Brenz, Johannes - Evangelienpredigten - 4. Sonntag nach Trinitatis.

Brenz, Johannes - Evangelienpredigten - 4. Sonntag nach Trinitatis.

Luk. 6, 36-42.

**Darum seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. Richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet ihr auch nicht verdammt. Vergebt, so wird euch vergeben. Gebt, so wird euch gegeben. Ein voll, gedrückt, gerüttelt und überflüssig Maß wird man in euren Schoß geben; denn eben mit dem Maß, da ihr mit messt, wird man euch wieder messen. Und er sagte ihnen ein Gleichnis: Mag auch ein Blinder einem Blinden den Weg weisen? Werden sie nicht alle beide in die Grube fallen? Der Jünger ist nicht über seinen Meister; wenn der Jünger ist wie sein Meister, so ist er vollkommen. Was siehst du aber einen Splitter in deines Bruders Auge, und des Balkens in deinem Auge wirst du nicht gewahr? Oder wie kannst du sagen zu deinem Bruder: Halt stille, Bruder, ich will den Splitter aus deinem Auge ziehen; und du siehst selbst nicht den Balken in deinem Auge? Du Heuchler, ziehe zuvor den Balken aus deinem Auge, und besiehe dann, dass du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehst.

In diesem evangelischen Abschnitte übernimmt Christus das Amt eines Erziehers und tadelt zwei Laster, die unter den Leuten sehr gemein und häufig sind: das eine ist die neidische Verkleinerung des guten Rufes des Nächsten, das andere Ungerechtigkeit und Betrug in bürgerlichen Geschäften. Das sind die unter den Leuten zumeist verbreiteten Laster. In vertraulichen Gesprächen hört man schier nichts als Afterreden; in bürgerlichen Geschäften aber sieht man schier nichts als Betrügereien, Täuschungen und Geschwätz. Und diese Laster sind darum nicht leichter, weil sie verbreitet und gemein sind, sondern sie sind um so schwerer, je gemeiner sie sind. So zeigt uns nun Christus in dieser Predigt ihre Schwere, damit wir ihre Größe erkennen und Buße tun.

Lasst uns denn erstlich handeln von der Afterrede. Dieselbe geschieht aber auf verschiedene Weise; entweder nämlich wird ein gleichgültiges Wort oder Werk Jemandes aufgegriffen und durch Beurteilung nach der schlimmsten Seite verkehrt; das ist Verleumdung. Oder es wird in Bezug auf Jemanden ein Verbrechen veröffentlicht, dessen er sich nicht bewusst ist, und das man nicht beweisen kann, falls es gefordert würde. Oder es wird auch ein Verbrechen veröffentlicht, das man wohl weiß, und das derjenige, in Bezug auf den es verbreitet wird, wirklich begangen hat. Das Alles fassen wir unter dem einen Namen der Afterrede zusammen.

Es ist keine solche Afterrede, wenn die Obrigkeit über Jemandes offenbaren Frevel berät, damit er gebessert werde, oder ein Vater mit Freunden über das Vergehen seines Sohnes berät, um ihn auf den rechten Weg zurückzuführen. Das sind keine Afterreden, wenn sie gesetzmäßig geschehen, sondern es sind Pflichten. Afterreden aber sind's bei Privatleuten, welche ungesetzmäßig aus Überwollen und Neid, aus Unbesonnenheit und Mutwillen fremde Laster ausbreiten, oder auch Tugenden als Laster deuten. Hiob z. B. war bei seinem Reichtum gottesfürchtig, und dennoch legt ihm Satan diese Tugend vor Gott als Heuchelei aus, wie Hiob 1, 9 geschrieben steht. Ferner als David vor Sauls Grimm flieht, kehrt er bei dem Priester Ahimelech ein; Doeg aber verleumdet den Priester Ahimelech bei Saul, dass er sich mit David wider Saul verschworen habe. Und es gehört nicht Jenes allein zu der Art der Afterrede, sondern wenn das, was wirklich und bestimmt begangene Verbrechen sind, ungesetzmäßig von einem Menschen ausgebreitet wird, ist es die Sünde der Afterrede.

Lasst uns nun hören, wie überaus groß diese Sünde ist, auf dass wir uns vor ihr fürchten und hüten. Denn da uns Gott als seine Kinder angenommen hat, müssen

Lasst uns nun hören, wie überaus groß diese Sünde ist, auf dass wir uns vor ihr fürchten und hüten. Denn da uns Gott als seine Kinder angenommen hat, müssen wir auch Gott ähnlich werden in seinen Eigenschaften. Ihr sollt, spricht Jesus, vollkommen sein, gleichwie auch euer Vater im Himmel vollkommen ist. Gott aber hat die Eigenschaft, dass er zwar erstlich unsere guten Werke, die doch unvollkommen und unrein sind, zum Guten auslegt und sie empfiehlt und sie sogar mit Belohnungen ehrt, die Bösen aber zudeckt mit der Sendung seines Sohnes. Denn Gott hat seinen eingeborenen Sohn Christum in diese Welt gesandt, damit er durch sein Kreuz und seinen Tod die bösen Werke der Menschen zudecke und sühne. Wenn wir also entweder das Gute des Nächsten nach der schlechtesten Seite hin auslegen, oder wenn wir das Böse des Nächsten ungesetzmäßig bekannt machen, dann werfen wir das Ebenbild Gottes weg und werden von der Gotteskindschaft ausgeschlossen. Außerdem ist es die Art des Satans, Gutes übel auszulegen und Böses bekannt zu machen und zu vergrößern und Lügen hineinzumischen. Wer aber hierin dem Satan nachfolgt, der wird dem Satan ähnlich. Ob also ein Afterredner schon menschliche Gestalt vor Menschen trägt, ist er in Wahrheit doch dem Satan ähnlich vor Gottes Augen. Welch' eine Schande, welch' ein Gräuel ist das doch! Überdies ist im Gesetze das Gebot: „Du sollst nicht töten,“ und: „du sollst nicht falsch Zeugnis reden.“ Töten aber heißt nicht nur mit der Hand oder dem Schwerte einen Menschen umbringen; und falsch Zeugnis reden heißt nicht nur vor öffentlichem Gerichte lügen, sondern es heißt auch das Gute des Nächsten falsch auslegen und das Böse ausbreiten. Und deshalb sagt Christus Matth. 5,22: „Wer zu seinem Bruder sagt: Racha, der ist des Rats schuldig; wer aber sagt: Du Narr, der ist des höllischen Feuers schuldig.“ Afterreden aber ist mehr als Narr sagen. Und David spricht Psalm 57,5: „Die Menschenkinder ihre Zähne sind Spieße und Pfeile, und ihre Zungen scharfe Schwerter.“ Und Johannes sagt: Wer seinen Bruder hasst, der ist ein Totschläger.„ Wer aber Afterredner ist, der fügt zu dem Hass seines Herzens auch das Übel der Zunge. Es ist keine Entschuldigung: „Was ich tue, das tue ich nicht aus Hass oder Neid.“ So könnte sich ein jeder Totschläger und Räuber verteidigen: „Ich hab' es nicht aus Neid getan.“ Denn die Tatsache der Afterrede selber ist ein Beweis jenes angeborenen Neides, wodurch zufolge der Erbsünde einer den anderen mit Hass verfolgt und sich über seinen Nächsten überhebt. Darum werden der Hasser, der Afterreder, der Verleumder, der Totschläger und der falsche Zeuge zugleich zusammengefasst unter dem Einen Namen des Totschlags und des falschen Zeugnisses in jenen Geboten: „Du sollst nicht töten,“ und: „du sollst nicht falsch Zeugnis reden.“ Aber du wirst sagen: „Darf man denn nicht die Wahrheit über den Nächsten sagen? Was ich vom Nächsten sage, ist Wahrheit, und ich habe selber mit diesen Augen die Tatsache gesehen. Heißt die Wahrheit sagen etwa töten und falsch Zeugnis reden?“ Die Wahrheit ist gewiss zu empfehlen und zu loben; ist aber nicht auch die Gerechtigkeit zu empfehlen? Ein Stück der Gerechtigkeit aber ist, den Räuber zu strafen und zu töten, oder den Dieb zu hängen. Nimm also an, es sei mitten auf dem Markte ein Räuber oder Dieb ergriffen; dürfte ich denn ohne Beruf herbeilaufen und den Verbrecher mit dem Schwert durchbohren? Ferner: ein Verbrecher steht gefesselt vor der Behörde, und hört sein Verdammungsurteil; darf ich denn etwa für meine Person den Verbrecher töten und dem Amte des Henkers vorgreifen? Und dennoch ist es gerecht, dass der Verbrecher getötet wird. Allein dieses Stück der Gerechtigkeit ist nicht ungesetzmäßig zu tun oder auszuführen. So muss man auch sagen von der Afterrede. Obwohl nämlich der Nächste das Verbrechen gewiss begangen hat, wovon du bei der Afterrede sprichst, so ist's dennoch, weil diese Wahrheit ungesetzmäßig gesagt wird, nicht Wahrheit, sondern Grausamkeit und Versündigung gegen den Nächsten. Denn die Wahrheit ungesetzmäßig sagen unterscheidet sich vor Gott in Nichts von der Lüge und dem falschen Eide, wenigstens was dieses Vorhaben betrifft. Und die Obrigkeit handelt recht, welche bisweilen die Afterredner und Lästerer straft.

Allein was tun die Afterredner? Was würden sie Anderes tun als sich selber in augenscheinliche Gefahr stürzen! Christus sagt ja: „Richtet nicht, oder verdammt nicht, auf dass ihr nicht verdammt werdet.“ Denn wer dem Nächsten sein Gutes übel deutet, oder sein Böses ausbreitet und vergrößert, der bewirkt, dass ihm selbst auf gleiche Weise geschieht, und dass er selbst auf gleiche Weise von Anderen gerichtet und verdammt wird. Lasst uns hören, welch' ein Gebet des Herrn die Afterredner beten. Sie sprechen: „Vergib uns unsere Schulden, gleichwie wir vergeben unseren Schuldigern!“ Bei dem Afterredner hat dieses Gebet den Sinn: „O Herr, unser Gott! Ich verschone keines Menschen, und deute entweder ihr Gutes übel, oder verbreite und vergrößere ihr Böses; deshalb bitte ich, dass mir dasselbe geschehe, und dass ich endlich dem Satan überantwortet werde.“ Was gibt es Schrecklicheres als solches Gebet, und dennoch betet der Afterredner also. Christus lügt nicht, wenn er spricht: „So werdet ihr auch nicht verdammt werden.“ Darum wird der Afterredner verdammt werden. Was soll man denn nun tun? Das lehrt Christus auch selber. Was siehst du, spricht er, den Splitter in deines Bruders Auge, und des Balkens in deinem Auge wirst du nicht gewahr? Denn ein Jeglicher hat so viel Böses in sich, dass, so er dasselbe erforschen will, er niemals Ruhe hat, sondern immer von der Rechtfertigung desselben in Anspruch genommen ist. Deshalb möge der Afterredner in sich gehen und sein Böses heilen, damit er vor Gott Vergebung und Befreiung finde. So viel vom Afterreden.

Nun wollen wir auch Etliches über Betrügereien hören. Gleichwie nämlich in Gesprächen die Afterrede verbreitet ist, so ist in bürgerlichen Geschäften der Betrug häufig; Alles ist voll von Geschwätz und Betrügereien. So gibt es Täuschungen in Gewichten und Maßen. Davon spricht Christus: „Gebt, so wird euch gegeben. Ein voll, gedrückt, gerüttelt und überflüssig Maß wird man euch in euren Schoß geben; denn eben mit dem Maß, da ihr mit messt, wird man euch wieder messen.“ Im Gesetz steht das Gebot: „Du sollst nicht stehlen.“ Die Leute meinen aber, nur das sei Diebstahl, wenn Jemand bei Nacht in ein fremdes Haus dringt, und dessen Hab' und Gut entwendet. Allein Christus lehrt hier, es sei auch Diebstahl, falsches Maß oder Gewicht zu geben. Denn eine vermittelst Diebstahls gewonnene Sache ist vom Herrn so verflucht, dass sie auch dem übrigen Vermögen Fluch bringt. Indessen bringen nicht nur die Dinge, welche bei Nacht heimlich entwendet sind, dem übrigen Vermögen des Diebes den Fluch, sondern auch dasjenige, was durch Betrügereien und falsche Gewichte erworben wird. Deshalb wird es mit Recht als Diebstahl bezeichnet. Selten werden Betrüger gehangen, aber es ist ein sehr strenges Urteil des Heiligen Geistes: „Die Diebe werden das Reich Gottes nicht ererben.“ Lassen sich die Betrüger durch solche Strenge nicht abschrecken, so mögen sie wenigstens das Urteil Christi hier hören. Mit welchem Maße ihr, spricht Christus, gemessen habt, damit wird man euch wieder messen. Du begehrst vielen Reichtum zu erwerben; was tust du also? Warum willst du nicht die wahre Weise? Denn so du deinen Nächsten betrügst, betrügst du dich selber. Deswegen musst du ein überflüssig Maß geben, um auch wieder ein überflüssiges zu empfangen. Amos 8,5: „Lasst uns, sprechen sie, den Epha verringern und den Sekel steigern1). Dagegen hören sie aber: „Sollte nicht um solches willen das Land erbeben müssen und alle Einwohner trauern?“ Die wahre Weise aber, Reichtum zu sammeln, ist die, welche Christus hier lehrt: „Ein voll, gedrückt, gerüttelt und überflüssig Maß.“ Die Gerechten werden gesegnet werden nach den Verheißungen Gottes. Du wirst sagen: „Ich will die Leute betrügen, bis ich reich geworden bin, und nachher Buße tun, weil Christus für unsere Sünden gestorben ist.“ Aber höre: Christus ist für unsere Sünden gestorben, und nimmt den immer an, der Buße tut; siehe aber zu, ob dir Zeit zur Buße gelassen wird. Zur Buße ist ferner erforderlich, dass du auch das Entwendete erstattest. Was nützen also durch Betrügereien erworbene Schätze, welche verflucht sind und erstattet werden sollen?

Hüte dich also vor Betrügereien, und folge der göttlichen Berufung in Christo Jesu, unserem Herrn, der da Gott ist, hochgelobt von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.

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Zwei jüdische Maße
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