenen Flüche auf uns beziehen, und darum müssen uns erst einmal tödliche Wunden beigebracht werden, wenn wir unsere Schmach und Schande erkennen sollen.

Wollen wir also wissen, was Gerechtigkeit ist und wie wir gerecht werden und vor Gott Gnade erlangen können, so müssen wir auf Gottes Rede lauschen und die Heilige Schrift annehmen, sonst wird dies Wort, wir mögen wollen oder nicht, unser Richter, wenn wir es verachten. Darum lasst uns ihn bitten: wenn er auf seine erschreckliche Art mit uns geredet hat, so wolle er uns darnach wieder trösten, damit wir doch wieder etwas von seiner Güte schmecken. Wenn der Mensch erst schamrot wird und seine Augen niederschlägt, dann wird ihn nichts mehr daran hindern, seine Zuflucht zu dem Herrn Jesus Christus zu nehmen. Sind wir erst von aller Vermessenheit frei, dann erwacht in uns der Hunger, und dann haben wir nur noch den einen Wunsch, Gott wolle unsere Gebrechen heilen. Wer Gott mit Ernst hat reden hören, der stimmt freudig und gern dieser Lehre zu, dass wir keine andere Gerechtigkeit haben als allein die, die uns in unserm Herrn Jesus Christus geschenkt ist, und dass Gott uns Sünder, Verfluchte, Verdammte und Verlorne dennoch aus unserm Jammer erlöst, weil das Lösegeld bezahlt ist, da Jesus Christus zu unserer Erlösung und Seligkeit sein Blut vergoß; dazu, dass der Gehorsam, den Christus seinem Vater geleistet hat, uns zugerechnet wird, so dass es ist, als hätten wir das Gesetz erfüllt. Darum spricht Zophar: Ach, ich wollte Gott redete mit dir.

Dann fährt er fort: Ich wollte, Gott offenbarte dir die Geheimnisse der Weisheit. Die Kenntnis, die wir von unsern Sünden und von der unschätzbaren Güte Gottes haben, geht weit über unser Begreifen hinaus; es ist eine Weisheit, die durch menschliche Vernunft nicht zu fassen ist, sondern sie muss uns von oben herab gegeben werden. Wer sich darum für gar klug und scharfsinnig hält, weil er es mit eigener Vernunft begreifen will, der verlässt sich auf seine eigenen Tugenden. Deshalb ist vonnöten, dass Gott uns diese Weisheit offenbart, die uns sonst unbekannt bleibt, damit wir unsere Grenzen nicht überschreiten. Zu dieser Erkenntnis vermögen wir aus eigener Kraft nicht zu gelangen, ja, soviel wir können, fliehen wir davor. Es muss also unser einziger Wunsch sein, dass er uns zu Gnaden annehme, und zwar so, dass er nicht allein unsere begangenen Missetaten uns verzeihe, sondern auch in Zukunft uns so regiere und bessere, dass wir in seinem Gehorsam wandeln können – was freilich nicht so gemeint ist, als könnten wir ihn mit unsern Werken und Verdiensten bezahlen, sondern dass wir uns zu seiner Gnade wenden und ihn bitten, er wolle uns durch seinen Heiligen Geist also regieren, dass wir ihn immerdar als unsern Vater anrufen.

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