Calvin, Jean - An Bullinger in Zürich (120)

Nr. 120 (C. R. – 586)

Calvin, Jean - An Bullinger in Zürich (120)

Das Weggelassene handelt vom Zensurstreit in Neuchatel und von Verfolgung der Evangelischen in der Provence.

Mahnung zur Verträglichkeit und Rücksicht auf Luthers Temperament.

- - Ich höre, Luther sei kürzlich mit furchtbarem Schelten nicht nur über Euch, sondern über uns alle hergefahren. Es ist ja schon an sich traurig, dass wir gering an Zahl und rings von Feinden umgeben noch in unserer eignen Mitte im Kampf zusammenstoßen, aber zu unpassenderer Zeit konnte es wirklich nicht dazu kommen, als gerade jetzt. Ich kann daher mich nicht anders ausdrücken als: Gott hat dem Satan die Zügel gelockert. Luther selbst hat darin freilich, außer seinem eigenen, maßlos leidenschaftlichen und kecken Charakter, den Amsdorf zum Ratgeber, einen geradezu verrückten Menschen ohne Gehirn, und lässt sich von ihm lenken oder besser auf Abwege führen. Es ist aber gut, wenn wir anerkennen, dass auch mit dieser Geißel der Herr uns schlägt; wir werden dann geduldiger tragen, was sonst entsetzlich herb wäre. Ich weiß nicht, ob Luther durch irgendeine Schrift von Euch gereizt worden ist; aber wenn ein Charakter wie der seine, der nicht nur reizbar, sondern geradezu verbittert ist, auch aus geringfügiger Ursache aufbraust, zu solchem Toben und Lärmen konnte er sich keinen genügenden Grund haben. Nun wage ichs kaum, Euch zu bitten, Ihr möchtet stillschweigen; denn es wäre nicht recht, Unschuldige so schimpflich behandeln zu lassen und ihnen Gelegenheit zur Rechtfertigung zu verweigern; auch wäre schwer zu sagen, ob es gut wäre, zu schweigen. Aber das ist mein Wunsch, dass Ihr Euch darauf besinnt, welch großer Mann Luther doch ist, durch welche außerordentliche Geistesgaben er sich auszeichnet, wie tapfer und unerschütterlich, wie geschickt, wie gelehrt und wirksam er bisher immer gearbeitet hat an der Zerstörung der Herrschaft des Antichrists und an der Ausbreitung der Lehre zur Seligkeit. Ich habs schon oft gesagt: Wenn er mich den Teufel schölte, ich würde ihm doch die Ehre antun, ihn für einen ganz hervorragenden Knecht Gottes zu halten, der freilich auch an großen Fehlern leidet, wie er an herrlichen Tugenden reich ist. Hätte er sich doch bemüht, sein stürmisches Wesen besser im Zaum zu halten, mit dem er überall herausplatzt! Hätte er doch die Leidenschaftlichkeit, die ihm angeboren ist, stets gegen die Feinde der Wahrheit gekehrt, statt sie gegen Knechte des Herrn blitzen zu lassen! Hätte er sich doch mehr Mühe gegeben, seine Fehler einzusehen! Am meisten haben ihm die Schmeichler geschadet, da er schon von Natur zu sehr dazu neigt, sich selbst milde zu behandeln. Und doch ists unsere Pflicht, was fehlerhaft ist an ihm, so zu tadeln, dass wir seiner genialen Begabung etwas zu gut halten. Denke also vor allem daran, das bitte ich dich wie deine Kollegen, dass Ihr es zu tun habt mit einem Erstling unter den Knechten Christi, dem wir alle viel schulden. Ihr werdet ja auch, wenn Ihr in feindseligen Kampf mit ihm tretet, nichts erreichen, als dass Ihr den Ungläubigen ein Vergnügen macht, so dass sie dann triumphieren werden, nicht so sehr über unsere Personen, als über die Sache des Evangeliums. Wenn wir uns gegenseitig herunterreißen, dann schenken sie uns Glauben mehr als genug. Wenn wir aber einmütig und einstimmig Christum predigen, dann wollen sie uns die Glaubwürdigkeit absprechen und missbrauchen dazu eben unsere Anschuldigungen gegen einander, denen sie glauben, mehr als recht ist. Ich möchte, du sähest mehr darauf und bedächtest es, als darauf, was Luther seiner maßlosen Heftigkeit wegen verdient. Es soll doch bei uns nicht eintreten, was Paulus tadelt [Gal. 5, 14], dass wir uns gegenseitig beißen und fressen und dabei selbst verzehret werden. Auch wenn Luther uns gereizt hat, ist es besser abzustehen vom Kampf, als den Schaden größer zu machen zum Nachteil der ganzen Kirche.

Auf die Abendmahlsfrage selbst trete ich jetzt nicht ein (darüber mit dir mündlich zu verhandeln, wünschte ich freilich lebhaft), weil ich fürchte, Ihr könnet an meiner Art des Ausdrucks etwas vermissen. Was ich darüber denke, bekenne ich einfach und ohne Falsch; ich mache nichts undeutlich, und verhehle nichts den Menschen zu lieb. Ich glaube, dass meine Meinung das trifft, was uns in Gottes Wort überliefert ist. Freilich, könnten wir nur einen halben Tag einmal drüber sprechen, so würden wir uns, hoffe ich, leicht einigen, nicht nur über die Sache selbst, sondern auch über die Formulierung. Indessen soll uns diese kleine Uneinigkeit nicht hindern, brüderliche Freundschaft zu halten im Herrn. Das tue ich und habe das Vertrauen, auch Ihr werdet es sicher tun. Lebwohl, mir im Herrn hochverehrter Bruder und liebster Freund. Grüße alle deine Kollegen ehrerbietig von mir. Der Herr behüte Euch und lasse in Euch seine Gaben immer mehr werden.

Meine Kollegen grüßen Euch sehr.

Genf, 25. November 1544.

Dein Johannes Calvin.

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